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Mit der Machtübernahme Hitlers im Januar 1933 erfüllten sich Miras Voraussagen. Von nun an tat die nationalsozialistische Führung alles, um das jüdische Leben in Deutschland in sämtlichen Bereichen zu untergraben und die Juden ihrer kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Grundlagen zu berauben. Jüdische Angestellte in Regierungsbehörden wurden postwendend entlassen, ebenso jüdische Professoren an den Hochschulen und jüdische Führungskräfte in öffentlichen Einrichtungen. Sie wurden durch Deutsche, die sich als „reine Arier“ ausweisen konnten, ersetzt.

Mira Rink verlor ihre Stelle im Justizministerium. Ihr Vorgesetzter entließ sie ohne Kündigungsschreiben mit den lapidaren Worten: „Laut Gesetz dürfen wir Sie nicht mehr beschäftigen. Bitte verlassen Sie noch heute das Ministerium.“

Sie erhielt keinerlei Abfindung, auch den Lohn des angebrochenen Monats blieb man ihr schuldig.

Niedergeschlagen und beschämt ging sie nach Hause und kochte Essen für die achtjährige Helga, die um die Mittagszeit aus der Schule kam.

Als ihre Tochter sah, dass ihre Mutter schon da war, machte sie große Augen. „Mir war heute nicht gut“, stieß Mira hastig als Entschuldigung hervor. Dann erst bemerkte sie die ungewöhnliche Anspannung ihrer Tochter und ahnte, dass in der Schule etwas vorgefallen war.

„Unser Lehrer hat heute gesagt, dass er uns nicht mehr unterrichten kann“, erzählte das Mädchen stockend. „Morgen kriegen wir einen neuen Lehrer.“

Mira kannte den jüdischen Lehrer, er wohnte im gleichen Viertel. Er hatte eine kranke Frau und drei Kinder.

Bei Tisch versuchte sie, so normal wie möglich zu klingen, um Helga nicht weiter zu beunruhigen. Danach half sie ihr bei den Rechenaufgaben. Am Abend, als Karl nach Hause kam, erzählte sie ihm, dass sie entlassen worden war – und ebenso Helgas Lehrer.

„Es ist genauso gekommen, wie ich immer befürchtet habe.“ Ihre Stimme klang gepresst. „Deine Nazis werden keine Ruhe geben, bis alle Juden in Deutschland erledigt sind.“

Karl strich ihr beruhigend über den Kopf. Noch immer leugnete er die drohende Gefahr und verschloss die Augen vor den Tatsachen.

„Ich verstehe deine Sorge“, beschwichtigte er sie, „aber das Ganze ist nichts weiter als ein Kraftakt, in dem Hitler sich beweisen muss. In Wirklichkeit kümmern ihn die Juden herzlich wenig, denn er hat andere, wichtigere Dinge im Kopf wie etwa die wirtschaftliche Lage Deutschlands. Außerdem können wir froh sein, dass ich einen sicheren Arbeitsplatz habe. Was sollte jetzt ohne mein Gehalt aus uns werden?“

In den nächsten Tagen kam Karl früher als sonst nach Hause, meistens mit einem Blumenstrauß. Regelmäßig lud er Mira ins Kino oder ins Theater ein und kaufte ihr kleine Geschenke und neue Bücher, da sie gern las. Er hoffte, sie würde sich bald wieder beruhigen und an die neue Situation gewöhnen. Dann würde es ihr sicher auch gelingen, die Dinge optimistischer zu sehen.

Doch Mira sah die Realität allzu deutlich. Die Übergriffe auf Juden, die Einschränkung ihrer Bewegungsfreiheit und die Zerstörung ihrer Lebensgrundlage nahmen in drastischem Maße zu. Überall, auch in Privatunternehmen, kam es vermehrt zu Entlassungen. Die Zeitungen waren voller Hetztiraden und Verleumdungen, jüdische Geschäfte und Produkte wurden boykottiert. Miras Eltern standen kurz vor der Schließung ihres Lebensmittelladens, weil die Kundschaft ausblieb. Am 14. November 1935 wurden die Nürnberger Rassengesetze verabschiedet. Die Juden verloren die deutsche Staatsangehörigkeit. Außerdem verbot das Gesetz „Mischehen“ zwischen Juden und Ariern. „Weißt du, dass wir nach dem Gesetz eigentlich gar nicht mehr verheiratet sein dürften?“ Miras Stimme klang bitter.

Wie gewöhnlich versuchte Karl ihre Bedenken zu zerstreuen. „Du wirst immer meine Frau bleiben“, erklärte er feierlich. „Niemand kann uns trennen.“

Gertrudas Versprechen

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