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Moshe Stolowitzky war nicht nur reich, sondern auch stolz auf seine jüdischen Wurzeln. Regelmäßig las er die jiddische Tageszeitung, Dos Yidishe Tageblat, und besuchte gemeinsam mit seiner Frau das von dem Schauspieler Zigmund Turkow gegründete jüdische Theater „Wikt“. Ferner hatte er in den jiddischen Film „Jiddl mitn Fiddl“ investiert, der weltweit zum jüdischen Kinohit wurde. Er unterstützte jüdische Schriftsteller sowie jüdische Schulen und Jeschiwas (Talmudschulen, an denen sich männliche Schüler dem Studium der überlieferten Auslegung des Alten Testaments widmen; d. Übers.). Jeden Freitag ließ er für das Sabbatmahl Lebensmittelkörbe für die Armen in die Stadt bringen, und in seinem Haus hatte er – wie es bei vielen wohlhabenden Juden üblich war – eine kleine Schachtel mit Bargeld für die Bettler, die täglich an seine Tür klopften.

Jacob, sein einziger Sohn, sollte in die Fußstapfen seines Vaters treten. Moshe beschäftigte mehrere Hauslehrer, die Jacob in Hebräisch und Naturwissenschaften unterrichteten, abonnierte für ihn die hebräische Kinderzeitschrift Olam Katan (Kleine Welt) und war glücklich, als Jacob Geschichten über die Chassidim – besonders fromme Juden – und die heiligen Stätten des Gelobten Landes zu lesen begann.

An einem stürmischen Winterabend saß Moshe Stolowitzky in der ersten Reihe des Novoschi-Auditoriums, wo sich etwa dreitausend Juden versammelt hatten, um den Zionisten Zeev Jabotinsky sprechen zu hören. Der kleine Mann mit der intellektuellen Brille und dem ernsten Gesicht rief in seiner Rede leidenschaftlich dazu auf, nach Israel auszuwandern, bevor die Juden aus Europa vertrieben würden. Obwohl Moshe Stolowitzky ein Bewunderer Jabotinskys und seiner Bücher war, hielt er dessen Theorie der lauernden Gefahr für die europäischen Juden für reichlich übertrieben. Wie die meisten ihrer Freunde betrachteten die Stolowitzkys Polen als ihre Heimat und waren dankbar für den Wohlstand, zu dem sie es dort gebracht hatten. Sie führten ein gutes, angenehmes Leben und dachten nicht im Traum daran, dass ihnen schwere Zeiten bevorstehen könnten, wie Jabotinsky es in seiner düsteren Prophezeiung voraussagte.

Doch es dauerte nicht lange, bis Moshe Stolowitzky am eigenen Leib erfuhr, dass ein weiteres Leben in Wohlstand und Sicherheit eine trügerische Illusion war. Es war an einem Freitagabend, und der jüdische Millionär saß auf seinem gepolsterten Stuhl gegenüber der Nachbildung der Bundeslade in der Tlomackie-Synagoge, der größten und ältesten Synagoge Warschaus. Andächtig lauschte er den Gesängen des berühmten Kantors Moshe Koussevitzky, und als der Gottesdienst vorüber war, verließ er die Synagoge gemeinsam mit einer Gruppe von Gläubigen. Seine Kutsche stand schon bereit. Zu Hause wartete seine Familie mit dem traditionellen Sabbatmahl.

Aber Stolowitzky kam nicht weit. Eine Horde jugendlicher Antisemiten umzingelte die Gläubigen, warf mit Steinen und beschimpfte sie in übelster Weise. Die Juden erstarrten vor Schreck und wussten nicht, wie ihnen geschah. Die meisten von ihnen waren in der Vergangenheit schon Zeugen antisemitischer Übergriffe gewesen, doch niemals derart gezielter und brutaler. Als die Angreifer versuchten, ihnen die Gebetsschals zu entreißen, wehrten sich die Opfer. Bald war eine Schlägerei im Gang, die erst ein Ende nahm, als die Polizei einschritt und Recht und Ordnung wiederherstellte.

Zerschrammt und mit zerrissenen Kleidern fuhr Moshe Stolowitzky nach Hause. Der Vorfall an sich beunruhigte ihn nicht allzu sehr. Er zog es vor zu glauben, dass vereinzelte Übergriffe auf Juden noch lange kein Beweis für eine gefährliche Entwicklung waren. Am meisten Sorgen bereitete ihm, dass seine Frau solche Dinge ernster nahm als er, und so erzählte er ihr, er sei vor der Synagoge gestürzt. Sie ließ sofort einen Arzt kommen, der seine Wunden verband und ihm zwei Tage Bettruhe verordnete.

Eine Woche darauf in der Synagoge verkündete der Rabbiner, dessen gebrochener Arm in der Schlinge an die gewaltsamen Ausschreitungen erinnerte, nach Beendigung der Gebete von der Kanzel: „Ich habe beschlossen, das Land zu verlassen und mit meiner Familie nach Jerusalem zu gehen. Polen ist für uns Juden eine tödliche Falle. Wem sein Leben lieb ist, der tut gut daran, seine Sachen zu packen und auszuwandern, bevor es zu spät ist.“

Moshe Stolowitzky wünschte ihm alles Gute. Zu Hause erzählte er seiner Frau von der Entscheidung des Rabbiners, Polen zu verlassen. „Vielleicht hat er recht“, antwortete sie nachdenklich.

„Unsinn!“ Moshe erhob seine Stimme. „Es besteht keinerlei Grund zur Panik.“

Gertrudas Versprechen

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