Читать книгу Gertrudas Versprechen - Ram Oren - Страница 12
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ОглавлениеDie Juden in Deutschland beobachteten die steigende Popularität der NSDAP mit wachsender Sorge. Wie eine riesige Krake streckte die Partei ihre Arme in alle Richtungen aus und durchdrang sämtliche Bereiche des öffentlichen Lebens. Hitler griff mit eiserner Faust durch. Um das Ziel seiner Machtergreifung zu verfolgen, war ihm jedes Mittel recht: die Vernichtung politischer Feinde, eine gezielte Propaganda der Angst und das Aufhetzen der Massen gegen die Juden, indem er behauptete, sie seien die Hauptschuldigen an der schlechten wirtschaftlichen Lage Deutschlands und verantwortlich für Armut und Arbeitslosigkeit im Land.
Karl bezahlte für seinen Eintritt in die NSDAP einen hohen Preis. Seine Parteizugehörigkeit verursachte einen Vertrauensbruch bei seinen jüdischen Verwandten und Freunden, insbesondere bei Miras Eltern. Viele von Miras und Karls gemeinsamen Freunden brachen den Kontakt zu ihnen ab. Miras Eltern verboten ihm, noch einmal einen Fuß über ihre Schwelle zu setzen.
Mira flehte ihren Mann immer wieder an, aus der Partei auszutreten, doch ihre stundenlangen Diskussionen führten zu nichts.
„Deine Parteifreunde sind gewissenlose Mörder“, sagte sie mehr als einmal. „Wer anderer Meinung ist und sich gegen sie stellt, den bringen sie kaltblütig um die Ecke. Und sie werden alles tun, um die Juden loszuwerden.“
„Du übertreibst, meine Liebe“, wiegelte er ab. „Diese Stimmungsmache gegen die Juden ist bloß eine Strategie, um Wähler zu gewinnen.“
Naiv glaubte er an die lauteren Motive Hitlers und gab vor, als Parteimitglied keine andere Wahl zu haben, als die Ideologie der Nazis zu unterstützen. „Du wirst sehen, wie gut es uns gehen wird, wenn Hitler an die Macht kommt“, sagte er zuversichtlich.
Mira schaute ihn entgeistert an. „Was redest du da, Karl? Wenn Hitler an die Macht kommt, wird es uns schlecht gehen – vor allem uns Juden!“
Karl beendete die Diskussion mit einer ungeduldigen Handbewegung. „Was verstehst du schon von Politik!“
Mira begriff, dass er verbohrt war: Es hatte keinen Sinn, vernünftig mit ihm zu reden. Sie schwieg, doch sie spürte, wie sich eine kalte Faust um ihr Herz schloss.
Blind für die düstere Realität, weitete Karl seine Aktivitäten innerhalb der Partei mehr und mehr aus. Bald wurde ihm nahegelegt, der SS beizutreten, wo man ihn mit offenen Armen empfing. Nach einer gründlichen medizinischen Untersuchung wurde ihm eine ausgezeichnete Gesundheit bescheinigt. Ein Psychologe befragte ihn über seine Eltern, seine Kindheit, seine Ausbildung, seine Freunde, seine Familie, seinen Beruf und seine Hobbys.
In beinahe jeder Hinsicht war Karl der ideale Kandidat für die SS: Er war „reiner Arier“, hoch motiviert und körperlich fit. Es gab nur einen wunden Punkt: Er war mit einer Jüdin verheiratet. Doch die SS-Führer wollten Rink um jeden Preis und waren überzeugt, dieses Problem würde sich früher oder später von selbst lösen. Er bekam ein gutes Gehalt und wurde zu einem dreiwöchigen Ausbildungslehrgang in ein geheimes Übungslager in einer abgelegenen Gegend geschickt. Dort lernten die angehenden SS-Männer Passagen aus Hitlers Buch Mein Kampf auswendig sowie den Umgang mit verschiedenen Waffen. Sie mussten sich einem harten Ausdauertraining unterziehen und körperliche und psychische Strapazen ertragen. Sie lernten Methoden der Verhörstrategie und der Folter, mussten Hunden und Katzen mit bloßen Händen den Hals umdrehen, in Schützengräben liegen, während Fahrzeuge über sie hinwegrollten, ihre Kameraden in gnadenlosen Ringkämpfen außer Gefecht setzen, tagelang ohne Essen auskommen und Schläge und Dunkelhaft ertragen.
Karl bestand das Training ohne größere Schwierigkeiten. Am Ende des Lehrgangs legte er seinen Eid ab und schwor dem Führer „Treue und Gehorsam“ bis in den Tod. Das SS-Symbol, zwei parallel verlaufende Blitze, wurde ihm in den Arm tätowiert. Er erhielt eine schwarze Uniform, neue Stiefel, eine Armbinde mit Hakenkreuz und einen Dolch, der am Gürtel zu tragen war.
Als Karl in seiner neuen Uniform nach Hause kam, fing Helga bei seinem Anblick an zu weinen und in Miras Augen stand das blanke Entsetzen.
„Du machst mir Angst“, sagte sie.
„Es ist bloß eine Uniform“, versuchte er sie zu beruhigen. „Viele Deutsche tragen so etwas heutzutage.“
Sie seufzte. „Ich habe kein gutes Gefühl bei der Sache, Karl.“
„Es besteht kein Grund zur Sorge, Mira.“
„Wissen deine Vorgesetzten, dass du eine jüdische Frau hast?“
„Ich habe nie ein Geheimnis daraus gemacht.“
„Und wie war ihre Reaktion?“
„Sie schienen nichts dagegen zu haben.“
Ihre Augen im blassen, ängstlichen Gesicht schienen riesengroß. „Noch nicht, Karl, noch nicht. Aber glaube mir, eines Tages werden sie eine ganze Menge dagegen haben.“
„Unsinn“, widersprach er. „Sie werden sich damit abfinden müssen.“
Doch Mira ließ nicht locker. „Erzähl mir nicht, sie hätten euch in diesem Übungslager die Rassenlehre der Nazis vorenthalten.“
„Die Rassentheorie gehörte auch zum Lehrgang.“
„Und das bedeutet“, nickte Mira, „sie werden früher oder später verlangen, dass du dich zwischen mir und der SS entscheidest. Was willst du ihnen dann erzählen?“
„Dann werde ich sie davon überzeugen, dass du keine Gefahr für die Partei darstellst“, sagte er bestimmt. „Ich werde ihnen sagen, dass du voll und ganz hinter mir stehst.“
Mira senkte den Kopf und wandte sich ab. „Du bist naiv, Karl. So naiv.“