Читать книгу Obsession - Piedro Vargas Koana - Страница 5

Prolog

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„Beim Sex ist man wieder im Urwald. Man ist wieder im Sumpf. Beim Sex geht es darum, dass die Dominanz wechselt.“

Philip Roth, Das sterbende Tier.

Immer wieder muss ich an diesen Moment denken. Hätte es hier noch eine Möglichkeit der Umkehr gegeben?

„Du zitterst ja?!“

Ich stehe in der geöffneten Tür zu ihrer Wohnung, bin bewegungslos, sprachlos. Meine einzige Regung ist dieses Zittern, das ich nie zuvor gespürt habe. Sie fasst mich an der Hand und zieht mich in den Flur. Offensichtlich ist es meine Schwäche, die sie weich werden lässt. Die Holzdielen knarren unter meinen Schritten, während ich ihr folge. Es riecht nach Räucherstäbchen und orientalischen Gewürzen. Und frischem Holz.

Sie führt mich in ihr Wohnzimmer. Als ich sie die letzten Male besuchte, hatten wir nur ein einziges Mal Sex miteinander gehabt. Schmerzlich erinnere ich mich dieses Moments. Es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich impotent gewesen war.

Völlig passiv lasse ich mich auf die Polster sinken. Ich spüre mich nicht. Mein Körper besteht aus weichem Plastik und fällt in sich zusammen wie Milchschaum, der von Kaffeetropfen durchdrungen wird. Ihre Augen bewirken dies, die sonst so hell schimmern. Aber der Raum ist dunkel. Ich kann keinen Unterschied zwischen Iris und Pupille erkennen. Mein Zittern verstärkt sich.

„Was ist, Piedro?“, fragt sie völlig überflüssigerweise. Nichts ist, würde ich ihr gern entgegenbrüllen. Ich leide nur unter unserer Trennung. Ich bin auf Entzug. Du bist mein Rauschgift! Du hast meine Seele vergiftet, meinen Körper. Meine Nerven liegen so blank, dass selbst ein Luftzug mich zum Erbeben bringt. Deshalb zittere ich permanent.

Doch ich sage nichts. Weil ich nichts sagen kann. Ich fühle eine Lähmung. Überall. Vor allem in meinem Kopf.

Langsam beginnt sie, mein Hemd aufzuknöpfen. Ich lasse es geschehen, weil ich nicht weiß, ob ich noch lebe oder schon in einem anderen Zwischenbereich angekommen bin. Sie sitzt mir so nahe, dass ich ihren besonderen Duft wahrnehmen kann. Herbstgetreide auf einem Feld voller Sonnenschein, braun, mit hellen Pilzdüften. Tief atme ich ein, während sie meine Kleider entfernt.

Mein Penis scheint der einzige Körperteil zu sein, in dem Leben pulsiert. Er will sich von mir lösen, drängt zu ihr hin. Ich habe keine Kontrolle über ihn. Bin ich deshalb so erstarrt, weil sich dort alle Energie gesammelt hat? Wenn ich überhaupt noch einen Funken Verstand besitze, so entscheide ich, dass ich nichts mehr denken, tun oder beeinflussen werde. Wozu noch leben, wenn ich eine letzte Erwartung auf göttlichen Sex haben kann? Nagisa Ôshima, der geniale japanische Regisseur, kommt mir in den Sinn. Bin ich seine Leib gewordene Phantasie? Im Reich der Sinne. Auch in seinem Film wurde eine verzehrende Leidenschaft gezeigt, die zwei Menschen in ihren Bann zog. Der Film beruht bekanntlich auf einer wahren Begebenheit. Zwei Menschen werden aus ihren Umlaufbahnen gezogen und gehen eine neue tödliche Vereinigung ein. Ihre gegenseitige Anziehung und sexuelle Energie ist so stark, dass sie aus ihrem Leben herausgerissen und in die dunkle Energie eines schwarzen Lochs hineingezogen werden. Kichizō verlässt seine Familie, um sich ganz seiner Geliebten namens Sada hinzugeben. Sie blenden ihr Leben aus und haben nur noch eins: Sex. Immer tiefer lassen sie sich in diesen Strudel hineintreiben, erkunden völlig neue Bereiche, entdecken vorsichtig und zögernd die Lust am Schmerz. Sie verlieren mehr und mehr die Kontrolle über sich. Die körpereigenen Opiate überschwemmen ihre Gehirne und treiben die sexuelle Erregung auf nie gekannte Höhen. Glitzernde Ekstasefunken betäuben sie so sehr, dass sie im letzten Geschlechtsakt schließlich – ich blende diesen Gedanken aus. Und wenn es jetzt doch geschehen würde, so hätte mein Leben einen Sinn gehabt.

Mein Kinn hebt sich wenige Zentimeter, um den Todesstoß zu empfangen, während Anja meinen Penis wie ein Schwert umfängt. Doch ihre Augen sind auf einmal milde geworden. Sie drückt mich auf die Kissen und senkt ihre Lippen über meinen eregierten Schwanz, saugt sich daran fest. Ein paradoxes Gefühl jagt durch meinen Körper. Was immer sie aus mir herauszieht und in sich aufnimmt, strömt in gewaltiger Form wieder zu mir zurück. Eine heiße Welle, die durch meinen Körper jagt, als ob Glasscherben in winzig kleine Teile zerbrechen, dort jede Zelle infizieren und schließlich explodieren wird. Ich schließe meine Augen und lasse geschehen, was nun kommen wird. Mit der letzten Wahrnehmung stelle ich fest, dass ich nicht mehr zittere, sondern alle Körperzellen synchron zu vibrieren scheinen und ich mich dem Höhepunkt nähere.

Es ist, wie es immer war. Anja besitzt die Fähigkeit, mit mir eins zu werden. Ob ich meinen Atem kontrolliere oder schreie oder die Luft anzuhalten versuche, es ist völlig egal: Sie weiß immer genau, wie nah ich meinem Orgasmus bin. Während ich mich meinem Höhepunkt hingeben möchte, unterbricht sie ihr rhythmisches Saugen. Mit ihren Händen strafft sie meine Vorhaut so sehr, dass mein Schwanz den Härtegrad von Beton erreicht. In dieser Spannung hält sie ihn an der Wurzel fest und setzt sich mit ihrer Muschi darauf. Für sie nur eine ihrer besonderen Yoga-Übungen, die sie gelegentlich beim Sex einsetzt, eine Art Lotus-Stellung. Für mich gefühlt eine Minute lustvoller Qual, mindestens, bis sie mich endlich in sich aufgenommen hat. Wie auch immer sie es anstellt: Es fühlt sich an, als ob eine Faust meinen Penis umschließt und ein tonnenschweres Gewicht an ihm herunterdrückt. Dabei ist sie schlank und federleicht. Vermutlich setzt sie besondere Muskeln ein, um dieses Gefühl hervorzurufen. Für sie selbst oder für mich? Während es geschieht, bin ich nicht fähig zu denken oder irgendetwas wahrzunehmen. Hinterher sehe ich mit geschlossenen Augen nur das Bild, wie sich ein Schloss um einen Schlüssel biegt, bis er dort einrastet und seine feste Stellung gefunden hat.

Jetzt beginnt die nächste Phase der Erregung. Mal bewegt sie sich nicht oder kaum, mal tanzt sie auf der Spitze meines Kosmos, in dem sich alles befindet, was mich jetzt noch ausmacht. Die Eichel glüht und pulsiert wie ein Neutronenstern. Masse und Energie sind vereint. Mein Kopf ist leer. Die Nervenzellen meines Gehirns sind durch die Blutbahnen in die Spitze meines Körpers verschwunden, die sie mit ihrer Muschi massiert. Im Kopf ein schwarzes Loch, ein Nichts, eine Leere, das Schwerezentrum und die Gravitationskraft in der Eichel.

Heute entscheidet sie sich für die Bewegungslosigkeit. Sie sitzt auf mir und öffnet wieder die Augen. Was kann ich in ihnen lesen? Milde auf alle Fälle. Auch viele Fragen. Liebe?

Wie immer sie es macht, ich weiß es nicht. Sind es ihre gut trainierten Scheidenmuskeln? Oder sind es ihre magischen Augen? Meine Erregung steigt und steigt. Es ist, als ob ein Stausee vollläuft und der Druck auf die Mauern immer größer wird.

Ich halte es nicht mehr aus! Da wir beide scheinbar völlig bewegungslos geworden sind und die Erregung immer weiter gewachsen ist, regt sich eine andere Energie in mir. Ich will sie! Für immer! Mutter meiner Kinder. Sie hat ihren Kopf ganz leicht nach hinten gebogen. Ich nutze diesen Moment der fehlenden Kontrolle und winde mich hervor, sie an den Schultern fassend, zur Seite drehend. Schon liegt sie auf ihrem Rücken, und ich dringe erneut in sie ein. Ihr Stöhnen zeigt mir, dass sie es braucht, will. Langsam nehme ich ihren Rhythmus auf und bewege mich in ihr. Nun bestimme ich das Tempo und die Intensität. Ich lausche ihrem Atem. Sie ist entspannt, gespannt. Einige ihre Muskeln drängen sich mir entgegen, andere suchen Halt an der Unterlage. Ein Bogen, in dem mein Pfeil sich bewegt. Meine Erregung steigt weiter. Kann ich den Abschuss noch verhindern?

Wie gern würde ich diesen Moment so hinauszögern, dass sich Millisekunden zur Unendlichkeit ausdehnen. Aber ich habe keine Kontrolle mehr. Oder doch? Was teilt mir ihr Atem mit? Er geht stoßweise und wird lauter. Wer hat die Kontrolle? Sie oder ich? Ich weiß es nicht. Ich bewege mich so, dass wir gemeinsam durch das Universum unserer Lust dahinfliegen.

Ich spüre, dass ich mich bewege. Aber sie steuert meine Lust, wie immer sie es macht. Ein Gefühl, als ob mein Penis in Zeitlupe abgeschnitten wird, wie in der entscheidenden Szene im Film von Nagisa Ôshima. Sada trennt das Glied vom Körper ihres Geliebten und tötet Kichizō, dessen Seele sich mit ihrer ganz vereint. Anjas Schrei durchzuckt mich. Ihr Orgasmus hat meinen ausgelöst.

Noch nie habe ich Rauschgift genommen, aber Filme über Drogensüchtige und deren Zittern gesehen. Ein Schuss Heroin und die bebenden Körper wurden wieder ruhig. Ich habe wieder einen Schuss meiner Droge Anja in meinen Adern und weiß nun, warum es goldener Schuss heißt. Ein heißer Strom durchfließt mich, erfüllt mich und lähmt mich zugleich.

Ganz leise sagt sie: „Es war nicht richtig davonzulaufen. Es tut mir leid. Ich habe dir wehgetan.“ Nach einer kurzen Pause. „Du bist unglaublich. Ich kann machen, was ich will. Ich komme nicht von dir los. Es sei denn...“

Ich bin zu schwach, um etwas zu sagen oder zu fragen. Nicht einmal denken kann ich. Was will sie mir sagen?

„Ich komme allein deshalb nicht von dir los, weil du mich immer wieder findest, selbst dann, wenn ich dich zutiefst gequält habe.“

Noch immer schweige ich. Es gibt nichts zu kommentieren, nichts zu fragen. Ich lasse mich auf meinem goldenen Strom treiben.

Dann sagt sie ganz überraschend: „Also kann ich auch bei dir bleiben. Lass´ uns jetzt sofort wieder zur Hütte zurückfahren. Jetzt oder nie.“

Obsession

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