Читать книгу Die Wahrheit über Arthrose - Prof. Dr. Med. Musa Citak - Страница 11
ОглавлениеAuch wer gesund lebt, kann unter Knochen- und Gelenkerkrankungen leiden. Denn die Ursachen für Arthrose sind vielfältig. Frühere Unfälle, die genetische Disposition oder angeborene Fehlstellungen spielen ebenso eine Rolle wie der Lebensstil.
Ich kann mich sehr gut an eine Patientin erinnern, bei der ich die Diagnose Arthrose gestellt hatte. Sie war 47 Jahre alt und machte jede Woche vier- bis fünfmal Sport. Sie war nicht übergewichtig, rauchte nicht und war Vegetarierin. Sie hatte also sehr gute Voraussetzungen, um lange gesund zu bleiben. Als ich sie mit der Diagnose konfrontierte, reagierte sie ungehalten. „So ein Quatsch. Wie können Sie behaupten, dass ich Arthrose habe? Ich lebe gesund und treibe Sport. Das kann nicht sein.” Ich versuchte, ihr die Diagnose anhand der Röntgenbilder zu erklären. Doch sie stand auf und ging zur Tür. „Ich werde mir eine zweite Meinung holen.“ Mit Mühe konnte ich sie beruhigen. Als sie erfuhr, dass Arthrose nicht nur die Folge eines ungesunden Lebensstils ist, sondern viele Ursachen haben kann, wurde sie langsam etwas freundlicher. Im Gespräch stellte sich dann heraus, dass sie sich mit 20 Jahren bei einem Unfall eine Verletzung im Kniegelenk zugezogen hatte. Sie litt seinerzeit etwa acht Wochen lang unter Schmerzen, die sie mit Salben und Schmerztabletten behandelte. Wahrscheinlich entstand damals ein Knorpelschaden und die Prä-Arthrose entwickelte sich. Zusätzlich hatte sie leichte X-Beine. Weiterhin berichtete sie, dass ihre Mutter eine Arthrose hatte, was aber auch kein Wunder gewesen sei, denn die Mutter war stark übergewichtig. Trotz ihres gesunden Lebensstils hatte die Patientin damit mehrere Risikofaktoren.
Mehrere Ursachen kommen zusammen
Die genetische Prädisposition, die Verletzung, die Fehlstellung im Kniegelenk und wahrscheinlich auch die übertriebene sportliche Aktivität – diese Faktoren zusamen führten in diesem Fall zu Arthrose. Hätte die Patientin etwas weniger und vor allem gelenkschonender Sport getrieben und sich frühzeitig um die Korrektur der Fehlstellung gekümmert, wären ihre Probleme wohl nicht in so vergleichsweise jungen Jahren aufgetreten. Das ist leider das Problem bei Arthrose. Es gibt nicht nur eine Ursache, es kommen immer mehrere zusammen.
Stellen Sie sich ein Kleinkind vor, das versucht, aus Holzklötzen in verschiedenen Größen einen Turm zu bauen. Zuerst geht das gut, das Kind setzt Stein auf Stein. Doch je höher der Turm wird, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Stein ihn zum Fallen bringt. Der fallende Turm setzt dann eine Kettenreaktion in Gang, bei der ein Stein nach dem anderen stürzt. Mit der Entstehung der Arthrose verhält es sich so ähnlich: Von einem gewissen Grad an verselbstständigt sich der Prozess und ist dann auch nur noch schwer aufzuhalten.
Dysplasie – angeborene Fehlbildungen
Mit Dysplasie werden Fehlbildungen bezeichnet. In der Orthopädie gehen wir häufig von angeborenen Fehlbildungen der Knochen aus. Die gute Nachricht: Das ist kein unabänderliches Schicksal. Auch wenn man angeborene Dysplasien nicht verändern kann, lässt sich die weitere Entwicklung positiv beeinflussen, wenn man sie frühzeitig im Kindesalter erkennt und behandelt. Jeder kennt heute die Ultraschalluntersuchung von Säuglingshüften; dabei wird die Hüftdysplasie untersucht. Sie gilt als die häufigste angeborene Fehlbildung des Skeletts. Etwa vier Prozent der Babys sind betroffen, Mädchen sechsmal häufiger als Jungen. Da die Knochen noch wachsen, spricht man manchmal auch von einer Hüftreifestörung. Durch das kugelförmige Hüftgelenk werden die Beine mit dem Becken verbunden. Der Hüftkopf ist das obere Ende des Oberschenkelknochens und liegt in der Hüftpfanne, die zum Becken gehört. Bei der Hüftdysplasie wird der Hüftkopf nicht ausreichend von der Pfanne umschlossen. Nach einer simplen Ultraschalluntersuchung kann man den Grad der Fehlbildung erkennen und oftmals schon mit einfachen Spreizhosen helfen. Es lohnt sich, im Kindesalter jede Vorsorgeuntersuchung wahrzunehmen, da die Dysplasie der Hüftpfanne in mehreren Studien wiederholt als Risikofaktor für die Entwicklung einer Hüftgelenksarthrose identifiziert wurde. Die Hüftdysplasie ist ein von Alter, Geschlecht und Körpergewicht unabhängiger Risikofaktor und eine häufige Ursache für junge Arthrose-Patienten, die noch nicht einmal 30 Jahre alt sind.
Die Risikofaktoren auf einen Blick
Unfälle und Verletzungen sind häufig die Ursache. Auch wenn sie längst vergessen sind, machen sie sich durch Arthrose wieder bemerkbar.
Genetische Disposition: Das ArthroseRisiko ist genetisch bedingt. Sind die eigenen Eltern daran erkrankt, ist dies für einen selbst ein Risikofaktor.
Übertriebener Sport lässt die Gelenke früher altern. Ehemalige Leistungssportler haben deshalb häufig schon mit 40 Jahren Probleme.
Angeborene Fehlstellungen sind oft die Ursache. Sie sollten – wenn möglich – schon im Kindesalter behandelt werden.
Übergewicht: Wer genetisch bedingt zu Übergewicht neigt, hat auch ein höheres Risiko. Viel Gewicht belastet die Gelenke stärker.
Aus meiner Praxis
Sport und Reha auf Rezept
Um Kraft aufzubauen und Schmerzen zu reduzieren, muss man sich nicht unbedingt im Fitnessstudio anmelden. Häufig reicht Krankengymnastik an Geräten aus, die unter der Anleitung von Physiotherapeuten durchgeführt wird. Auch Rehasport ist empfehlenswert. Beides können Sie auf Rezept bekommen. Erkundigen Sie sich am besten direkt bei Ihrer Krankenkasse, was in welchem Umfang übernommen wird.
Höheres Risiko bei Übergewicht
Es gibt viele Menschen, die übergewichtig sind, jedoch keine wesentlichen Schmerzen beziehungsweise Arthrose haben. Allerdings zeigen Studien ein deutlich erhöhtes Risiko für eine Arthrose. Man soll-te sich jedoch davor hüten, einen Zusammenhang zwischen der Arthrose und der Gewichtsbelastung herzustellen. In einer holländischen Studie aus dem Jahr 1988 konnte gezeigt werden, dass Übergewichtige auch an Gelenken Arthrose haben, die nicht vom Gewicht belastet werden. Spätere Studien konnten dies bestätigen. So haben Übergewichtige zum Beispiel auch ein erhöhtes Risiko für Arthrose in den kleinen Fingergelenken. Man geht davon aus, dass Menschen, die genetisch bedingt zu Übergewicht neigen, gleichzeitig auch eine stärkere Veranlagung für Arthrose haben.
Vererbung wissenschaftlich bestätigt
Schon 1941 wurde die erste Studie veröffentlicht, die den genetischen Zusammenhang zwischen Finger-Polyarthrose und Vererbung untersuchte. Der genetische Hintergrund der Arthrose-Entstehung ist in letzter Zeit immer stärker in den Fokus der Forschung getreten. Für einige genetisch bedingte Arthrosen ist auch schon ein auslösendes Gen identifiziert worden: das Gen COL2A1. Es scheint unter anderem für die Kniegelenksarthrose verantwortlich zu sein. Man geht jedoch davon aus, dass die genetische Vererbung nicht nur auf einem Gen liegt, sondern auf mehreren Genen verteilt ist, sodass es noch etwas dauern wird, bis man den komplizierten Weg der Vererbung verstanden hat. Anhand von Studien mit Zwillingen konnten Wissenschaftler herausfinden, dass Arthrose im Hüftgelenk offenbar vererbbar ist. Wer Geschwister mit Hüftarthrose hat, dürfte demnach ein deutlich höheres Risiko haben, ebenfalls daran zu erkranken.
Muskelkraft im richtigen Maß
Viele Studien zeigen, dass Menschen, die an Arthrose erkrankt sind, weniger Muskelkraft haben. Hier stellt sich natürlich die Frage nach Ursache und Wirkung: Ist die Arthrose durch zu wenig Muskulatur entstanden oder verhindert die Arthrose Bewegungen, mit denen man Muskeln aufbauen kann? Studien haben gezeigt, dass Patienten mit Kniegelenksarthrose durchschnittlich 20 Prozent weniger Kraft in den Kniestreckern haben. Werden diese Muskeln gestärkt, vermindert sich das Arthrose-Risiko. 60- bis 70-jährige Patienten mit Arthrose zeigten im Rahmen der Studie nur halb so viel Kraft wie gesunde Gleichaltrige, wenn sie die Streckung halten mussten. Auch beim Beugen waren sie deutlich schwächer. Allerdings bedeutet dies nicht, dass viel Krafttraining auch viel bewirkt. Patienten mit viel Kraft in den Kniestreckern bekommen mit einer höheren Wahrscheinlichkeit Arthrose als die mit weniger Kraft – das gilt vor allem für Patienten, die zusätzlich ein lockeres Kniegelenk haben. Die Tatsache, dass Männer meist mehr Kraft in den Händen haben, schützt sie nicht vor Arthrose. Im Gegenteil: Männer mit sehr starken Händen haben ein größeres Risiko, gleich an mehreren Gelenken der Hand Arthrose zu bekommen. Frauen mit großer Greifkraft hingegen haben nur ein erhöhtes Risiko in den Fingergrundgelenken. Wertet man diese Studie genau aus, wird deutlich, dass zu wenig Kraft ein ebenso großes Risiko ist wie zu viel Kraft. Wer es genau wissen will, kann seine Muskelkraft messen lassen und dabei Unterschiede zwischen rechts und links feststellen oder die eigene Kraft im Vergleich zum Alters- durchschnitt bestimmen lassen.
Fehlstellungen mit Folgen
Die bekanntesten Fehlstellungen sind O-Beine (Varus-Fehlstellung) und X-Beine (Valgus-Fehlstellung), jedoch können Fehlstellungen prinzipiell in allen Gelenken vorkommen. In vielen Studien konnten Achsenfehlstellungen mit einer erhöhten Arthrose-Rate nachgewiesen werden. Diese Fehlstellungen führen – insbesondere im Kniegelenk – eher zu Arthrose an der Außenseite des Gelenks als an der Innenseite, wie eine Studie zeigte. Eine X-Bein-Fehlstellung führt öfter zur Arthrose als O-Bein-Fehlstellungen. Außerdem konnte festgestellt werden, dass Menschen mit einer isolierten Arthrose hinter der Kniescheibe eher eine X-Bein-Fehl-stellung haben. Ein weiteres Problem der Fehlstellungen ist, dass die Bänder mit der Zeit immer schwächer werden und dadurch die Instabilität des Gelenks zunimmt. In einer Studie aus dem Jahr 2005 kam heraus, dass Menschen mit zu langen Unterschenkeln häufiger an Knieschmerzen und Kniearthrose leiden als solche mit durchschnittlicher Unterschenkellänge.
Prä-Arthrose als Vorstufe
Erinnern Sie sich noch an das Beispiel mit dem Turm aus Holzklötzen am Beginn des Kapitels? Die Entstehung der Arthrose ist damit vergleichbar: Wenn die Basis nicht perfekt ist, bekommt man im Laufe der Zeit Schwierigkeiten. Eine Verletzung kann diese Basis zerstören, auch wenn sie in der Gegenwart noch gar nicht so schlimm ist. Typische Verletzungen sind zum Beispiel Bänderrisse, Knorpelschäden, Fehlstellungen oder Knochenbrüche in der Nähe eines Gelenks. Wird der erste Klotz, aus dem ein Turm entstehen soll, ungünstig aufgestellt, fällt der gesamte Turm schneller zusammen. Eine Prä-Arthrose, etwa in Form einer Knorpelverletzung, ist wie ein schlecht aufgestellter erster Holzklotz: Hätte man den schlechten Klotz weggelassen (wäre der Unfall nicht passiert), stünde der Turm sicherer. Je mehr Risikofaktoren jemand hat, desto wahrscheinlicher und schneller bekommt er Arthrose.