Читать книгу Obsession - Piedro Vargas Koana - Страница 16
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Der Wald hinter Wiesbaden wird immer dunkler, obwohl es früher Nachmittag ist. Das erste Treffen mit ihr naht. Ich sehne es mit allen Fasern meines Körpers herbei.
Natürlich bin ich viel zu früh dort. Ich parke meinen Wagen und betrete das Café. Es sieht aus wie eine riesengroße Holzhütte, umringt von Wald. Hat man die hier abgeholzten Bäume zum Bau des Hauses verwendet? Ich betrete die Veranda. Die Dielen knarren unter meinem Gewicht.
Auch drinnen herrscht Dunkelheit. Langsam gewöhnen sich meine Augen daran. Holztische, weiß-rot karierte Tischdecken, ein Kerzenständer aus Messing, ein kleines Blumengesteck. Ich entscheide mich für einen Platz am Fenster. Das Café ist leer, bis auf die Bedienung, die es irgendwie schafft, lautlos über diese Holzdielen zu laufen. Sie fragt nach meinem Wunsch und zündet die Kerze an. Ich bestelle ein Wasser und beschließe zu warten.
Zwanzig Minuten später. Ein weißer Peugeot nähert sich. Ich kenne das Auto. Brotfabrik. Sie ist es. Nervös stehe ich auf und stelle mich neben den Tisch. Sie steigt aus dem Wagen, mustert von außen das Café und wirft die Tür ins Schloss. Die Geste sieht aggressiv aus.
Dann läuft sie langsamen Schrittes auf das Café zu. Obwohl sie normal geht, habe ich das Gefühl von Zeitlupe. Sie betritt den Raum und kommt auf mich zu. Die Kopfhaltung irritiert mich. Wie kann man den Kopf so halten? Das Kinn leicht nach oben gezogen und den Kopf ein wenig schief nach hinten gebogen? Als ob sie mich nur mit einem Auge anschauen möchte. Ihr linkes fokussiert mich. Ein blauer Strahl, trotz der Dunkelheit gut zu sehen, strömt wie ein flüssig gewordener Eisblock auf mich zu und dringt in mich ein. Mich fröstelt. Nun steht sie einen Meter vor mir.
„Hallo, ich bin die Anja.“
Ich atme aus. Nun wird mir erst bewusst, dass ich die letzten Sekunden die Luft angehalten habe. Mit der Hand zeige ich auf den Bank neben den Tisch. „Bitte setz´ dich.“
Anmutig geht sie um den Tisch herum und nimmt Platz. Die Kopfhaltung bleibt. Beide Augen sind gut zu sehen. Gletscherblau verströmen sie ein Funkeln, das mich in den Bann zieht. Darüber wölben sich schwungvoll ihre Augenbrauen. Mein Blick tastet ihr Gesicht vorsichtig weiter ab. Ihre Haare rauben mir erneut den Atem. Ein brünettes Gestrüpp wie dichtes Unterholz im Wald. Ich schlucke verkrampft.
„Auf einmal so sprachlos? Oder bist du ein Mensch, der nur schreiben kann?“ Sie klingt spöttisch.
Die Bedienung steht auf einmal neben dem Tisch und fragt nach unseren Wünschen.
„Milchkaffee und einen Apfelkuchen“, wünscht sich Anja.
„Für mich dasselbe.“
„Oh, wir mögen dasselbe?“, spottet sie erneut.
Ich reiße mich zusammen. Wie soll ich weitermachen? Tausend Mal habe ich diesen Moment in Gedanken probiert und bin nun völlig blockiert. Berührt. Nichts passiert. Schönes Lied, aber bei mir macht es jetzt leider nicht Zoom.
Was soll ich sagen? Danke, dass sie gekommen ist? Mich entschuldigen, dass ich sie wochenlang gestalkt habe?
“Deine Haare! Dieses Gestrüpp“, entfährt es mir.
Nun ändert sich ihre Kopfhaltung endlich. Sie wirft den Kopf nach hinten und lacht. „Nettes Kompliment, muss ich schon sagen. Gestrüpp!“
Meine Erstarrung löst sich auf. Ihr Lachen befreit mich.
Nun entwickelt sich ein langes Gespräch. Sie ist in der Tat neugierig und fragt ohne Scheu. Nach wenigen Minuten fühle ich mich nackt. Das ist mir noch nie passiert. Sie kennt keine Hemmungen und erkundigt sich nach jedem Detail meiner Herkunft. Ich erzähle ihr von meiner Mutter. Brasilien. Der Strand. Mein deutscher Ziehvater. Von ihr erfahre ich fast gar nichts. Schließlich ende ich: „Jetzt weißt du alles über mich. Und wieso ich nach Deutschland kommen musste.“
„Wieso?“
„Weil ich dich treffen musste.“
Es ist noch dunkler geworden. Der Kuchen ist gegessen, der Kaffee getrunken. Die Kerze flackert unruhig, als wüsste sie, was nun geschieht.
Dann sagt sie. „Schön war´s. Aber du bist nicht mein Typ.“
Schockgefrostet sitze ich am Tisch. Dieses Gefühl kenne ich nicht. Mühsam versuche ich nachzudenken. Meine Mama kommt mir in den Sinn. Was hat sie immer gesagt? Du bist ein Brasilianer. Damit meinte sie: Du schaffst alles, was du dir vornimmst. Glaube an dich!
Angriff geht nicht, Rückzug auch nicht. Ich nicke und lächele sie an. „Danke für deine offenen Worte. Ich nehme den ersten Teil mit.“
Sie mustert mich. Dann nickt auch sie, steht auf und verabschiedet sich.