Читать книгу Die atlantische Magd - Ralf Blittkowsky - Страница 7

Brenzlige Abfuhr

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Etwa eine Stunde später ging vollkommen unerwartet die Bürotür erneut auf. James Lindy zuckte leicht zusammen, sah von seinen ausgebreiteten Unterlagen auf, wer sich erdreistete, ohne anzuklopfen, einzutreten. Obwohl er hätte wissen müssen, dass sich nur seine Schwester Ann diese Freiheit herausnahm.

„Kannst du nicht vorher anklopfen, wenn du dich schon zu mir verlierst, Ann.“

Die so derb Angesprochene baute sich resolut vor James Schreibtisch auf und erwiderte:

„Sonst kriege ich ja gleich ‘ne Abfuhr, wieder zu verschwinden! Zeit sei bei dir ein Mangel, ach ja.“

„Stimmt wirklich! Nichts zu gewinnen, kannst dich gleich wieder verziehen.“

„Danach steht‘s mir aber gar nicht. Möchte lieber sehen, wie es dir so geht! Du sahst vorhin unten in der Kantine nicht gut aus. Ist was?“

Lindy ließ sich in seinem Bürostuhl zurückschwenken und begann, mit einem Kugelschreiber gestikulierend: „Wie es mir geht, Heimtücke oder Vorwand? Du hast doch unten gerade mein ‚nein‘ gehört, und dabei bleibt’s!“

James senkte wieder den Kopf, um weiterzulesen, was vor ihm lag, aber Ann rührte sich nicht vom Fleck. Nach durchschwiegenen Minuten sah James ziemlich verunsichert auf.

„Noch hier, gibt’s denn unten nichts zu tippen? Ich muss noch schaffen, also!“

Ann setzte sich schnaubend vor Wut James gegenüber auf einen herangezogenen Polsterstuhl, schimpfte: „Wenn ich deinen Rat brauche, bist du ausgerechnet nicht im Unternehmen. In der Kantine verrenkte ich mir fast den Hals. Habe ein paar Mal vergeblich an deine Bürotür geklopft, sogar bei dir Zuhause angerufen. Leider keine Spur von Bruder James.“

„Ach ja, Ann, den Schlüssel, den kannst du haben. Wie du immer alles von mir haben kannst, Ann, das weißt du doch. Nur nicht nächstes Wochenende, da passt es einfach nicht.“

„Warum, nicht, James? Du warst doch gerade da und fährst bestimmt nicht wieder so schnell nach Connecticut, oder? Alles geputzt, keine grässlichen Spinnweben, geschniegelt und gestriegelt, so hat es deine kleine Schwester gern. Also, warum nicht? Noch eins, sag‘, hat sich was Neues aufgetan? Wenn du nickst, freue ich mich für dich. “

James hatte sich inzwischen zurück in den Sitz gestreckt, lächelte Ann beunruhigend lange an, ohne was zu sagen, nach einer Weile bellte er aggressiv: „Soll ich‘s wiederholen?“

Ann blieb trotzdem sitzen, sah ihm irritiert ins Gesicht. James wartete, setzte dann nach:

„Das war’s, oder liegt dir noch was Dringlicheres auf der Seele? Für Seelenprobleme, erst recht für deine, bin ich der Falsche, wie du schon lange weißt. Schieß endlich ab! Unten wartet ein ganzer Schwarm auf dich. Connecticut geht diese Woche wirklich nicht, Ann.“

„Schon gut, ich werde mich auf Snake Island vergnügen.“

„Pass auf, dass dir kein Reptil in den Badeanzug ringelt.“

„Gut gelaunt so plötzlich. Das hörte sich gerade nicht so an. Wer waren denn deine beiden Kantinengäste vorhin, äußerst mysteriös, wenn du mich fragst.“

„Die beiden, die mir vorhin in der Kantine gegenübersaßen?“

„Saß dir vorhin sonst noch wer gegenüber, James? Kanntest du die beiden?“

„Nicht wirklich, sie waren so freundlich, mir beim Essen zuzuschauen. Wir hatten hinterher noch einige Worte gewechselt, hier im Büro, falls es dich interessiert. Der Kleinere von beiden saß übrigens dort, wo du mir jetzt die Zeit stiehlst.“

„Äußerst interessant!? Haben die beiden dich etwa aus der Fassung gebracht?“

„Selbst eine Stunde danach weiß ich nicht, was die beiden bei mir wollten. Sie kamen vom Verteidigungsministerium aus Washington D. C. hoch in den Norden. Musst du doch wissen, sie müssen sich doch bei euch unten angemeldet haben.“

„Ja, ja, alles schon beäugt. Die beiden wirkten auf mich ein bisschen aus der Zeit gefallen. Möchten fliegen, flitzen, aber auf ‘ner Bimmelbahn durch die Prärie, seltsam? Wohin wollten sie denn mit dir fliegen, James?“

„Mit mir fliegen? Ach, die beiden waren so unbedeutend, wie sie gekommen sind, so sind sie auch wieder verschwunden. Ha, ha, die beiden. Hatten sich so sehr auf die Dienstreise zu zweit gefreut, wollten sich nur vorstellen, mit einem Mann vom Fach reden. Sie kannten unsere Technologien gar nicht, wie schnell herauszufinden war, skurril, nicht? Wenn du mich fragst: krasse Fehlbesetzung.“

„Vom Staat, ach, den Eindruck machten die beiden aber am wenigsten, eher listig und verschwurbelt. Einer der beiden beobachtete mich genau, als ich mit dir sprach, hast du das nicht bemerkt, James? Keiner der beiden grinste oder ließ sich wenigstens ein Lächeln entlocken. Der links beobachtete aber hoch aufmerksam, wie du reagieren würdest, merkwürdig, nicht?“

„Vergiss es wieder, Ann! Inspektor nennt sich so was!? Weiterhelfen konnte ich ihnen auf jeden Fall nicht. Hättest mal sehen sollen, wie bedrückt, sich mehrmals entschuldigend, sie das Büro vorhin wieder verließen.“

„Vielleicht wollten sie nur mit dir reden?“

„Geredet haben Sie doch, da du mich fragst, nur lauter ungereimtes Zeugs.“

„Vielleicht in einer anderen Angelegenheit? Läuft da was, James, von dem ich nichts weiß?“

„Ha, da läuft so viel, von dem du nichts weißt, Ann. Brauchst auch deine hübsche Nase nicht überall hineinstecken. Kriegt man nämlich nicht so schnell wieder raus.“

„Also doch, ich höre!“

„Hörst du schon Gespenster? Was soll bei mir schon laufen? Arbeite von morgens bis abends, kenne selten Wochenenden, das kennst du doch auch.“

„Außer letzte Woche, und natürlich diesen Montag natürlich. Schon davor verschwandst du öfters vorzeitig in den Feierabend. Ein Wandel, der sich da ankündigt?“

„Das geht aber jetzt zu weit, Ann, spionierst du mir etwa nach? Ich, und Wandel? Wenn sich etwas dreht, dann sind es Rotoren auf dem Firmenflugplatz.“

„Nur so ‘ne Vermutung. Wie du weißt, sehe ich von meiner Schreibmaschine aus, wer nachmittags vom Werkparkplatz fährt. Morgens tippe ich selten, Sitzungen, du weißt schon. Und auffällig oft sah ich in den letzten Wochen, auch gestern wieder, deinen DeSoto früher als gewöhnlich in den Straßenverkehr Richtung Highway einreihen, bloß zu dir nach Hause fährst du in entgegengesetzter Richtung. Du hattest also noch was vor, nicht wahr?“

„Im Schließen warst du früher schon mal besser, echt. Findest du nicht, dass du dich zu weit aus dem Fenster lehnst?“

„Erster Stock, da fällt man nicht so tief, James. Also, wohin trieb es dich, wenn Kollegen noch schwitzen?“

„Na gut, ertappt, ich möchte auch mal was anderes sehen, überlegen, was die Welt mir noch bringt. Immer und ewig dieselben vier Wände, das kann es doch nicht gewesen sein. Dieses permanente Gejammere um den Break Even, der wieder und wieder um Prozentsätze verfehlt wird. Wir sind weder die Weltbank noch die United Fruit Company. Kriege können wir nicht kaufen, und wenn wir ohne Feuer wirtschaften, dreht sich die Welt trotzdem! Aus Frust fahr ich mal hierhin, mal dorthin – an den Strand, in den Wald. Gehe oft solange spazieren, bis ich die Taschenlampe zücken muss, um den Weg zurückzufinden, tja, Ann, so siehst aus. Lass mal überlegen, gestern? Gestern fuhr ich bis zum nördlichen Zipfel von Winthrops und spazierte bis zur Südspitze runter. Sollte mich übrigens wärmer einkleiden.“

„Nach Winthrop? Du warst doch gestern Richtung Süden weggefahren. Eine Kollegin folgte meinen erstaunten Blick und nahm mir die Frage vorweg: ‚Wo will der denn so früh hinfahren?‘

„Kann man nicht mal vorzeitig vom Parkplatz lenken, ohne dass dämlich nachgefragt wird. Meine angehäuften Überstunden und mein Rang erlauben mir das eben, zufrieden. Solange unser Arbeitgeber denkt, ich denke Gold, kann ich tun und lassen, was ich will, oder?“

„Und ich, tipp mir tagein, tagaus die Finger wund.“

„Mach, wie und was du willst. Ich nehme mir zurzeit die Ruhe, die ich brauche, alles andere sind absurde Verdächtigungen, die ich nicht brauche, kapiert.“

„Nein, nein, James, für so einen, wie dich, gibt es in deiner Abteilung immer etwas zu tun. Und wenn es Projektilgeometrien oder Strömungsverhältnisse zu analysieren gilt.“

„Du erstaunst mich, Ann.“

„Was glaubst du, was wir den lieben langen Tag im Sekretariat machen, Fingernägel maniküren und Illustrierten blättern? Hat dein selbstreinigendes Freizeitbedürfnis vielleicht mit den beiden Typen von vorhin zu tun, James?“

„Famose Assoziation. Wenn ich allein spaziere, na, dann spaziere ich allein. Auch wenn die beiden mir miteinander scherzend hinterhertrippelten, fielen sie mir nicht auf, so unscheinbar, wie die waren.“

„So unscheinbar wie vom Geheimdienst vielleicht?“

„Jetzt drehst du aber durch, Ann, ehrlich, eine Zentrifuge wäre nichts dagegen! Geheimdienst, unglaublich, auf welche Ideen du manchmal verfällst. Was sollten Geheimdienstler bei mir, und dann mich noch im Unternehmen mich aufsuchen? Aber wirklich, Vorstellungen hast du manchmal. Vergiss das wieder, aber schnell! Stell dich von mir aus unter die Brause mit eiskaltem Wasser. Schock verscheucht abseitige Gedanken oder so was. Geheimagenten würden bei mir im Büro auftauchen, Ann, Ann, was ist nur wieder hinter deiner Stirn los. Weißt du nicht, was Geheimagenten mir einem machen, den sie durch die Mangel drehen wollen? Jetzt muss ich aber energischst fragen, was du in deiner Freizeit machst? Ich rate mal, zu viele Agentenromane lesen? Geheimdienst, bei mir? Also, so was Absurdes hab’ ich mein Lebtag noch nicht gehört.“

„Also ist was dran, so, wie du dich aufregst, abwehrst, nach Ausflüchten suchst. Oh, wie gut ich meinen Bruder James doch kenne, nicht wahr?“

„Nein, Ann, auf gar keinen Fall ist da was dran, vergiss alles, aber ganz schnell! Ich weiß wirklich nicht, was die beiden bei mir wollten. Geheimdienst, vielleicht von der CIA? Da weißt du mehr als ich. Warum hast du mich in der Kantine nicht gewarnt, oh, ich Dummkopf.“

„Mit Sicherheit nicht! Du weißt doch sonst alles, ähm, vor allem besser. Warum rückst du nicht einfach mit der Sprache raus, James? Sag sofort, was los ist, denn wem außer mir kannst du schon vertrauen.“

„Vertrauen, nur noch was für Politiker.“

„Auf jeden Fall wirkten die beiden nicht so bescheuert, dass sie Hunderte von Meilen zurücklegen, ohne zu wissen, warum. Warum, James? Auf welchen Wegen wandelst du zurzeit?“

„Nicht so laut, Ann, diese Wände sind nicht die Dicksten.“

„‚Nicht die Dicksten‘, James? So was habe ich von dir noch nie gehört. Sag‘ mir hier und jetzt, was du vorletzten Samstag im Bowlingcenter in Providence zu suchen hattest.“

„In Providence, wieder mal überstürzter Themenwechsel, wie? Als ob ich meine kleine Schwester dafür nicht kennen würde. Kurze Antwort: Bowls rollen, wenn ich da gewesen wäre, war ich aber nicht. Da hast du mich wohl mit einem anderen verwechselt.“

„Blödsinn, du erinnerst dich hoffentlich noch, spätabends, vor deiner Dienstreise am Sonntag, James? Du warst im Bowlingcenter in Providence! Ich hab’ dich doch gesehen, lüg mich nicht an.“

„Ja, wenn du es sagst, Ann. Stimmt nur nicht, wie schade! Was soll ich auch in der Nacht vor einer Dienstreise in Providence? War übrigens schon länger nicht mehr da, ok!“

James lehnte sich zurück, zog in sitzender Rückwärtsbewegung eine Schreibtischschublade auf und eine Mappe heraus. Flüsterte, gerade noch verstehbar:

„Ach, darauf läuft also das Ganze hinaus? Erst visitieren mich Agenten unter Vorwand und dann werde ich noch verwechselt? Was planst du eigentlich gegen mich, Ann? Kapier endlich, dass in den Nebel hinein zu vermuten, nichts bringt! Raus, ich biete dir nicht länger ein Revier für wüste Spekulationen! Muss mich erholen, erst die beiden, dann du. Momentan bin ich nicht so stark.“

„Du schmeißt mich raus, James, hab’ ich so sehr ins Schwarze getroffen?“

„Raus, ich wiederhole mich, was ich selten tue. Das ist ja nicht mehr auszuhalten mit dir, Ann. Da kommen zwei Knilche zu mir, und du spekulierst dich um Kopf und Kragen. Ruf‘ sie doch einfach an! Keiner von ihnen wird dir einen Satz gönnen, der dir erklärt, was sie ausgerechnet in meine Abteilung trieb. Pusteblume!“

„… kann’s auch Löwenzahn sein? Lenk nicht ab, James, nicht nur die Zeit, auch wir schreiten voran. Also, ich hab’ dich was gefragt, was hattest du spätabends in diesem Bowlingcenter in Providence zu suchen?“

„Wenn ich da gewesen wäre, hätte ich dich bestimmt gesehen. Freudig überrascht wäre ich zu dir hingelaufen und hätte dich umarmt, leider war ich nicht da, tut mir leid!“

„Das gibt’s doch nicht, du schwindelst mich an, dass die Balken sich biegen, James.“

„Irrtum, fester Beton.“

„Vorletzten Samstagabend nach 10 Uhr abends. In den nächsten Stunden spielten wir Frauen an einer Bahn weiter hinten im Saal, du standst mehrmals am erhöhten Fenster von einem der Billardsäle, na, dämmert’s endlich?“

„Lass mich mal kurz überlegen, wann war ich zuletzt in Providence? Vorbeigefahren schon öfters, aber hineingefahren, und dass ausgerechnet vor Antritt meiner Dienstreise am Sonntagmittag? Tut mir leid, kein Funken einer Präsenz. Wer bin ich, Ann, dass du mich so fahrlässig verwechselst? Irren kann sich ja jede mal. Mann, wahrscheinlich meine Statur, kommt in unseren Breiten nicht selten vor. Und nach ein paar Gläser Spiritus im erlauchten Kreis kann man schon mal eine Allerweltsstatur wie die des eigenen Bruders verwechseln, nicht wahr?“

„Hältst du mich etwa für so bescheuert, James, dass ich nicht erkenne, wer am Breitfenster des zweiten Billardsaals stand, gelassen ein Glas vor sich hielt und dabei in die voll belegte Halle blickte? Du musst mein Winken doch aus der Menge heraus bemerkt haben, oder? Als ich mich kurz den Mädels zuwandte und mich wieder umdrehte, warst du verschwunden.“

„Ich war verschwunden, natürlich war ich verschwunden, war ja gar nicht da, wohin du mich stellst! Ann, ich muss es dir leider sagen, du bist einem Phantom aufgesessen!“

„Du lügst! Nicht ich hab’ dich erkannt, sondern eine frühere Kollegin, die dich kennt, machte mich zuerst auf dich aufmerksam: ‚Sieht mal, Ann, der da oben! Sieht der nicht wie dein Bruder aus?‘“

„Das ist es doch, ‚wie dein Bruder!‘ Für euch junge Frauen sehen die Kerle doch alle gleich aus, was verdächtigst du mich also noch. Howdy, und lass mich in Ruhe meinem Tagewerk nachgehen.“

„Ach, wie sie dahinschwebt, die Illusion.“

„Also gut, was hattest du eigentlich in Providence zu suchen, Ann?“

„Wie, das interessiert dich noch? Ach, die Langweile pur, ein Frauengeburtstag, und wer wird da nicht lieber eingeladen als die Vorgesetzte? Nachdem alle Abteilungen durchgehechelt waren, blieben uns nur Damenschuhe und Frisurstyles übrig, ah ja, und unsere Fingernägel zu lackieren. Bevor das große Gähnen die Runde machte, beschlossen wir, spätabends bowlen zu gehen, was hätte uns auch anderes in Providence einfallen sollen. Das Bowlingcenter lag quasi direkt um die Ecke. So, wie die meisten von uns angeheitert waren, konnten wir gerade noch uns aufrechthaltend und hinlatschen.“

„Und du, warst du etwa auch besoffen?“

„Bei mir ging es noch. Als wir auf der Bahn anfingen, warfen die Mädels trotzdem noch eine ordentliche Kugel, das hätte ich gar nicht gedacht. Na ja, wir hatten eben alle einen sitzen, was dir am Fenster stehend nicht entgangen sein sollte.“

„Wie denn, wenn ich doch nicht da war.“

„Du kannst mir erzählen, was du willst, mein lieber James, ich weiß es besser, also pass auf!“

„Jetzt hör‘ aber auf, Ann. Das Listige mag ich gar nicht an dir. Ist auch so was von unamerikanisch. Ich will ehrlich mit dir sein! Und die Wahrheit ist …! (Trommelgeräusche auf der Schreibtischplatte.) Ich war nicht in Providence!“

„Irrtum, Wahrheit ist niemals zum Beugen da, James! Wir beide wären zu vorgerückter Stunde fast im Toilettengang zusammengestoßen.“

„Schon wieder Toilettengang (zu sich geflüstert).“

„Wie, bitte?“

„Nichts, kurz weggetreten.“

„Du hattest dich ultraschnell in eine dunkle Ecke gebückt und Schuhe zugebunden. Na, geht dir nun ein Lichtchen auf? Ich drehte mich im Gehen noch um, dachte ‚das Sakko kennst du doch.‘ Als ich noch mal zurückging, um mich zu vergewissern, warst du verschwunden.“

„An der Stelle waren wir doch schon mal, Ann. Soweit ich’s kapiert hab’, rannte vorletzten Samstagabend ein Double von mir durch Providence, vielleicht aber war es auch kein Double – egal! Meine Wenigkeit fiel dir plötzlich aus was auch immer für welchen Grund ein und du täuschtest dich. Nur das magst du dir nicht eingestehen!“

„Hör‘ auf, der Trick ist so alt, dass ihm ein Bart wächst. Der sich bückte, warst doch du? So ein kleiner Dicker, wurstige Figur, aber listigen Blick begegnete mir nach zwölf kurz am Tresen. Er spielte auch im Billardsaal!“

„Kleiner Dicker mit listigem Blick? Mit so was verkehre ich schon gar nicht, nein! Nur mit großen Schlanken, die nicht flunkern.“

„Dann war er anscheinend eine Ausnahme. Warum belügst du mich, James? Beim Verlassen des Bowlingcenters erkannte ich, eher zufällig, deinen parkenden DeSoto. Tja, wenn ich eines kenne, dann dein elegantes Vehikel. Steht ja tagsüber in Nähe meiner Schreibmaschine und gelenkt hatte ich ihn auch schon mal. Der DeSoto parkte Richtung Straße und stand allein, Laternenlicht fiel auf den Kühler. Also ging ich wieder zurück und musste extra mehrere Streichhölzer entzünden, um bei lodernder Flamme das Kennzeichen abzuchecken. Rausreden kannst du dich spätestens jetzt nicht mehr! Dein DeSoto parkte weit über Mitternacht auf dem Parkplatz in Providence! Du warst also im Bowlingcenter, Autokennzeichen trügen eben nie.“

„Du hast das Kennzeichen im Dunkeln abgecheckt? Wie spät war’s denn?“

„Zwei, drei, vielleicht?“

„Ich werd‘ verrückt, warum kommst du jetzt erst damit raus, Ann.“

„Was denn jetzt wieder.“

„Etwas merkwürdig ist das schon, mein DeSoto friert auf dem Parkplatz eines Bowlingcenters in Providence, und ich bin ganz woanders.“

„Wo solltest du denn gewesen sein?“

„Tja, da brauche ich nicht lange zu überlegen, in meinem Schlafzimmer zu Hause, ja! Hatte mich tagsüber auf den Flug vorbereitet und war früh zu Bett gegangen. Dienstreise mit Flug schon sonntags, wie du weißt.“

„Natürlich, dazu bräuchtest du aber dein Auto? Wie sonst hättest du am Sonntagvormittag zum Airport kommen sollen? Warst du überhaupt noch mal zu Hause, oder hattest du deine Sachen gleich im Kofferraum mitgenommen? Am Sonntagabend warst du nämlich pünktlich im Hotel in Des Moines, Iowa.“

„Du hast das auch überprüft?“

„Natürlich, hab’ mich ziemlich gewundert? Zwei Uhr nachts in Providence Billardspielen, sechs Uhr abends in Des Moines ins Hotel einchecken. Wie kann das sein, wenn Bruder James doch kein Superman ist?“

„Das vermisst du an mir, nicht? Ann, es ist nicht so, wie du denkst, ehrlich! Für alles gibt es eine triftige Erklärung, dafür auch.“

„Na, da bin ich aber gespannt, die Wievielte?“

„Hast du nicht noch was anderes vor, als mir den Feierabend zu versauen?“

„Dann erklär‘ mir endlich, warum frühmorgens dein DeSoto in Providence, Rhode Island, vor einem Bowlingcenter parkte, aber du abends in Des Moines, Iowa, dein Hotelzimmer belegtest? Wie passt das zusammen? Ein schlafender James spielt Billard, Stunden, bevor er zu einer Geschäftsreise aufbricht, ich versteh das nicht. Und vor allem mit wem spieltest du Billard, konkreter, was läuft da?“

„Freust dich wohl schon innerlich, dass sich über mich alles zuzieht, wie? Dass sich nun doch herausstellt, ich hätte gelogen und dass du mich überführen kannst? Innerlich triumphierst du schon, wie genüsslich es ist, die Wahrheit aus deinem Bruder herauszuquetschen? Wie geht es denn dir damit, mich so in Richtung Abgrund zu drängen, Schwesterlein? Sieh mich an, berühre mich. Ich zittere nicht mal, schwitze auch nicht! Muss nur an mich halten, dass ich nicht wütend werde. Von dir hätte ich deinen Bruderfrevel am wenigsten erwarten, wirklich, Ann. Gleich zwei Anschläge auf einmal und hintereinander, und das in meinem Büro.“

„Ich weiß nicht mehr, was in dich gefahren ist, James? Warum lügst du mir die ganze Zeit was vor? Deine alligatorlederne Aktentasche lag ja auf dem Hintersitz. Ich hab’ sie doch erkannt.“

„Du hast recht, Aufregung pur! Ich packte gerade, früher Samstagabend, plötzlich rief Bobby an. Du weißt schon, der, von dem sich immer was lernen lässt. Sein Chevy spränge nicht an, aber er bräuchte dringend ein Auto. Na ja, ob er meinen DeSoto leihen könnte. Es kam, wie es kommen musste. Ich konnte kein ‚nein‘ wiederholen, stattdessen ließ ich mich erweichen, obwohl ich selber wegen der bevorstehenden Dienstreise auf brennenden Kohlen saß. Weiß auch nicht, warum ich ihm den DeSoto und die Schlüssel an jenem Abend anvertraute. Bobby schwärmte mir vor, dass er was Neues am Laufen habe, wovon seine Claris natürlich nichts wissen dürfe. Du erzählst nichts davon, was ich dir jetzt erzähle, kapiert!“

„Es handelt sich wohl um ‘ne Amouröse?“

„Na ja, Bobby quatschte mich voll. Seine Frau vergliche hinterher Tachoanzeigen, außerdem hätte sein Chevy ‘nen Motorschaden. Na ja!? Also vertraute ich ihm den DeSoto und den Autoschlüssel für Abend und Nacht an. So schwer es mir auch fiel, aber Bobby versprach, dass am vorletzten Sonntagmorgen der DeSoto wieder vorm Haus stände. Wir vereinbarten, dass der Autoschlüsselbund morgens von ihm in den Briefkasten geworfen werden sollte. Was war, nichts war! Noch im Schlafanzug zog ich die Wohnzimmergardine zur Seite, kein DeSoto, und Bobby war auch nicht zu erreichen. Dumme Situation an dem Morgen.“

„Und, wie bist du am Sonntag trotzdem zum Flughafen gekommen?“

„Mit dem Taxi natürlich! Jede Menge Zaster dafür geblecht! Entweder wohne ich zu weit weg oder der Flughafen liegt zu weit entfernt.“

„Deine Taxifahrten hin und zurück hattest du nicht als Dienstreise abgerechnet?“

„Was? Ach, geschenkt! Auf jeden Fall hast du aus mir rausgekitzelt, was du wolltest, zufrieden? Woher sollte ich auch ahnen, dass es Bobby zum Bowling nach Providence zieht? Ist wohl was schief gelaufen mit seinem Rendezvous? Als ich dann am Dienstag zurückkam, parkte der DeSoto kratzerlos vor der Haustür.“

„Und, siehst du es Bobby nach?“

„Wäre das wenigstens geklärt!“

„Noch nicht ganz! Deine Aktentasche im Wagen Samstagnacht, was ist mit der? Unterlagen sind doch wie Nahrung für dich, James.“

„Ann, du bist schon ziemlich lange bei mir hier oben. Wir werden uns an diesem herrlichen Tag ...“

„Wieso, herrlich? Sieh, Wolken ziehen sich überm Atlantik auf und zu.“

„… sowieso nicht mehr einig. War ich dort oder war ich nicht dort? Wenn du deiner brüderlichen Seele nicht glaubst, ruf‘ Bobby an! Der berichtet dir sicherlich gerne, wie exzellent sich der DeSoto samstagnachts nach Providence steuern ließ. Ich denke, es ist Zeit für dich, zu gehen. Du lachst doch so gern, nicht? Seit du hier oben bist, hast du nicht einmal gescherzt, Ann. Bis Dienstschluss habe ich noch einen Bericht zu tippen und zu unterschreiben. Wenn du mich fragst, irrst du dich gewaltig, bye.“

Mit hängendem Kopf verließ Ann James Büro. Überhaupt war sie nicht zufrieden mit dem, auf das sie sich keinen schlüssigen Reim machen konnte. James hatte geschwindelt, und sie würde schon noch herausbekommen, weswegen. Bei den beiden Trenchcoats am frühen Nachmittag gegenüber James in der Kantine konnte es sich nur um Geheimagenten in zivil gehandelt haben, aber warum tauchten bloß so welche an James‘ Arbeitsplatz auf? James im Fokus der CIA? Sie erschrak und fühlte sich urplötzlich, als würde sie den Boden unter den Füßen verlieren.

Die atlantische Magd

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