Читать книгу Bildungsphilosophie für den Unterricht - Philipp Thomas - Страница 18
2.3 Auch Epiktet sieht in der inneren Unabhängigkeit und Freiheit das eigentliche Ziel
ОглавлениеEpiktet im Freibad. Epiktet (50–138), ein Vertreter der Stoa, einer spätantiken Philosophenschule in Griechenland und Rom, die besonderen Wert auf Seelenruhe und Gelassenheit durch vernünftige Selbstbeherrschung legte, ist bekannt für genau das, worum es in Kapitel 2 geht: Die Fähigkeit, sich zu befreien von seinen Ängsten, Leidenschaften und Begierden und sich ganz der Leitung seiner Vernunft anzuvertrauen. Schon ein kleines Beispiel kann das erläutern: Stellen Sie sich vor, Sie besuchen ein Freibad, das aufgrund des schönen Wetters und der Schulferien, die gerade begonnen haben, viel zu voll ist. Kaum haben sie ihr Handtuch ausgebreitet, nerven Sie die anderen Besucher:innen, die viel zu nah bei Ihnen liegen: ihr lautes Reden, ihr aufdringliches Lachen, ihr rücksichtsloses Benehmen. Was können Sie gegen ihren aufkommenden Zorn tun? Epiktet hält einen Ratschlag bereit. Es ist zu erwarten, dass wir im vollen Schwimmbad von unseren Mitmenschen genervt sein werden und dass sich Ablehnung, Zorn und Groll in uns erheben werden. Doch wir können uns gegen diese Gefühle wappnen, wenn wir uns ganz unter unsere Vernunft stellen, die Gefühle antizipieren und sie so einklammern und verabschieden:
Wenn du zum Beispiel zum Baden gehst, dann stell dir vor, wie es in einem öffentlichen Bad zugeht, wie sie dich naßspritzen, hin und her stoßen, beschimpfen und bestehlen. Du wirst daher mit größerer Ruhe und Sicherheit hingehen, wenn du dir von vornherein sagst: „Ich will baden und meiner sittlichen Entscheidung treu bleiben, durch die ich mich in Übereinstimmung mit der menschlichen Vernunftnatur befinde“. (Epiktet 2006, 13f.)
Vernunft ist Unabhängigkeitskompetenz. Hier ist sie wieder: die Vernunft als eine Instanz in uns selbst, die uns führen kann. Üblicherweise führt sie uns nicht, üblicherweise werden wir, bezogen auf dieses Beispiel, beherrscht von Ärger, Zorn oder Aggression. Doch indem wir üben, die Stimme der Vernunft stark zu machen und ihr immer mehr zu vertrauen und auf sie zu hören, kann es uns gelingen, das Band zu durchtrennen, das uns von einem wirklich unabhängigen Leben abhält. Oft wissen wir, was gut für uns wäre, doch wir sind zu schwach es einfach zu tun. So gesehen ist es eine Bewegung des empowerment, der Selbstermächtigung, jene Instanz in uns zu stärken, welche uns Freiheit geben kann, nämlich unsere Vernunft.
Auch Epiktet geht es um eine vernüftige Lebensführung, in der wir uns unabhängig machen von den Stimmungen, die unser Wohlergehen trüben, z.B. Sorge und Angst, Begehren und Ärger. Für ihn beginnt das menschliche Leben ebenfalls erst richtig, wenn es durch Vernunft bestimmt ist.