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Karl IV. und Frankreich

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Konsolidierung und Expansion im Königreich Böhmen, konstitutionelle Neuordnung im Heiligen Römischen Reich, pragmatische Zurückhaltung in Italien – hatte Karl IV. über alledem das Königreich Frankreich im Westen aus den Augen verloren, wo der Auftakt seines Lebens als Herrscher stattgefunden hatte und wo sich dieses seinem Ende zuneigen würde?

Die Geschichtsschreibung sieht das Bündnis zwischen den Häusern Valois und Luxemburg besonders unter Karl IV. traditionell oft als ein Kontinuum. Mehrere neuere Untersuchungen verweisen jedoch zu Recht darauf, dass die Beziehung komplexer war.55 Wie wir gesehen haben, bestand zwischen den beiden Dynastien in der Tat zumindest bis in die frühen 1340er-Jahre eine enge Bindung, von der beide Seiten profitierten, angefangen mit Johann dem Blinden, der in Paris erzogen wurde, in zweiter Ehe ebenso wie später sein Sohn Karl eine französische Prinzessin heiratete und sich aufseiten des französischen Heers bei Crécy selbst opferte.

Doch gerade dieser Krieg zwischen Frankeich und England trübte seit 1337 das Einvernehmen und brachte Unruhe in die gesamte europäische Diplomatie.56 Um einem Bündnis zwischen Eduard III. von England und Kaiser Ludwig IV. zuvorzukommen, stützte sich Philipp VI. von Frankreich von Anfang an auf die Luxemburger, doch vor Johanns Sohn war man am französischen Hof auf der Hut. Karls Vita zeichnet im Übrigen kein allzu schmeichelhaftes Bild des Valois: „Philipp übernahm zwar die Räte seines Vorgängers, aber er kümmerte sich in keiner Weise um deren Ratschläge und verfiel der Habsucht.“57 Der Papst, der Karl schon vorher unterstützt hatte, unterrichtete den König von Frankreich erst am 3. Juni 1346, also gut zwei Monate nach dem Besuch Karls und Johanns in Avignon, davon, dass er den jungen Böhmen für den römisch-deutschen Thron favorisierte. Nach Karls erfolgreich verlaufener Wahl zum Gegenkönig hatte Philipp zwei Möglichkeiten: ihm die Anerkennung zu verweigern, um den amtierenden Kaiser nicht gegen sich aufzubringen, oder Karl als legitimen König anzuerkennen und damit Ludwig IV. womöglich in die Arme des englischen Königs zu treiben. Nach dem Debakel des französischen Heeres bei Crécy blieb Philipp VI. jedoch keine andere Wahl mehr, als seine bestehenden Bündnisse zu festigen. Allerdings war dabei mehr Vernunft als Sympathie im Spiel, denn als Karl 1347 in Tirol in Nöten war und Philipp um Schützenhilfe bat, rührte der Franzose keinen Finger. Später verpfändete er das an die Grafschaft Luxemburg angrenzende Hennegau ausgerechnet an Ludwig den Bayern. Der Tod des Kaisers am 11. Oktober 1347 bereinigte die Fronten wieder, vor allem, als die von den Bayern 1348 kurzzeitig erwirkte Wahl Eduards III. zum Gegenkönig Karls IV. dem französischen König klarmachte, in welcher Gefahr sein Land schwebte, sollte der englische König zugleich den römisch-deutschen Thron besetzen. Karl wiederum wartete nicht erst ab, ob Philipp sein Misstrauen ihm gegenüber ablegte, sondern sagte Eduard III. unmittelbar nach dessen Rückzug Neutralität in dem Konflikt zu, in dem dieser seinem französischen Schwager gegenüberstand. Mit Philipps Tod 1350 lockerten sich jedoch die familiären Bande zwischen Valois und Luxemburgern, nachdem Karls erste Frau Blanca bereits 1348 verstorben war und 1349 auch seine Schwester Guta, deren Ehe mit dem späteren französischen König Johann II. als so zerrüttet galt, dass man zeitweise sogar munkelte, Johann habe seine Frau vergiften lassen.

All das erklärt, warum Karls Verhältnis zu Johann II. kaum besser war als das zu Philipp VI. Es herrschte keine Feindschaft oder gravierende Abneigung zwischen ihnen, aber eine Distanziertheit, die sich im Grunde durch die seit Langem bestehenden Vorbehalte Karls gegen den glänzenden, mächtigen Nachbarn erklärt, der auf Luxemburg und auch das Heilige Römische Reich herabsah. Karl IV. machte sich deshalb die schwierige Lage Frankreichs zunutze, um seine königlichen und kaiserlichen Ansprüche in Lothringen nach Kräften durchzusetzen.58 Er zählte dabei auf die Bischöfe von Toul, Metz und Verdun, alle drei Suffragane der Kirchenprovinz Trier. Die drei Städte und Bischofssitze gehörten zwar zum Heiligen Römischen Reich, standen jedoch ausgehend von der Champagne und dem westlichen Teil des Barrois, der dem König von Frankreich als Lehnsherrn unterstand, mindestens seit 1300 bezüglich Sprache und Recht mehr und mehr unter französischem Einfluss. Karl IV. verlieh 1367 Toul die begehrten Rechte einer freien Stadt und erhob 1374 auch Verdun zur freien Reichsstadt, um ihre Unabhängigkeit von Frankreich abzusichern. Die Entwicklungen im Barrois belegen, dass Karl IV. den Westen seines Reiches keineswegs schuldhaft vernachlässigte, wie oft behauptet wurde, sondern nichts unversucht ließ, um die zum Reich gehörigen Gebiete zu halten, soweit dies in seiner Hand lag. Das zeigt auch der Fall der Reichsstadt Metz, die von 1324 bis 1326 im „Krieg der vier Herren“ von einer Koalition belagert und verwüstet worden war, der neben Johann von Böhmen auch Balduin von Luxemburg (Erzbischof von Trier), Graf Eduard I. von Bar und Herzog Friedrich IV. von Lothringen angehörten.59

Karl war sich des zunehmenden Einflusses bewusst, den Frankreich in dem Gebiet vor den Toren von Metz ausübte. Dass er ausgerechnet diese Stadt für die Verkündung der Goldenen Bulle 1356 auswählte, war kein Zufall. Schon die Einberufung zum Reichstag erinnerte ausdrücklich an ihren Status als civitas imperii. Auch wenn diese Tatsache gelegentlich aus dem Blick gerät, war der Metzer Hoftag auch ein „deutsch-französisches“ Treffen auf diplomatischer Ebene. Der Dauphin, Karls Neffe Karl (der spätere Karl V. von Frankreich), erschien in Begleitung seines Bruders Johann, des Herzogs der Bretagne, des Grafen von Étampes, des Kanzlers Petrus Foresta und mit einem Gefolge von 2000 Rittern und 200 Bogenschützen – den Chroniken zufolge alles in allem 10 000 Mann! Der Kaiser bat Karl, der in Vertretung seines Vaters vor Ort war, weil Johann II. nach der Niederlage bei Poitiers in englische Gefangenschaft geraten war, für die Dauphiné die Huldigung gegenüber dem Heiligen Römischen Reich zu erneuern. Er ließ auch den Herzog von Burgund auffordern, den Lehnseid für die Freigrafschaft Burgund ebenfalls durch seine Gesandten zu bestätigen, sodass beide Fürsten zumindest auf dem Papier ordnungsgemäß belehnte Reichsfürsten blieben. Im Gegenzug schloss Karl IV. mit dem König von Frankreich einen Freundschaftsvertrag, der im Grunde ein Neutralitätspakt war. Aus Sicht des Königs bannte diese Übereinkunft die Gefahr eines Rückversicherungsvertrags zwischen dem Kaiser und England. Faktisch erkannte er die rechtlich noch ungeklärte Rolle von Lothringen, Burgund und der Dauphiné als kaiserliche Lehensgebiete an. Der Vertrag von 1356 kann mit Fug und Recht als Matrix für die Allianz und Anerkennung gelten, die „von Dynastie zu Dynastie und von Königreich zu Königreich“ ausgehandelt und fast wortwörtlich bis in das erste Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts bekräftigt wurden.60 In jedem Fall begründete er die wechselseitige Verpflichtung, die territoriale und symbolische Integrität des Nachbarlands zu wahren und zu achten.61 Die meisten Historiker sind sich einig, dass die Beziehung zwischen Karl IV. und dem Dauphin Karl, der ab 1364 als Karl V. regierte, deutlich besser war als die zu dessen Vater und Großvater. Es heißt sogar, während der Krise im Herbst 1355, als der Kaiser mit seinem Schwager zerstritten war, habe sein Neffe Karl mit dem Gedanken gespielt, zu seinem Onkel zu flüchten, und von diesem Plan nur deshalb abgesehen, weil sein Vater ihn endlich zum Herzog der Normandie erhob.62 Im Jahr darauf schenkte der künftige Karl V. dem Kaiser in Metz zwei Dornen von der wahren Dornenkrone Jesu, denn zu diesem Zeitpunkt wusste bereits jeder Fürst in Europa, dass man Karl IV. keine größere Freude bereiten konnte. Im Gegenzug ernannte der Kaiser seinen geliebten Neffen zum Reichsvikar, und als in den Schatullen Frankreichs Ebbe herrschte, gewährte er ihm zudem ein Darlehen in Höhe von 50 000 Gulden. Beim Metzer Hoftag waren alle zufrieden: Der knapp 19-jährige Dauphin Karl hatte seinen Vater am Verhandlungstisch würdig vertreten und sein diplomatisches Geschick unter Beweis gestellt. Sein Onkel Karl IV. hatte seinerseits einen Rollentausch eingeleitet, nachdem die Grafen von Luxemburg zu Beginn des Jahrhunderts nur als Verwandtschaft zweiter Klasse gegolten hatten, die man zwar empfing und am französischen Hof aufnahm, jedoch auch mit Herablassung behandelte. Karls Reise nach Paris 1378 erfolgte in einer Atmosphäre der Neutralität, des wechselseitigen Respekts und der friedlichen Akzeptanz der Faktenlage. Für die Dauphiné ernannte der Kaiser bei dieser Gelegenheit den französischen König zum Reichsvikar auf Lebenszeit, mit Erbrecht für dessen ältesten Sohn. Im 19. Jahrhundert sah man diese Abtretung eines deutschen Gebiets an Frankreich als Schande, die erst mit dem Vertrag von 1871 durch das zwischengeschaltete Elsass-Mosel-Gebiet getilgt werden konnte. Dabei übersah man jedoch, dass diese Art gleichzeitiger Herrschaft von König und Kaiser im selben Staatsgebiet im Mittelalter häufiger vorkam (etwa im Barrois) und dass ein König Vasall eines anderen Monarchen sein konnte wie letzten Endes auch in Aquitanien, das zum Zankapfel zwischen den Königen von Frankreich und England wurde.

Vor allem aber muss man den Wortlaut der Urkunde buchstabengenau lesen, was den Notaren der mittelalterlichen Kanzleien sehr wohl bewusst war. Zwar ist der französische Thronfolger auf Lebenszeit Reichsvikar der Dauphiné, doch rechtlich und titularisch blieb die Dauphiné Teil des Heiligen Römischen Reiches. Von einer Eigentumsübertragung, Annexion oder Inkorporation in das Königreich Frankreich ist nirgends die Rede, doch dem Geist des Bündnisses von 1356 war damit Genüge getan: Zumindest auf dem Papier blieb die territoriale Integrität des Nachbarlandes gewahrt. Nur eine Katastrophe vom Ausmaß des Großen Schismas konnte dieses vertragliche Einvernehmen auf die Zerreißprobe stellen, freilich ohne dass es dadurch zum Krieg kam. Allerdings baute der König von Frankreich in den 1360er-Jahren seine Stellung in Lothringen erneut aus. Karl IV., der ab 1361 endlich einen männlichen Erben hatte, war mit seinen Gedanken mehr im Osten des Reiches. Er vernachlässigte jedoch die Gebiete im Westen nicht völlig. Nicht zu unterschätzen ist hier der Stellenwert der Krönung Karls zum König von Burgund (des Arelat) 1365, bei der er größten Wert darauf legte, das Ritual in der Kathedrale Saint-Trophime in Arles unter exakter Einhaltung der uralten Krönungsordnung vorzunehmen, die erstmals seit Friedrich I. Barbarossa 1178 wieder zelebriert wurde.63 Anschließend ließ Karl IV. sich die beiden kostbaren Mauritiusreliquien aus der Abtei Agaune übergeben.64 Er gründete zwei Universitäten und ließ Gold- und Silbermünzen mit seinem Abbild prägen. Außerdem wird oft übersehen, dass Karl IV. bereits 1361 umsichtig Savoyen aus dem Arelat ausgegliedert, in ein reichsunmittelbares Fürstentum umgewandelt und die Regierung dem „grünen Grafen“ Amadeus VI. als „ständigem und erblichen Reichsvikar im alten Königreich Arelat“ überlassen hatte.65 Damit erreichte er, dass Angelegenheiten der Dauphiné diesen zur Kontrolle der Alpenpässe so wichtigen Teil des Heiligen Römischen Reiches in keiner Weise gefährdeten. Die Teilung betraf auch die Einwohner: Während die Rechtshoheit in der Dauphiné in Händen Frankreichs lag, waren in Savoyen die kaiserlichen Gerichte zuständig. Nach alledem dürfte Karl IV. seine Königskrönung in Arles nicht nur mit dem Papst abgestimmt haben. Sie richtete sich keineswegs gegen Frankreich, mit dem er sich den Einfluss in dieser Region in gewisser Form teilte, weshalb auch Karl V. seine drei Brüder zur Krönung entsandte. Das Nachsehen bei alledem hatte vor allem Johanna, Königin von Neapel und Gräfin der angrenzenden Provence, die in erster Ehe Andreas von Ungarn, beide aus dem Haus Anjou, geheiratet hatte. Bei der Krönung Karls IV. glänzte sie durch Abwesenheit.66

Inzwischen geht man davon aus, dass die Krönung in Arles weit mehr als anekdotischen Wert besaß und im europäischen Rahmen von Papsttum, Luxemburgern und dem Königreich Frankreich als Warnung an die Adresse Anjou gedacht war, sollte man dort an eine Expansion im Süden und Osten des Kontinents denken. Das hinderte allerdings beide Häuser nicht daran, zu Beginn der 1370er-Jahre ein Bündnis mit den Töchtern Ludwigs I. von Ungarn anzustreben: Katharina wurde mit einem Sohn Karls V. von Frankreich verlobt und Maria mit Sigismund von Luxemburg vermählt. Offenbar sah der französische König von dem Moment an, als die Angelegenheit betreffend die Dauphiné und das übrig gebliebene Königreich Arelat vom Kaiser und seinem Hof nicht mehr infrage gestellt wurde, in den Königreichen im Osten keine Kriegsgefahr mehr. Das Große Schisma bewirkte zwar einen Bruch zwischen dem Heiligen Römischen Reich, das aufseiten Urbans VI. in Rom stand, und dem Königreich Frankreich, das das Avignonesische Papsttum unterstützte, aber unter dem Strich blieb das Verhältnis zwischen den Häusern Valois und Luxemburg vom Geist des Einvernehmens der Jahre 1349 bis 1356 geprägt. Genau das bestätigte auch der lange Aufenthalt Karls IV. in Paris im Januar 1378.

Karl IV.

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