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Die Konsolidierung der Hausmacht

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Im Westen hatte Karl IV. zunächst nach Kräften die Expansionspolitik seines Halbbruders Wenzel von Luxemburg aus nach Brabant und Limburg unterstützt. Beide Herzogtümer waren ihm 1352 als Mitgift seiner Frau Johanna von Brabant zugefallen. Wenzels Expansion stieß jedoch auf Widerstand seitens des benachbarten Herzogtums Jülich, dessen Fürst sich mit dem Herzog von Geldern zusammentat. Gemeinsam schlugen sie 1371 bei Baesweiler das Luxemburger Heer und setzten Wenzel gefangen. Der Kaiser musste seinen Halbbruder „freikaufen“. Er zahlte Wilhelm von Jülich eine „Entschädigung“ in Höhe von 50 000 Gulden, wobei der ehrenrührige Begriff „Lösegeld“ vermieden wurde, und erteilte Wilhelms Sohn die Erlaubnis, sein Herzogtum mit dem Herzogtum von Geldern zu verschmelzen. Die Luxemburger mussten daraufhin alle Pläne für eine territoriale Expansion in diesen Teil des Reiches aufgeben. Bewahren konnten sie das dreifache Herzogtum Luxemburg, Brabant und Limburg, das jedoch nach dem Tod Herzog Wenzels 1383 auseinanderbrach. Jedes Mal, wenn Karl IV. ab 1356 zwischen seinen westlichen und östlichen Besitzungen wählen musste, entschied er sich für Letztere, weil in seinen Augen dort die Zukunft seines Hauses lag.

Wie andere vor ihm, machte sich Karl IV. von Anfang an Gedanken darüber, ob und wie sein Königreich, seine Hausmacht und seine Dynastie ihm bei der Erlangung und Erhaltung der römisch-deutschen Krone helfen konnten, ohne aber aus dem Auge zu verlieren, wie sich die Interessen des Reiches im Gegenzug letztlich auf Böhmen auswirkten. Beide waren auf Gedeih und Verderb miteinander verwoben. Karl IV. trug bis an sein Lebensende beide Titel, und es ist ganz gewiss kein Zufall, dass es gleich zu Beginn seiner Vita heißt, er widme dieses Werk „den Nachfolgern, die auf meinen zwei Thronen sitzen“.36 Er war bei Weitem nicht der erste mittelalterliche Monarch, der zwei oder mehr Kronen auf seinem Haupt vereinigte. Statistisch war das doppelte oder dreifache Königtum sogar eher die Regel als die Ausnahme. Doch auch diese Tatsache machte es nicht einfacher, zwei oder drei Regierungen unter einen Hut zu bringen. Die Interessen des einen Reiches sind nicht zwangsläufig dieselben wie die eines zweiten oder gar dritten, umso mehr, wenn es ein König- und ein Kaiserreich auszubalancieren gilt.37 Aus dieser Perspektive ist es nicht verwunderlich, dass Karl als König von Böhmen eine anders gerichtete Politik verfolgte und andere Wege einschlug als im Heiligen Römischen Reich, das ab 1356 von den Kurfürsten gelenkt wurde.38

Die Politik der Expansion und Konsolidierung Böhmens, die Karl seit seiner Kaiserkrönung verfolgte, wird meist in zwei Phasen unterteilt.39 Die erste dauerte bis 1361, bis zur Geburt des ersehnten Thronfolgers. Zu diesem Zeitpunkt hatte Karl seine Stellung in den überwiegend bereits von seinem Vater Johann eroberten Gebieten ausgebaut und gesichert, also in der Oberlausitz und einem Großteil von Schlesien. Hinzu kam die Gegend um Eger/Cheb (nicht zu verwechseln mit dem ungarischen Eger) unweit von Karlsbad, das Karl IV., wie der Name erkennen lässt, zur Königsstadt erhoben hatte, nachdem sein Vater Johann es in den 1320er-Jahren von Ludwig dem Bayern als Pfand für ein Darlehen erhalten hatte. Vor allem aber hatte Karl am 7. April 1348 mit 13 Urkunden an einem einzigen Tag die Fürstentümer Lausitz und Schlesien in die Krone Böhmens inkorporiert. Ähnliche Ziele verfolgte er mit seiner dritten Ehe. Anna von Schweidnitz war mütterlicherseits ein Spross der ungarischen Anjou und Erbin des Herzogtums Schweidnitz-Jauer, das Karl in Schlesien als einziger Mosaikstein noch fehlte. Durch die Heirat 1353 kam auch dieses Herzogtum unter den Einfluss Böhmens und wurde nach dem Tod des letzten Herzogs Bolko II. 1368 den Ländern der böhmischen Krone zugeschlagen. Der zweite Meilenstein in den 1350er-Jahren war von 1353 bis 1355 die Bildung einer Landbrücke zwischen Prag und Nürnberg entlang der „Goldenen Straße“ durch Erweiterung der Landstriche bei Lauf und Sulzbach, die Karl 1349 durch seine zweite Ehefrau Anna von der Pfalz zugefallen waren, zur terra trans silvam Boemicalem in Bavaria, nach moderner Lesart Oberpfalz oder „Neuböhmen“.40 Diese strategische Achse hatte für den Kaiser so hohen Stellenwert, dass er dort von 1357 bis 1378 nur zwei Landeshauptmänner seines Vertrauens einsetzte. Die feierliche Inkorporation des Gebietes erfolgte mit einer goldgesiegelten kaiserlichen Urkunde, die Karl als erste unmittelbar nach seiner Kaiserkrönung im April 1355 verkünden ließ. Sie führte detailliert die Rechte der böhmischen Krone auf: alleinige Zuständigkeit königlicher Gerichtshöfe, exklusive Ausübung der Regalien, Monopol auf Zölle, Münzwesen und Maut, Bergbau und – gegen klingende Münze – Schutz der jüdischen Gemeinden. Die einzelnen von der Krone beanspruchten Güter wurden, in 24 Bezirke unterteilt, im „Salbüchlein“ von 1366 bis 1368 verzeichnet, das sich als Mustervorlage für die zentralisierte königlich-böhmische Verwaltung etablierte.41 Als krönenden Abschluss erhob Karl Lauf an der Pegnitz zur Königsstadt und baute dort eine Burg, die er nach seinem Sohn und dem böhmischen „Nationalheiligen“ Wenzel benannte. Das Herzstück des Schlosses bildete der Wappensaal, der zweireihig mit 112 farbig ausgelegten Wappen der Bistümer, des Erzbistums, der Städte, Freiherren- und Rittergeschlechter Böhmens geschmückt war.42 Erstmals präsentiert wurde diese regelrechte Wappenschau dem Gefolge, das Karl 1361 nach Nürnberg zur Taufe seines Sohnes Wenzel begleitete.

Die Geburt des Erben und potenziellen Thronfolgers läutete die zweite Phase in Karls Konsolidierung seiner Hausmacht ein. Sie konzentrierte sich auf Nordböhmen und die angrenzenden Gebiete, wobei das langwierigste, schwierigste und kostspieligste Unterfangen der Erwerb der Mark Brandenburg war. Um sie zu besitzen, scheute Karl offenbar keine Kosten und Mühen, denn sie öffnete ihm den Weg an Elbe und Oder entlang nach Norden zur Nord- und Ostsee, zur Hanse und zum Deutschordensstaat. Zugleich bot sie sich als solides Bollwerk gegen die Ambitionen der polnischen Krone an. Eine Rolle spielte auch, dass der Markgraf von Brandenburg seit 1356 eine der sieben Stimmen im Kurfürstenkollegium innehatte. Auf die Mark hatte der Kaiser schon lange ein Auge geworfen. Bereits 1361 berief er einen Gefolgsmann zum Erzbischof von Magdeburg, zu dessen Suffraganen neben jenen von Havelberg, Naumburg-Zeitz, Merseburg und Meißen auch Brandenburg gehörte. Der Erwerb 1373 verschlang Unmengen von Gold und Silber, kostete Dutzende Reichsstädte ihre Freiheit, beraubte das schöne, zusammenhängende Neuböhmen der Hälfte seiner Fläche, bescherte dem Königreich Böhmen dafür jedoch eine nie zuvor oder danach erzielte Ausdehnung.

Wie immer bei Karl führte der Weg dorthin über Heiraten. Ein Jahr nach dem Tod seiner dritten Gemahlin Anna von Schweidnitz ehelichte Karl 1363 Elisabeth, die Alleinerbin des Herzogtums Pommern. Sie war eine glänzende Partie, denn ihre Morgengabe verlängerte die Ausdehnung nach Norden weit über die Grenzen des so eifrig umworbenen Brandenburgs hinaus. Zudem war Elisabeth die Enkelin des polnischen Königs Kasimir III. Die Heirat erfolgte im rechten Moment, um einem Bündnis, das die Könige von Ungarn, Polen und Dänemark mit dem Herzog von Österreich gegen Böhmen geschmiedet hatten, den Wind aus den Segeln zu nehmen. Dass die Hochzeit in Krakau stattfand, deutet darauf hin, wie wichtig es Karl war, den Großvater seiner jungen Braut auf seine Seite zu ziehen und damit die gefährliche Allianz aufzubrechen. Als ihm Elisabeth 1368 auch noch einen zweiten Sohn schenkte, schien Karls Erbfolge gesichert. Nun konnte er die Hand nach Brandenburg ausstrecken.

1348 hatte Karl ja in Brandenburg den „falschen Waldemar“ gegen den ältesten Sohn seines Gegenspielers Ludwig IV. unterstützt, sich aber später mit dem Bayern ausgesöhnt. Als 1361 Ludwig V. und kurz darauf 1363 auch sein Nachfolger Meinhard starb, entbrannte unter den Wittelsbachern ein Erbfolgestreit. Kaiser Ludwig hatte zwar sechs Söhne in die Welt gesetzt, doch einige von ihnen waren kinderlos geblieben, und den Sprösslingen der anderen war keine große Zukunft beschieden. Die sechs Söhne hatten sich das Erbe geteilt: Ludwig V., Ludwig VI. und Otto V. erhielten Oberbayern, Brandenburg und Tirol, Stefan II., Wilhelm I. und Albrecht I. Niederbayern und Hennegau-Holland. In der Goldenen Bulle war es Karl 1356 bereits gelungen, dem bayerischen Zweig der Wittelsbacher die Kurstimme zu entziehen und stattdessen dem Pfälzer Zweig zuzuschlagen. 1363 bot er Hilfe und Geld an, um den Streit zu schlichten, und brachte die Erben zur Unterzeichnung eines Abkommens, dem zufolge Böhmen die Mark Brandenburg erwerben konnte, sollten die drei gemeinsam eingesetzten Wittelsbacher Markgrafen kinderlos bleiben. Die Regierungsgeschäfte in Brandenburg übernahm Otto V. Wieder setzte Karl auf eine geschickte Heiratspolitik: Am 19. März 1366 gab er auf der „Prager Doppelhochzeit“ Otto seine Tochter Katharina zur Frau und vermählte zugleich den Habsburger Herzog Albrecht III. von Österreich mit seiner anderen Tochter Elisabeth. Karl schlug also gleich drei Fliegen mit einer Klappe: Brandenburg rückte in greifbare Nähe, er schloss Frieden mit den Wittelsbachern und den Habsburgern, und er wendete die Gefahr einer Koalition zwischen Polen, Ungarn und Österreich-Bayern ab. Otto lebte ohnehin am Prager Hof und interessierte sich nicht für Brandenburg, das Karl IV. de facto regierte – und die Gelegenheit nutzte, um 1364 die Niederlausitz herauszulösen (zunächst als Grundpfandrecht, 1367 dann durch Kauf) und 1370 der böhmischen Krone einzuverleiben.43 Otto versuchte zwar 1371, die Bayern und einen Teil des Brandenburger Adels gegen die böhmischen Beamten aufzuwiegeln, doch konnte Karl Otto mit Militärgewalt rasch zur Räson bringen. Bei alledem war der Kaiser stets auf die Neutralität des ungarischen Königs Ludwig bedacht, der sich 1370 des polnischen Throns bemächtigt hatte. Karl versprach, ihn zu unterstützen, sollte er Mühe haben, beide Königreiche zugleich zu regieren, und verlobte seinen Sohn Sigismund mit Ludwigs ältester Tochter Maria. Der Doppelkönig aus dem Hause Anjou fürchtete, insbesondere nach dem Desaster von Adrianopel (Edirne) 1365, die Osmanen, die nach der Vernichtung des bulgarisch-serbischen Heeres und dem Tod des serbischen Königs auf dem Schlachtfeld an der Mariza in Thrakien 1371 bereits an der Grenze zu Ungarn standen. Kurz gesagt: Polen und der Balkan hielten Ungarn in Schach. Da Ottos Ehe kinderlos blieb (er warf Karl sogar vor, ihm absichtlich eine unfruchtbare Frau untergeschoben zu haben), schlug er ein, als Karl IV. 1373 anbot, ihm die Markgrafschaft mit dem Vertrag von Fürstenwalde für die atemberaubende Summe von insgesamt 500 000 Gulden abzukaufen (200 000 Gulden in bar, 100 000 in Form von Steuern und Zollrechten, 100 000 durch Abtretung der Einkünfte einiger Reichsstädte, 100 000 durch Abtretung von Gebieten in der Oberpfalz), jedoch unter der Bedingung, dass Otto das Brandenburger Stimmrecht im Kurfürstenkollegium lebenslang behielt und die Markgrafschaft erst nach seinem Tod als Lehen an Karls drei Söhne Wenzel, Sigismund und Johann fallen sollte.

Einmal im Besitz dieser weitläufigen Mark, ging Karl IV. dort erneut nach dem Muster vor, das sich bereits beim Aufbau von Neuböhmen in der Oberpfalz bewährt hatte: Er baute Burgen, ernannte Landeshauptmänner, ließ sich eine befestigte Residenz in Tangermünde errichten, die er ebenso wie in Lauf mit zahlreichen böhmischen und Luxemburger Wappen schmückte, und ließ eine Bestandsaufnahme aller Grundherrschaften vornehmen und diese in drei Landkreise unterteilen (die Altmark rings um Tangermünde, die Mittelmark rings um Berlin und jenseits der Elbe die Neumark). Dieses „Landbuch“ von 1375, das gelegentlich mit dem englischen Domesday Book verglichen wird, gilt zu Recht als ein Höhepunkt spätmittelalterlicher Territorialstatistik.44 Anhand eines zwölf Punkte umfassenden Fragebogens registrierten die Beamten 730 000 vermahlene Maß Getreide, erfassten 72 mittelgroße Städte, 51 Kleinstädte und 730 Dörfer, zählten rund 200 000 Einwohner und führten sämtliche Kirchspiele, Klöster, Kirchen, Gasthäuser, Brauereien, Fischteiche, Bergwerke, Forste, Zehnte, Steuern, Frondienste, Münzstätten, Einkünfte aus Feudalgerichtsbarkeit, Zöllen und Wegegeldern, geleitfreie Straßen, Gerichtsgebühren, Vasallen des Markgrafen und vieles mehr auf. Karls Berater konnten anhand dieses Dokuments durchaus zu dem Schluss gelangen, dass sich der enorme finanzielle Einsatz mittelfristig auszahlen würde, ungeachtet der Tatsache, dass 14 verbündete Reichsstädte unter der Führung von Konstanz und Ulm am 4. Juli 1376 gegen ihre Verpfändung rebellierten. Doch vor allem das wesentliche Ziel war erreicht: Nach der Stimme des böhmischen Königs hatte Karl auch die von Brandenburg an sich gezogen. Hierin zeigt sich die Flexibilität der Goldenen Bulle. Sie ließ eine Vielzahl von Deutungen zu (was ja vielleicht bis heute Sinn und Zweck jeder Verfassung ist): Niemand wird leugnen, dass es darin vordergründig vor allem um die Königswahl ging, doch konnte sie, wenn man es geschickt anstellte, in der Praxis auch dynastisch von Nutzen sein. Zumindest vier der sieben Kurfürstenstimmen ließen sich über Hausmachtpoltik steuern.

Den Kurfürsten blieb all dies nicht lange verborgen. Drei Jahre nach dem Erwerb der Mark Brandenburg und trotz einer riskanten Finanzpolitik (mit der Karl allerdings nicht allein dastand, denn von dem im Krieg befindlichen Königreich Frankreich bis zum Heiligen Stuhl stand alle Welt in der Kreide), verwirklichte Karl seinen seit 1356 verfolgten Plan, mit Strategie und Beharrlichkeit Kaiserreich, Böhmen und Luxemburg miteinander zu verbinden. Einen Vorgeschmack erhielten die Kurfürsten bereits auf dem Reichstag in Nürnberg, bei dem lediglich der Erzbischof von Trier fehlte. Der Kaiser nutzte ihre Anwesenheit, um mit großem Pomp die Taufe seines neugeborenen Sohnes Wenzel zu feiern. Mit einer Symbolik, die irgendwo zwischen Aberglaube, Votivgabe und Heilszauber angesiedelt war, ließ er den Säugling auf das Gramm genau in Feingold aufwiegen und stellte die Reichskleinodien zur Schau, die er eigens aus Prag herbeischaffen ließ, um das einende Band zwischen den beiden Städten und Kronen herauszustellen. Ein zweiter Vorfall hätte die Kurfürsten aufhorchen lassen müssen: Wenzel wurde 1363 als Wenzel IV. zum König von Böhmen gekrönt, was sich in Karls Augen als nützlich erweisen würde, sollte ihm dieser Sohn einmal auf den Kaiserthron folgen. Der Kaiser konnte sich an fünf Fingern abzählen, dass die Wahl seines Sohnes zum römisch-deutschen König zu seinen Lebzeiten bei den Kurfürsten auf Vorbehalte stoßen würde. Einen vergleichbaren Fall hatte es eineinhalb Jahrhunderte zuvor unter Friedrich II. gegeben, und damals hatten die Kurfürsten im Gegenzug Abmachungen verlangt, die ihren Fürstentümern praktisch sämtliche Regalien zusprachen. Doch diese Zugeständnisse enthielt die Goldene Bulle jetzt bereits. Womit also konnte sich Karl IV. die Kurfürsten gewogen machen?

Seiner Gewohnheit entsprechend zog er alle Register, die ihm als Kaiser zur Verfügung standen: für den Herzog von Sachsen Privilegien, für den Erzbischof von Mainz Unterstützung gegen einen Konkurrenten um sein Amt, jeweils 40 000 Gulden für die Erzbischöfe von Köln und Trier und als größten Batzen 50 000 Gulden für die Schatulle des Pfalzgrafen. Um diesen Preis erreichte Karl, dass die sieben Fürsten Wenzel am 10. Juni 1376 nicht nur mehrheitlich, sondern einstimmig wählten. Der Akt sollte über jeden Hauch von Zweifel oder Zwietracht erhaben sein, den der Papst gewiss zum Anlass genommen hätte, die Wahl anzufechten. Allerdings wurde der Heilige Vater getreu den Vorgaben der Bulle gar nicht erst konsultiert, und das Schreiben, das ihn über die Wahl unterrichtete, titulierte Wenzel bereits als designierten römisch-deutschen König. Die im Rekordtempo nur knapp einen Monat später in Aachen erfolgte Krönung ließ dem Heiligen Stuhl ohnehin kaum Zeit zu reagieren. Karl gelang es also, seine Pläne durchzusetzen, ohne auf ernsthaften Widerstand seitens des Papstes oder der Kurfürsten zu stoßen. Doch dieses Kabinettstück hatte einen Nachteil: Der Kaiser war gezwungen, seinen Nachlass zu regeln.45 Wenzel als Ältestem und nun bereits römisch-deutschem König fiel mit Böhmen und den Ländern der böhmischen Krone – Mähren, der Lausitz, Schlesien und der Oberpfalz – der Löwenanteil zu. Der Zweitgeborene Sigismund sollte Brandenburg erhalten und Johann als Jüngster das Herzogtum Görlitz. Zwei Dimensionen dieser Regelung haben die Chronisten und Historiker zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt: Sofern Wenzel kinderlos starb, was tatsächlich eintrat, sollte Sigismund alles erben. Für den zeichnete sich durch die Heirat mit Maria von Anjou die Aussicht auf die Königreiche Polen und Ungarn ab. Er würde also, wenn ihm Böhmen und das Heilige Römische Reich zufielen, mehr Kronen auf seinem Haupt vereinigen als sein Vater. Und genauso kam es ja auch. Ein weiterer Nachteil der Krönung von 1376 ist allseits bekannt: Nach der Auslösung seines in Gefangenschaft geratenen Halbbruders Wenzel von Luxemburg 1372 und dem Erwerb der Mark Brandenburg 1373 herrschte in Karls Staatskassen gähnende Leere. Die deutschen Historiker des 19. Jahrhunderts verziehen ihm die großen Geldzahlungen an die Kurfürsten nicht. Sie warfen ihm vor, er habe deutsche Ländereien und Städte allein zum Nutzen der Tschechen verscherbelt. Demgegenüber sahen tschechische Historiker und sehen sogar einige heutige Fachleute in der Aushöhlung des Kronschatzes eine der Ursachen für die Strukturkrisen, die Böhmen im letzten Drittel des 14. Jahrhunderts erschütterten und im darauffolgenden Jahrhundert in die Hussitenkriege mündeten. Nichts deutet jedoch darauf hin, dass die Königswahl Wenzels nach dem Tod seines Vaters zwei Jahre später weniger Geld verschlungen hätte. Ja, es ist davon auszugehen, dass der Preis nach dem Ableben des geachteten, grandiosen Kaisers sogar noch gestiegen wäre. Die Wittelsbacher und die Habsburger handelten nicht anders. Die Ausweitung der Hausmacht stand den Interessen des Kaiserreichs nicht entgegen; dem Wortlaut der Goldenen Bulle nach war erst diese Hausmacht ein Garant für die Stärke des Reiches.

Karl IV.

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