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2 Pastoralmacht

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1. Sie ist eine Form von Macht, deren Endziel es ist, individuelles Seelenheil in einer anderen Welt zu sichern.

2. Pastoralmacht ist nicht bloß eine Form von Macht, die befiehlt; sie muß auch bereit sein, sich für das Leben und Heil der Herde zu opfern. Darin unterscheidet sie sich von der Königsmacht, die von ihren Subjekten das Opfer fordert, wenn es gilt, den Thron zu retten.

3. Sie ist eine Machtform, die sich nicht nur um die Gemeinde insgesamt, sondern um jedes einzelne Individuum während seines ganzen Lebens kümmert.

4. Man kann diese Form von Macht nicht ausüben, ohne zu wissen, was in den Köpfen der Leute vor sich geht, ohne ihre Seelen zu erforschen, ohne sie zu veranlassen, ihre innersten Geheimnisse zu offenbaren. Sie impliziert eine Kenntnis des Gewissens und eine Fähigkeit, es zu steuern.102

Aus den Kirchen wandert damit im Westen gegenwärtig endgültig aus, was Michel Foucault ebenso griffig wie analytisch präzise „Pastoralmacht“ genannt hat. Innerhalb des Christentums konzentrierte sich die Pastoralmacht in der Person des „Hirten“, also des Amtsträgers. Als

einzige Religion, die sich als Kirche organisiert hat …, vertritt das Christentum prinzipiell, daß einige Individuen kraft ihrer religiösen Eigenart befähigt seien, anderen zu dienen, und zwar nicht als Prinzen, Richter, Propheten, Wahrsager, Wohltäter oder Erzieher usw., sondern als Pastoren. Dieses Wort bezeichnet jedenfalls eine ganz eigentümliche Form der Macht.103

Im Gegensatz zur politischen Macht ist sie auf das Seelenheil des/der Einzelnen gerichtet, im Unterschied zur Macht des Herrschers war sie selbstlos und im Kontrast zur juridischen Macht ging es ihr nicht um die Geltung von allgemeinen Regeln, sondern um den/die Einzelne/n. Kirchliche Pastoralmacht erstreckte sich über das gesamte Leben – von der Wiege bis zur Bahre.

Was der Hirte auch tut, es ist auf das Wohl seiner Herde ausgerichtet. Ihr gilt seine stete Sorge. Wenn sie schläft, hält er Wache. Das Thema der Wache ist wichtig, denn es bringt zwei Aspekte der Hingabe des Hirten zum Vorschein. Erstens handelt, arbeitet, müht er sich für jene, die da schlafen. Zweitens wacht er über sie. Allen schenkt er Aufmerksamkeit und verliert dabei keines aus den Augen.104

Foucault weist darauf hin, dass das Christentum damit eine Machttechnik begründete, die sich von vorausgehenden antiken Machttechniken fundamental unterschied und im modernen Staat bis heute wirkt. Der moderne Staat habe sich der ursprünglich christlichen Form der Pastoralmacht bedient und dies schließlich so erfolgreich, dass er die Kirchen als Trägerinnen der Pastoralmacht beerbte. Seit dem 18. Jahrhundert, so Foucault, wanderte die Pastoralmacht hinüber zum entstehenden modernen Staat – und dies genau in der ihr eigenen Doppelfunktion von „Individualisierung“ und „Totalisierung“. Niemals in der Geschichte der menschlichen Gesellschaften habe es solch eine erfolgreiche Kombination von Individualisierungstechniken und Totalisierungsverfahren innerhalb ein und derselben politischen Struktur gegeben. Das aber liege daran, dass der moderne abendländische Staat die alte christliche Machttechnik, die Pastoralmacht, in eine neue politische Form integriert habe.

Der primäre Ansatzpunkt kirchlicher Pastoralmacht hat dabei in der Neuzeit einen spezifischen Weg genommen. Er führte vom Kosmos zur Kommunität und schließlich zum Körper. Die kosmisch codierte Selbstverständlichkeit des Christentums wird zuerst in Frage gestellt von Männern wie Galilei, Kopernikus und Kepler, der kirchliche Zugriff auf die (nicht-kirchliche) Kommunität ging mit dem bürgerlichen Gesellschaftsprojekt und somit im 19. Jahrhundert verloren, nachdem schon der Absolutismus des 18. Jahrhunderts sich weitgehend von kirchlichen Bestimmungshorizonten frei gemacht hatte. Zuletzt aber versuchten die Kirchen, etwa über ihre Moralverkündigung, noch Einfluss auf den Körper zu nehmen, auf seine Praktiken und Techniken.105

Sexueller Missbrauch durch Priester aber pervertiert die Pastoralmacht in Zeiten ihrer Verdunstung endgültig. Denn diese Hirten opfern sich nicht für ihre Herde, sondern opfern Teile ihrer Herde für sich.

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