Читать книгу Die Stadt unter dem Land - Ralph G. Kretschmann - Страница 7
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Оглавление„Das ist eine echte Erdmann-Jacke!“ Der große Mann mit dem Backenbart wendete die Jacke und hielt sie Werner Graf hin. „Steigen Sie doch mal rein. So was gibt es heute gar nicht mehr. Das ist noch echtes, schweres Pferdeleder!“
Graf drehte sich um und schlüpfte in die schwarze Lederjacke, die dem Schnitt seiner alten Kabanjacke ähnelte. Der Kaban war so gut wie ruiniert worden bei seinem kleinen Abenteuer in Mulsum, und er brauchte dringend eine neue.
„Sieht Klasse aus!“, behauptete der Verkäufer. „Schau‘n Sie mal in den Spiegel …“ Graf war sich sicher, dass der Verkäufer das zu allen Kunden gesagt hätte, aber ein Blick in den Spiegel zwischen den Regalen bewies, dass es nicht gelogen war. Sie passte perfekt. Graf knöpfte die zweireihige Jacke mit den glänzenden Knöpfen zu und drehte sich. Werd‘ ich noch eitel auf die alten Tage, dachte er und grinste unwillkürlich.
„Das ist ein altes Polizeimodell. Wir haben noch Restbestände aufgekauft, als die neuen Uniformen eingeführt worden sind“, behauptete der Mann mit dem Backenbart und setzte zu einer langatmigen Erklärung an.
„Ich nehm‘ sie!“, brummte Graf. „Und ich lass sie gleich an.“ Das Wetter war nicht eben freundlich, und die schwere Lederjacke würde ihn besser gegen den kalten Wind schützen, der durch die Straßen pfiff.
Ein paar Minuten später verließ er den Laden und ging mit seiner neuen alten Jacke die Straße zur S-Bahnhaltestelle hinunter. Mit hochgeschlagenem Kragen und die Hände tief in den Taschen vergraben, stapfte er gegen den steifen Wind an. Regentropfen mischten sich in die kalten Böen.
In Gedanken hing Werner Graf den Ereignissen der letzten Wochen nach. Es waren aufregende Wochen gewesen. Sie hatten ihn aus dem gewohnten Trott seiner Frührente gerissen, der sich nun wieder seiner zu bemächtigen versuchte.
Graf stieg in Barmbek um in die U3 und fuhr bis Eppendorfer Baum. Im Eppendorfer Weg kaufte er seinen Lieblingskaffee in der Kaffeerösterei Burg. Der rumpelige, alte Laden strahlte noch immer den kolonialen Charme aus, den er aus seiner Jugend kannte. Er mochte diese Atmosphäre. Der Duft des frisch gerösteten und gemahlenen Kaffees verleitete ihn zu einem Besuch in dem kleinen Café in der Hegestraße, das er fast genauso lange kannte wie die Rösterei Burg, auch wenn das Café mehrfach Ambiente und Besitzer gewechselt hatte. Er wählte ein Stück Käsekuchen zu seinem Cappuccino. Sonst trank er seinen Kaffee schwarz, aber heute war ihm nach etwas Süßem. Er musste sich eingestehen, dass ihm langweilig war. Die Aufregungen der letzten Wochen und die ganze Affäre um Meister Wigbold hatten seinen geruhsamen Alltag umgekrempelt und fehlten ihm. Es waren nur wenige Tage gewesen, aber sie hatten ihm ein Leben gezeigt, das er nicht gekannt hatte. Und ihm fehlte Jasmin Dreyer.
Die junge Frau war so erfrischend gewesen und dazu noch äußerst attraktiv …
Graf wischte die Gedanken beiseite. Er, der alte Sack, und ein so junges Mädchen! Undenkbar … unziemlich in jedem Fall. Trotzdem musste er immer wieder an sie denken.
Wenn er nicht so viel älter wäre als die junge Frau, dann würde er sich ganz sicher um sie bemühen. Aber er war nun einmal alt genug, um ihr Vater sein zu können …
Graf trank seinen Kaffee und aß seinen Kuchen, zahlte und schlurfte wieder zur U-Bahnstation Eppendorfer Baum. Die U3 brachte ihn zum Millerntor, zur Station St. Pauli. Mit dem noch immer frisch duftenden Kaffee unter dem Arm ging er weiter in Richtung Hein-Hoyer-Straße. Aber bevor er in seine Wohnung hinaufging, machte er einen Abstecher in den kleinen Laden für gebrauchte Elektronikartikel. Nachdem er nun schon einen Computer angeschafft hatte, wollte er sich auch ein Mobiltelefon besorgen. Bisher hatte er für so ein Telefon keinen Bedarf gesehen, aber die Zeiten änderten sich und Graf sah ein, dass es Vorteile hatte, von unterwegs telefonieren zu können.