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Entschluss trotz erheblicher Bedenken

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Gut drei Wochen später, Anfang August 1953 hatten sich James, Kimberley, Melon Jim und Monique in einem Gartenhaus, in dem sie in Halifax Zuflucht gefunden hatten, zusammengesetzt. An diesem Sommerabend sollte gemeinsam ein Entschluss gefasst werden, wie es mit ihnen weitergehen sollte. Und das bedeutete, wie die Halbinsel Neuschottland auf die Schnelle zu verlassen sei und wohin die Reise führen sollte.

Nachdem Melon Jim und James eine Weile stumm gegenübergesessen hatten, fing der abschätzbar Stärkere von beiden an zu rekapitulieren:

„Bis hierher sind wir ziemlich gut durchgekommen, sind aber schon drei Wochen hier in Halifax. Trotzdem muss es irgendwie weitergehen mit uns, denn, so wie es ist, kann es mit uns nicht bleiben. Ann schläft nach wie vor und es wird immer schwerer, sie zu versorgen. Reste unseres kapitalen Vorrats werden schon ziemlich bald erschöpft sein, außer du und Kimberley wagt euch endlich an eure Bankkonten.“

„Ausgeschlossen, wie oft soll ich das noch wiederholen, Melon? Unsere Verfolger würden dann sofort wissen, wo wir uns aufhalten. Es würde nicht lange dauern, bis sie uns in Handschellen abführten. Wer weiß dann, was mit Ann geschieht, ich jedenfalls garantiere im Ernstfall für nichts.“

„Diese Leier schon wieder!? Lass uns nur bald schon als Skelette durch Halifax laufen, James. Unsere Dollarreserven werden täglich knapper, ich weiß auch schon bald nicht weiter.“

„So nun wieder auch nicht, Melon. Ich frage mich schon längst, wie es weitergehen soll mit uns. Wind und Wetter – rau! Ann nimmt nichts wahr, bewegt sich kaum. Dass die Halbinsel nicht unser Zufluchtsort auf Dauerbleiben kann, weiß ich auch zu genau.“

„James, anderes Thema: Ann ist wohl acht Wochen auf Station auf Haut und Knochen gefoltert worden. Wie kam es überhaupt dazu, dass Ann so abrupt von allem abgeschnitten wurde? James, hast du eine Ahnung, warum ausgerechnet Ann als Opfer ausersehen wurde? Konkret, was war passiert, dass sie ihren späteren Peinigern überhaupt in die Hände fiel?“

„Bewahre, was spinnst du dir da jetzt wieder zusammen, Melon“, empörte sich Monique und gab sich erhebend bekannt: „Bin gleich wieder bei euch. Muss nur schnell nach Ann sehen.“

„Schon, gut, schon gut! Ich hab‘ nichts gesagt, vergessen, ja“, dann setze der Melon nach:

„Ich meine, Ann war doch eine respektable, anerkannte Frau, die sich ihr Leben, wenn auch langsam, so mit einem Übermaß an Geduld und Energie allein erobert hatte, nicht? So eine wird doch nicht ohne Weiteres von der Straße weggeholt und in Geheimstation so fürchterlich missbraucht, wie es mit ihr nun mal passiert ist. Irgendwas muss doch diese acht Wochen zuvor geschehen sein, aber was? Weißt du etwas davon, James? Du warst doch am nächsten dran an deiner Schwester? War dir denn nichts aufgefallen?“

„Zwar gedankenschwer, aber keine Ahnung, wirklich nicht! Ann kam plötzlich nicht zur Arbeit und hatte sich auch bei mir nicht abgemeldet, mehr weiß ich nicht. Hab‘ mir zwar schon Gedanken gemacht, warum ausgerechnet sie, aber eine Antwort deshalb: Nein!“

James schüttelte heftigst mit dem Kopf, fügte hinzu.

„Was sie so und so nicht tat.“ Dann setzte er fort:

„Kleiner Scherz von mir, ihre Kolleginnen im Sekretariat waren sofort über Anns spurlosem Verschwinden alarmiert. Eine von ihnen kam am folgenden Montag, also, nachdem sie nicht mehr zur Arbeit kam, ziemlich verstört über Anns klaffende Lücke im Sekretariat zu mir ins Büro. Aber wie sollte ich ihr sagen, worauf Sie keine Antwort wusste. Ich war doch immer schon der Letzte, der von Ann was wusste, wie wohl auch diesmal!? Auch diesmal konnte ich die possierliche Miss aus dem Sekretariat nur mit Sorgen wieder wegschicken, leider.“

„Hm, sonst war nichts vorgefallen, was Anzeichen für ihr plötzliches Verschwinden gegeben hätte, James?“

„Nein, was soll denn vorgefallen sein, von dem ich Kenntnis gehabt hätte? Ich weiß nur von Monique, dass Ann am Tag ihres Verschwindens euch morgens in Pennsylvania angerufen hatte, und dass ihr sie sie vor den Kopf gestoßen hattet. Sie wäre sonst zu euch gefahren, und es wäre nichts von dem passiert, was uns in diese verworrene Lage brachte.“

„Hätte, könnte, was bringt das noch, James? Wir stecken tief im Morast und wissen nicht, wie wir uns freischaufeln sollen. Dass ich einmal in solcher Lage stecke, wer hätte das jemals gedacht.“

„Frei schwimmen vielleicht?“

„Scherz nur, Kimberley. Allein wegen Ann können wir nicht viel von hier aus unternehmen, das müsste dir doch auch klar sein.“

„Kapier‘ das doch mal. Wir müssen aber was unternehmen, schon wegen Ann!“

„Und dass ziemlich bald, wenn ihr mich fragt“, reagierte James ziemlich aufgebracht.

„Weiß nur nicht was, es sei denn, wir besorgten uns einen geräumigen fahrbaren Untersatz, um aus Halifax wegzukommen.“

„Erst aufs Festland Kanadas, dann ab in die Wälder, ich weiß nicht!? Die Kanadier liefern uns doch an die Staaten aus, sobald uns nur ein Ranger erwischt.“

„Glaub ich nicht, was im Blockhaus passierte, wird Gottlieb schön unter der Decke gehalten haben, und das Debakel, dass wir ihm eine Schlappe beibrachten, wohl auch.“

„So, glaubst du?“

„Ja, die CIA scheut bekanntlich die Öffentlichkeit. Deswegen wird sie nichts Verlustreiches an die große Glocke gehängt werden. Sie haben nämlich zweimal hintereinander uns weghuschen lassen, und dass macht sie zwar wütend, aber bahnt sie, meine Meinung. Oder siehst du irgendwo Pappnasen von der CIA rumgieren?“

„Wenn das alles Mal stimmt, James. Was meinte denn dieser Gottlieb noch im Blockhaus zu dir, als er stotterte: ‚Sie haben doch genug an der Latte‘? Wortwörtlich, ich hab’s mir genau gemerkt.“

„Wie, das soll dieser Gottlieb mir gesagt haben, Melon?“

„Hat er, so sicher, wie das Amen in der Kirche. Was meinte er wohl damit, James?“

„Das ist eine Frage, lass mal überlegen ...? Ah ja, weil er mich am Abend zuvor in meiner Wohnung heimsuchte und ich am Morgen drauf zusammen mit Monique vor seiner Nase abgehauen bin, genau, das wird‘s sein.“

„Hm, das klang im Blockhaus aber ganz anders. Trotz seiner Schwächen, sprach Gottlieb mehrmals von Kommunismus, aber staatsfeindliche Ideologie passt wohl kaum in ein Blockhaus in Maine.“

„Kommunismus, wieso? Ich hab’ mich auch darüber gewundert. In meine Bücherschränke findet solches hintertriebene Dreckszeugs bestimmt nicht! Vielleicht faselt Gottlieb, immer wenn’s im gefällt, von Kommunismus, wer weiß das schon!? Schließlich sind Kommunisten nach wie vor die verteufeltsten Feinde der USA. Um Unterwanderung in facettiertesten Formen zu bekämpfen, lässt die CIA Gottlieb inhuman forschen. Ich könnt mir vorstellen, dass der dauerhafte Umgang mit dieser korrumpierten Art von Gehirnforschung mit der Zeit selbst aufs Hirn schlägt.“

Die Zimmertür öffnete sich, Monique trat mit dem Rücken zuerst ein, nahm direkten Bezug auf das, was sie aufgenommen hatte. Kimberley stand auf und ging, ohne was zu hinterlassen, durch die geöffnete Tür hinaus.

„Könnt ihr nicht damit aufhören. Das Kommunistengeschwafel interessiert hier niemand mehr. Ann ist um nichts und wieder nichts zum Opfer geworden, was schlimmer ist als alles andere. Wir dürfen nicht zulassen, dass diese acht Wochen Anns aus bedeuten. Ich komme gerade von ihr und muss sagen, dass es nach wie vor schlecht um sie steht. Also keine Aussicht auf Änderung bislang. Wie sie daliegt, kein schöner Anblick, wirklich nicht.“

„Was kann ich anders tun, als dir beizupflichten. Immerhin konnten diese Schweine ihr abscheuliches Werk an Ann nicht in Gänze vollbringen. Wir konnten sie gerade noch rausholen, vergiss das nicht, Monique!“

„Mann, Melon“, giftete Monique ihren Freund an: „Elf Wochen ist das inzwischen her, und getan hat sich seitdem so gut wie nichts. Wir tun so, als schmiedeten wir Pläne, aber es geschieht nichts. Das ist doch kaum mehr zum Aushalten, wie wir alle auf dieser Halbinsel versauern.“

„James, ich will von dir eine Antwort, die mich zufriedenstellt, die mir Ruhe gibt.“

„Nicht schon wieder. Worüber sprechen wir überhaupt?“

„Still, Monique, das hier hat Vorrang. Also, James, dieser Gottlieb hat die ganze Zeit im Blockhaus nur dich angesehen. So, als ob er dich besser kennen würde und irgendwas, sich mir Entziehendes, bei dir noch aussteht. Genau das ist doch seltsam, findest du nicht, James? Was entzieht sich mir da, na, los, sag‘ schon.“

„Korrekt, das hab’ ich genau dasselbe auch bemerkt, mir aber nichts weiter bei gedacht, warum auch ich, ausgerechnet? Er hat mich nur einmal gesehen, und ich ihn. Außerdem, für alle, die es noch nicht intus haben, ein James Lindy zog schon immer Blicke auf sich, also harmlos.“

„Und du? Melon, machst aus einer Maus einen Elefanten“, flocht Monique ein.“

„Genau, jeder gafft, wenn er mich nur sieht. Zu meiner Ehrlichkeit muss ich eingestehen, dass sich im Laufe der Jahre da was ausgedünnt hat. Hm, war wohl bei Gottlieb nicht der Fall, jedenfalls merkwürdig. Mit Kommunismus und dem ganzen Kram, ich kann mich nur wiederholen, hab’ ich jedenfalls nichts am Kopf, oder verlangt ihr, dass ich mein Ehrenwort ausspreche?“

„Hi, dein Ehrenwort aussprechen, nein, lass das, bei uns doch nicht.“

„Nein, lass mal, James. Nun kenne ich dich ja, muss dich nur noch begreifen lernen. Ist auch so’n Unsinn, dich mit Kommunisten in Verbindung zu bringen. Die Jungs, so wie ich sie kenne, sind auch ganz anders drauf als du.“

„So, wie bin ich denn ‚ganz anders drauf‘, dass ich das mal erfahre.“

Wieder winkte Melon Jim ab: „Lass sein, James, so viele Worte bring‘ ich nun doch nicht auf, um das zu erklären.“

„Ach, soll mich wohl nicht weiter interessieren? Ich hab’ selbst jede Menge Kohle auf der Bank, Kommis können mir folglich den Buckel runterrutschen!“

„Ist ja gut, James, was regst du dich so auf. War ja nur ‘ne Beobachtung, die mir auf den Nägeln brannte.“

„Deine Beobachtungen kannst du dir ruhig sparen, Melon. Ich hab’ nichts zu verbergen, und dabei bleibt es“, erwiderte James sich aufrichtend.

„Männer, wo bleibt nur Kimberley“ fragte zur Eingangstür sehend Monique.

Aufs Wort öffnete sich die Tür und der Vierte im Bunde trat ein, setzte sich auf einen freien Stuhl und fing gleich an:

„Leute, wir vergeuden nur unsere Zeit, die wir längst nicht mehr haben, wenn wir noch länger in Halifax verweilen. Ich hoffe, dass das euch allen klar ist!“

„Soweit waren wir auch schon, Kimberley. Nur, wohin, ohne dass wir Ann zu sehr belasten? Uns fehlt eine konstruktive Lösung.“

„Das hieße ja, wir können nichts riskieren. Wir müssen aber was riskieren, um von hier wegzukommen.“

„Um die wichtigste Frage zuerst zu beantworten“, warf Monique ein. Anns Zustand hat sich in den letzten Wochen kaum gebessert. Sie nimmt nur wenig Nahrung auf und schläft praktisch rund um die Uhr. Wenn ihr mich fragt, jede Bewegung wird sie gefährden. Zustandsänderung sehe ich vorerst nicht.“

„Ja, Monique, besorgt, wie sonst! Nur in Halifax können wir nicht länger verrotten. Wir müssen endlich was unternehmen“, erwiderte Melon.

„Vielleicht wenn Ann weiter südlicher käme. Dieses nasskalte Klima, das hier herrscht, halte selbst ich auf Dauer auch kaum aus. Also, weg von hier schon, nur machen wir mit Ann“, überlegte Kimberley vor sich hin.

„Soweit waren wir auch schon. Ein gangbarer Weg für uns fünf müsste sich doch finden lassen?“

„Genau deswegen sind wir ja heute Abend zusammengekommen, oder? Also, was meint ihr, Melon, Kimberley, was können wir, vor allem ihr, aber uns auch zumuten, um so schnell, wie möglich von hier wegzukommen?“

Sich erhebend erklärte Melon Jim, als ob sich das Blatt schlagartig geändert hätte, er wolle noch einmal zurück in den Ring, aber das könne auf keinen Fall im kanadischen Neuschottland stattfinden. Er und Monique hätten sich schon vor Tagen intensiv Gedanken gemacht: Back to the USA! Den Augenblick wiedererleben, wie ihn grölende Männer zum finalen Hieb in der Arena anspornten, sehen und spüren, wie Ladys kleine ‚Jack Daniels‘ ihm in den Ring zuwerfen, dass wolle der Wrestler nicht länger missen. Außerdem fehle ihm das tägliche Training sehr. Nur Liegestützen seien kein Ausgleich.

Als Kimberley ihn, scharf fixierend, fragte, wie er sich sein Comeback denn vorstelle, haspelte der Wrestler nur, er könne doch an der Westküste, in Los Angeles, San Francisco oder Sacramento neu anfangen, denn da kenne man ihn noch nicht. Monique bekannte sich selbstbewusst, wenn Melon Jim aus Halifax verschwände, würde sie ihm nachfolgen und schmiegte sich dicht an ihren muskulösen Freund.

„Das also war geklärt“, quittierte James ironisch: „Melon Jim und Monique blieben wie Magneten aneinandergeheftet, aber planen, sich von uns zu trennen, prima.“

Kimberley schaute James an, dann sagte er, dass sich auch zu trennen beabsichtigte. Das Ganze ziehe sich in so sehr in die Länge, dass er an sich selbst zweifele. Es täte ihm leid um Ann, aber dieses Versteckspielen halte nicht er länger aus.

„Selbstzweifel? Das kann nur einer, wie du, sagen.“

„Ja, auch von Ann, so leid es mir tut, wirklich! Ihr kümmert euch ja um sie, aber meine Bücher, meine Staffeleien? Seit Wochen hab’ ich nichts mehr gemalt, mein Dollarvorrat schrumpft täglich und, das Schlimmste, mein begonnenes Werk ist wahrscheinlich im Blockhaus verbrannt. Das kriege ich nie wieder hin, verflucht!“

„Ob sie hinterher das Blockhaus wirklich gezündelt haben, oder nicht, das weißt du nicht, Kimberley.“

„Also, was schlägst du vor? Melon, soll ich zurück nach Maine fahren und mir das vermutete Desaster mal ansehen?“

„Um Himmelswillen, du bleibst bei uns und beendest, was du angefangen hast! Zurück zum Blockhaus, das gefährdet uns, und vor allem Ann“, erregte sich spontan James.

„Ist mir schon klar. Ich muss woandershin, ganz von vorne anfangen. Ein Mann wie ich hält dieses tagelange Nichtstun nicht länger aus, wirklich nicht.“

„Beiß die Zähne zusammen, Kimberley, Mann! Wir vier sind Verbündete in einer so schlimmen wie bedrohlichen Lage, mach dir das mal klar! Wenn wir in unserer Situation einen Fehler riskieren, und sollte auch nur einer von uns ausscheren, dann prophezeie ich, sind wir alle erledigt, willst du das?“

„Bescheuerte Situation, weiß ich selber!? Aber wenn ich nicht bald aus dieser schrecklichen Melancholie herauskomme, bin ich erledigt. Was ist schlimmer, frage ich euch?“

„Kimberley, willst du wirklich dein Pläsier über Ann stellen? Applaus, aber nicht zu diesem ernsten Zeitpunkt! Ich verbiete es dir einfach! Mit gefangen, mit gehangen, was anderes kannst du dir abschminken“, sagt James entschlossen, aber Kimberley blieb widerwillig.

„Mein Entschluss steht, es geht nicht anders, als wieder frei zu atmen. Wenn ich noch länger bei euch bleibe, geh ich drauf, ehrlich. Meine Entscheidung wird mir nicht leichtfallen, aber es geht nicht anders. Ich hab’ mich auf euch eingelassen, meine Fürsorgepflichten Ann gegenüber zugelassen, und was hab’ ich davon? Ich weiß nicht mehr, wohin!? Nun bin ich noch zum Kriminellen abgestempelt, und zudem bin ich alles, was ich besaß, los. Nun ja, nicht alles!“

Reihum betreten, hatten sie Kimberley ausreden lassen, dann ergriff James als Erster das Wort:

„So was hätte ich niemals von dir gedacht, Kimberley. Deine Schwarten, Pinsel und Leinwände über Ann, meine Schwester, zu stellen? Wie bangen, ob Ann wiederkommt und überleben wird, und du faselst uns was erwachendem Individualismus vor, absurd nenne ich sowas! Was ist bloß los mit dir, so verdreht haben wir dich noch nie erlebt, Kimberley?“

„Gegenfrage, was soll ich denn anderes machen? Das ständige Warten, Bangen und Fliehen der letzten Wochen, diese grassierende Nutzlosigkeit!? Diese unfasslichen Typen in meinem Blockhaus, wenn ich nur daran zurückdenke!? Wenn ich zurückkehre, ist fast alles, was mich ausmachte, vernichtet. Wie soll ich da noch mal neu anfangen, sagt es mir, wie? Ach, es ist alles so schrecklich!“

Als James Kimberley ziemlich aggressiv vorhielt, er sei es gewesen, der vorgeschlagen hätte, mit dem Motorjacht nach Halifax zu entkommen, warf Kimberley ihm einem zürnenden Blick entgegen. Dann erhob er sich pfeilschnell vom umstürzenden Stuhl und haute hinter sich fluchend die Zimmertür ins Schloss. Kurz danach öffnete er sie wieder, setzte sich auf seinen soeben verlassenen Stuhl und verhielt sich wiedererwartend stumm. Drei Augenpaare waren auf ihn gerichtet, erstaunt darüber, dass ihr Jüngster so sehr die Kontrolle über sich verloren hatte.

Melon Jim packte die plötzlich entstandene bedrückende Stimmung beim Schopf und warf ein: „Ganz richtig, so kann es nicht mit uns weitergehen. Kimberley hat vor allem in dem Punkt recht, dass unser aller Zaster mehr oder weniger schnell zur Neige geht. Wir brauchen also nicht lange zu warten, bis wir auf dem Trockenen sitzen werden, wenn wir hierbleiben.“

„Das ist schon längst bei uns angekommen. Hast du vielleicht eine Lösung für unser Problem, welche uns glücklich machen könnte, Melon?“

„Glücklich, ich weiß nicht, was das wieder soll, James? Die, sagen wir mal, aussichtsreichste Möglichkeit, die ich sehe, um von hier wegzukommen – Kimberley, bitte sag‘ jetzt nichts -, ist nach wie vor seine Motorjacht.“

„Schweigen, der Wrestler im Bunde checkte die Mienen von den anderen ab, dann setzte er fort:

„An James‘ Miene erkenne ich bereits, sie spricht zu mir, dass er auch schon daran gedacht hat, auf ihr von hier wegzukommen. Das könnte sogar ziemlich zügig geschehen. Deshalb schlage ich vor, wir fünf verlassen Halifax per Motorjacht in den nächsten Tagen.“

„Um wohin aufzubrechen?“

„… um an der Ostküste entlang zu schippern und weiter südlich wieder an Land zu gehen“, beantwortete Melon Jim, ohne lange nachzudenken, James‘ Frage.“

„So“, überlegte James laut: „Gleich entlang der Ostküste, geht’s nicht kürzer, Melon, als uns gleich wieder ins nächste Unglück stürzen? Hast du überhaupt ‘ne Ahnung, was uns alles entlang der Ostküste passieren kann?“

„Raus auf den Atlantik, Melon, spinnst du total? Niemand von uns hat so viel nautische Erfahrung, dass wir darauf vertrauen können, entlang der Ostküste in Sicherheit zu navigieren. Weißt du überhaupt, wie lang die Ostküste ist und wie viel Zeit dabei drauf geht“, entsetzte sich Kimberley.

„Maine, New Hampshire, Massachusetts, Rhode Island, Connecticut, New York State, New Jersey, Maryland, Delaware, North Carolina, South Carolina, Georgia, Florida. Wofür anders ist denn eine Jacht da, als um weite Strecken zu Wasser zu bewältigen? Was nutzbar ist, nützen wir eben!“

„Wenn du mich fragst, ein Todeskommando erster Güte, Melon, auch ohne Ann“, schüttelte James den Kopf.

„Ich denke, jedenfalls reizvoll. Die Jacht ist unsere einzige reelle Chance, uns von hier aus dem Staub zu machen. Für mich jedenfalls, wie es nun für mich aussieht, ist die Jacht unsere einige Chance, aus diesem Kältebecken Neuschottland fortzukommen“, statuierte Melon Jim seine Meinung.“

„Melon, hast du überhaupt eine Ahnung, wie es um diese Jahreszeit entlang der Ostküste zugeht? Wir haben Hochsommer, Urlaubszeit! Wie viele Boote mit Geldhaien, Jetset, und wer sich da noch alles zuzählt, werden um die Jahreszeit entlang der Ostküste auf ihren Jachten und Motorbooten unterwegs sein? Und wir sollen in bei dem Vergnügungstrubel auf hoher See mit von der Partie sein? ‚Wahnsinn‘, nenn‘ ich das!“

„Hochsommer, ist doch prima! Je mehr unterwegs sind, desto weniger wird unsere Jacht im bunten Seemannstreiben auffallen.“

Monique schaute verdutzt ihren Freund an, dann hielt sie ihm vor:

„Ich versteh dich nicht, Melon. Wir können es schon wegen Ann nicht riskieren, das Festland länger zu verlassen. Wenn ich nur an die Wellenberge und die Winde auf See denke? Was du vorhast, geht nicht! Also schlag es dir ruhig wieder aus dem Kopf.“

„Soll ich wirklich, Monique?“

Kimberley ergriff, zum Erstaunen aller übrigen das Wort, fragte neugierig:

„Dann schieß mal los, Melon, wie stellst du dir denn diesen risikobeladenen Ostküstentrip vor?“

„Kimberley, und alle anderen im Raum, also, das Wie ist schnell skizziert. Bei konstanter Chris-Craft-Geschwindigkeit könnten wir hundert Seemeilen pro Tag, Nachtfahrt inklusive, schaffen. Das heißt, wenn wir zielstrebig vorankommen, können wir in schätzungsweise acht bis zehn Tagen in South Carolina wieder von Bord gehen.

„South Carolina, was sollen wir denn bei den Konföderierten?“

„Ach, James, was hast du da nicht mitgekriegt? Genau, South Carolina! Unterwegs legen wir ein paar Mal an Ostküstenhäfen entlang der Strecke an, um zu tanken und unseren Proviant aufzufrischen. Ann wird die salzige Meeresluft an Bord nur bestimmt guttun und zu ihrer Erholung beitragen.“

Melon Jim schaute abwartend James, dann Kimberley an und stellte dann weiter fest:

„Weder Einwände noch Widerrede? Kimberley, was ist mit dir?“

„Kann ich mich noch sträuben? Es wird doch mein Vermögen bleiben, egal, wann ich wiederkehren werde?“

„Du machst dir Sorgen um deine Moneten in unserer Lage? Wer bist du nur?“

„Das möchte ich auch gerne wissen“, ergänzte James.

„Ich denk, du hast nichts mehr oder hab‘ ich da was falsch verstanden?“

„Irgendwas findet sich immer. Hängt mit Börsenkursen zusammen.“

„Stimmt, bei Geld hört der Spaß auf“, entgegnete James nachdenklich: „Auf meinen Konten hat sich schon in den Vierzigern einiges angehäuft. Ich befürchte, dass, wenn ich untertauche, der Staat meine Kohle konfiszieren lässt. Muss also noch einen Weg finden, um an wenigstens einen Teil des Zasters in den USA ranzukommen. Momentan habe ich gerade noch 95 Dollar und ein paar kanadische Dollars“.

„Bei mir ist es viel weniger, James. Ich verwahre aus Gewohnheit – man weiß ja nie, was kommt - eine Fünfhundertdollarnote in einer Schatulle im Blockhaus, die ist wohl für immer weg, verflucht! War nicht auf dem Kiwief, sie aus der Schublade zu greifen, als wir vor drei Wochen die Fliege machten“, stöhnte Kimberley auf.

„500-Dollar-Note, die kannst du vergessen, Kimberley. Über den McKinley streiten sich jetzt sicherlich schon die Engel. Monique und ich haben sicherlich auch noch ein paar US-Dollar aus unserem Reptilienfonds für Notfälle in petto. Allerdings, viel mehr wird’s leider auch nicht. Denn Dollarvermehrung kenne ich nur in der Fantasie, Moment.“ Melon überlegte einen Augenblick, dann blickte er lächelnd in die Runde: „Macht euch um unsere Finanzen die geringsten Sorgen. Wenn wir in South Carolina ankern …“

„South Carolina, was wollen wir denn ausgerechnet da? Kann’s nicht auch Georgia, oder gar Florida sein“, schäkerte James. Worauf Kimberley den Radius ironisierend erweiterte:

„Oder nach Frankreich, Portugal, vielleicht?“

Ihn abschätzend, erwiderte Melon: „Kimberley, in South Carolina vermutet uns keine Socke. Sobald wir dort in einem Hafen von Bord gehen, werden sich uns Geldquellen öffnen, dafür sorge ich schon, versprochen!“

‚So, wirklich, kein Fantasiekonstrukt, Melon‘, reagierte James hellhörig.

„Nein, verlasst euch auf mich. Ich kenne in South Carolina wen, der wartet nur darauf, mir aus der Patsche zu helfen. Vor allem werden wir fünf neue Pässe brauchen, zudem uns neue Namen zulegen müssen. Das, was ich soeben vorschlug, wird mir am schwersten fallen, denn mein Wrestlernamen ist ziemlich bekannt.“

„Doch nur die an der Ostküste, nicht? Werd‘ also nicht gleich größenwahnsinnig“, reagierte James spontan.

„Was soll ich denn sagen“, empörte sich Kimberley: „Ich geb für keinen Preis der Welt meinen Namen her. Ich male, dichte …“

„Kimberley, du bist nun mal drin im Boot, also wirst du das Gleiche tun müssen, wie wir auch. Und keine Widerrede mehr, verstanden.“

„Schon gut, Gewehr bei Fuß, wie?“

„Nein, nicht so militärisch, Kimberley. Mehrere Sitzungen bei einer Visagistin auf dem Sessel sitzen, dann warten und nochmals warten, bis Gras über die Sache gewachsen ist, schätze ich.“

„Moment mal, Melon, ich lass‘ mich nicht so einfach verstellen. Von meinen Namen, Kimberley Smith, lasse ich doch niemals ab, das geht eindeutig zu weit! Auf meinen Namen sind einige Inlandskonten in den USA eingerichtet. Außerdem sind einige meiner Bilder in Galerien ausgestellt. Das, was Melon Jim plant, geht niemals. Außerdem läuft seit Jahren ein Erbschaftsprozess, in dem ich der Beklagte bin. Ich muss folglich Kimberley Smith bleiben.“

„So, Erbschaftsprozess? Wenn dir mein Plan nicht gefällt, kannst du dich gleich am nächsten Polizeirevier selbst anzeigen. Solltest du wieder als Kimberley Smith auftauchen, werden sie dich so oder so belangen. Du wirst deines Lebens nicht mehr sicher sein, willst du das? Zuerst werden sie dich wie eine Zitrone ausquetschen, dann in eine Gefängniszelle zu fünft oder siebent einsperren. Wie die Knastys sich wohl freuen werden, einen richtigen Künstler unter sich zu haben? Wenn du das möchtest, bitte.“

„Niemals! Schon gut, ihr habt recht. Nehmt nur die Motorjacht, ich werde das schon mit euch durchstehen. Nur ein oder zwei Telefonate, und ich bin euer für immer und ewig.“

„Eindeutig nein, Kimberley! Viel zu gefährlich. Unsere Verfolger könnten sofort spitzbekommen, wo wir stecken.“

„Wenn wir doch sowieso von hier abhauen?“

„Hast du nicht zugehört, Kimberley? Ich hab‘ ‚nein‘ gesagt!“

„Wie, James, du verbietest es mir? Na gut, dann wenigstens einen Brief, einen einzigen Brief? Ich muss meinen Anwalt in Lincoln, Nebraska, verständigen, bitte.“

„Keine Telefonate! Keine Briefe! Wir sind auf der Flucht, begreif das doch endlich! Gelegenheiten nach Nebraska zu kommen, werden sich vielleicht später ergeben, nachdem wir fünf in einen Atlantikhafen South Carolinas von Bord sind“, wandte Melon Jim ein.

„Ah ja, mit oder ohne Visagistenbesuch?“

„Mann, Kimberley!? Visagistenbesuch hin oder her, wir werden uns alle, sobald wir am Ziel sind, ein neues Outfit zulegen müssen. Und zwar so neu, dass selbst dieser Stotterer aus dem Blockhaus uns nicht erkennen wird. Selbst wenn wir vor ihm ständen und ihm die Hand schüttelten.“

„Du hörst doch, Kimberley, Geduld. Lass Melon nur unser Schicksal koordinieren, also Vertrauen wir ihm“, packte James Kimberley an der Schulter.

„Genau! Hab’ mir vorhin schon mal angesehen, wie wir die Ostküste entlang zu steuern haben“, erweiterte Melon den Routenplan.

„Ach so, erst vorbereiten und hinterher uns um Zustimmung fragen“, ennuierte sich aufsehend James.

„So macht man das doch, nicht? Die einzige Landkarte der Ostküste, die in der Kürze der Zeit aufzutreiben war, zeigt, dass es am günstigsten ist, bei Savannah, South Carolina, wieder von Bord zu gehen. Von dort fahren wir per Auto weiter. Von mir besorgt, versprochen!“

„Versprochen? Was du nicht alles versprichst, Melon? Und meine Chris Craft, sag‘, was wird aus der?“

„Deine Motorjacht, ach? An die hab ...? Sie bleibt auf jeden Fall im Zielhafen zurück. Von Savannah müssen wir nämlich weiter nach Tallahassee, Florida, falls du nicht wissen solltest, wo das liegt.“

„So, Tallahassee in Florida nun wieder. Wohin du uns überall denkst?“

„Ja, ich kenne da jemand aus alten Zeiten, der wiederum jemand kennt, der Outfits so gekonnt anfertigt, wie er Pässe und Banknoten fälscht.“

„Warum verlängern wir dann nicht unsere Fahrt bis an die Küste Florida, wenn’s schon dahin gehen soll?

„... weil der Landweg von dort kürzer zur Hauptstadt Floridas ist.“

„Das können wir uns überlegen, wenn wir erst mal da unten sind, vorher aber nicht. Wichtig ist fürs Erste, dass überall, auf welchem Breitengrad wir auch vorankommen, genügend Proviant an Bord haben. Vor allem aber, dass wir wetterfest gekleidet sind.“

„Wie sollen wir denn das wieder berappen?“

„Wenn wir zusammenlegen, vielleicht? Es wird schon reichen, wenn wir ein wenig sparsamer haushalten.“

„Ann wird unser ständiges Risiko auf See sein, vergesst das nicht! Ich jedenfalls weiß nicht, ob wir Ann eine solche lange Seereise überhaupt zumuten können. Jeder der euch faseln hört, meint, ihr seid bekloppt geworden, so ein unwägbares Risiko einzugehen.“

„Monique, was ist denn nun wieder los? Als wir beide das vor ein paar Tagen besprachen, hattest du keine Bedenken, warum nun?“

„‚Das Wetter in Halifax sei Gift für Ann“, hast du vorhin selber gesagt.“

„Zwar andere Formulierung, aber so ähnlich stimmt’s wohl.“

„Was reden wir uns die Köpfe heiß, wenn wir noch ein paar Tage überlegen oder unsere Bedenken wechseln können? Dann müsste unsere Entscheidung aber klar sein, wie wir Neuschottland wieder verlassen werden, ok? Monique schaut sich Ann noch mal genauer an und bereitet Ann, so gut sie kann, auf unsere feuchte, und, das muss mal gesagt sein, gefährliche Ostküsten-Exkursion vor.“

„Gefährliche Ostküsten-Exkursion“, horchte Monique entgeistert blickend auf: „Wie jetzt, gilt es, den Ostküstenatlantik herunterzuschippern, schon als beschlossene Sache?“

„Noch nicht, Monique“, versuchte Melon Jim wieder zu beruhigen: „Wir entscheiden das zusammen erst in ein paar Tagen.“

„Aber eine Frage können wir schon mal sofort klären, James. Was ist in dieser Aktentasche? Du warst ja noch mal zurück zum Blockhaus vor drei Wochen, hast sie dir gegriffen und mitgenommen.“

„Vor den entrüsteten Augen Gottliebs, stell dir mal vor. Was interessiert das noch, und ausgerechnet in diesem Moment?“

„Ich hab‘ dich was gefragt, James.“

„Na, gut, bin ja nicht so!? Mehrere gebundene Papierstapel in einer Aktenmappe sind dadrinnen, mehr weiß ich aber nicht. Ah, ja, noch eins, merkwürdig war, ein Flugticket aus der 0-8-15-Aktentasche zu ziehen. Hin- und Rückflug, Boston-Westberlin. An welchem Tag genau habt ihr Ann aus dem Hospital geholt?“

„Das muss Mitte Juli gewesen sein!? Genau, die Nacht vom 18. auf den 19. Juli! Am 21. Juli sind wir abends im Blockhaus aufgeflogen.“

„Ich wollte bloß das Datum wissen. Als ihr oben angekommen seid, kam so ein Typ im Anzug und schloss auf. Entsinne ich mich da richtig?“

„Klar, hab’ ich doch schon alles erzählt.“

„Nachdem, was ich aus der Aktentasche fischte, gilt als wahrscheinlich, dass dieser Arzt, nennen wir ihn mal so, am gleichen Abend, allerdings Stunden zuvor, in Boston Airport gelandet war! Das Erste, was er nach seiner Landung machte, war, wie es sich nun erhellt, wegen dieser Aktentasche frühmorgens am Sonntag in sein Arztzimmer zu fahren. Wer weiß, was er dort mit dieser Aktentasche so früh wollte?“

„Sieh mal einer an. Um sich seiner mitgebrachten Akten zu entledigen, führen ihn seine ersten Schritte nachts ins Hospital zurück, merkwürdig, nicht?“

„Weil der reisefreudige Arzt entwendete Unterlagen aus Westdeutschland geheim halten wollte, wäre zu vielleicht überlegen?“

„Das wäre ja ‘n Ding! Wir holen Ann da raus und zeitgleich kommt einer zurück, der was zu verheimlichen hat, wie abenteuerlich klingt das denn? Und, hast du schon mal gelesen, was verheimlicht werden sollte, James?“

„Nein, sagte ich doch schon, aber das mach‘ ich bestimmt noch. Gottlieb wusste davon und war, wie der Teufel dahinter her, aber was interessiert das noch.“

„Ist bestimmt nicht harmlos, das Zeugs, wenn ein hohes Tier der CIA seine Fühler danach ausstreckt? Dich, James, zuerst belangt, dann wie wild in ein Blockhaus in Maine einfällt?“

„War’s das? Ich glaub’, wir machen Schluss für heute“, beschloss James und bewegte sich gähnend zur Ausgangstür.

Die atlantische Magd

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