Читать книгу Die atlantische Magd - Ralf Blittkowsky - Страница 13

Fluchterwachen

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Nach einigen Schlenkern, um sicherzugehen, nicht verfolgt zu werden, fuhren Monique und James am späten Dienstagnachmittag durch Maine.

„Ach, Kimberley soll auch noch Maler sein? Von dieser Passion war aber kaum etwas zu sehen, als wir letzten Sonntagmorgen zusammen mit Ann in seinem Blockhaus ankamen. Vielleicht hab’ ich auch etwas nicht geschnallt? Ich sorgte mich sowieso nur um Ann! Ob die wissen, was sie Frauen auf ihren verdammten Geheimstationen antun.“

„Wie, Ann war nicht die Einzige?“

„Natürlich nicht! Inzwischen wissen wohl viele, die entlang der Ostküste leben, dass die CIA vor allem junge Frauen auf solchen eingerichteten Geheimstationen zusammentreibt, um an lebenden Hirnen zu experimentieren. Was zwar den Stempel medizinischer Forschung trägt, was aber eklatant gegen Menschenrechte verstößt. Du kannst dir kaum ein Bild davon machen, James, wenn du es selbst nicht gesehen hast, was auf so einer Geheimstation Grauenhaftes abläuft! Trotz allem, Melon wird es dir gleich sicher genauer erzählen, wenn wir in Kimberleys massivem Blockhaus angekommen sind. Ich sag’s dir schon mal, begegne Ann mit aller Vorsicht, wenn du nachher zu ihr gehst. Wir haben ihren zu nichts mehr fähigen Körper, so gut es gerade ging, in ein dunkles Zimmer gebettet. Bezweifle, dass sie überhaupt was von dem, was um sie herum passierte, geschnallt hat. Nicht auszudenken, was sie aus Ann in den acht Wochen gemacht haben, einfach grauenvoll! Auf so einer Station findet die reinste Entmenschlichung statt.“

„Beruhig dich doch, Monique. Wenn ich wieder klarer denken kann, werde ich schon sehen, was sich politisch gegen solche Untaten mit Staatsfinanzierung ausrichten lässt.“

„Staatsfinanzierung, wie, in Washington D.C. weiß man davon? Nicht wahr? Sag‘, dass das nicht wahr ist, James.“

„Natürlich wird das so sein! Gemein sind solche Stationen des Grauens, wie du erzählst, nur nach unten. In den politischen Riegen, Kasten und Verbünden gehen die meisten, bestimmt nicht alle, mit einem solchen Kollaps der Menschenrechte d‘ accord, schließlich soll das vor allem US-Militär von dieser höchst fragwürdigen Gehirnforschungen profitieren.“

„Moment mal, was wiederum hat Ann mit dem US-Militär zu tun?“

„Ganz viel, schließlich arbeitet sie bei uns.“

„Nein, das meine ich nicht, sondern was hat das, was wir auf dieser abgesperrten Hospitalstation gesehen haben, mit dem zu tun, wofür du seit Jahrzehnten entwickelst. Ich versteh‘ das nicht, James?“

„Ist auch gar nicht so einfach. Dieser Stotterer, der gestern Abend bei mir einbrach, scheint der Kopf dieses Gehirnforschungsprogramms der CIA am lebenden Menschen zu sein. Ich hab‘ darüber gelesen und weiß ansatzweise, was die vorhaben.“

„Gehirnforschung am lebenden Menschen, so was kann sich doch keine Forschung mehr nennen.“

„Doch, wer medizinische Eide außer Acht lässt, kann das tun, was dort getan wird. Die CIA, also vom Staat finanziert, lässt seit ein paar Jahren am lebenden Gehirn forschen, um so eine Art modernen, alleskönnenden Krieger-Spion zu entwickeln, der bzw. die auf sich gestellt, also autonom, hinter feindlichen Linien operieren soll. Aufgabenbezogen steuerbar sollen solche Psychokreaturen durch Hypnose sein.“

„Nun wird’s aber gruselig! Das heißt, trotz allem, witzige Vorstellung: Ann mit einem Helm auf dem Kopf.“

„Falsch, wenn die CIA fertig mit ihnen ist, sind deren Kandidaten, so werden sie wohl genannt, steuerbare Killermaschinen, die durch Hypnosetechniken koordiniert werden und auf sich gestellt hinter feindlichen Linien auf Anweisung aktiv werden können. Wie weit sie mit ihren pseudo-wissenschaftlichen Tüfteleien, gegen jede Ethik und Moral selbstverständlich, sind – keine Ahnung.“

„Pseudowissenschaftlich – woher weißt du das alles, James?“

„Och, man hört und liest so einiges in meiner nun wohl verfallenden Position. Schließlich ist da etwas in Bewegung geraten, nämlich, wie der Feind in Zeiten des Kalten Kriegs durch psychische Manipulation dort, wo er am verletzlichsten ist, nämlich innerhalb seines Landes, zielgenau attackiert werden kann. Dass ausgerechnet ich von den Ausmaßen dieser menschenverachtenden Geheimforschungen betroffen sein werde, wer hätte das gedacht. – Lassen wir das Thema mal, denn sonst rege ich mich noch zu sehr auf. Erzähl‘ lieber, was mich nachher im Blockhaus erwartet, Monique.“

„Ja, wenn ich das alles höre, wird die Wut noch größer. Wahrscheinlich wird Ann tief schlafen, wenn wir ankommen. Erwarte deshalb nicht, dass sie auf dich reagiert. Ann ist schwer geschädigt, und keiner kann wissen, ob und wann sie mich, dich, uns noch mal als Bruder bzw. besorgte Freunde wahrnehmen wird.“

„So schlimm ist es um Ann bestellt?“

„Ich kann’s nicht anders sagen. Herauszufinden, wie es gesundheitlich um sie bestellt ist, wird unsere große Sorge der nächsten Wochen, vielleicht Monate sein, wer weiß? Du kannst nicht einfach einen Hausarzt an ihren zerschundenen Körper heranlassen, der diagnostizieren soll, was auch immer innerhalb von zwei Monaten mit ihr angestellt wurde. Und dann auch noch zuversichtlich diagnostiziert, wie Ann versorgt werden soll.“

„Verschwiegene Fachmediziner sollten sich Ann annehmen?“

„Ja, wäre das nicht eine Möglichkeit, um klarer zu sehen?“

„Solche finde mal. Die, welche Ann das angetan haben, dürfen sich noch Ärzte nennen, an Universitäten approbiert, Menschenschinder wäre vermutlich passender!“

„Das bringt doch nichts, Monique.“

„Wenn ich nur daran denke. Dieses ungeheure Leid, das ihr zugefügt worden ist. Wenn sie nicht die schäbige Schulternarbe von Jugend an hätte, wäre sie kaum noch wiederzuerkennen gewesen.“

„Meine Güte, hätte ich was geahnt, hätte sich dieser Typ bestimmt nicht so ungeschoren aus meiner Wohnung zurückziehen können.“

„Du ahntest aber nichts?“

„Ich hätte was ahnen sollen, verdammt.“

James schlug energisch mit der Faust in linke Hand, winselte ausklingend vor sich hin: „Ich, Versager, er wäre mir nicht so ungeschoren aus der Wohnung rausgekommen, verdammt!“

„James, was bringt das noch, geschehen ist geschehen. Ann hat`s schwer erwischt, furchterregend schwer. Grausam, aber wir sollten uns darauf konzentrieren, wie Ann möglichst schnell aufwacht und dann, wie sie die beste Heilung erfährt, die wir alle zusammen ihr bieten können. Das ist in den bevorstehenden Monaten allein das, worauf es ankommt, nichts anderes, verstehst du?“

Ihr beide kanntet euch gut, nicht? Um das Thema zu wechseln, die CIA hat so einen unangenehmen Beigeschmack.“

„Den werden sie wohl so schnell nicht mehr los, James, also gut, vor zehn Jahren arbeiteten Ann und ich zusammen. Dass ich ihre Vorgesetzte war, schien für Ann schon damals keine Rolle zu spielen, na ja!? Rebellisch, aufsässig, nie klein beigeben, das war ihre Devise von Beginn an, seit wir uns kennenlernten.“

„Zweifellos, wir sprechen von derselben Frau.“

„Ihre ziemlich gewöhnungsbedürftige Art war auch nicht aus ihr rauszukriegen. Nur wenn ich ihr folgeleistete, wurde ich beachtet, anderenfalls nicht. Dienstlich, privat konnte sie ganz anders sein, wenn sie nur wollte: zuvorkommend, ironisch bis witzig, interessiert. Du wirst es kennen.“

„Dieser radikale Stimmungsumschwung. Man glaubt von jetzt auf gleich, eine vollkommen andere Frau neben sich zu haben. Das ging aber nur solange, bis sie etwas störte, ihr nicht in den Kram passte.“

„Oh, Ann kam damals öfters verspätet zur Arbeit, erzählte uns freudestrahlend, wessen Konzert sie am Abend zuvor besucht hatte. Entweder Solisten, Orchester oder Bands, von denen weder ich noch die Kolleginnen einen Schimmer gehabt hatten. Irgendwie kam es dann doch, dass wir über Gary Cooper, James Steward oder Clark Gable ganze Tage hin und her fetzten. Neben der Sollerfüllung, versteht sich! Ganz zu schweigen von Rita Hayworth, Vivian Leigh oder andere Hollywoodsternchen, wie Una Merkel. Wenn ihr Name bei uns an der Tagesordnung war, war Ann, wie aus dem Häuschen: ‚Eine Deutsche, die es in Hollywood auf die Leinwand geschafft hatte‘, triumphierte sie öfters, als es uns lieb war. Als Nächstes fiel ihr, fast schon automatisch, übrigens, Marlene Dietrich ein! Sie sei ja auch Deutsch, stamme aus Deutschland, wie ihre Eltern“, was wir so gut wie auswendig lernten, denn sooft hat sie es wiederholt.“

„Wirklich? Ich bin ja noch im Deutschen Reich geboren. Unsere Eltern wanderten mit mir zwei Jahre nach Kriegsende, also 1920, aus, als ich elf Jahre alt war. Ann war da höchstens eine Fantasie meiner Eltern.“

„Weiß ich doch alles, James, brauch‘ste mir nicht noch mal zu erzählen.“

„Ihren älteren Bruder, also dich, hatte sie nur ein paarmal erwähnt. Ich glaube, sie wollte nicht zeigen, wie stolz sie auf dich war. Sendungen mit dir liefen ja dauernd in Kriegszeiten im Radio.“

„Moderationen, Roundtables, Interviews – ich weiß gar nicht, ob ich heute noch so stolz auf meine damaligen Medienauftritte sein kann. Ach, Geschichte, vergessen. Heute würde man mir bestimmt das Mikrofon entziehen.“

„Wieso denn? Wir waren anschließend doch alle wunderbar informiert über Waffengänge in Frankreich, Nordafrika oder im Pazifik. Na ja, von ‚Destry Rides Again (dt. ‚Der große Bluff‘) schwärmte Ann als besten Film der Filmgeschichte überhaupt. Das ganze Ensemble, das die junge Ann, wie kein anderes, verehrte, war exklusiv besetzt: Marlene Dietrich als Frenchy, James Steward als Thomas Jefferson Destry jr. und eben Una Merkel als Lily Belle Callahan.“

„Du erinnerst noch die Besetzung, Monique?“

„Ich habe mir die Besetzungsnamen so genau merken können, weil Ann sie damals sooft wiederholt hatte. Über den Inhalt von ‚Destry Rides Again ‘ kann man übrigens unterschiedlicher Meinung sein. Wirklich nicht meine Welt. Eine Westernverballhornung für Weichlinge, die eher Milch statt Whiskey trinken. Der Saloon steht auch noch in Bottleneck, klingt so gleitend wie ein Ragtimesolo auf ‘ner Westerngitarre. Der Flaschenhals, auf den Zeigefinger der Greifhand gestülpt, rutscht von E nach G nach H und retour. Schnell und rhythmisch, aber unmelodisch.“

Monique stoppte, das Einpendeln in einen Kreisverkehr verlangte nun ihre Konzentration. Als sie wieder herausfuhr, setzte sie fort:

„So war Anns Leben in den Jahren vor Kriegsende, als ich sie kennenlernte. Äußerst temperamentvoll, übrigens das krasse Gegenteil von mir. Trotzdem wurden wir bald Freundinnen und verdrängten unsere Sorgen und Avancen im Büro gemeinsam. Ich glaub, Ann legte keinen Wert auf Glück, sondern suchte den Kick, das Besondere, das Aufregende, für das sie sich leidenschaftlich und immer wieder anders begeistern konnte. Und den fand sie wohl auch, ohne lange suchen oder überlegen zu müssen. Langweile schien Ann so gut wie gar nicht zu kennen, weswegen sie mir imponierte. Weswegen wohl ihre diversen Beifahrersitze all die Jahre leer blieben, auch in diesen Jahren noch. Fragten wir montagmorgens neugierig nach ihrem Lover am Wochenende, machte Ann nur eine wegwerfende Geste und sprach den ganzen Vormittag nicht mit uns, so war sie.“

„War? Ann meint noch heute, sie käme alleine klar. Bisher scheint auch keiner so charmant gewesen zu sein, dass sie ihn länger als einen Espresso ertragen wollte.“

„Und Kimberley? Kimberley scheint ganz anders gestrickt zu sein als sonstige Kerle, die ich so kenne. Ob überhaupt, und wie Melon und Kimberley sich vertragen, darauf bin ich gespannt. Zwei so gegensätzliche Charaktere treffen sehr selten aufeinander, fiel mir direkt auf, als ich zum ersten Mal ins Blockhaus kam. Übrigens riesig, so was muss man sich erst mal leisten können.“

„Soweit ich weiß, hat Kimberley geerbt, mehr weiß ich aber nicht über ihn. Vor etwa einem Jahr, als Ann mich zum Blockhaus hinfuhr, um mich Kimberley vorstellen, staunte ich nicht schlecht, als sie erzählte, er sei über vierzig.“

„Ach, nein, über vierzig schon? Erstaunlich jungaussehend, für so alt hätte ich ihn niemals eingeschätzt. Ich dachte mir noch, was will Ann mit so einem jungen Spund. Wie man sich doch täuschen kann!? Welche Naht, wie eingefädelt wurde, muss ich dann noch rausfinden. Erst mal stehen wir aber vor einem ganz anderen Problem. Wenn du mich fragst, wurde Ann richtiggehend gefoltert! Fesselspuren an Händen und Füßen haben sich ganz fest ins Fleisch eingeschnitten. Massiv an Armen und Füßen gefesselt lag sie bestimmt die letzten acht Wochen dort, wo wir sie herausholten, und hatte unvorstellbare Qualen über sich ergehen lassen müssen, grauenhaft! Auf jeden Fall ist sie ziemlich abgemagert. So sehr, dass wir vorgestern rätselten, wann sie zuletzt Nahrung aufgenommen und getrunken hat. Sie hat stark an Gewicht verloren, abgemagert, ausgemergelt, Rundhaarschnitt. Ann lag Sonntagmorgen, kurz vor Sonnenaufgang, wie unwirklich, leblos in Melons Armen und reagiert seitdem auf nichts mehr. Wir sind in großer Sorge um sie, James! Vielleicht kannst du sie dazu bringen, dass Ann wenigstens was isst und trinkt?“

„Wieso ich, bin ich etwa mitgefahren, um Ann gesund zu pflegen? Für solche Dinge bin ich der Letzte. Weiß sowieso nicht, was oder ob ich überhaupt etwas machen kann. Na, ja, ein paar Dollar, Kimberley gräbt bereits in seiner Schatzkiste.“

„Graben? Fürs Graben ist keine Zeit. Auch für Melon wird keiner mehr Kohle in den Ring werfen.“

„Seit ich mich davongestohlen habe, werde ich mich nirgendwo mehr blicken lassen können. Nach Tagen ist der Arbeitsplatz futsch, meine Konten werden gesperrt sein und meinen DeSoto liebkost einer von denen im Nierenhemd, grauenhafte Vorstellung.“

„Was ist mit dir so plötzlich los, James? Sollen wir auf der Stelle kehrtmachen und zurückfahren, zurück nach Boston? Vielleicht kannst du ja noch deine Güter retten, wenn dir das mehr auf den Nägeln brennt? Du wirst aber, lass dir das gesagt sein, Ann, deine Schwester dafür aufgeben müssen!“

„Nein, nein, Ann geht vor, wie Ann immer vorging, wenn etwas war. Was müssen wir als Erstes tun, wenn wir das Blockhaus erreichen, Monique, sag‘ schon?“

„Wie, auf einmal wieder so schnell, als könntest du nicht erwarten, hinzukommen? Also, was wir als Erstes müssen, wir müssen erreichen, dass Ann wenigstens ein Lebenszeichen von sich gibt, trinkt, isst, das hat vor allem anderen Vorrang. Alles andere müssen wir schauen, erst Mal vorsichtig beginnen. Wir wissen ja nicht mal, was mit ihr genau gemacht und was ihr während der acht Wochen verabreicht wurde. Behutsam, jeden Handgriff mit Bedacht, das muss die Devise sein! Weiß sie überhaupt, dass sie in Sicherheit ist? Vermutlich nein. Dass sie zu Bewusstsein kommt und versorgt werden kann, das müssen wir vor allem anderen erreichen. Aber Vorsicht! Wenn du sie gleichsiehst, wirst du sie nicht wiedererkennen. Sie wird schlafen, braucht unbedingt Ruhe. Als wir sie rausholten, trug Ann nur einen Kittel, sonst nichts. Ich hab’ ihr nur den Kittel abstreifen und nur mit Mühe ein Nachthemd überstreifen können. Währenddessen hat sie auf diesem Provisorium von Bett auf der Bettkante gesessen und das Ausziehen wie in Trance über sich ergehen lassen. Schrecklich, unmenschlich, sage ich dir. Wie ihr Kopf dann mit weit aufgerissenen Augen auf dem Kissen vor mir lag, schien alles wieder fraglich zu sein. Was für erschütternder Anblick, aber sieh‘ selbst. Wir kommen übrigens gleich zu Kimberleys Blockhaus.“

„Das macht mir angst, was du da erzählst, Monique. Wenigstens eins haben wir wohl geschafft: Niemand ist hinter uns her.“

„Ein bisschen merkwürdig ist das schon, James. Glaub kaum, dass ein Gespenst klein beigibt und von allein zurückrudert.“

Monique steuerte den Ford von der Route ab auf einen Waldweg, an dessen Ende sich eine Lichtung zeigte. Zwitschernde Vogelfauna Maines begrüßte die Ankömmlinge am frühen Abend eines atmosphärisch warmen Sommertags. Es war Mitte Juli 1953.

Der Rasenplatz lag idyllisch einsam vor ihnen, als der Ford auf ihn auffuhr. Dahinter zeigte sich ein wuchtiges Blockhaus, umgeben von einem massiven Holzzaun, woneben ein robuster, weißer Dodge Pick-up stand.

Monique parkte den Ford neben dem Dodge Pick-up. Kaum waren Motorgeräusche verklungen, zeigte sich am Holzzaun ein stämmiger, muskelbepackter Hüne. ‚Das also soll Melon Jim‘ sein, assoziierte James. ‚Ann und diese Masse Mensch, wie nur verträgt sich das?‘

Kaum hatte der Wrestler, temporär außer Diensten, sich versichert, wer geparkt hatte, wuchtete er sich athletisch über den Zaun und hastete zum Parkplatz hinüber. Als James die Beifahrertür einen Spalt weit öffnete, riss der athletische Hüne die Autofahrertür auf und begrüßte ihn mit schlichtem ‚Hello‘, als ob sie sich schon ewig bekannt seien.

Ohne James weitere Beachtung zu schenken, beugte sich der Wrestler in Jeans und kariertem Baumwollhemd über das Forddach und herrschte Monique in seinem nur annähernd verständlichen Tennesseeslang an:

„Wo seid ihr denn solange gewesen? Wir hatten uns schon Sorgen gemacht, euch wäre etwas passiert.“

Seine Betonung von ‚Sorgen‘ klang so, als würde der Wrestler Sorgen wie eine Melone in seiner Hand zerquetschen können.

„Fast, Melon. Seine sind auch unsere Verfolger. Ihre Limousinen parkten abends vor James‘ Haus, also musste ich einige Stunden warten und schlich erst kurz vor Sonnenaufgang zu seiner Veranda. So um sieben Uhr morgens, als wir beide loswollten, hätten sie uns, trotz aller Vorsicht, um Haaresbreite erwischt. Ich musste einen ziemlich weiten Bogen fahren, um sicherzugehen, dass sich keine Verfolger hinter uns hängen.“

„Verdammt noch mal, wer hat euch denn aufgelauert?“

„Genau dasselbe hatte ich James auch gefragt. Sie sahen auf jeden Fall nicht so aus, als kämen sie direkt vom Hospital. Männer im Nierenhemd und in Cadillacs! James meint, die Typen wären von der CIA.“

„Ach, du lieber Himmel, CIA? Wie um alles in der Welt gerät James in die Fänge der CIA?“

„Melon, lass“, mischte sich James dazwischen: „Das muss wohl mit Anns Verschwinden zu tun haben, anders kann ich es mir nicht erklären.“

„Merkwürdig, die CIA tritt doch sonst nicht so massiv auf? Dürfen die auch gar nicht, weil denen die Lizenz für Inlandsoperationen fehlt.“

Kimberley Smith, schmal, ungebügeltes Hemd und Selbstfrisur, welcher man es deutlich ansah, zeigte sich an der Eingangstür des Blockhauses, beobachtete, wartete, rief dann: „Kommt doch erst einmal rein. Halb Maine braucht nicht mitzukriegen, was ihr zu bequatschen habt.“

James ging die paar Treppenstufen zum Blockhaus hinauf und passierte Kimberley an der Eingangstür, seinen abschätzenden Blick erwiderte James mit sprödem ‚wir kennen uns doch?“

„Natürlich, Anns großer, mächtiger Bruder James! Kannst dir ja gleich mal angucken, wie Macht an ihre Grenzen kommt.“

Mit einer Betroffenheitsmiene, die eine schwere Last zu tragen erwartete, verschwand James ins Dunkel des Blockhauses. Als die beiden anderen eingetreten waren, erleuchtete Kimberley, was sich als Vor- und Abstellraum herausstellte.

Eine Axt, ebenso gefährlich wie mächtig, war in einen Baumstumpf eingeschlagen. Geordnete Regale – zum Bersten gefüllt mit Büchern aller Größenordnungen. An der Wand lehnten gleich mehrere Staffeleien unterschiedlicher Größe. Im linken Winkel stand eine riesige Hundehütte. Ein heftiges Knurren alarmierte, dass in ihr ein Hundeexemplar einer größeren Hunderasse wachte. Rötliches Katzenfell zischte miauend aus einer Luke an der zusammengekommenen Gruppe vorbei.

Kimberley öffnete eine teilverglaste Holztür zu einem weit größeren Raum, schwach beleuchtetet, mit zugezogenen Stoffgardinen an jeweils zwei Seitenfenstern. Kimberley drehte das zunächst flackernde Licht an und enthüllte eine Art geräumiges Wohn- und Arbeitszimmer, angehäuft mit zahlreichen Accessoires, ovalen Bilderrahmen, versilbert und vergoldet, ohne erkennbare Ordnung herumstehende Flacons in bunten Farben. Abzählbar vielen Schüsseln und Töpfen in unterschiedlichen Größen und Farben. In ihnen lagen verschiedenste Schmuckstücke: Halsbänder, Ringe, Uhren, Krawatten- und Anstecknadeln. Weiter hinten wartete eine Staffelei mit gähnend leerer Horizontalleinwand auf ihren ersten Pinselstrich. Mehrere Pinselspitzen in unterschiedlicher Größe ragten auf dem Boden aus verschmutzten Einmachgläsern heraus.

Als alle vier eingetreten waren, schätzten sich Blicke nur ab, niemand wagte, mit Wort oder Frage die Raumstille zu durchbrechen. Bis nach durchschwiegenen Minuten James Stimme die Stille spaltete und ins Jämmerliche verzogen fragte: „Wo ist Ann, ich will meine Schwester sehen, sofort!“ Als eine Reaktion ausblieb, wurde er lauter: „Was, verdammt noch mal habt ihr mit ihr gemacht? Sagt unverzüglich, ist meine Schwester hinter dieser Tür?“

James zeigte am langen Arm hinter sich auf eine grün angestrichene, dekorierte Holztür.

Etwas pikiert antwortete Melon Jim. „Wir haben gar nichts mit Ann gemacht, außer ihr das Leben gerettet.“ Für Sekunden fixierte James Melon Jim abschätzig, als ob er Unverständliches gesagt hätte. Kimberley und Monique wechselten vielsagende Blicke untereinander aus.

James setzte weinerlich nach, ohne sich zu entschuldigen: „Ich will Ann sehen, auf der Stelle! Wo liegt sie?“

Kimberley ergriff das Wort, sagte tröstend: „Du kannst jetzt nicht zu Ann, James. Sie ist kaum wiederzuerkennen und schläft in einem durch, seit Melon und Monique Sonntagmorgen mit ihr bei mir ankamen. Ich hab’ gerade noch mal nach Ann gesehen. Wir bangen alle, dass Ann wenigstens ein Lebenszeichen von sich gibt. Du wirst schon von Monique gehört haben, wie schlimm es um sie steht. Sehr ernst steht es um sie, alles andere wäre in ihrem Zustand zu riskant. Möchte nicht wissen, was alles mit ihr angestellt, ihr zugefügt worden ist.“

Unbändige Fassungslosigkeit verschärfte sich zu katastrophischer Ahnung. Welche Welt stürzte gerade zusammen? Schockverkrampft, murmelte James in Tränen: „Ann, komm‘ zurück! Kann ich sie sehen, bitte.“ Ohne irgendwen anzusehen, ging Kimberley zur hinteren Holztür und öffnete sie, mahnte aber James mit erhobenem Zeigefinger: „Das Licht wird drinnen nicht angedreht! Geh hinein, nur kurz, ich lass die Tür einen Spalt weit offen, damit du wenigstens etwas siehst.“

Langsam, vorsichtig, innerlich gefasst trat James vorsichtig in den kahlen, dunklen Raum, in dem Ann zugedeckt in einem aus der Not geboren, hergerichteten Bett lag und schlief. Mehrere zittrige Vorwärtsbewegungen brauchte es, um näher ans Bett zu treten. So sehr ängstigte James dieser Anblick seiner vor nun über acht Wochen verschwundenen Schwester.

Kaum wiederzuerkennen, wie ihr abgemagertes Gesicht sich kalkweiß über der sie zudeckenden Wolldecke zeigte. Sekunden fassungslosen Herantastens an das Schreckliche. Ann atmete, sog kaum hörbar Luft ein. Ann, atme, atme! ‚Dein Leben kehrt wieder. Du kehrst zum Leben zurück‘, verschluckte sich James voller Entsetzten über ihren leblosen Anblick.

Seiner Schwester so nah, erzwang James für sich physio-psychische Disziplinierung. Anns ausgemergelte Gesichtszüge, weiß wie Schnee, forderten Kraft, um Leiden und seine Ignoranz in diesen innerlich vibrierenden Minuten aushalten zu können. Was hat sie bloß alles in den letzten acht Wochen aushalten müssen? Was wurde ihr genommen, was in ihr zerstört, was wiederum ist rettbar verloren, was wiederaufbaubar? James streichelte zaghaft Anns schlaff neben der Bettdecke liegenden Arm, keinerlei Reaktion. Wie auch? ‚Hab’ ich dir das alles eingebrockt? Ich werde es wieder gut machen, Ann, soweit ich es verantworte, was dir geschehen ist! Verzeih, ich verspreche es dir, meine kleine Schwester Ann.‘

James biss sich vor Wut über das Leid, das Ann so erniedrigend, so grundlos angetan worden war, auf die Lippen. Aber Ann atmete, wenn auch nur ein wenig, sie atmete, sie lebte. Ann würde wieder aufwachen – irgendwann, irgendwie, irgendwo. Mehr als diese Zuversicht schien im Augenblick nicht möglich zu sein. Ein Gefühl abgrundtiefer Ohnmacht setzte ein, an diesen düsteren Ort menschengemachten Schicksals gelotst worden sein.

James Blick streifte zufällig eine Aktentasche, die an der Wand lehnte - eine braune Ledertasche, eine gewöhnliche, wie man sie in den Kaufläden erstehen kann. War das die Aktentasche etwa, von der der mysteriöse Eindringling gestern Abend gestottert hatte, jene, auf die er so scharf war? Wahrscheinlich, nur um sie kann es sich handeln. Was hatte sie ausgerechnet in diesem Zimmer zu suchen, ausgerechnet? Deprimiert von dem, was er gesehen hatte, sah James noch mal Anns lebloses, mumienartig daliegendes Gesicht, öffnete die Holztür wieder und ließ sich vom einfallenden Zimmerlicht blenden.

Wütend forderte James von Melon Jim als Erstes und ohne zu warten auf, ihm zu erklären, was die Aktentasche in Anns Nähe suche. Achselzucken. Ohne eine Antwort abzuwarten, baute sich James herausfordernd vor Melon Jim auf, fragte, das Timbre verwechselnd, aggressiv, scharfkantig:

„Was genau ist im Hospital in der Nacht passiert? Ich will jedes Detail wissen, unverzüglich.“

„Du willst es wohl genau wissen? Meinetwegen. Monique und ich schlichen Samstagnacht um drei Uhr morgens durch einen Nebeneingang ins Hospital, ziemlich zentral in Vermont liegend. Man stelle sich das so vor: riesiger Bau, viktorianischer Stil, vier Stockwerke, also viele Zimmer. Der Nebeneingang stand zum Glück sperrangelweit offen, sonst hätte ich ein wenig nachhelfen müssen. Als ein Nachtpförtner uns beide aber trotzdem bemerkte, versetzte ich ihm eines auf den Schädel. In der Pforte lag die Belegungsliste des Hospitals, aber nur für eins, zwei, drei Etagen. Wir wussten aber nachdem, was wir tagsüber herausgefunden hatten, dass es noch eine vierte Etage geben musste, also so was wie eine Geheimetage, auf der aller Voraussicht nach Ann festgehalten wurde. Also schlichen wir beide durchs düstere Treppenhaus vier Stockwerke hoch. Als wir oben ankamen, war die Tür verschlossen, es zischten und saugten dahinten demotivierende Geräusche in mehr oder weniger kurzen Abständen. Schon wegen der Geräusche, die ziemlich laut waren, bekäme man eine Depri. Also lagen wir richtig, aber standen vor einer verschlossenen, eisenbeschlagenen Tür. Wie wir nun wissen, einer Art Geheimtrakt innerhalb des Hospitals. Meine Annahme war also korrekt.“

„Irre, unglaublich, ein Geheimtrakt in einem Hospital, und dahinter befanden sich etwa Patienten eingesperrt?“

„Genau, du glaubst es nicht, James, was auf einer solchen Station läuft – ein Martyrium. Plötzlich ging das Flurlicht an und Monique kriegte sich vor Angst kaum noch ein, dass Schritte treppauf kamen. Wir standen noch vor dieser verschlossenen Tür, und Gefahr im Verzug. Um nicht ertappt zu werden, verbargen wir uns vorsichtshalber in einer hinteren Etagenecke. Ein großer, schlanker Mann in zivil, also, nicht wie ein Arzt gekleidet, eher Typ Reisender mit Koffer, und eben dieser Aktentasche in seiner Hand, kam die Treppe hoch. Er brauchte sage und schreibe zwei Schlüssel, um die Tür aufzuschließen, einen oben, einen unten. Normalerweise zerbersten Türen mit einem Fußtritt von mir. Aber an so was Penetrant-Filigranem hätte ich mir bestimmt beide Fußsohlen wund getreten. Zum Glück sperrte der Gentleman mit den Schlüsseln für uns auf. Robust war der, trotz seiner Statur, aber nicht! Einer meiner leichteren Hiebe, und unser Türöffner wider Willen sah bloß noch Sternchen. So gestattete er uns, einzutreten und diese martialische Einrichtung zur Menschenabrichtung kurz kennenzulernen.“

„Das hätte auch schief gehen können.“

„Eher nicht, ich schleifte unseren feinen Pinkel durch die offene Tür in den Stationsflur hinein. Ein gewisser Dr. Howl lag uns zu Füßen, informierte seine Dienstmarke am Schlüsselbund. Wir machten Licht, wer sollte sich mir noch in den Weg stellen. Schnell fand Monique das ihm zugehörige Dienstzimmer, zu dem sein dritter Schlüssel am Bund zum Glück passte. Auf seinem Arbeitsstuhl wachte der wehrlose Doc auf, ziemlich benommen, dafür aber ansprechbar. Mir verraten, wo Ann steckte, wollte er nicht gleich. Überredet zu werden, mochte der Heuler zwar auch nicht, aber eine sanfte Ohrfeige genügte, um ihm aufzuzeigen, dass er nicht mehr konnte, wie er wollte. Ob er noch wusste, dass er, als er ‚Zimmer 11‘ lallte, dabei verzweifelt zuckend in die Zimmerrichtung zeigte - keine Ahnung. Ein weiterer Schlag knockte ihn dann für die nächsten Stunden aus.“

„Das wäre aber nicht nötig gewesen.“

„Höre ich da etwa Mitleid. Vor mir bibberte ein verfluchter Menschenschinder, der zur Station gehörte. Solche Leute verdienen kein Mitleid.“

„Weiter.“

„Während Monique auf den angeschlagenen Leichtfuß in Doktorwürden aufpasste, man weiß schließlich nie, ging ich, es drohte ja keine Gefahr, denn die Station war sonst leer, den Gang quer hinüber zu Zimmer No. 11. Du glaubst nicht, was ich im Stationsflur alles stehen sah? Der reinste Höllenweg! Wrestler sind von Natur aus der Ansicht, dass alles mit flinken Fäusten und reiner Muskelkraft zu Fall zu gebracht werden kann. Wir Wrestler verlassen uns aus Gewohnheit auf eine Matte, die abpolstert, wenn wir auf die Fresse kriegen. Aber bei den Folterinstrumenten, verteilt auf einzelne Stationstüren, ging es nicht um abfedern. Lauter elektrische Apparate, von denen ich nur so viel versteh‘, wenn ihnen Menschen ausgeliefert werden, plumpsen sie unweigerlich ins Aus. Elektroschockgeräte! Zeiger, Drehknöpfe, Hebel – was sucht so was in einem Hospital, kann mir das jemand sagen? Bewegliche Liegen, die in Arm- oder Beinhöhe stramme Ledergurte mit Schnallen montiert hatten. Stirnbänder mit Schloss. Schlafvorrichtungen, die von einem halb ovalen Gitterkäfig überzogen waren. Robuste Holzstühle mit Ledergürteln an Hals, Armen und Beinen. Und überall Schüsseln und leere Medikamentenpackungen. Grauenhaft - sage ich euch! Als ob das Böse jeden Moment aus einer Zellentür herausspränge. Von den Nachkriegsentlarvungen aus Nazi-Deutschland war man ja vieles gewohnt, aber das da? Zimmer 11 ließ sich ohne Widerstand öffnen, als ob jedermann rund um die Uhr dort hineinspazieren könnte. Da lag nun eine einzige Frau im Hochbett und in Schieflage. Der Anblick war schon grässlich! Erst als ich ihre Schulternarbe sah, konnte ich die Frau als Ann identifizieren. Ann schlief, zudem gefesselt an Händen und Füßen. Auf dem Nachttisch neben ihr lag ein Zungenschutz! Ihr Gesicht war fast ausgebleicht bleich, sie hätte auch tot sein können, stell dir das Mal vor!? Seit Wochen miserabel versorgt, du hast es ja gerade gesehen. Rings um ihr Bett, sofern man es so nennen möchte, standen einige der gleichen Apparate wie auf dem Stationsflur. Von einem Apparat mit ausschlagenden Zeigerarmaturen führten mehrere Schläuche mit Saugnäpfen an Anns Stirn. Sie wird in diesem Moment behandelt, misshandelt, gefoltert, grauste es mir, als ich sie so liegen sah. Auf einem Rollwagen neben dem Bett stand ein Tonbandgerät, ein verkabelter Kopfhörer lag auf dem Stuhl daneben. Meine Güte, wie kann man nur machen, so viel Schrecken in einem Raum? Aus dem Aufzeichnungsgerät bog sich ein Diagramm, das einen Verlauf mit vielen Zacken zeigte. ‚Bestialisch‘ sage ich euch.“

„Ausschläge“, flocht Monique ein. „Ann hat sehr wahrscheinlich Schocktherapien in Dauerbehandlung über sich ergehen lassen müssen. Ihr Aufenthalt in diesem Raum muss die pure Qual für sie gewesen sein, so, als wenn Melon tausendmal aufs Gehirn einschlüge. Ich hoffe nur, dass wir Ann zeitig genug von diesen Höllenqualen befreien konnten, und dass sie überleben wird!“

„Überleben?“

„Ui, tausend Mal, so was soll ich schaffen? Ich hatte Ann erst mal die Ledergurte an Armen und Beinen lösen müssen, dann sie mir, so, wie sie war, über die Schulter gelegt und diesen Hort ihres Martyriums verlassen. Hinterher sind wir durchs Treppenhaus wieder hinunter und zum selben Nebengang raus. Unser nächtliches Manöver hatte keine ganze Stunde gedauert. Am liebsten hätte ich diesem geschniegelten Dr. Howl die Fresse poliert und ihn anschließend in eines seiner martialischen Käfigbetten deponiert! Leider drang Monique auf Eile. Sicherlich klug von ihr, denn der Morgen graute schon, als wir draußen ankamen. Dieser approbierte Menschenschinder, der in den nächsten Wochen bestimmt kein Wolfsgeheul mehr anstimmen wird, ist kaum mehr als eine Feder oder Rädchen in einer Zentrifuge, die Frauen reihenweise zu verschlingen anfordert. Die das ausgeheckt haben, sitzen unter Garantie bei unseren Wrestlingkämpfen anfeuernd und sich an Gewaltdemonstrationen labend in den vorderen Ringreihen, absurd ist so was.“

Ein Schuss aus nächster Nähe beendete Melon Jims Erzählung auf der Stelle. Verwunderung, entgeisterte Blicke im Raum. Kimberleys Zeigefinger, zum Mund geführt, forderten zur Lautlosigkeit auf. In den Vorraum war unverkennbar jemand Fremdes eingedrungen, aber wer? Ein Hundewinseln im Todeskampf, dann, ein zweiter Schuss, und das Winseln stoppte jäh. Erschrecken. Kimberley schlich vorsichtig zum Eingang, machte tippende Zeichen, obwohl es den anderen schon längst klar sein musste, das Bedrohliches eingetreten war. Zu Mut entschlossen schnappte sich der Hausherr einen zugeschnitzten Ast von der Fensterbank und setzte ihn am Türpfosten angekommen, gespannt zum Schlag an. James rief ihm kleinlaut hinterher: „Was willst du denn mit dem Ast, das war ‘n Revolver gerade. Hau von der Tür ab, wenn dir dein Leben lieb ist.“

Prompt sprang die Tür auf, und es humpelte einer in den Raum, welcher James vor gut zwanzig Stunden einen recht unangenehmen Besuch abgestattet hatte, Dr. Sidney Gottlieb persönlich: „Das mit der Vorliebe für Frauen kann ich Ihnen erklären. Unsere Feinde kommen quantitativ häufig von den asiatischen Pazifikküsten und vorgelagerten Inseln. Kraniometrisch haben Schlitzaugen kleinere Hirne, ähnlich denen vom weiblichen Geschlecht zwischen Pasadena und Philadelphia. Kleinere Hominidenhirne ziehen uns deshalb magisch an. War das genug erklärt?“

„Was ist mit Russen?“

„Muss ich mich wiederholen?“

James wusste natürlich sofort, wer sprach, und was ihnen allen drohte. Also schwieg er, zuckte stattdessen mit der Schulter, als Melon Jim ihn fragend anstarrte.

„Übrigens, Gegenwehr würde ich Ihnen an so einem schönen Sommertag, wie diesem, nicht gerade empfehlen. Meine Jungs, die mich mitgebracht haben, sind garantiert die Stärkeren, wetten?“

Gottlieb sah verwundert den Ast, fragte anerkennend: „Selbst geschlagen und geschnitzt?“ Dann klopfte er, ohne Kimberleys Antwort abzuwarten, zweimal an den Türpfosten.

„Dass ihr Hinterwäldler auch immer solche Bestien in euren Vorgärten haben müsst – fürchterlich! Knurren schon, wenn man nur unterlässt, den Hut vor ihnen zu ziehen. Wie viel Patronen waren es nun wieder, Leute?“

„Zwei, Dr. Gottlieb“, rief eine tiefe Männerstimme aus dem Vorraum.

„Beim Heiland, zwei Kugeln, wie erklär‘ ich das bloß meinem Boss. Haben Sie nicht geahnt, dass wir Ihnen folgten? War zwar ein bisschen vertrackt, zugegeben, die flotte Fahrerin nicht aus den Augen zu verlieren, nun haben wir sie ja gefunden, störe ich etwa?“

„Wüsste nicht, wo Sie nicht stören, Gottlieb. Haben Sie so was überhaupt nötig?“

„Was denn? Ach, die kleine Autofahrt, und Maine am Abend ist so zauberhaft. Zugegeben, es kommt einem gar nicht so leicht in den Gehirntrakt, wie Sie sich meinen Männern so ungalant gestern früh entziehen konnten, Dr. Lindy. Aber leider, diesmal hat’s mit der Schläue nicht geklappt, wie Sie an mir nun erkannt haben.“

„Wie haben Sie denn geschafft, uns hierher zu verfolgen?“

„Nicht doch, was tut denn das noch zur Sache. Hier trete ich ein, und ich finde fast alle Schädlinge beieinander, bis auf eine. Darf ich mal nachsehen, dahinten, stimmt’s? Es gibt nur eine Tür in diesem Raum, außer der, durch dich gerade eintrete.“

„Unterstehen Sie sich, Gottlieb!“

‚Unterstehen? Neologismus, gibt‘s in meinem Wortschatz nicht, glaub auch nicht, dass ich so ein Wort aufnehmen sollte. Also, Sie werden mir den Weg doch nicht verweigern, nicht? Noch eine Anmerkung, Lindy: Wenn ich Sie gewesen wäre, hätte ich nachts, wenn auch schmollend, meine Wohnung aufgeräumt und morgens ganz brav zum Hörer gegriffen. Sie haben doch genug an der Latte, nicht wahr?“

„Was meint er, James“, horchte Melon Jim auf, James aggressiv anblickend.

Prompt reagierte Gottlieb auf Melon Jim mit einem Satz und hielt seinen Zeigefinger horizontal vor den Mund:

„Psst, wir wollen doch nicht alles verraten. Untere Chargen sollen doch auch noch ihre Freude haben, nicht wahr“, dann fragte der Eindringling geifernd:

„Wenn ich schon mal hier bin, wo ist sie?“

„Wer?“

„Nicht wer, nur was! Fragen Sie doch Mr. Lindy, der weiß es bestimmt.“

„Gottlieb meint die Aktentasche, die ihr habt mitgehen lassen“, flocht Kimberley zaghaft ein.

„Wie, nicht wegen einer verfluchten Aktentasche, wegen Ann natürlich“, entsetzte sich der Wrestler.

„Ann? Sie geben in dem Zustand, in dem sie schwebt, unserer Experimentissima ihren Vornamen zurück? Ich kenne sie nur als ‚xyz‘, oder so was Ähnliches!? Wie die geraubte Sabinerin im Real life einmal hieß, müsste sie infolge achtwöchiger Spezialbehandlungen schon längst vergessen haben. ‚Nichtwissen schafft eben Platz für neues Wissen‘, das ist unsere Devise. Wissen, dass wir steuern werden, wie ich und andere es vorhersagen. Da wir längst noch nicht soweit gedrungen sind, wie unsereins plante, muss eben auf unseren Stationen weiter gelitten werden, so ist das nun mal. Erst die Plage, dann der Erfolg, nicht, Lindy? Oder umgekehrt, wo Sie sich gerade ins eigene Bein schießen.“

„Was meint der Kerl?“

„Kerl, bitte? Soll er es Ihnen selbst sagen, aber erst wenn wir fertig sind. Na gut, Ann, ich weiß natürlich nicht, welche ihrer Gehirnteile an ihr bereits immunisiert wurden, aber unsere Psychiater und Neurologen werden wohl noch was mit ihr anfangen können, wenn sie schnellstmöglich auf die Station zurückkehrt, denke ich jedenfalls. Sind ja nur drei Tage Absenz von Schlauch und Tabletten, oder hab‘ ich mich da etwa verrechnet? Ach, egal, die Kandidatin wurde ja mitten in einem biochemischen Prozess abgekabelt, unverzeihlich so was, und ärgerlich dazu.“

„Gesunde, intelligente Frauen zu erniedrigen, da steckt nicht etwa der Staat dahinter?“

„Der Staat, nein, der finanziert nur! Weiß um seine Vorteile, wenn wir Feindeshirn transparenter, einsichtiger machen, ihnen jegliche Widerspenstigkeit nehmen. Einmal ertappt, schon manipuliert, das ist auch so eine Devise für die Zukunft! Unsere ausgewählten Doktoren arbeiten Tag und Nacht an der systematischen Hirnmanipulation. Menschliche Subjekte unkonventionell flach zu legen und doch vor Wahrheiten, Echtheiten und Realitäten nur so sprudeln zu lassen, das ist unsere Herausforderung, jetzt und in Zukunft! Künftig soll nur flachgelegt werden, was uns Nutzen bringt. Von unserer alten Doktrin: ‚Nur ein toter Feind, ist ein guter Feind‘ verabschieden wir uns … langsam, na ja, manchmal ist ein Revolver noch nützlich, auf lange Sicht wohl zu antiquiert. Wir lassen Feinde der USA und solche, die es werden wollen, wohlgemerkt, leben, das ist der Vorteil. Nachteil für sie ist, an ihnen werden Spezialbehandlungen, nach Maßgabe unserer Forschungen durchgeführt werden. Sie verstehen, auf dem Leichentuch nutzt uns kein Amerikafeind irgendwas, es sei denn, die Zunge wurde zuvor mit Erkenntnisgewinn gelockert. Ob männlich oder weiblich, ob Spion, Agent, Intrigant, Verbrecher, aus Staatsfeinden werden künftig, dank MK-Ultra und weiteren MK’s (Abkürzung für Mind Control), kleine und große Geheimnisse nur so heraussprudeln. Attentate, Komplotte, und was wir Menschen uns noch so Fieses ausdenken, ergründen wir präventiv je nachdem per Potenziometerdrehung, mit applizierter Spritze, zuvor präparierter Tablette oder Zungen lösender Infusion, ganz nach Verträglichkeit. Wir wollen alles von Interesse natürlich in Erfahrung bringen, kurzum wissen. Wir werden und wir können alles wissen, dank der wunderbaren Möglichkeiten der Hirnforschung, die wir für die Geheimdienstarbeit bis zu der hintersten Synapse ausreißen werden. ‚Die Welt ist alles, was der Fall ist‘, oder so ähnlich!? Und wenn ich alles sage, meine ich alles, ganz im aristotelischen Sinn, meine Herren, ach ja, Dame! Jede noch so tief im Antagonistengehirn verborgene Heimlichkeit wird die unserige werden. Keine Gegenwehr, kein Versteck, kein simples Wegducken, kein Entwischen in der Menge mehr! Alles, was unsere Machtausübung, unsere Reputation, unser stolzes US-amerikanisches Ansehen weltweit gefährden könnte, gelangt zu unserer alleinigen Kenntnis! Ist mein Vorhaben nicht genial, nobelpreiswürdig? Sie brauchen nicht zuzustimmen. Mit Ihnen haben meine Jungs ja was anderes vor, als Sie in die Mühle zu stecken – konventionell! Ja, ja, so ganz können wir darauf nicht verzichten. Nun will ich aber wissen, wo sie ist, her mit ihr, jetzt, sofort!“

„Leugnen ist zwecklos, Gottlieb, Ihre Gehirnwäsche findet auf inhuman ausgestatteten Geheimstationen statt und ist gegen die Menschenwürde.“

„Meine Gehirnwäsche, das mit Ihrer ‚Menschenwürde‘ überhör ich mal. Ja, ja, zugegeben, das ist das Erste, was ich mir im stillen Kämmerlein ausmalte. Übrigens, was kann ich denn dafür, wenn ganze Hospitalleitungen angekrochen kommen. Betteln, wir sollten ihnen unter die Arme greifen, finanziell, versteht sich, damit sie uns ihre Stationen öffnen und zu Geheimstationen umbauen lassen. Mann, ist so was teuer! Aber so ist das nun mal in der Marktwirtschaft, Leistung und Gegenleistung, nicht wahr? Die aufgeschlossenere Seite des Kongresses finanziert, und Hospitalleitungen hängen dafür vor jede Tür das Schild, das wir wollen. ‚Geheimstation‘ ist nur zu berechtigt, soll ja nicht jeder sein Objektiv reinhalten können, oder? Ach, Gehirnwäsche, nur eine Metapher! Gehirnwäsche klingt nach gewaschenem Gehirn, Waschmaschine, oder so was! Von wegen, dem ist nicht so, wie sich die hier Versammelten vielleicht denken können? Wir nutzen ja kein Waschmittel, keinen Weichspüler, beides wäre für unsere Zwecke auch unsinnig. Erforscht wird die psychophysische Wirkung unterschiedlichster Rhythmusfolgen und verschiedensten Klänge auf das menschliche Gehirn. Aber, was erzähle ich, den Reim können sie sich gewiss selbst machen.“

„Sie Schuft, Sie lassen ohne Skrupel an harmlosen Menschen forschen!“

„Nicht doch, Lindy, selten am ganzen Menschen, wir kaprizieren uns auf das Gehirn, und ausschließlich das Gehirn. So prächtig wie rätselhaft, geradezu mystisch in Struktur und Organisation. Die Technik lässt uns die Verfahren und Instrumente wählen. Ich frage Sie, sollen wir nicht nutzen, was uns Wissenschaft und Technik zurzeit zur Verfügung stellt? Nun gut, die zu meinem Leidwesen gedrosselte Geschwindigkeit!? Sie lähmt unser Streben. Drehungen erreichen nie den vorstellbaren Takt, automatische Injektionen erfolgen nur verzögert, und sind darum nicht wirklich automatisch, und, und, und. So retten wir uns mit Metaphern über den Tag und können nur hoffen, dass am Ende was Gelungenes dabei herauskommt. Nicht, Lindy, das kennen Sie doch auch, oder? Rohrkrepierer mag schließlich keiner produzieren.“

„Das habe ich Samstagnacht gesehen, was für Scheußlichkeiten Sie auf dieser Station betreiben. Brutalste Apparatemedizin! Sie versklaven Patientinnen, wie Ann, ohne jede Moral“, mischte Melon Jims tiefe Stimme sich energisch ein.

„Ach, sind Sie jetzt Lindy, Figurenkarussell, was? Ja, die Moral, über sie haben sich schon so viel Denker Gedanken, was denn sonst, gemacht, und immer haben sie sich strittig wieder entzweit. Nun frage ich Sie alle: Sollen wir deswegen unsere Forschungen einstellen? Das Enképhalos (alt-gr. Gehirn) stellt eine heute Herausforderungen auf vielen Gebieten dar. Ein moralischer Zeigefinger kann da nur als Antagonismus gelten.“

„Was?“

„Nicht in die Zeit passend.“

„Dieser Derwisch passt nicht in die Zeit. Sehen Sie sich doch nur Ihr Werk an, Sie verfluchter Menschenschinder!“

Melon Jim setzte, eine Faust ballend, einen Schritt vor.

„Keinen Schritt weiter, Goliath! Das mit der demolierten Neurologenfresse werden wohl Sie gewesen sein, wie? Übrigens, vor ein paar Jahren saß ich bei einem Ihrer Kämpfe gegen … gegen, wer was das noch? Ach, meine Synapsen veralten schon!? In zweiter Reihe aber erinnere ich mich ehrlich gerne, damals auf Sie gewettet zu haben. Kam nach Fightende auch ordentlich was bei raus. Damals konnte noch auf Sie gewettet werden. ‚Melon Jim, der jeden Boxsack aus der Halterung schlägt‘, so der fetzende Slogan, nicht? Ob ich heute noch auf Melon Jim wetten würde, müsste ich mir schwer überlegen, ehrlich. Optimismus sähe jedenfalls bei mir anders aus.“

Melon Jim machte eine Faust und noch einen Schritt vorwärts, aggressiv schmollender Gesichtsausdruck.

„Oh, kommen Sie mir bloß nicht zu nahe, es sei denn, Sie möchten sich eins meiner Aufputschtablettchen abgreifen. Eine Delikatesse, sag ich Ihnen, wenn man’s mit der Zunge beherrscht. Oh, nun habe ich mich verraten. Nun ja, wird ja nichts nach außen dringen. Wieder Beruhigung in der Seele, das ist gut, sehr gut, sogar! Übrigens, die, die hier irgendwo liegt, hatte auch schon mal davon probiert. Ich betone: aus freien Stücken!“

Gottlieb zog aus der linken Jackentasche ein ovales Silberdöschen hervor, öffnete es, nahm ein Tablettchen heraus und führte es zum Mund, demonstrativ James angrinsend.

„Was soll das, wie haben Sie uns überhaupt gefunden?“

James bewegte sich aus der Reihe einen Fuß weit nach vorne. Zwei von Gottliebs Leuten traten ihm prompt feindselig ihm entgegen. Ein Revolver wurde im Holster berührt.

„Sie werden Ann niemals kriegen! Eher gehe ich mit Ihnen, unterziehe mich Ihren dubiosen Psychomethoden, oder sonst allem.“

„Dubiose Psychomethoden, tss? Lindy, guter Dr. Lindy, ich sage Ihnen, für uns forschen hoch qualifizierte Wissenschaftler, Psychiater, Psychologen, Virologen, Biochemiker und Chemiker. Hab‘ ich einen vergessen, na ja, mit dem Ziel, Staatsschutz und Staatssicherheit zu optimieren. Noch stehen wir am Anfang unseren Forschungen und unsere Erfolge sind erquicklich, aber noch gering, ehrlich, leider. Und dass 1953, eine Katastrophe, sag ich Ihnen. Direktor dieser vielseitigen Allianz zu sein, ist mitunter ein schweres Brot, glauben Sie mir. Nun aber zu Ihnen, Tiefgefallener!“

„Was meint er denn damit wieder, James? Immer diese Anspielungen, was ist denn da wieder los?“

„Ich wiederhole mich nur ungern. Übrigens, chice Auswahl dieses Blockhaus in der Pampa mit Atlantikflair. Wenn ich’s mir richtig überlege, könnte ich ‘ne Ausnahme machen. Gesellig sind wir ja schon.“

„Ich warne Sie Gottlieb, entgegnete James laut und mit hochrotem Kopf.

„Das ist aber gar nicht nett von Ihnen, mich zu warnen. Das quid pro quo überlassen Sie lieber mir, Lindy. Ihre Grenzen sind, wie ich es einschätze, echt beschränkt, geradezu beschädigt. Glaube nicht, dass Sie so unüberlegt auftreten sollten. Außerdem mag ich nicht, wenn man mir ins Wort fällt. Also, wenn wir, ich meine auch meinen Heimatklub, die CIA, es zulassen, dass der Kommunismus sich auf der Welt ausbreitet, sind wir die Gelackmeierten. Schneller, als wir’s kapieren können, soweit, so klar? Aber wer will das schon. Nach dem großen Krieg ist die radikale Immunisierung von allem Unamerikanischen auf Newtons Globus schrecklich kompliziert geworden. Sie glauben nicht – glauben ist ein schlechtes Wort – wer alles auf dieser Welt seine Drecksfinger nach uns unbescholtenen US-Bürgern und –Bürgerinnen ausstreckt. Mit ekligen, glitschigen Tentakeln, in Putschs, Aufständen, gar Revolutionen vernarrt. Keine Chance für Sie, Lindy und die NRA. Weil Risiken, Gefahren, kurzum das globale Böse, sich in unseren schwankenden Zeiten neu dimensioniert, müssen wir nicht nur forschen, sondern Erkenntnisse darüber produzieren, wie das hominide Hirn im manifestierten Sinn funktioniert. Die Macht, zu manifestieren, war, ist und wird unsere sein! Nur so können Schlüsse gezogen werden, wie Böses in seiner labyrinthischen Vielseitigkeit aufgehalten, gar, immunisiert, ausgemerzt werden kann! Sie werden zurecht einwenden, dass erst definiert werden muss, was das Böse sei. Außer dass es mit dem Kommunismus verflochten ist, wissen wir Amerikaner, ehrlich gestanden, wenig über das Böse. Nun findet sich ausgerechnet in diesem kuscheligen Zimmer, weit weg vom Schuss ein Indiz des Bösen, das Kollegen von mir, aber anders, in Atem hält als mich. Ach, wir sind auch zu ausgebufft!? Sofern das Böse maskiert existiert, gibt die Analyse menschliche Gehirnzellen die Möglichkeit, das Böse schon in seiner Entstehung am Menschen zu immunisieren. Um nichts Geringeres geht es, als um die Radikalimmunisierung des Bösen. Da beim multiplen Bösen der Widerspruch gleich mitzudenken ist, wird nur die durchdringende Erkenntnis des Bösen zu den Methoden seiner Desinfizierung führen können. So weit, so klar?“

„Nein“, antwortete es im Chor.

„Auch gut, eine heroische Aufgabe, sage ich Ihnen, denn das Böse ist wandelbar, ändert Pose, Gestus, Mimik. Genauso verhalten sich Synapsen im Hirn, wandelbar, unberechenbar.

„Lässt sich nicht das Thema wechseln. Sie vergeuden nur Ihre und unsere Zeit, wenn Sie so schwafeln.“

„Ich bitte Sie, was ist schon nach bloß zwei Jahren Auseinandersetzung mit dem Gehirn zu erwarten? Trotzdem brennt die Zeit mir unter den Nägeln. Kommen keine verwertbaren Resultate aus unseren Stationen, werden wieder derbe Reißwölfe, Spione, Spitzel und weitere Delinquenten in tödlicher Mission in schalldichten Räumen durch die Mangel gedreht, bis Speichel und andere Flüssigkeiten nur so fließen oder der letzte Backenzahn herauskullert. Nachdem, wie wir die Geheimdienstarbeit revolutionieren, werden zeitraubende Verhöre, nebst Einsatz von Körperkraft, nur noch Schlangenfraß für Historiker sein. Absolut die besten und ausgereiftesten Resultate auf dem Gebiet Humanpenetration zur Abschirmung gegen das uns vielschichtig drohende Böse liefern nun Mal Neurowissenschaften, Psychiatrie, Psychologie und Lobotomie. Methoden des hypnotischen Zähmens, des Erzwingens absoluten Gehorsams, des zerebralen Abtötens mit Staatsmitteln zu erforschen, vereinigen von meiner Wenigkeit geleitete MK-Ultra-Projekte.“

„Was geschieht denn, wenn Ihr ausgemachtes Böses selbst in Ihren Genen fließt? Müssten Sie dann nicht auch immunisiert werden“, quetschte sich Monique nachfragend fragend dazwischen.“

„Oh, eine Frau meldet sich zu Wort. Zwar nicht die, die weswegen ich gekommen bin, leider. Nun, ich bin, wie fast jeder Mensch, ob Männlein oder Weiblein, weiß, dunkelhäutig, rot oder braun, eine gespaltene, äh, facettierte Persönlichkeit. Exzellente Voraussetzung also, dass das Böse nicht so richtig zum Schuss kommt. Ein Rohrkrepierer bleibt, würde ich sagen.“

„Und diese Geheimstation, das haben Sie doch zu verantworten, Sie Schwein!“

„Oh, ich besitze selbst einen Bauernhof, schon wegen meines hohen Ziegenmilchkonsums, wüsste aber nicht, dass ich mich mit meinen Tieren identifiziere. ‚Geheim‘ natürlich nur gegen die Neugierigen hierzulande, für mich ist natürlich nichts geheim. Ich darf also hinhumpeln, wohin ich will und bin nicht nur verpflichtet, sondern vereidigt, mein Näschen überall reinzustecken, was sich unter meiner Autorität zur Entfaltung anschickt.“

In diesem Moment öffnet sich zaghaft die hintere Tür. Im Türrahmen zeigte sich Anns kahler Kopf, kalkweiß, nackte Füße, weißes Nachthemd, gebückt unbeholfene Gehbemühungen vorwärts über Steinboden ins Zimmer hinein. Gedankenverloren, fremd wirkend zeigte Ann mit zittriger Hand in den Wohnraum hinein und nuschelte schwach verständlich: „Wo … bin ich und wer steht da?“

Alle im Raum guckten sie teils erschrocken, teils besorgt an.

„Ich bin zu schwach, wo bin ich, was ist geschehen?“

Jeder im Raum sah überrascht zu, wie Ann im Nachthemd sich mühselig auf den Beinen hielt. Nach einer unbeholfenen Halbdrehung zeigte sie mit langem Arm auf Gottlieb und näherte sich ihm schwankend.

James griff Anns Arm, sagte fürsorglich: „Ich bin es, James, dein Bruder! Kennst du mich nicht mehr?“ Mehr zu sagen gelang ihm nicht mehr.

„Was machen Sie denn da, gehen Sie wieder auf Ihren Platz“, brüllte einer von Gottliebs Männern James an und stellte sich ihm, ihn bedrohlich abschätzend, entgegen.

Im selben Moment wandte sich die Frau im Nachthemd von Gottlieb ab, und James zu. Hell, unwirklich klingend sagte sie:

„James, kenne ich den?“ Sie stutzte, drohte zu fallen, so wacklig war ihre Gestalt auf den Beinen. Dann, wieder Gottlieb zugewandt: „Und du? Keine Ahnung, du fremd!“

„Das ist ja besorgniserregend“, entfuhr es erschrocken James: „Ann, sieh her, uns verbindet doch etwas?“

Melon Jim sprang zu James und Ann, Gottlieb ließ es, eine Hand dämpfend niederdrückend, geschehen. Ann wich, kaum, dass der Riesenkerl sich ihr näherte, ängstlich zurück, schrie: „Was will der Fettwanst von mir? Ich nicht kennen, haltet ihn fest, er will mir böses Leid antun, mir!“ Schreie von Angst und Verzweiflung durchzitterten den Raum. Ann sank unabsehbar in die Knie, schien wieder in Ohnmacht zu fallen.

Gottlieb näherte sich, Zeichen rückwärts gebend, stotterte er: „Bemerkenswert, schlichtweg, bemerkenswert, ein solches Resultat meiner Forschung einmal in echt miterleben zu können! Amnesie und Demenz gleichzeitig! Ich bin schlichtweg hingerissen! Nur um das zu sehen, hat es sich für mich gelohnt, bis nach Maine rauf zu fahren. Seh ja sonst nur Ergebnisse a posteriori, textbasiert, zahlenorientiert in Verlaufstabellen, illustrierende Grafiken, natürlich mit den üblichen Schwarz-Weiß-Aufnahmen garniert. Fabelhaft, wie ihre Behandlung, seitdem ich sie kennenlernte, angeschlagen ist! Wissen Sie was, wir nehmen sie gleich mit, verschonen sie von dem, was Ihnen bald schon droht. Dr. Howl, dem Sie so zusetzten, werden wir wohl auf der Station eine Zeit lang verschmerzt werden müssen. Sollen andere ihr Werk an ihr vollrichten. Gelungen, würde ich sagen, äußerst gelungen!“

Unerwartet schnellte Ann raketengleich vor, baute sich frech vor Gottlieb auf. Ann fuchtelte vor Gottliebs Augen wie wild mit beiden Armen und schrie ihn an: „Du, böse! Du schrecklicher Mensch! Geh weg! Verschwinde und nimm‘ den da und den da mit!“

Der andere, ein Sergeant, nach seiner Uniform zu urteilen, versuchte, Ann am Arm zu greifen. Der zur Rechten Gottliebs führte seine Rechte wiederum zum Revolver und beobachte scharf die entstandene Lage.

Gottlieb, der seinen Auftritt im Blockhaus wohl eher als Bühnenvorstellung auffasste, reagierte zurücktretend düpiert: „Ich weiß gar nicht, was die Demente gegen mich hat. Verehren müsste sie uns, dass wir alles, was maliziös ist oder scheint, erst mal aus dem Gehirn getilgt haben, um es neu, nach unseren Maßstäben wieder anzureichern. Wenn sie so weitermachen, wird sie ein neuer Mensch weiblichen Geschlechts sein, welcher ausschließlich extrinsischen Anweisungen gehorcht. Ohne störende, irritierende Erinnerungen des Langzeitgedächtnisses, das wird nämlich als Erstes immunisiert, wird sie in einigen Monaten schon zur steuerbaren, universell einsetzbaren Kriegerin werden. Nicht, wie uns gefällt, sondern selbstständig, teilautonom in strategisch analysiertem Feindgebiet.“

„Nichts wird Ann, Sie verfluchter Teufel in Person! Hauen Sie mit Ihren Leuten endlich ab, auf der Stelle!“

„Huch, ein Pleonasmus oder weißer Schimmel, der Teufel ist ja schon an sich verflucht. Aber selbst der Einfältigste erkennt, dass das nicht so einfach geht. Stimmen Sie mir zu? Sie haben, das gebe ich Ihnen zu, darin Recht, das ich schon zu lange in diesem aparten Blockhaus weile. Normalerweise fackeln meine Jungs nicht so lange, nur diesmal beherrschen sie sich, brav. Ist es nicht manchmal toll, seine Erinnerung durch ein paar Eingriffe ins Hirn zu verlieren, und die Synapsen mit anderen, wohl geformteren Inhalten neu programmieren zu lassen, ein neues Kunstwort am Firmament des Wissens hineinoperieren zu lassen? Selbst wenn ich der liebe Gott wäre, sie mag mich anscheinend nicht, und ich sie auch nicht mehr, also, weg mit ihr! Gevatter Teufel wird schon Verwendung für sie haben.“

Im gleichen Moment zog Ann des linken Manns Revolver aus dem Halfter und hielt ihn zittrig vor Gottliebs Nase. Gottlieb machte einen Schritt rückwärts, lächelte erstaunt: „Hä, ist ja sicher nicht entsichert!“ Schnell entschlossen nahm James Ann den Revolver aus der zittrig vorgestreckten Hand, um ihn, nun entsichert, gegen Gottlieb zu richten. Situation und Machtverhältnisse hatten sich von der einen auf die andere Sekunde zuungunsten Gottliebs geändert.

„Das wird Ihnen noch leidtun, Lindy. Es ist übrigens das zweite Mal, dass Ihnen etwas leidtun wird. Draußen warten noch einige meiner Jungs, Agenten – ausgebufft und knallhart, vorm Haus. Sie kommen hier nicht weg, keine Chance! Nicht wahr, Jungs?“ Aus dem Vorraum tönte einstimmig: „Jawohl, Sir!“

„So möchte ich es hören. Nur hat die Sache einen Haken, denn Sie richten den Revolver genau auf meine Nase, gefährlich. Noch eine Blessur im Gesicht würde ich am wenigsten verkraften. Wie würde das auch aussehen, zwei Löcher, eines in und eines auf der Nase? Gar nicht daran zu denken, was so eine Revolverkugel da oben alles in Unordnung bringen könnte. Ich schlage vor, Sie senken sofort dieses schreckliche Mordinstrument und verraten mir, wo diese vermisste Aktentasche ist, was mein eigentliches Pläsier ist, hierher zu kommen. Wir gehen betreten, schweigen, und Sie alle bleiben ungeschoren, von mir jedenfalls. Für meine Leute kann ich nichts garantieren, unberechenbar, das sag ich Ihnen gleich.“

„Halt doch dein verdammtes Maul!“

„Oh, wüsste nicht, dass wir beide auf Schampus angestoßen hätten!? Sieht auch echt schlecht aus, mit ‘nem Revolver bedroht zu werden, und dann noch einer von der Firma hoch selbst. Trotzdem, eine Chance gebe ich Ihnen noch, Lindy. Wenn Sie mir was sagen möchten, noch bin ich Ohr. Meine Jungs treten sonst in unwillkürlich in Aktion, ohne dass ich noch mal meine Schnauze aufreißen müsste. Jetzt, aber bitte. Die Aktentasche!“

Melon Jims Schlaghand traf Gottlieb an der Kehle, dass Gottlieb unweigerlich lautlos zu Boden sank. Des Wrestlers wuchtige Linke, Torpedo schnell geschlagen, ließ Gottliebs Schutzmänner nacheinander ebenfalls zu Boden trudeln.

Melon Jims verwaschener Tennesseeslang schrie kehlig laut Richtung Vorraum: „Verschwindet! Euer Chef und zwei seiner Dumpfbacken liegen uns zu Füßen. Wenn ihr nicht sofort abhaut, brechen Knochen. Erst einer, dann noch einer und noch einer, solange, bis ihr euch nicht entfernt habt.“

„Und was wird aus Dr. Gottlieb und den anderen beiden“, rief es von außerhalb.

„Morgen könnt ihr sie irgendwo in Kiefernhainen ringsum auflesen.“

Kimberley stand in einer Ecke und blickte verstört auf das, was gerade in seinem Blockhaus passierte. Aus irgendeinem Anflug von Aktionismus zupfte Kimberley aus einer Schrankschublade eine Wolldecke, legte sie Ann wärmend um die Schulter. Nach verständigendem Kopfnicken führte Monique Ann zurück ins Schlafzimmer und kam schulterzuckend sofort wieder zurück.

Allmählich kamen Dr. Gottlieb und die beiden anderen wieder zu Bewusstsein. Kaum, dass Gottlieb sich umgesehen und über die eskalierte Situation orientiert hatte, schüttelte er auch schon den Kopf: „So ein Schlamassel, in den Sie sich da hineingeritten haben, Mister Lindy. Ich weiß nicht, wie Sie das wieder geradebiegen wollen, ehrlich.“ Worauf ihn Melon Jim kaum mehr, als an der Backe streichelte, was genügte, um Gottlieb erneut stillzustellen.

Gottliebs Blick, gefesselt am Boden sitzend, checkte Minuten später die eingetretenen, rundum trüben Aussichten. Notgedrungen ruckelte er sich zum Vorraum und stotterte laut: „Wohl nichts zu machen, Jungs. Sucht das Weite, aber bleibt in Reichweite! Die sich hier aufspielen, werden uns dreien schon nichts tun. So brutal sehen sie nicht aus, bis auf einen. Macht euch, so schnell ihr könnt, aus dem Staub, das ist ein Befehl!“

Aus dem Vorraum klangen Worte von Wut und Unschlüssigkeit, zwischen Bezweifeln der Anweisung und Kommandozwistigkeiten. Als einer der beiden Gefesselten ‚habt ihr nicht gehört, was Gottlieb sagt‘, dann ‚haut endlich ab‘ hinterherzischte, leerte sich hörbar der Vorraum. Minuten später schnellte James zur Eingangstür, um nachzusehen, ob die Luft rein war, und sie war rein.

Als kurze Zeit später der Lärm von Automotoren aufheulte und sich entfernend leiser wurde, trat so was wie Zuversicht im Blockhaus ein, dass die Luft rein, die Gefahr gebannt sei. ‚Keine Sorge, die kommen schon bald wieder‘, nuschelte Gottlieb vom Boden aus: „Ihr habt ja keine Ahnung, wie wild gewordenen Firmenjungs reagieren! Ihr habt den Bogen soeben eindeutig überspannt, und das wird ungünstige Folgen für euch haben. Kapituliert lieber gleich.“

„Schnauze“, herrschte Melon Jim unverzüglich Gottlieb an.

„Tss, immer dieser Wiederholungen von Worten, die ich nicht schätze. Abnehmen, die Fessel stört, erst recht, wenn sie so unprofessionell angebracht wurde. Soll ich mal?“

James, Melon Jim, Kimberley drängten in einer Zimmerecke zusammen.

‚Wir, Ann eingeschlossen, müssen auf der Stelle weg von hier“, flüsterte James den beiden anderen zu. Habt ihr eine Idee, wohin wir uns in Sicherheit bringen können? Hier können wir nicht länger bleiben, viel zu gefährlich für uns.“

Die einzige Stimme, die etwas erwiderte, stotterte vom Boden herauf und sie gehörte Gottlieb: „Ja, weg! Haut nur ab, von mir aus, soweit ihr könnt! Habe ich es nicht bereits gesagt, gut, dann aber jetzt: Wir werden euch kriegen, allesamt, wie ihr dasteht und um eure Zukunft hechelt! Nun gut, das Frauchen kann ja nicht. Noch ist es nicht zu spät, um aufzugeben und Uncle Sam verstehen zu geben: ‚Alles gar nicht so schlimm‘! Captain Snipes wird für euch vorm Kadi ein gutes Wort einlegen, nicht wahr, Captain?“ Die Rechte Gottliebs erwiderte knirschend ein ziemlich lächerlich klingendes ‚jawohl, Sir‘. Der Wrestler überlegte laut: „Vor allem müssen wir an einen Ort, wo wir uns offen unterhalten können, ohne dass unser oberster Plapperheini etwas mitbekommt.“

„Unerhört! Plapper … dingsbums, wie nennen Sie mich? Das kann nur schwere Folgen für Sie haben. Staatsbeamte, die in Pflicht und Würde ihren Aufgaben nachkommen, derart ...“ ‚Zu beschimpfen‘, schaffte Gottlieb nicht mehr, auszustottern. Melon Jim tat etwas für Wrestler Barmherziges. Er packte Gottliebs Kopf, und zwängte ihm, trotz heftigster Gegenwehr, eine flugs herausgerissene Buchseite in den Mund. Von unten her drangen nun Nuschellaute durch eine geknüllte Buchseite.

Kimberley schenkte den Lauten keine weitere Aufmerksamkeit, nickte nur und fragte, zum Boden zeigend: „Was passiert mit ihnen, wir können die drei nicht im Blockhaus behalten! Vergesst nicht, hinten liegt Ann.“

Melon Jim, Kimberley und James verständigten sich wieder per Handzeichen, im Garten alles Weitere zu planen, während Monique zurückblieb und weiter Wache schob.

Als Kimberley über seinen toten Hund im Vorraum stolperte, drückte sich in seinem Aufschrei mehr Wut als Leid aus.

Das erste Hindernis, das es nicht leicht machen würde, von hier wegzukommen, zeigte sich auf dem Parkplatz. Dort parkten drei Autos, die nicht mehr fahrbereit waren, denn die Reifen waren der Reihe nach zerstochen worden.

James inspizierte die Schnittstellen der Autoreifen minutenlang, um dann festzustellen, dass das Flicken so vieler Schnitte in angemessener Zeit aussichtslos sei.

Währenddessen murmelte Kimberley, mehr zu sich, als dass er sprach: „Lasst die Karren! Wir brauchen die Autos nicht mehr.“

„Wieso denn das“, ließ James von seiner sowieso schon abgeschlossenen Inspektion ab und drehte sich in der Hocke fragend zu Kimberley um.

„Wahrscheinlich die Lösung, unserer Misere zu entfliehen. In einige hundert Feets dahinten (er zeigte vom Grundstück weg) ankert meine Motorjacht in einer alten Baracke. Worauf Melon Jim ziemlich laut replizierte: „Habe ich richtig gehört, eine richtige Motorjacht für mehrere Passagiere? Wow, ich wollte schon immer mal auf so ein Ding, Regatta, und so.“

„Natürlich, nur nutzte ich die Jacht bisher kaum.“

„Ging mir ähnlich damals. Ich hatte in der zweiten Hälfte der Vierziger mal ein Motorboot, leider nur Süßwassererfahrung“, fügte James nachdenklich hinzu.

„Aber einen Führerschein, um zu See zu fahren, hast du, James“, schoss es aus Kimberley heraus.

James nickte. „Nur lange nicht gebraucht, und auch nicht dabei.“

„Das kann ja heiter werden!? Wo liegt denn diese verdammte Jacht, Kimberley“, meinte Melon Jim, sich am Kopf kratzend.

„Nur ein kleiner Fußmarsch von hier entfernt! Ich hol schon mal die Bootsschlüssel! Muss aber zuerst tanken, das dauert.“

„Wie lang denn? Wir sind fünf, einschließlich Ann in Dauerversorgung, vergiss das nicht.“

„Kein Problem, wenn du siehst, wie geräumig die Kajüte ist.“

„Wie sollen wir denn zur Jacht hinkommen. Können wir Ann in ihrem Zustand überhaupt eine solche Distanz zumuten? Und dann, nachher noch auf den Atlantik?“

„Hast du vielleicht eine andere Idee ausliefern, von hier wegzukommen?“

„Ich weiß nicht, wo sollen wir denn überhaupt auf der Jacht hin?“

„Hinter dem Blockhaus steht eine leere Holzkarre. Dort betten wir Ann hinein und ziehen sie bis zum Bootssteg. Das könnte klappen“, erwiderte Kimberley. Während Melon Jim ungläubig zuhörte, wiederholte James seine Frage nach dem Ziel der Bootsfahrt: „Was sollen wir ohne konkretes Ziel denn auf ‘ner Jacht?“

Ohne Kimberleys Antwort abzuwarten, ging Melon Jim bereits zum Blockhaus zurück, hinterließ zurückwinkend: „Dann ist ja alles klar“, und klopfte zweimal auf das Dach des passierten Ford. Auf dem Rückweg zum Blockhaus erklärte Kimberley James erst mal den Bootstyp: „Das Boot ist eine Motorjacht, Marke Chris Craft, Baujahr 1949 und ziemlich flott unterwegs, nachdem, was ich so kenne. Ich hatte mir die recht stolze Jacht zugelegt, nachdem ich mich fürs Blockhaus entschieden hatte. Vor ungefähr drei Jahren suchte ich in dieser rauen, diesigen und kalten Gegend mit dichtem Kieferbestand die Ruhe zum Malen, die ich in Delaware nicht gefunden hatte. Monate vorher war mein Vater in Oklahoma verstorben. Das Testament sicherte mir ein stattliches Erbe zu, von dem eine Chris-Craft-Motorjacht so etwas wie ein Umzugspräsent für mich war. Wenn wir es schaffen, mit Ann an den Steg zu karren, und davon gehe ich aus, schippern wir noch heute Abend auf die Penobscot Bay hinaus. Die nächstgelegene Halbinsel ist das kanadische Neuschottland zu, falls wir nicht an der Ostküste Frankreichs landen wollen.“

Melon Jim kam aus der Blockhütte zurück, stellte sich zu Kimberley und James und drängte auf Eile. Als er ‚Neuschottland‘ hörte, rebellierte der Wrestler heftigst: „Neuschottland, was wollt‘ ihr in Kanada, am Arsch der Welt? Dort ist es wie im Gefängnis, und dazu noch bitterkalt. Wir kommen da niemals wieder weg.“

„Ach, Melon, sollen wir vier uns stattdessen die Pulsadern aufschlitzen und Ann ihrem Schicksal überlassen?“

„Ich weiß nicht, niemand spielt Schicksal mit mir, mit Monique auch nicht. Lass uns was anderes ausdenken, wie wir von hier eine Fliege machen können, aber niemals nach Neuschottland! Lasst die Jacht erst mal Jacht sein, Anns Leben ist in Gefahr! Sie in Sicherheit zu wiegen, hat deshalb unser aller Vorrang! Schätze, um ärztlichen Beistand, der was davon versteht, werden wir nicht rumkommen.“

„Ob sich ein solcher Medikus noch in den USA finden wird? Die werden wohl alle korrumpiert sein von Gottliebs Dollarscheinen.“

„Vielleicht Westküste, so als Alternative?“

James strafte Kimberley mit einem düsteren Blick ab.

„Wir setzten nachher noch nach Neuschottland über, basta! Wir suchen uns in Halifax ein Quartier für die Nacht und überlegen dort, wie wir uns von dort weiter in Sicherheit bringen können. Alles andere wäre zu riskant für den Moment. Außerdem sind wir unsere Verfolger endgültig los? Ich denke nicht.“

„Die sind von der CIA, Mann! Geschlagen geben die sich nie.“

„Verschwunden sind sie schon mal.“

„Dass wir uns mit ‘ner Jacht absetzen, das errät Gottlieb … nie, würde ich nicht sagen.“

„Verdammt, macht, was ihr wollt, ich frag mal, was Monique von eurer Sache hält. Wenn nichts, dann war’s das?“

Mit erhobener Hand abwiegelnd, eilte Melon Jim zum Blockhaus zurück.

„Verstehen kann ich ihn schon. Wir sind wohl alle besorgt um Ann. In ihrem Zustand mit ihr in See stechen, ich weiß nicht!? Außerdem haben wir keinerlei Ahnung, ob wir ihr diese Anstrengung überhaupt zumuten können oder ob sie nicht unterwegs nicht kollabiert. Dann war’s das! Ich möchte jedenfalls nicht Schicksal spielen.“

„Hast du was anderes im Sinn, James? Wir fünf können nicht länger im Blockhaus bleiben. So traurig ich um mein Eigentum auch bin, aber das Risiko ist, so, wie es steht, unermesslich.“

„Du wirst es schon noch verschmerzen, Kimberley. Von hier abzuhauen und erst mal nach Neuschottland herüberzusetzen, ist in unserer Lage auf jeden Fall die griffigste Chance. Nur Melon, wahrscheinlich Monique, nicht zuletzt ich, wir müssen uns eben dran gewöhnen, am besten von jetzt auf gleich.“

„Dann gewöhnt euch schnell, denn die Lage ist schon verfahren genug“, tauchte Melon Jim wieder auf.

„Aber sie kennen mich! Sie werden nicht ruhen, mich zu verfolgen, bis sie mich zu fassen kriegen, und dann?“

„Das trifft auf uns alle zu. James. Soll Ann zurück in diese Hölle, nur weil du Muffensausen auf einmal hast?“

„Seid doch endlich still und vertragt euch“, fuhr Kimberley genervt dazwischen: „Ich kenn in Halifax wen, der uns schon helfen wird, bis wir klarer sehen.“

Zusammen gingen die so ungleichen drei Männer zum Blockhaus zurück.

Die atlantische Magd

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