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1355: Ein Kaiser wird gekrönt

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Eine Kaiserkrönung lässt keinen Geschichtsschreiber kalt. Alle zeitgenössischen Chronisten erwähnen sie: die Italiener aus Siena, Pisa und Florenz, die Deutschen und die Tschechen, ganz zu schweigen von der Entourage des Königs und seinen Beratern. Manche widmeten dem Ereignis eigenständige Berichte wie etwa der Augenzeuge Jean Porte d’Annonay (Johannes Porta de Annoniaco), dessen Schilderung korrekterweise „Die römische Reise des Herrn Kardinal Petrus de Colombier, Kardinal von Ostia, zur Krönung Kaiser Karls IV.“ hätte heißen müssen und für die sich im 19. Jahrhundert der Titel Liber de coronatione Karoli IV. Imperatoris einbürgerte, „Buch von der Krönung Karls IV.“25 Heute ist davon lediglich noch eine vollständige Abschrift aus dem 15. Jahrhundert erhalten, die in Prag aufbewahrt wird. Sie ist bezeichnenderweise in eine Handschrift eingebunden, die auch die Vita Caroli IV, eine Fassung der Goldenen Bulle von 1356 und die böhmische Chronik von Karls offiziellem Geschichtsschreiber Přibík Pulkawa von Radenin enthält. Jean Porte d’Annonay war Privatsekretär des Kardinalbischofs von Ostia, Pierre Bertrand le Jeune de Colombier (Petrus Bernardus iunior de Columbario), den Innozenz VI. am 10. November 1354 offiziell damit beauftragte, an seiner Statt die Kaiserkrönung vorzunehmen. Jean war deshalb bei der gesamten Zeremonie anwesend und führte sorgfältig Protokoll. Wie schon bei der Krönung Heinrichs VII. residierte Innozenz in Avignon und konnte die Feierlichkeiten nicht persönlich leiten, hatte jedoch seinem Legaten präzise Instruktionen gegeben. Karl, der bereits die römisch-deutsche und die böhmische Königskrone trug, war dagegen schon recht versiert.26

Das für die Christenheit so bedeutungsvolle Zeremoniell zwischen den beiden Universalmächten Kaiser und Papst war nicht ohne Risiko und verlangte Mut. Der feierliche Akt, gleichermaßen herbeigesehnt und gefürchtet, war auf beiden Seiten von langer Hand vorbereitet worden. Schon 1350 hatte Karl IV. die Florentiner in einem Brief über seine Aussöhnung mit den Bayern informiert und sie wissen lassen, dass er sich nun im Besitz der Reichsinsignien befand: Krone, Mantel, Schwert, Reichsapfel. Zur gleichen Zeit hatte Clemens VI. seine italienischen Kardinäle aufgefordert, die Frage der Kaiserkrönung nicht ohne ihn zu erörtern, und 1351 und nochmals 1353 seinen Kardinallegaten Gil de Albornoz eindringlich gebeten, sich in Rom für ihn einzusetzen. Obwohl also alle im Stillen darüber nachdachten, wagte niemand, das Thema offen anzusprechen. Bis die Frage durch eine abenteuerliche Laune des Schicksals unversehens im Raum stand: 1347 hatte Cola di Rienzo, eigentlich Nicola di Lorenzo, in Rom die Macht ergriffen und sich selbst den Ehrentitel „Anwärter auf den Heiligen Geist, gestrenger und barmherziger Ritter, Befreier Roms, Verteidiger Italiens, Freund der Erde und erlauchter Tribun“ zugestanden, der als Inschrift am Giebel der Basilika Santa Maria in Aracoeli hoch oben auf dem Kapitolshügel prangte. Der Volkstribun hatte die alteingesessenen Adelsfamilien verjagt und eine Republik nach altrömischem Vorbild ausgerufen.27 Mit der Behauptung, ein unehelicher Spross des verstorbenen Kaisers Heinrich VII. zu sein, hatte der Sohn einer Wäscherin und eines Schankwirts sich anfangs die Unterstützung des Papstes erschlichen, der unter Umständen eine vage Chance witterte, seine Rückkehr nach Rom zu erreichen. Doch schon im Dezember des gleichen Jahres musste Rienzo Hals über Kopf aus Rom fliehen. 1350 erschien er am Prager Hof und beschwor Karl IV., sich in Rom zum Kaiser krönen zu lassen. Er berief sich dabei auf Dante und auf Petrarca (mit dem Karl bereits in einem Briefwechsel stand) und köderte ihn mit der vielversprechenden eschatologischen Aussicht auf die Herrschaft im angeblich gerade anbrechenden Reich des Heiligen Geistes, jenem von Joachim von Fiore vorhergesagten „Dritten Reich“. Zwei Jahre lang hielt Karl IV. Rienzo gefangen und ließ ihn dann von einem päpstlichen Legaten nach Avignon zum gerade neu gewählten Innozenz VI. bringen, der dem Volkstribun die Absolution erteilte und ihn sogar zurück nach Rom schickte, um die dort herrschenden Colonna und Orsini daran zu erinnern, dass ihre Macht nicht ewig währen werde. Cola di Rienzo wurde zum römischen Konsul erhoben, 1354 jedoch von den römischen Adelsfamilien gefangen gesetzt, enthauptet und verbrannt. In den Augen Karls IV. warf dieses tragische Ende einer Utopie offenbar erneut ein fragwürdiges Licht auf seine Rompläne, doch gewann die Aussicht auf das Kaisertum letztlich die Oberhand, zumal sie ihm als die einzige Möglichkeit erschien, der Welt Frieden und Seelenheil zu schenken und selbst auf den Gipfel der Macht zu gelangen.

Ende September 1354 brach Karl von Nürnberg aus in Begleitung von 300 Rittern auf. Nachdem seine zweite Frau Anna von der Pfalz im Februar 1353 gestorben war, hatte Karl knapp vier Monate später Anna von Schweidnitz geheiratet, die ihn nach Rom begleitete. Zu Beginn seiner dritten Ehe besaß Karl noch immer keinen männlichen Erben. Die Alpen konnte er dank der feierlichen Erneuerung des Friedens mit den Habsburgern und Wittelsbachern beim großen Reichstag im März 1353 in Wien von Tirol aus gefahrlos überqueren. 1351 war es ihm gelungen, seinen unehelichen Halbbruder Nikolaus als Patriarch von Aquileia einsetzen zu lassen. Die Loyalität dieser Kirchenprovinz mitten in Friauler Gebiet, in der die österreichischen Passstraßen über die Dolomiten endeten, war von entscheidender Bedeutung für Karls neuerlichen Zug über Udine, Belluno und Feltre bis in die Po-Ebene sowie die Weiterreise über die Toskana nach Rom. Am 5. Oktober erreichte Karl mit seinem Tross Salzburg, überquerte problemlos die Pässe und erreichte am 13. Oktober südlich der Alpen Gemona oberhalb von Udine. In Norditalien fand er eine komplizierte Lage vor, erschwert durch den Krieg von Venedig und Florenz gegen Mailand, dessen einflussreicher Erzbischof Giovanni Visconti kurz zuvor gestorben war. Dennoch begab sich Karl im Januar 1355 von Mantua aus nach Mailand, das ihm Truppen und Subsidien in Höhe von 150 000 Gulden versprochen hatte, dafür aber das Reichsvikariat in Italien verlangte. Vor allem aber hütete Mailand die eiserne Krone der Langobarden, auf die Karl als römisch-deutscher König Anspruch erhob. Mit dieser Krone ließ er sich am Dreikönigstag, auf die Stunde genau 44 Jahre nach seinem Großvater, in der Mailänder Kirche Sant’Ambrogio zum König von Reichsitalien krönen und bewies damit erneut seine Vorliebe für Symbole und Traditionen. Zwei Tage später fungierte er als Garant des Waffenstillstands zwischen Mailand und dem florentinisch-venezianischen Bündnis gegen die Visconti. Danach reiste er weiter nach Pisa, um 60 000 Gulden Subsidien in Empfang zu nehmen und mit dem päpstlichen Legaten Pierre Bertrand die Krönungsvorbereitungen zu erörtern. Bertrand gewährte Karl gern die Bitte um eine Gedenkmesse für dessen Großvater Heinrich VII. Zum Zeichen seines Wohlwollens zwang Innozenz VI. die als Guelfen mit dem Haus Luxemburg eigentlich verfeindeten Florentiner, Karl mit 100 000 Gulden und 200 Rittern unter die Arme zu greifen. Als Gegenleistung sollte Karl den einst von Heinrich VII. gegen die Stadt verhängten Reichsbann aufheben. Florenz sollte jährlich 4000 Gulden zur Begleichung von Steuerschulden zahlen und dafür von Karl die Bestätigung seiner Freiheiten und Privilegien erhalten. Karls nächste Station war Siena, wo er eine Revolte niederschlug und den Stadtrat wieder einsetzte. Am 1. April schließlich erreichte der königliche Tross die Tore der Ewigen Stadt.

Als Tag der Krönung wurde keineswegs zufällig Ostern gewählt, das 1355 auf den 5. April fiel. Karl, der in der Nacht zuvor im schlichten Mönchsgewand unerkannt durch die Stadt gestreift war, hielt am Sonntag Einzug in Rom, den Chroniken zufolge in Begleitung von „10 000“, also „sehr vielen“ Rittern. Gemäß den Anweisungen, die Innozenz VI. schon am 31. Januar 1355 erteilt hatte, folgte eine kurze „klassische“ Zeremonie. Gemäß der ordo coronationis, der Krönungsordnung, wurde Karl zunächst zum Kanonikus des Domkapitels von St. Peter ernannt. Anschließend schwor er, den Papst und die heilige römische Kirche zu verteidigen. Danach wurde er gesalbt, erhielt die Reichsinsignien und wurde mit der vermeintlichen Krone Karls des Großen gekrönt. Hierauf folgte die Einkleidung seiner Gemahlin. Dann nahm er, auf der Estrade sitzend, dreimal die Anrufung entgegen: „Domino Carolo invictissimo Romanorum imperatori et semper augusto salus et victoria“ – „dem Herrn Karl, unbesieglichem und allzeit erhabenem Kaiser der Römer, Heil und Sieg“. In Abwesenheit des Papstes, der ja zumindest nach seinen eigenen offiziellen Anweisungen der „einzige Bischof von Rom“ war, verzichtete man auf das Strator-Ritual, bei dem der frisch gekrönte Kaiser wie ein Stallknecht den Zelter des darauf sitzenden Papstes am Zügel führte und das schon in der Vergangenheit als symbolischer Akt der Unterwerfung der weltlichen unter die geistliche Macht Unbehagen ausgelöst hatte.28 Was Art und Umfang der Reichskleinodien betrifft, bleibt Jean Porte – übrigens ebenso wie Benesch von Weitmühl – eigentümlich vage, obwohl diese Insignien in den Augen der Chronisten höchstes Prestige genossen. Die heute in der Schatzkammer der Wiener Hofburg streng bewachten insignia imperiales galten zur damaligen Zeit einerseits als kostbare Symbole der Kaiserwürde, zugleich aber auch als Reliquien. Karl hatte sie ja schon 1350 in Besitz genommen, und es ist anzunehmen, dass er sie bei seinem Romzug bei sich führte. Darunter war auch die Krone, die in einer von ihm selbst verfassten Urkunde von 1350 beschrieben ist als „des egenanten heiligen keyser Karls guldein crone mit dem bogen und creucz, dy dar uf gehòrn, gewurcht von mancherley edelem gestyne, darin ist besundern gewurcht ein edel steyn, den man nennet den weysen.“29 Mit dieser Krone auf dem Kopf trat Karl, so die Schilderungen, durch die geöffneten Türen der Petersbasilika vor das Volk und schwor mit lauter Stimme, die alten Freiheiten der Stadt Rom zu achten. Anschließend erteilte er auf der Engelsbrücke 1500 Männern den Ritterschlag, „nach rechts und links, nach vorn und hinten, mal mit dem Schwert, mal dem Stock, mal dem Stab, selbst mit der Hand.“30 Nach der Krönung nahm Karl an einem Bankett teil, reiste dann aber umgehend ab, weil er dem Papst zugesagt hatte, nicht in Rom zu übernachten. Schon am 19. April erreichte er Siena, zog an Florenz vorüber und hielt sich drei Wochen in Pisa auf, wo ihn ein Aufstand am 20. Mai um ein Haar das Leben gekostet hätte. Nach diesem Erlebnis brach er eilends in Richtung Cremona auf und gelangte über Zürich nach Augsburg, wo er am 3. Juli eintraf.

Karls Romzug dauerte alles in allem achteinhalb Monate. Dass er das Abenteuer abgesehen von dem Schrecken in Pisa unbeschadet überstand, lag allein schon daran, dass er gar nicht vorgehabt hatte, die bestehende politische und territoriale (Un-)Ordnung auf der zwischen Ghibellinen und Guelfen zerrissenen Halbinsel infrage zu stellen, seine Ansprüche auf Reichsitalien als römisch-deutscher König womöglich mit Gewalt durchzusetzen oder sich der Rückeroberung der päpstlichen Güter durch Innozenz VI. und seinen Legaten Albornoz entgegenzustellen.31 Petrarca empfand Karls Abreise als Kapitulation und Flucht und schleuderte ihm empört nach: „Du bringst schließlich die eiserne Krone und die goldene Krone heim, dazu noch den unfruchtbaren Namen der Kaiserschaft. Kaiser der Römer wirst du dich nennen lassen, der du nur König von Böhmen allein bist.“ Dabei hatte sich Karl schon lange zuvor für eine Politik entschieden, die sich auf Böhmen und das römisch-deutsche Reich konzentrierte, aber die Geschicke Italiens weise ausklammerte.32 Immerhin sicherte er mit dem Kaisertitel seinem nach wie vor erhofften Sohn und Nachfolger den römisch-deutschen Königstitel und -thron und ebnete den Luxemburgern den Weg für eine dynastische Politik, wie sie kein Monarch im Heiligen Römischen Reich mehr gewagt oder auch nur gewollt hatte, seit Friedrich II. 1220 seinen Erstgeborenen Heinrich (VII.) zum König hatte wählen lassen und nach dessen Absetzung 1237 seinen zweitältesten Sohn Konrad IV. auf den Thron gesetzt hatte.33

Die Bilanz von Karls Romzug liest sich jedenfalls recht gut. Zunächst einmal besaß er nun auf ewig die Kaiserwürde und war damit als einziger Monarch des Abendlands befugt, die Bügelkrone zu tragen und sich Karolus quartus divina favente clemencia Romanorum imperator semper augustus et Boemie rex zu nennen. Geschickt hatte er es vermieden, sich den Papst zum Feind zu machen, was nicht jedem seiner Vorgänger gelungen war. Anders als sein Großvater hatte er sich auch nicht den erbitterten Hass der italienischen Fürstenhäuser und Städte zugezogen. Er hatte mit den Visconti ein Bündnis geschmiedet und war von den anderen Adelshäusern anerkannt worden. Er hatte weder gewagt noch vorgehabt, die stolze Unabhängigkeit des Hauses Anjou in Neapel infrage zu stellen. Und er brachte, sozusagen als Sahnehäubchen, kostbare Reliquien und einige wohlgefüllte Geldschatullen mit nach Hause, auch wenn die darin enthaltenen Reichtümer letztlich weit hinter den Gerüchten zurückblieben, die guelfische Chronisten wie der Florentiner Matteo Villani neiderfüllt in die Welt setzten.

Dem Kaiser dürfte solche Kritik herzlich wenig ausgemacht haben, denn bei der Rückkehr in seine deutschen Gebiete Mitte 1355 hatte er längst einen Paukenschlag im Sinn, der das Reich stärken, seine Fürsten befrieden und sein eigenes Ansehen mehren sollte. Am 8. Juli berief er von Nürnberg aus für den 25. November desselben Jahres einen großen Reichstag ein, dessen Tagesordnung nichts weniger verkündete als Zoll- und Währungsreformen, ein allgemeines Friedensabkommen und die Festlegung eines Kurkollegiums, dessen Mitglieder befugt sein sollten, mit einfacher Mehrheit den König zu wählen, „damit nicht mehr Krieg um das Reich werde.“34

Karl IV.

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