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4 Vielleicht eine Wahrnehmungshilfe: Die Pastoraltheologie, ein Fach aus Österreich
ОглавлениеKatholizität ist Komplexität – und österreichische gleich gar. Dazu gehören aber Mechanismen der Komplexitätsreduktion, und da sich das einheitliche „katholische Milieu“ der Pianischen Epoche zunehmend zerlegt, zerfällt auch die österreichische katholische Kirche zunehmend in unterschiedliche Gruppierungen, die sich tatsächlich nicht zuletzt durch ihre Weltwahrnehmung unterscheiden dürften.
Nun hätte Österreich für diese komplexe Situtation, in die nicht nur der österreichische Katholizismus hineingeraten sein dürfte, aber auch eine spezifisch österreichische Wissenschaft anzubieten: die Pastoraltheologie. Denn wie immer man die lange und wechselreiche Geschichte dieses recht unfestgestellten Faches der Theologie auch beschreiben und wie immer man die Gründe für sein Entstehen analysieren will:97 Die Pastoraltheologie ist eine österreichische Erfindung. Ihr Gründungsproblem, der Bruch von Tradition, Situation und Person, wurde in der Politik entdeckt, es war die Kaiserin Maria Theresia, die dieses Fach 1774 initiierte.
Die Pastoraltheologie ist der Versuch der Kirche, von sich nach dem Ende ihrer Selbstverständlichkeit etwas zu wissen. Das kann man aber nur, wenn man sich nicht nur mit den eigenen, sondern auch mit neuen, fremden Augen sehen kann. Die Gründungsfrage der Pastoraltheologie war der aufklärerische Riss zwischen theologischer Tradition, Person und aktuellem Handeln. Dieser Riss aber ist ein Phänomen der Gegenwart – und nur bei ihrer sehr ehrlichen und unverschleierten Wahrnehmung erkennbar. Man hat ihn, merkwürdig genug, zuerst in der katholischen Aufklärung Österreichs gesehen und vor allem die Konsequenzen daraus gezogen.
In ihrem Kern ist die Pastoraltheologie damit von Anfang an als praktische Disziplin und als Disziplin auf der Schwelle zur Zukunft wesentlich auch eine Gegenwarts-Wahrnehmungswissenschaft.98 Denn niemand kann in der Gegenwart handeln, ohne von ihr etwas zu verstehen.
Vielleicht könnte sie ja, konzipiert als Kultur- und damit Wahrnehmungswissenschaft des Volkes Gottes,99 eine Hilfe für die katholische Kirche sein, ihre eigenen Wahrnehmungsmuster von Welt selbst analytisch beobachten zu können und so jenseits aller homogenisierenden Ordnungen der Vergangenheit so etwas wie eine Wahrnehmungsrationalität zweiter Ordnung in die Komplexität ihrer eigenen Wahrnehmungsmuster zu bringen.Es ginge also darum, sich selbst im eigenen Wahrnehmen zu beobachten. Um damit vielleicht die Komplexität der eigenen Tradition vor den Reduktionen eines drohenden „ideologischen Zeitalters“ in der Kirche zu retten.