Читать книгу An neuen Orten - Rainer Bucher - Страница 33
3.4 „Hierarchieinduzierte geistliche Erneuerung“
ОглавлениеEin Letztes: Österreich ist ein kleines Land mit einer großen Geschichte und einer, nach dem Verlust des Habsburgerreiches, viel zu großen Hauptstadt. Deren Bischöfe (respektive: Kardinäle) dominieren in Österreich die inner- wie außerkirchliche Wahrnehmung von katholischer Kirche. Das galt für den bis heute von praktisch allen innerkatholischen Gruppen (außer den „Katholikalen“) nachhaltig verehrten Kardinal König (Erzbischof in Wien von 1956-1985, Kardinal ab 1958), das gilt für den gegenwärtigen Kardinal Christoph Schönborn (Erzbischof seit 1995, Kardinal seit 1998). Letzterer prägt die österreichische Kirche nun allerdings mit einer eigenen Richtung, die in ihrer Spezifität weder volkskirchlich-kulturkatholisch noch „katholikal“ noch – natürlich – „reformkatholisch“ ist. Wiewohl Kardinal Schönborn offenkundig Kontakt zu allen drei Richtungen hält, verkörpert und favorisiert er selbst eine vierte, eher weltkirchlich importierte denn original österreichische Richtung: die charismatisch-spirituelle.
„Geistliche Erneuerung“ aus dem Geist der „Geistlichen Bewegungen“96 ist hier das Ziel, Mittel sind dynamisierende Events wie etwa die „Stadtmission“ 2003 in Wien. Das alles geht von der Hierarchie, speziell von Kardinal Schönborn aus, ist mittlerweile in der einen oder anderen Variante vielerorts präsent, nirgendwo aber wirklich dominant in der pastoralen Realität, nicht einmal in Wien. Der jugendliche und bisweilen unbekümmerte Enthusiasmus dieser Bewegungen, die Erfahrung von Gemeinschaft und „fröhlichem Glauben“ in Übereinstimmung mit der kirchlichen Hierarchie sind durchaus attraktiv, aber auch in ihrer Wirkung reichweitenbegrenzt. Zu sehr entsprechen sie einer spezifischen Spiritualität und Mentalität, als dass sie den „Kulturkatholizismus“ als volkskirchliche Basisstruktur der österreichischen katholischen Kirche ersetzen könnten.
Die Weltwahrnehmung dieser charismatischen Kreise ist geprägt von demonstrativer Glaubens- und Lebensfreude, einer grundsätzlichen Weltbejahung und vom Wissen der Möglichkeit, etwa über das Bußsakrament (hier „Sakrament der Versöhnung“ genannt) in eine grundlegende Übereinstimmung mit sich, der Welt und Gott zu kommen. Katholische Komplexität wird reduziert auf die Erfahrung von begeisterter gemeinschaftlicher Religiosität, auf ein ein wenig dualistisches, wenn auch nicht manichäisches Weltbild und auf die freudige Wahrnehmung der Segnungen einer alten, erfahrenen und mit einem ungeheuren Schatz von Ästhetiken, Ritualen, Diskursen und Personen ausgestatteten Institution, einem Schatz, den man sich ziemlich freihändig aneignet.