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3.

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Werner Graf war nicht der Einzige, dem die Aufregung fehlte. Oder anders gesagt, die Spannung, die das Lösen eines Rätsels mit sich brachte. Jasmin Dreyer langweilte sich. Mehr als das, sie war frustriert. Zusammen mit Graf war sie es gewesen, die den Schatz von Magister Wigbold entdeckt hatte. Keinen Schatz aus Gold und Silber, aber einen aus Pergament und Papier. Bücher, die unbezahlbar waren. Und nun saß sie da und scannte.

Man hatte sie in ihren Augen kaltgestellt, abserviert, aufs tote Gleis geschoben. Sie war zu mehr qualifiziert als nur dazu, die unwichtigeren Werke zu scannen! Aber die Universitätsleitung hatte die Leitung einem dummen, alten Mann übertragen. Weil er eine Professur hatte. Weil er vor Jahrzehnten ein Buch über die Entwicklung der karolingischen Minuskel geschrieben hatte. Eine himmelschreiende Ungerechtigkeit! Dabei waren die Bücher, um die es ging, nicht einmal in dieser Schriftart verfasst worden …

Jasmin hatte versucht zu protestieren, aber man hatte ihr zu verstehen gegeben, dass sie sich entweder mit dieser unliebsamen Aufgabe begnügte oder gar nicht am Projekt mitwirkte. Sie begann, die herrschenden Hierarchien dieses Instituts zu hassen.

Jasmin legte also Buch für Buch, Seite für Seite, auf den Scanner, wartete, bis eine Seite gescannt war, blätterte um und scannte wieder. Seite um Seite, wieder und wieder. Und immer schön die richtige Seitenzahl und die Kürzel für die Bücher eingeben. Ermüdend.

Noch zehn oder elf Doppelseiten, dann war sie mit dem Buch durch, das sie in diesem Moment bearbeitete. Eine Zusammenfassung von Inventarlisten eines Kauffahrers aus der Zeit, in der Magister Wigbold und Klaus Störtebeker ihre Beutezüge unternommen hatten. Sie nahm das Buch vom Scanner, blätterte die gescannte Seite bedächtig um, und ein loses Blatt rutschte zwischen den Seiten heraus und fiel zu Boden. Mit ihren behandschuhten Fingern war es nicht einfach, das glatt gepresste alte Papier vom ebenso glatten Linoleumboden aufzuheben.

Jasmin warf einen flüchtigen Blick auf das Blatt, auf dem verblasste Buchstaben in einer veralteten Schrift zu erkennen waren. Unleserlich, wie hingeschmiert, und kaum noch zu erkennen.

Sie legte das Blatt auf ihre Mappe, um es später zu scannen. Wenn sie es jetzt dazwischen schob, würde sie mit der Reihenfolge durcheinanderkommen. Weiter mit dem Buch … umblättern, scannen, speichern.

Die Tür zu dem kleinen Raum, in dem sie arbeitete, wurde geöffnet, und Doktor Lindner spähte durch den schmalen Spalt. Lindner. Ausgerechnet der! Der, der ihr vor die Nase gesetzt worden war. Er sah abschätzig auf Jasmin herunter. „Sind Sie immer noch nicht fertig?“ Allein seine Stimme reichte aus, dass sich ihr die Nackenhaare aufstellten.

„Das braucht eben seine Zeit“, erwiderte sie. „Das sollten Sie eigentlich wissen.“ Sie konnte sich die Bemerkung nicht verkneifen. „Präzision geht vor Tempo.“

Lindner verzog den Mund. „Sparen Sie sich Ihre schnippischen Bemerkungen. Ich bin Ihr Vorgesetzter, und Sie tun, was ich Ihnen auftr…“

Das Buch traf ihn mitten auf der Stirn. Lindner, ein schmächtiger Mann mit hoher Stirnglatze, taumelte zurück, stolperte und fiel nach hinten um, mehr, weil er von Jasmins Reaktion überrascht worden war, als von der Wucht des Treffers durch das eher schmale Buch.

Jasmin war stinksauer. Der Mistkerl hatte den Bogen endgültig überspannt. Wie eine Furie schoss sie von ihrem Drehhocker hoch und auf den am Boden liegenden Mann zu.

„Was bilden Sie sich eigentlich ein? Sie haben Ihre Erziehung wohl im Eiltempo erhalten, oder warum sind Sie so ein Arsch?“ Wütend funkelte sie Lindner an.

„Sie … Sie …“, stammelte der vom Boden aus.

Jasmin beugte sich tiefer zu ihm hinunter. „Sie, Sie! Wissen Sie was? Scannen Sie Ihren Scheiß doch allein, Sie Armleuchter! Inkompetenter Wichser!“ Sie brüllte fast. Im Flur hatten sich einige Türen geöffnet, Kollegen und Studenten waren herausgetreten und starrten auf die beiden Streithähne.

„Ich kündige!“

Sie riss die Glacéhandschuhe von den Fingern und warf sie dem Mann an den Kopf, der da mit hochrotem Kopf auf dem Nadelfilz lag. „Mir reicht‘s, und in einem Laden, der so einen wie Sie für qualifiziert hält, will ich nicht arbeiten!“

Von irgendwo kam verhaltener Applaus. Jasmin richtete sich auf, drehte sich um, schnappte sich ihre Mappe, ihre Jacke und ihren Rucksack und stieg über den glotzenden Linder hinweg.

„Ich wusste immer, dass Sie …“, begann Lindner, der sich langsam wieder fing, aber Jasmin fuhr herum und setzte ihm einen Schuh auf die Brust.

„Halten Sie bloß die Fresse, Sie … Kein Wort mehr, sonst passiert was! Und wenn Sie noch irgendetwas von sich geben, sorge ich dafür, dass Sie Besuch bekommen, Freundchen! Und glauben Sie mir, ich kenne Leute, die noch viel unangenehmer sind, als Sie es sich auch nur vorstellen können!“

Fast hätte sie den Kerl angespuckt, aber auf diesem Niveau wollte sie ihn nicht bedienen. Mit erhobenem Kopf ging sie den Flur hinunter zum Ausgang.

„Schönen Tag noch, Doktor Arsch!“, rief sie und knallte die Tür so heftig zu, wie sie nur konnte.

Das Adrenalin in ihrem Blut reichte aus, um sie bis auf die Straße zu begleiten, dann ließ die Wirkung nach, und Jasmin fragte sich, was sie gerade angerichtet hatte. Ihren Job war sie nun los … Zitternd lehnte sie sich an das Geländer, das den Gehweg von der Fahrbahn trennte. Auf der anderen Seite war es ein gutes Gefühl. Es war schon lange an der Zeit gewesen, dass jemand diesem arroganten Kerl den Mittelfinger zeigte. Vielleicht konnte sie an der Uni eine andere Stelle bekommen. Nur, wollte sie das? Sie hatte früh von einer Karriere an der Universität geträumt, doch die Realität hatte sich sehr von dem unterschieden, was sie sich vorgestellt hatte. Sie war eine Frau, sie war nicht konform und gegen den Strich gebürstet. Eine akademische Laufbahn verlangte, dass man sich an die Regeln hielt und darüber hinaus ein Mann war, wenn man schnell und problemlos die Leiter hinaufklettern wollte.

Jasmin beschloss, sich am heutigen Abend zu besaufen. Es war zwar erst kurz nach zwei, aber in der nächsten Kneipe, die auf ihrem Weg lag, bestellte sie einen dreifachen Wodka. Sie kippte ihn in einem Sturz hinunter, zahlte und suchte sich ein anderes, gemütlicheres Lokal, um sich endgültig die Kante zu geben. So oder so, das hatte sie sich verdient.

Die Stadt unter dem Land

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