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Zwei Hochzeiten 1.

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Graf Stefan Roswadowsky stürzte wütend ein weiteres Glas Brandy herunter. Er war ein dickbäuchiger, rotgesichtiger Mann, auf dessen Militäruniform die Orden seiner Vorväter prangten. Seine zweiundsiebzig Lebensjahre glichen einer nie endenden Vergnügungsreise. Unter seinem breiten Kiefer hing ein rosa Doppelkinn wie ein fetter Kloß, das wie der übrige Körper durch die Jahre des ausschweifenden Lebens an Fülle zugenommen hatte.

Draußen knirschten Wagenräder auf dem Kiesweg und kündigten die Kutsche an. Ein Anflug von Übelkeit stieg wie eine böse Vorahnung in ihm auf. Er würde alles darum geben, um die folgende Begegnung zu vermeiden.

Die düsteren, bleiernen Wolken über Warschau passten zu seiner Stimmung. Ein dünner, bindfadenartiger Regen fiel kaum hörbar auf die gepflegten Gartenanlagen des herrschaftlichen Hauses in der Ujazdowska-Allee 9, als die Kutsche vor dem Eingang hielt. Der Kutscher sprang vom Bock und öffnete dem Fahrgast die Tür. Ein Mann um die vierzig in einem eleganten Wollmantel stieg aus. Er war groß und schlank, hatte einen selbstsicheren, entschlossenen Zug um den Mund und ging geschmeidigen Schrittes auf das Haus zu. Der Kutscher hielt ihm einen Regenschirm über den Kopf und geleitete ihn zur Tür. Von seinem Fenster aus beobachtete der Graf die Szene mit wachsendem Unbehagen. Jeden Augenblick würde der Gast seinen Fuß über die Schwelle setzen und damit die Familienehre der Roswadowskys und seine eigene Ehre unwiederbringlich zerstören.

Ein Dienstbote in schwarzer Livree bat den Gast mit ausdrucksloser Miene ins Haus und nahm ihm den Mantel ab.

„Wenn der Herr bitte warten möchten“, sagte er in unterwürfigem Tonfall, „ich werde Graf Roswadowsky von Ihrer Ankunft unterrichten.“

Leise öffnete der Hausdiener die Tür zu Roswadowskys Arbeitszimmer und machte eine tiefe Verbeugung. „Euer Gnaden“, kündigte er an, „Herr Stolowitzky ist da.“

Der Graf zögerte. „Es schadet dem Juden nicht, wenn er ein bisschen warten muss“, brummte er unwillig. Er brauchte noch etwas Zeit, um sich für die bevorstehende Unterredung zu wappnen.

Seufzend sank der Graf tiefer in seinen Sessel. Von den mit Samt bezogenen Wänden schauten seine Vorfahren auf ihn herab, ordensschwere Offiziere mit Schwertern, hoch zu Ross auf edlen Pferden mit wallenden Mähnen und schimmerndem Fell. Daneben prangten in Goldrahmen die Porträts ihrer schönen, üppigen Frauen in prunkvollen Gewändern, geschmückt mit Gold, Diamanten und anderen wertvollen Juwelen. Perserteppiche, von ausgesuchten Künstlern im Schweiße ihres Angesichts in den Kellern von Isfahan und Shiraz gewoben, zierten die Wände, und die Möbelstücke in dem großzügigen Zimmer hätten einem Königsschloss alle Ehre gemacht.

Der alte Graf rutschte unbehaglich hin und her, zupfte nervös an seinem gepflegten Schnurrbart und bemühte sich um Haltung. Um jeden Preis wollte er seine Unsicherheit und seinen Abscheu vor dem Treffen mit dem Besucher verbergen. Nie im Leben hätte er gedacht, dass eines Tages er, der aus einer polnischen Adelsfamilie stammte, der ausgedehnte Ländereien und wertvolle Kunstgegenstände besaß und von dessen Gunst Hunderte von Pächtern abhängig waren, sich in einer solch peinlichen, erniedrigenden Lage befinden würde. Das erschütterte seine Vorstellung von der Ordnung der Welt bis in die Grundfesten.

In der Familie des Grafen Roswadowsky spielten Ehre und gesellschaftliche Stellung eine große Rolle. Roswadowsky wusste, wie seine Vorfahren gehandelt hätten, hätte ein Jude es gewagt, seinen Fuß in ihr Haus zu setzen. Ohne zu zögern hätten sie ihn hinausgeworfen, vielleicht sogar mit Schlägen vor die Tür gejagt, wie es sich für einen gehörte, der sich erdreistete, ihre Notlage auszunutzen.

Niemals zuvor hatte jemand aus der Familie Roswadowsky es mit einem Juden zu tun gehabt wie diesem, der nun draußen in der Vorhalle wartete. In Baranowicz im Osten Polens, wo die Familie zahlreiche Gutshöfe und Ländereien besaß, verneigten sich die Juden voller Ehrfurcht, wenn die Kutsche des Grafen vorbeifuhr, und wagten nicht, ihre Augen zu heben. Wo waren diese Zeiten geblieben? Wo war seine Autorität? Wie konnte es geschehen, dass ein Jude es wagte, dieses prachtvolle Warschauer Anwesen zu betreten? Es war eines der vielen Herrschaftshäuser in ganz Polen, die sich im Besitz der Familie befanden. Und nun kam dieser Jude ins Haus, nicht etwa, um einen Gefallen zu erbitten, sondern weil er, der Graf, ihn zu sich gebeten hatte, damit er ihm aus einer Notlage half.

Juden wie Moshe Stolowitzky waren dem Grafen Roswadowsky fremd. Stolowitzkys Leben war von Wohlstand und Einfluss geprägt, und es gab nicht viele Männer in Polen, die es mit seinem Reichtum aufnehmen konnten. Einen Großteil seines Vermögens hatte er von seinem Vater geerbt, einem geschickten Geschäftsmann, der vor dem Ersten Weltkrieg mit der Produktion und dem Verkauf von Eisenbahnschwellen reich geworden war, ferner mit der Herstellung von Mühlsteinen für Getreidemühlen, einem Gasthaus in seinem Heimatort Baranowicz sowie durch erfolgreiche Immobiliengeschäfte. Als Baranowicz im Ersten Weltkrieg an die Russen fiel, flohen viele Einwohner nach Warschau. Moshe Stolowitzky gelang es, den größten Teil seines Vermögens zu retten.

Graf Roswadowsky hatte weniger Glück gehabt. Er floh bei Nacht und Nebel und musste einen Großteil seines Besitzes zurücklassen. Unterschlupf fand er in seinem Palais in Warschau. Bald jedoch wurde das Geld knapp, sein Schuldenberg wuchs immer höher und die Gläubiger wurden immer ungeduldiger. Er wusste, es gab nur noch den einen schmerzvollen Ausweg: Er musste Häuser und Ländereien verkaufen. Käufer kamen und gingen. Manche wollten seine Notlage schamlos ausnutzen und versuchten, gnadenlos den Preis zu drücken. Andere boten angemessene Preise, die jedoch immer noch nicht hoch genug waren. Bis eines Tages Moshe Stolowitzky auf der Bildfläche erschien und ein gutes Angebot machte.

Der Diener kam nach ein paar Minuten zurück. „Herr Stolowitzky ist in Eile“, meldete er, „er sagt, er könne nicht länger warten.“

Der Graf schnaubte verächtlich. „Der Jude hat vielleicht Nerven“, brummte er ungehalten.

Der Dienstbote blieb stumm stehen und wartete auf weitere Anweisungen.

Roswadowsky schluckte seinen Widerwillen herunter. „Na schön, er soll reinkommen.“

Kurz darauf stand Moshe Stolowitzky in der Tür und blickte den Grafen respektlos an. Er war sich seiner überlegenen Position bewusst. Daher nahm er sich keine Zeit, um Nettigkeiten auszutauschen, sondern kam gleich auf das Geschäftliche zu sprechen, was Roswadowsky missfiel. Der Gast war ein harter Verhandlungspartner, und in der darauffolgenden Stunde verkaufte ihm der Graf mehrere Häuser und Ländereien in Baranowicz und überschrieb ihm das Anwesen in Warschau. Wie immer, wenn er in Geldnot war, war die Familienehre plötzlich zweitrangig. Er schluckte seine verletzten Gefühle hinunter und unterschrieb schweren Herzens die Kaufverträge.

Es fiel ihm nicht leicht, sich von seinem Besitz zu trennen – schon gar nicht von dem Warschauer Herrschaftshaus mit den wertvollen Möbeln und Kunstgegenständen, das sein ganzer Stolz gewesen war. Es schmerzte ihn, all das aufgeben zu müssen: ein Heer von Dienstboten, eine mit Delikatessen aus aller Welt gefüllte Speisekammer, einen Weinkeller mit erstklassigen Weinen. Und dann die festlichen Bankette, bei denen reiche Geschäftsleute und alles, was in Polen Rang und Namen hatte, zu Gast gewesen waren. Und all das nur, um einen skandalösen Privatkonkurs zu vermeiden.


Das Palais der Familie Stolowitzky, Warschau

Seine junge Geliebte, eine schwarzhaarige Schönheit und Tochter eines seiner Pächter, die ebenfalls in dem Palais in Warschau lebte und seine Besuche dort noch angenehmer machte, weinte bitterlich, als sie ihre Sachen packen musste. Der Graf stand hilflos daneben.

„Was wird nun aus mir? Und was wird aus uns?“, schluchzte sie.

Der Graf strich ihr übers Haar und blinzelte eine Träne aus den Augenwinkeln weg. Er hatte keine Antwort.

Moshe Stolowitzky verließ das Haus mit dem Gefühl, ein hervorragendes Geschäft gemacht zu haben. Er war als erfahrener Geschäftsmann bekannt. Sein scharfer Verstand und seine Zielstrebigkeit ebneten ihm den Weg in die obersten Etagen der Regierungsbehörden, und schon bald war er der Vertragspartner im Eisenbahngeschäft. Er beschäftigte Hunderte von Arbeitern, die Schienen durch ganz Polen und später durch ganz Russland verlegten. Antisemitische Äußerungen prallten an ihm ab, denn er wusste, dass kein Judenhasser es wagen würde, ihm ein Haar zu krümmen. Bei festlichen Anlässen lud er Regierungsvertreter und die übrige Elite Polens ein und war auch in ihren Häusern ein gern gesehener Gast.

Graf Roswadowsky erbat sich eine Frist von einer Woche, um aus seinem Warschauer Palais auszuziehen. Nachdem der letzte Möbelwagen das Gelände für immer verlassen hatte, zog Moshe Stolowitzky mit seiner Frau Hava und ihrem kleinen Sohn Jacob ein.

Gertrudas Versprechen

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