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Karl Rink hatte schon immer mehr vom Leben erwartet. Er war Junggeselle, vierundzwanzig Jahre alt, mit blauen Augen und kurz geschorenem Haar und arbeitete als Buchhalter bei dem Chemieunternehmen I.G. Farben in Berlin. Sein mageres Gehalt reichte kaum aus, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Sein Büro war klein und dunkel und seine Arbeit langweilte ihn. Karl träumte von einer anderen Karriere, von einem Beruf, der lukrativer und interessanter war und in dem er wirklich erfolgreich sein konnte. Hin und wieder nahm er einen Anlauf und machte sich auf die Suche nach einer neuen Arbeit, doch die einzigen Stellen, für die er qualifiziert zu sein schien, waren in der Buchhaltung. Sehr schnell hatte er begriffen, dass sich Hunderte von Bewerbern auf die interessanten Stellenangebote stürzten, darunter viele, die besser und qualifizierter waren als er. Mit der Zeit hatte er nur noch wenig Hoffnung, dass sich jemals etwas ändern würde.

Der einzige Ausgleich zu seinem eintönigen Alltag war der Sport. Rink war ein ausgezeichneter Radrennfahrer – hier konnte er sein echtes Talent zeigen. Er gehörte dem firmeneigenen Sportverein an, trainierte jedes Wochenende und bei jedem Wetter, quälte sich im Gebirge auf steilen Pfaden bergan. Im Regal seiner kleinen Wohnung reihten sich die Pokale. Darüber hing in einem Rahmen ein Artikel aus einer Lokalzeitung über seinen Sieg in einem regionalen Radrennen.

Am 12. September 1924 hatte er es besonders eilig, nach der Arbeit nach Hause zu kommen. In seiner Einzimmerwohnung in einer trostlosen Arbeitersiedlung im Berliner Westen zog er seinen dunklen Anzug an, band sich eine Krawatte um und holte seine Eltern ab, die in einem entfernten Vorort wohnten. Mit dem Bus fuhren sie zu dritt zum Standesamt, wo Mira, ihre Eltern und eine Handvoll Freunde schon auf sie warteten.

Mira, ein Mädchen von einundzwanzig Jahren mit dunklem Haar, heller Haut und molliger Figur, war beim Justizministerium in der Abteilung für Testamente als Bürokraft beschäftigt. Arm in Arm stand sie mit Karl in ihrem weißen Kleid vor dem Standesbeamten, der ihre Trauung vollzog.

Dass Mira Jüdin war, stand ihrer Liebe nicht im Wege. Karls Eltern – sein Vater war Lastwagenfahrer und seine Mutter Hausfrau – kümmerten sich nicht um kulturelle oder religiöse Unterschiede und liebten Mira wie eine Tochter. Miras Eltern besaßen ein Lebensmittelgeschäft und lebten streng nach den jüdischen Gesetzen und Bräuchen. Auch wenn Ehen zwischen Juden und Christen in Berlin keine Seltenheit waren, hatten sich Miras Eltern entschieden gegen eine Verbindung mit einem Nicht-Juden ausgesprochen. Karl und Mira hatte lange Zeit versucht, mit ihnen zu reden und sie umzustimmen. Und Mira hatte so lange gebeten, ihren Verlobten heiraten zu dürfen, bis ihre Eltern sich geschlagen gaben.

Das junge Paar bekam ein paar wenige Hochzeitsgeschenke, vorwiegend Gläser und Porzellan. Karls Kollegen hatten eine kleine Summe gesammelt, und sein Chef überreichte ihm einen Umschlag mit einem Wochenlohn. Die Eltern des Hochzeitspaares gaben einen bescheidenen Empfang und schenkten den Frischvermählten ein Doppelbett.

Verliebt und glücklich verbrachten Mira und Karl ihre zweitägige Hochzeitsreise in einem kleinen Ort im Schwarzwald. Mit dem Rad fuhren sie auf verschlungenen Wegen durch die Wälder, aßen Blutwurst und tanzten bis in die frühen Morgenstunden zur Musik einer einheimischen Kapelle in einem örtlichen Gasthof. Wieder in Berlin, zog Mira in Karls Wohnung ein, und als das Jahr zu Ende ging, wurde ihre Tochter Helga geboren. Die stolzen Eltern standen stundenlang vor der Wiege und konnten sich nicht sattsehen an dem kleinen Wesen.

Ihr Leben war ruhig und beschaulich. Sie liebten einander und ihre kleine Tochter und spazierten gern an warmen Wochenenden mit dem Kinderwagen durch den Park. Mira wurde im Justizministerium befördert, und Karl gab die Hoffnung nicht auf, eines Tages endlich seine Traumstelle zu finden. Beide blickten sie der Zukunft zuversichtlich entgegen und freuten sich auf ein Leben voll Glück, Wohlstand und beruflicher Erfüllung.

Sie sollten sich irren.

Gertrudas Versprechen

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