Читать книгу Karl IV. - Pierre Monnet - Страница 12
I. EROBERN
ОглавлениеEs dauerte 30 Jahre, bis der spätere Karl IV. zum König gekrönt wurde. Im damaligen Europa war dergleichen keine Seltenheit, und selbst in Monarchien, deren Nachfolge strikt durch das Erblichkeitsprinzip geregelt war, mussten nicht wenige Prinzen lange warten, bis sie nach dem Tod ihres Vaters dessen Thron besteigen durften. Doch selbst unter Berücksichtigung der zunächst bescheidenen Rolle seines Hauses und des Wahlprinzips, dem die Weitergabe der Königskrone im Heiligen Römischen Reich unterstand, war die Krönung des jungen Luxemburger Prinzen ein langwieriger, zäher und Zufällen unterworfener Prozess. Um 1346 und 1347 innerhalb weniger Monate zum römisch-deutschen und böhmischen König gekrönt zu werden, führte Karl sämtliche Waffen ins Feld, die ihm als Prinz zur Verfügung standen: Er kämpfte, verhandelte, heiratete, setzte auf Geld, Gesetze und dynastisches Denken, brach Bündnisse, studierte und lernte regieren und versicherte sich der Unterstützung Mächtigerer, angefangen mit dem König von Frankreich, dem Papst und dem deutschen Hochadel. Hinzu kam, sagen wir es ruhig, eine frühzeitige klare Vorstellung von seinem Leben, seinen Titeln und seiner Person.
Auch dies war nicht außergewöhnlich, denn der Werdegang vieler Prinzen verlief nach einem ähnlichen Muster. Origineller ist dagegen, dass er diesen Aufstieg und später seine Machtentfaltung in jeder Etappe im vollen Bewusstsein der bereits zurückgelegten und der noch vor ihm liegenden Strecke betrachtete und reflektierte. Unter diesem Aspekt lässt sich die von Karl IV. um 1350 im Pluralis Majestatis verfasste Vita vielleicht als frühe Manifestation und zugleich als Medium einer Form der Erklärung und Rechtfertigung des eigenen Handelns verstehen, die später Schriften, Porträts, Reliquien und Bauwerke immer wieder vermitteln. Kurz gesagt als eine ihm eigene, für einen amtierenden König ungewöhnliche Art und Weise, über das enge Band zwischen Mensch und Macht, die private Dimension seiner Person und die öffentliche Tragweite seines Amtes nachzudenken. Via est vita, lautet ein lateinisches Sprichwort: Der Weg ist das Leben. Nur wenige Könige des 14. Jahrhunderts machten sich so intensiv Gedanken über den Sinn dieser Sentenz im Schnittpunkt zwischen persönlichem Schicksal, Vorbestimmung und Heil im Dienste einer königlichen und später kaiserlichen Regierung. Er war sich – wohl als letzter Monarch seiner Epoche – sehr bewusst, dass er das Universelle und Himmlische mit den Zufälligkeiten des Irdischen verweben musste, noch dazu in einer Zeit voller Krisen, die Ängste vor einem bevorstehenden Weltuntergang schürten.
Vor diesem Hintergrund sollten wir die drei Phasen seines Lebens als Prinz, König und Kaiser neu betrachten und miteinander verknüpfen. Es war darauf ausgerichtet, Gegensätze miteinander zu versöhnen: Vater und Sohn, Königtum und Kaisertum, König und Mensch, Ost und West, Nord und Süd, und letzten Endes auch sich selbst mit sich selbst. Dieses dynamische Spiel der Gegensätze definiert das, was man einen Individuationsprozess nennen könnte, zumindest die Selbst-Werdung eines Mannes und Herrschers, der über einen Namen, ein Bewusstsein, ein Ziel, eine Erinnerung und ein Selbstbild verfügte. Ein Selbstbild, das Karl mit Hingabe in Bildern, Schriften und Symbolen ausdrückte.