Читать книгу Obsession - Piedro Vargas Koana - Страница 7
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Deutschland, 2001
Ich sitze in der Brotfabrik, einer Kultstätte in Frankfurt und lausche den sphärischen Klängen eines Saxofons. Plötzlich erstarre ich. Drei Reihen vor mir sitzt meine Mutter, 26 Jahre jünger. Lange brünette Haare, im dunklen Konzertraum mystisch schillernd. Dieselben Haare! Ich kann es nicht fassen. Auch im Halbprofil sieht sie meiner Mutter zum Verwechseln ähnlich. Alte Erinnerungen kommen mir bildhaft in den Sinn. Die Lehmhütte an der Mülldeponie. Ich rieche plötzlich wieder das Meer, die Haare meiner Mutter, den Duft ihres Busens. Gestank, wenn der Wind schlecht stand. Feuchter, modriger Meeresgeruch an anderen Tagen. Die letzte Liebesnacht mit Herrmann kommt mir in den Sinn, die ich damals als achtjähriger Junge nicht verstehen konnte.
Jetzt wendet sie den Kopf. Spürt sie, dass ich sie betrachte? Kribbelt ihr Hinterkopf von meinen bohrenden Blicken? Auch ihre Nase gleicht der meiner Mutter. Unglaublich. Ich werde unruhig. Es ist nicht die Musik, sondern eine andere Schwingung, die mich vibrieren lässt.
Die Band kündigt eine Pause an. Ich stehe auf und schaue aus den Augenwinkeln zu der Frau hinüber. Sie redet nun mit dem jungen Mann, der neben ihr saß. Ihr Freund? Wohl nicht. Es gibt keinen Körperkontakt und kein Lächeln. Beide gehen an die Bar. Ich folge mit einigen Schritten Abstand und beobachte sie. Nein, definitiv kein fester Freund. Sie bleiben auf Distanz.
Warum frage ich mich das? Noch etwas atemlos und verwirrt in meinen Gedanken spüre ich sofort, dass ich diese Frau begehre. Sie gleicht meiner Mutter sehr. Aber von vorne und aus der Nähe betrachtet gibt es doch deutliche Unterschiede. Die europäische Variante der brasilianischen Urform. Natürlich jünger, aber auch schlanker, sehniger, ernster. Magisch zieht mich diese Frau an.
Darf ich zu ihr hingehen? Ein Gespräch mit ihr beginnen, obwohl sie in Begleitung eines anderen Mannes ist? Mich neben beide an die Bar stellen und versuchen, mit beiden ins Gespräch zu kommen, um so an sie heranzukommen? Ihr kühler Blick streift mich in diesem Moment wie der Strahl eines Leuchtturms und hält mich auf Distanz. Nein, es wäre falsch, spüre ich sofort.
Nervös wähle ich ein Glas Wein, nachdem die Kellnerin hinter der Bar mich endlich angesehen und meine Bestellung aufgenommen hat. Das Gedränge ist groß. Jeder möchte in der Pause schnell ein Getränk ordern. Ich nippe an dem Riesling aus dem Rheingau, nehme den feinen säuerlichen Geschmack aber nicht wahr. Meine Gedanken suchen fieberhaft nach einer Möglichkeit, mit ihr in Kontakt zu kommen, ohne plump die erste und vielleicht einzige Möglichkeit zu versauen. Nichts fällt mir ein.
Die zweite Hälfte des Konzerts geht an mir vorbei. Die Töne erreichen mein Ohr, bleiben aber irgendwo stecken, weil meine Gedanken nach einem Weg suchen, den ich nicht finden kann. Sackgasse. Tonstörung. Blackout. Im Schlussapplaus löst sich die Schar der Konzertbesucher auf. Einige gehen erneut an die Bar, die Mehrheit wälzt sich die schmale Treppe hinab nach draußen. Auch die Frau und ihr Begleiter. Ich verliere sie im Gedränge.
Chance vertan. Ich atme tief durch und resigniere. Auf dem Weg zu meinem Auto sehe ich sie wieder. Sie und ihr Begleiter sind auf der anderen Straßenseite und verschwinden in einer Querstraße. Soll ich ihnen folgen? Schnell trete ich auf die Straße und höre ein lautes Quietschen. Das Auto habe ich nicht kommen sehen. Die Fahrerin hat schnell reagiert und schüttelt hinter der Windschutzscheibe ihren Kopf. Nichts ist passiert. Ich entschuldige mich mit einer Geste.
In der Seitenstraße sehe ich die beiden nicht mehr. Und wenn ich sie gesehen hätte? Was dann? Wie blöd von mir.
Wenig später steige ich in mein Auto und fahre die verwinkelten Straßen entlang. Die Nebenstraße mündet in die vierspurige Hauptstraße. Einige hundert Meter weiter schaltet die Ampel von gelb auf rot. Ich halte auf der rechten Spur. Links nähert sich ein Fahrzeug und bleibt neben mir stehen. Ich wende den Blick. Ein schmutzig grüner Polo. Der junge Mann sitzt auf dem Beifahrersitz, und sie fährt. Es ist eindeutig: Sie sind kein Paar, schießt es mir in den Sinn!
Meine dritte Chance! Werde ich mir diese auch noch entgehen lassen? Nein, entscheide ich. Soll ich sie verfolgen? Das wird vermutlich schiefgehen. Also lasse ich sie fahren, als die Ampel auf grün wechselt.
Ich notiere mir das Autokennzeichen.