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Die Erpressung 1.

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Wie ein Kind sein Lieblingsstofftier streichelt, so pflegte der neunundzwanzigjährige Emil mit seinen kräftigen Händen über die Radkappen des weißen Cadillac zu streichen. Er trug seine schwarze Chauffeurlivree und eine weiße Schirmmütze. Emil war Pole und katholisch, groß und dunkel und der Chauffeur der Familie Stolowitzky. Für seine treuen Dienste wurde er mit den Dingen honoriert, die ihm am wichtigsten waren: ein guter Lohn, ein warmes Zimmer und drei Mahlzeiten am Tag.

Der Cadillac rollte über eine von Schlaglöchern durchsetzte Landstraße, doch die erstklassige Federung fing die schlimmsten Stöße ab. Sie hatten die Stadtgrenze Warschaus bereits weit hinter sich gelassen, und Emil warf zwischendurch einen Blick auf seine Arbeitgeber hinten im Fond. Jacob Stolowitzky, ein kleiner, drahtiger, nervös wirkender Mann von sechsunddreißig Jahren in Jagdkleidung und Lederstiefeln, rauchte eine dicke Zigarre. Daneben seine Frau Lydia, vierunddreißig und schön wie eine Prinzessin in ihrem schneeweißen Kleid, die ihn bat, mit dem Rauchen aufzuhören. Und ihr zweijähriger rotwangiger Sohn Michael, der in seinem maßgeschneiderten kleinen Anzug still an einem Stück Schokolade kaute. Vorn auf dem Beifahrersitz saß die Kinderfrau, Martha.

Martha war dreißig Jahre alt, eine schmale junge Frau mit ernstem Gesicht. Sie kümmerte sich gut um Michael, lehrte ihn Gehorsam, Manieren und Höflichkeit, spielte mit ihm und brachte ihm viele Dinge bei. Die Eltern waren zufrieden mit ihr. Sie erzogen Michael liebevoll und sorgten dafür, dass es ihm an nichts mangelte. Es verging keine Stunde, in der Lydia nicht mindestens einmal nach ihm schaute, ihn in die Arme nahm und küsste und sich nach seinem Befinden erkundigte. Sie wusste, dass sie aller Wahrscheinlichkeit nach keine weiteren Kinder mehr zur Welt bringen würde. Nach Meinung der Ärzte war eine dritte Schwangerschaft zu risikoreich, und Lydia und ihr Mann waren überzeugt, dass Michael ihr einziger Erbe sein würde.

Müde und zufrieden ließ sich die Familie in den weichen Ledersitzen der amerikanischen Limousine durch die Landschaft schaukeln, voll Vorfreude auf einen sorgenfreien Urlaub in ihrer ländlichen Sommerresidenz.

Die Straße führte durch verschlafene Städte und ärmliche Dörfer. Bauern blickten erstaunt auf, als das prunkvolle Auto vorbeifuhr, der einzige Cadillac in ganz Polen. Jacob Stolowitzky streifte sie mit gleichgültigem Blick. Seine Frau cremte sich die zarten Hände mit einer duftenden französischen Hautcreme ein. Michael klebte am Fenster und musterte die Leute in schäbigen Kleidern, die ihrem Auto hinterherstarrten, als käme es von einem anderen Stern. Sie waren anders als die Leute, die er zu Hause in der Ujazdowska-Allee sah, Fremde in seiner Welt, so wie er ein Fremder in der ihrigen war.

Wie sein Vater war Jacob ein guter Geschäftsmann, klug und vorausschauend. Er verstand es, die familieneigenen Unternehmen zu vergrößern, erwarb Kohle- und Eisenminen, Häuser und Ländereien, unterzeichnete Partnerverträge mit Firmen in aller Welt und war Arbeitgeber für Hunderte von Angestellten. Einen Großteil seines Geldes legte er bei Schweizer Banken auf geheimen Nummernkonten an, wobei er stets einen Teil an Wohltätigkeitsorganisationen spendete. Abgesandte aus Israel, die nach Polen kamen, wurden im Hause Stolowitzky großzügig beherbergt und fuhren nie mit leeren Händen zurück. Hin und wieder versuchten sie, Jacob zu überzeugen, mit seiner Familie ins Gelobte Land überzusiedeln. „Was soll ich denn in Israel?“, pflegte er zu antworten. „Ich bin zufrieden hier.“

Das Leben meinte es gut mit ihm in Polen. Er und seine Familie pflegten einen Lebensstil, der für die meisten Menschen unerreichbar war. Die Stolowitzkys konnten so viele Bedienstete einstellen, wie sie wollten; sie konnten in den Metropolen Europas einkaufen, teuren Schmuck und elegante Kleider tragen und jedes Frühjahr mit ihrer Luxusjacht auf der Adria segeln, einmal sogar mit dem Herzog von Windsor und seiner Geliebten, Mrs Simpson.

In ihrem herrschaftlichen Haus veranstalteten sie rauschende Bälle, luden die polnische Elite und berühmte Gäste aus dem Ausland ein. International bekannte Künstler traten in dem großen Ballsaal auf. Ihre Urlaube verbrachten sie gern auf ihrem Sommersitz, einem wunderschönen Gut zwei Autostunden von Warschau entfernt.

Der malerische Landsitz war von dichtem Wald umgeben und grenzte an einen idyllischen kleinen See. Auf dem weitläufigen Gelände hatten die Stolowitzkys parkähnliche Gärten sowie Obst- und Gemüseplantagen anlegen lassen. Mitten im Wald, auf einer Lichtung, befanden sich geschmackvolle Holzhäuser für die Familie und ihre Gäste sowie für das Personal, das ganzjährig dort wohnte, um die Gebäude instand zu halten.

Endlich waren sie am Ziel. Zwei bewaffnete Wachmänner beeilten sich, das schwere Eisentor zu öffnen, und verbeugten sich, als der weiße Cadillac an ihnen vorüberfuhr. Vor dem größten Holzhaus hielten sie an und stiegen aus. Emil nahm wie immer den kleinen Michael auf die Schultern und galoppierte mit ihm zum Haus. Nachdem der Chauffeur das Kind in der geräumigen Diele abgesetzt hatte, ging er in den Garten und pflückte einen Blumenstrauß für Lydia. „Nie vergessen Sie die Blumen“, pflegte sie zu sagen und dankte ihm mit einem warmen Lächeln, während er ihr galant den Strauß überreichte. Jacob lächelte ebenfalls und klopfte dem Chauffeur anerkennend auf die Schulter.


Jacob Stolowitzky, Juli 1929

„Wie könnte ich sie jemals vergessen“, erwiderte Emil mit schmeichelnder Stimme. „Gnädige Frau sind wie eine Mutter zu mir.“

Die betagte Haushälterin begrüßte die Familie mit unterwürfigen Verbeugungen und sorgte dafür, dass das Gepäck ausgeladen und auf die Zimmer gebracht wurde. Die Räumlichkeiten waren schlicht, aber edel möbliert, die Betten mit schneeweißen Laken bezogen und mit weichen Daunendecken bestückt. Durch die geöffneten Fenster wehte der würzige Duft von Tannennadeln. Das Rauschen des Waldes, begleitet von einer Symphonie der Vogelstimmen, drang an das Ohr. Die Sonne lachte von einem wolkenlosen blauen Himmel herunter. In den gepflegten Gärten leuchteten die Blumen.

Das Personal hatte bereits vor der Ankunft der Familie emsig Vorbereitungen getroffen. Die geladenen Verwandten, Freunde und Geschäftspartner, die ihren Urlaub gemeinsam mit den Stolowitzkys in ihrer Sommerresidenz verbringen würden, waren bereits angereist oder wurden – sofern sie nicht im eigenen Wagen von ihrem Chauffeur gefahren wurden – mit Kutschen vom Bahnhof abgeholt. Aus den Häusern drang Lachen und das unbeschwerte Geplauder der Gäste. Angestellte servierten ein opulentes Mittagessen auf einem Esstisch, der vierhundert Jahre zuvor der polnischen Königsfamilie gehört hatte. Kinder rannten umher und spielten auf dem Rasen, Babys wurden von ihren Kindermädchen im Sonnenschein spazieren gefahren.

Das Abendessen fiel genauso üppig und extravagant aus wie die Mittagsmahlzeit, und nach dem Essen bat Lydia alle Gäste in den Ballsaal zum Konzert eines berühmten Kammerorchesters, das eigens zu dieser Gelegenheit aus Warschau gekommen war. Später zogen sich die Männer zurück und rauchten Zigarren, die Damen tranken warmen Cognac. Hausangestellte verteilten kleine Süßigkeiten auf den Kopfkissen. Später würden sie die Schuhe der Gäste, die über Nacht vor den Zimmertüren standen, auf Hochglanz bringen.

Bei Tagesanbruch ritt die Familie mit ihren Gästen zur Jagd und zum Angeln, in Begleitung des gutseigenen Försters. Die erbeuteten Fasane und Steinbutte wanderten in die Küche und wurden dort für das Abendessen zubereitet. Am Nachmittag breiteten die Bediensteten weiße Picknickdecken am Seeufer aus und verwöhnten die Herrschaften mit erlesenen Köstlichkeiten und einem leichten Wein. Lydia las ihrem Sohn eine Geschichte vor, während Martha, die Kinderfrau, ausritt.

Als es Abend wurde und die Gesellschaft sich anschickte, zum Haus zurückzukehren, bemerkte man, dass Martha immer noch fehlte. Lydia und Jacob begannen, sich Sorgen zu machen. Martha war außergewöhnlich gewissenhaft und kam nie zu spät. Sie warteten noch kurze Zeit, dann trommelte Jacob eine Gruppe Reiter zusammen, um Martha zu suchen. Sie fanden sie in einiger Entfernung vom Haus, im Wald zwischen den Bäumen liegend. Die Kinderfrau stöhnte vor Schmerzen. Das Pferd lag neben ihr mit gebrochenem Bein. „Er ist ganz plötzlich gestolpert, vielleicht in ein Kaninchenloch getreten“, sagte sie mit matter Stimme. Auf einer provisorischen Trage aus Decken und Jagdgewehren trug man sie zurück ins Sommerhaus.

Ihr Unfall löste Sorge und Bestürzung aus. Martha war mehr als ein Kindermädchen; sie war zu einem geliebten und geschätzten Familienmitglied geworden. Michael schluchzte und Lydia ließ Emil rufen, der die Verletzte nach Warschau ins Krankenhaus brachte. Sie selbst fuhr ebenfalls mit. Bei der Eingangsuntersuchung wurde eine komplizierte Knieverletzung festgestellt sowie mehrere Quetschwunden am Arm. Die Ärzte äußerten sich besorgt. „Sie müssen ganz viel Geduld haben“, sagte einer von ihnen. „Es wird sehr lange dauern, bis das Knie wieder belastbar ist.“

Lydia fuhr nicht sofort mit zurück zum Sommerhaus. Marthas Unfall ging ihr so nahe, dass sie stundenlang an ihrem Bett saß, versuchte, ihre Schmerzen zu lindern, ihr Trost zu spenden und sie aufzuheitern. Nie zuvor waren ihr Krankheit, Leid und Schmerz so unmittelbar begegnet; sie betete um Marthas schnelle Genesung.

Gertrudas Versprechen

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