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Einleitung Ein Sommernachtstraum

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Der König träumt. Er träumt in Terenzo, wenige Wegstunden südwestlich von Parma. Man schreibt den 15. August 1333, Mariä Himmelfahrt. Der Verfasser dieser Schilderung, der sich durch die Verwendung des Pluralis Majestatis als Chronist seiner selbst ausweist, ist Gegenstand des vorliegenden Buches. Am Tag seiner Vision ist er 17 Jahre alt und noch ein Niemand, nicht einmal Markgraf des fernen Mähren. Doch an jenem Tag um das Jahr 1350, als er davon berichtet, ist er bereits seit über drei Jahren König von Böhmen und römisch-deutscher König und damit Anwärter auf die Kaiserkrone.

„In jener Nacht aber, als uns der Schlaf übermannte, hatten wir eine Erscheinung. Denn ein Engel des Herrn trat zur Linken unseres Lagers, stieß uns in die Seite und sprach: ‚Steh auf und folge uns!‘ […] Und er nahm uns vorn an den Haaren und trug uns mit sich durch die Lüfte, bis wir uns über einem großen Reiterheer befanden […]. Er […] sprach: ‚Gib Acht und schau hin!‘ Und siehe, ein anderer Engel kam vom Himmel herab mit einem feurigen Schwert in der Hand. Damit durchbohrte er einen Menschen, der sich inmitten des Heeres befand, und schlug ihm das Geschlechtsteil ab. […] ‚Wisse, dies ist der Dauphin von Vienne, der wegen der Sünde der Ausschweifung so von Gott durchbohrt wurde. Nun also nehmt euch in Acht! Auch eurem Vater könnt ihr sagen, er solle sich vor solchen Sünden hüten.‘ […] Plötzlich waren wir wieder an unseren alten Ort zurückversetzt, während der Morgen schon graute. […] Da ließ der Vater uns rufen und fragte, ob das wahr sei und wir das so gesehen hätten. Wir antworteten ihm: ‚Herr, seid versichert, der Dauphin ist tot.‘ Der Vater aber schalt uns: ‚Glaub‘ doch nicht an Träume!‘ […] Nach einigen Tagen brachte ein Bote die Nachricht, der Dauphin sei […] gestorben. Als unser Vater diese Nachricht hörte, sagte er: ‚Wir wundern uns sehr darüber, denn unser Sohn hat uns dessen Tod vorhergesagt.‘“1

Für Historiker ist eine solche Traumschilderung2 eine wichtige Quelle, die sich jedoch als Falle erweisen kann, vor allem, wenn der Verfasser über sich selbst spricht, denn die Versuchung, sich der Person besonders nahe zu glauben, ist umso größer.3 Sei es aufgrund des Einblicks in ihr Innenleben, den ein Traum besser als jedes andere Ereignis in ihrem Leben zu gewähren scheint, sei es aufgrund der Aussagen dieser Person über sich selbst, wie sie im Übrigen jedes „autobiografische“ Zeugnis beinhaltet. Als autobiografisch darf der Text – mit den üblichen Vorbehalten – eingestuft werden. Sein Verfasser war Karl IV., geboren 1316, gestorben 1378, Herrscher über Luxemburg, Böhmen, Mähren und Brandenburg, deutsch-römischer, lombardischer und burgundischer König und Kaiser des Heiligen Römischen Reichs.4 Der Traum, den er 1333 träumte, bietet viele Ansätze für eine verführerische, wenn auch trügerische Annäherung. Finden sich darin nicht sogar Stichworte für eine tiefenpsychologische Analyse? Eine moderne Lesart könnte eine zwanghafte Beschäftigung mit dem Tod (des Dauphins) und der Sexualität (Amputation der Genitalien), den Vater-Sohn-Konflikt, die augenscheinliche Spaltung von Körper und Geist sowie die hellseherische Vorahnung hervorheben. Eine solche (Psycho-)Analyse würde jedoch den festen Platz, den die mittelalterliche Gesellschaft jedem Einzelnen, zumal einem König, zuwies, völlig unberücksichtigt lassen, und sie würde ausblenden, dass die Geschehnisse aus der Erinnerung niedergeschrieben wurden. Denn als die Vita in den Jahren 1349/50 entstand, war ihr Verfasser bereits 33 Jahre alt, so alt wie Jesus Christus bei seinem Tod.

Doch auch wenn wir uns vor Anachronismen hüten, bleibt die königliche Traumerzählung aufschlussreich. Sie gliedert sich in drei Schritte: den Traum selbst, die Erinnerung an ihn und die Niederschrift. Ganz zu Beginn „spricht“ der Traum. Er eröffnet den unmittelbaren Dialog zunächst zwischen Engel und Träumendem, später zwischen Vater und Sohn. Danach lässt er den Träumenden eine Reihe bewegter Szenen „sehen“. Und wie der Traum ist auch die Wiedergabe in drei Phasen unterteilt: Aufstieg, Vision und Schilderung. In der Niederschrift Karls oder desjenigen, dem er diktierte, ist der Traum weder Trugbild noch Lügengespinst, sondern Ausdruck der Überzeugung, dass Gott sich Karl im Traum offenbart hat. Hierin liegt der grundlegende Unterschied zwischen dem modernen „psychoanalysierten“ Traum und dem mittelalterlichen Traum. Für die Menschen des 14. Jahrhunderts enthüllte ein Traum keine verborgenen oder verdrängten Aspekte der Seele, sondern eine von außen kommende Botschaft, die dem Träumenden aufzeigte, welchen Weg er als Christ und als König einschlagen sollte – als Christ insofern, als der Wortlaut mit Zitaten aus der Heiligen Schrift gespickt ist, und als König, weil der Traum einer Erweckung ähnelt, symbolisiert durch den Aufstieg zum Himmel und die Rückkehr zur Erde.

Könnte es in dieser Schwebe zwischen Himmel und Erde, zwischen dem Heranwachsenden und dem gestandenen Mann, zwischen dem jugendlichen Prinzen und dem späteren König, zwischen privater und erlauchter Person, an diesem Übergangsort also, der an das gut erforschte Sinnbild des Fegefeuers erinnert,5 nicht auch um persönliche Freiheit gehen – hier in Gestalt einer autobiografischen Traumerzählung? Dieses Zwischenreich bildet auch den Raum, der das christliche vom königlichen Subjekt trennt und die beiden zugleich eint. Nach der biblischen Überlieferung kennzeichnen Träume, die eine Wahrheit enthüllen, Personen höchster Autorität, und in der Tradition von Konstantin bis zu Karl dem Großen zeigte der Traum eines Königs immer dessen Macht an. Das Bewusstsein seiner selbst galt als königliche Tugend, verknüpft mit der Überzeugung, nur ein König, der seinen eigenen Körper beherrsche, könne auch sein Reich beherrschen. In der Welt, in der Karl IV. aufwuchs und regierte, bildete der Traum das Bindeglied zwischen den Lebenden und den Toten, Himmel und Erde, Vätern und Söhnen und regte einen politischen Diskurs über das Königtum an. Vielleicht ist gerade dieser Aspekt das Neue an dieser Traumerzählung: Karl ist König nicht trotz, sondern aufgrund des Traums. Vielleicht war es erst in jenem Jahrhundert und erst für diesen König überhaupt möglich, sich so zu äußern. Doch über welches Jahrhundert sprechen wir hier?

Karl IV.

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