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1 Die Irrelevanz
ОглавлениеDer pastoraltheologische Kommentator des Synodenbeschlusses „Ehe und Familie“ der „Gemeinsamen Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland“ aus dem Jahre 1975 könnte es sich 36 Jahre später leicht machen, es kurz halten und die praktisch vollständige Bedeutungslosigkeit der im damaligen Synodenbeschluss repräsentierten kirchlichen Diskurse für die heutige Lebenswirklichkeit von Katholikinnen und Katholiken notieren. Er könnte sich dabei sogar auf bischöfliche Worte berufen: „Wir spüren ja“, so der Trierer Bischof Ackermann im Februar 2011, „dass die Kirche hier auf breiter Fläche nicht mehr gefragt ist, dass Menschen da keine Orientierung mehr von ihr erwarten.“113 Es ging Ackermann um die kirchliche Sexualmoral, und um die geht es beim Synodenbeschluss „Ehe und Familie“, wie bei diesem Thema katholisch üblich, zum nicht geringen Teil auch.
Bischof Ackermann, Beauftragter der Deutschen Bischofskonferenz für die Fragen des sexuellen Missbrauchs innerhalb der katholischen Kirche,114 resümiert in erfreulicher Deutlichkeit, worauf die wissenschaftlichen Daten seit längerem hinweisen:115 In kaum einem Bereich hat sich die katholische Kirche diskursiv tiefer ins Abseits der Irrelevanz manövriert denn in jenem prekären Feld menschlicher Existenz, das im kirchlichen Jargon mit den Stichworten „Ehe und Familie“ umschrieben wird, lehramtlich eine spezifische und durchaus nicht widerspruchsfreie Kopplung von Sexual-, Pastoral-, Gesellschafts-, Politik- und Moraldiskurs repräsentiert und tatsächlich in so ziemlich jedes Menschen Leben eine prekäre Realität anvisiert: wie im engsten Kreis zusammenleben: frei und doch auf Dauer, intim und respektvoll, kooperativ und solidarisch, intergenerationell und Kinder gebärend und sozialisierend, und dabei als Ort physischer Stabilisierung und psychischer Regeneration – um einige klassische Elemente einer kulturunabhängigen Familiendefinition zu nennen. Und das als fehlbare, schwache und bedürftige Menschen?
Mit großer Selbstverständlichkeit geht der Synodenbeschluss davon aus, dass die katholische Kirche bei der Gestaltung von privaten Intimbeziehungen und speziell in sexualibus gefragt ist und gefragt wird, dass man von ihr Orientierung erwartet, ja Gefolgschaft leistet. Der Synodenbeschluss repräsentiert auf weite Strecken noch jenen kirchlichen Erlaubnis-, Herrschafts- und Autoritätsdiskurs, wie er über lange Jahrhunderte das private wie öffentliche Leben beherrscht hatte.
Damit aber ist es nun vorbei, selbst bei Katholikinnen und Katholiken und selbst bei jenen, die grundsätzlich der Kirche noch etwas glauben und daher Kontakt zu ihr halten. Maria Widl hält ebenso lapidar wie zutreffend fest: „Seit Humanae vitae erweist sich die kirchliche Lehre über Ehe und Sexualität auch innerkirchlich als unvermittelbar“ und in die Kultur hinein wirke „sie nur insofern, als Menschen sich selbst als automatisch aus der Kirche ausgeschlossen betrachten, wenn sie sich scheiden lassen.“116
Der Synodentext arbeitet somit auf einer Grundlage, die nicht mehr existiert und selbst damals, sieben Jahre nach Humanae vitae, schon reichlich brüchig war. Er wirkt daher wie ein Relikt aus jüngst vergangenen Zeiten, als die private und intime Lebensführung sich zumindest grundsätzlich und in ihren Normen noch nach kirchlichen Vorgaben richtete.117 Vor allem für die kirchliche Zeitgeschichtsforschung erscheint somit der vorliegende Text interessant, nicht unbedingt für die notorisch gegenwartsorientierte Pastoraltheologie, der es um den situativen Sinn und die Bedeutung kirchlicher Traditionen heute geht.118
Eine solche im eigentlichen Sinne pastorale Bedeutung scheint der Synodentext kaum mehr zu besitzen. Sinn und die Bedeutung dessen, worum es der katholischen Tradition im Bereich des engsten menschlichen Zusammenlebens geht, mag dem Text zu entnehmen sein, praktische Wirksamkeit entwickelt er selbst bei den Katholikinnen und Katholiken nicht mehr. Zudem dürfte er auch den kirchlichen Insidern schlicht mehr oder weniger unbekannt sein.