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Der Auftakt der mündlichen Konkordatsverhandlungen 1923 und die fruchtlose Kontroverse um die Bischofswahl

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Ohne dass Pacelli die erbetenen Verhandlungsinstruktionen aus Rom schon erhalten hätte, begannen im Januar 1923 die Gespräche zwischen dem Nuntius und den Vertretern der bayerischen Regierung im Außenministerium, worüber Pacelli ausführlich Bericht erstattete.209 Damit traten die Konkordatsverhandlungen in die entscheidende Phase ein. Beim ersten Treffen am 9. Januar lag dem Nuntius der Vorwurf Matts von Ende Oktober noch im Ohr: Der römische Konkordatsentwurf verteile die Lasten beim Staat und die Rechte bei der Kirche oder – wie laut Pacellis Bericht Lerchenfelds Nachfolger als Ministerpräsident, Eugen Knilling, sagte – der Entwurf habe sich „aus dem alten Konkordate die Rosinen herausgenommen, ohne dem Staat etwas zurückzugeben“210. Für diese Anschuldigung hätten sich die Minister auf den IX. Artikel des alten Konkordats berufen,

„wo das Privileg der Ernennung der erzbischöflichen und bischöflichen Stühle ausdrücklich [dem König, R.H.] gewährt wurde ‚unter Rücksicht auf den Nutzen, der aus der gegenwärtigen Übereinkunft für die Angelegenheiten der Kirche und der Religion entsteht‘, nämlich (fügte man hinzu) als Belohnung für die wirtschaftlichen Leistungen des Staates.“211

Wenn der Staat für letztere weiterhin aufkomme – so die Folgerung der bayerischen Unterhändler –, dann habe er nach wie vor das Recht auf solcherart „Belohnungen“.

Um dieses Denken sofort zu unterbinden, habe er es – so Pacelli – für notwendig gehalten, das Verhandlungsgespräch mit einigen korrigierenden Hinweisen zu beginnen. Zu diesen gehörte die Bemerkung, dass die vom Heiligen Stuhl dem bayerischen König im alten Konkordat gewährten Rechte eine Kompensation keineswegs für die finanziellen Leistungen darstellen würden, sondern vielmehr für die in Artikel XVI vereinbarte Derogation der alten Gesetze des Staatskirchentums.212 Damit versuchte Pacelli den von seinen Verhandlungspartnern vertretenen Konnex von Staatsleistungen und Einflussrechten des Staates auf die Ämter- und insbesondere Bistumsbesetzung aufzubrechen. Wie er Gasparri berichtete, habe er außerdem auf dem Gedanken insistiert, dass es an der neuen politischen Situation liege, wenn das königliche Nominationsrecht jetzt wegfalle. Auch nach Ansicht vieler Juristen und sogar Staatsmännern sei dieses ein genuines Recht des Königs gewesen, das mit der Änderung der Regierungsform ipso facto ende.213

Die Vorbemerkungen erbrachten aber nicht den erhofften Erfolg, wie Pacelli sichtlich genervt in seinem Bericht referierte. Gerade der – wie Pacelli bemerkte „junge“ – Finanzminister, Wilhelm Krausneck, habe bekräftigt, dass im römischen Entwurf abgesehen vom Bedenkenrecht bei der Bischofsnomination keinerlei Zugeständnisse gemacht worden seien. Dem habe Knilling direkt hinzugefügt, dass es sich außerdem nur um politische Bedenken handle. Die Grundsatzdiskussion führte Pacelli schließlich zu weit. Er hielt sie für unnütz, weil kein theoretischer Konsens in Sicht schien. Vielmehr sah er enttäuscht bei seinen Opponenten die liberalistischen Prinzipien des früheren josephinistischen Staatskirchentums am Werk:

„So war der Beginn dieser Konferenzen wahrlich nicht gänzlich erbaulich, wenn man bedenkt, dass die fraglichen Minister katholisch sind und zur bayerischen Volkspartei gehören. Aber es zeigt, wieweit die alten liberalen und josephinistischen Ideen über die Beziehungen von Staat und Kirche und die Einflussnahmen der bürgerlichen Gewalt auf die Kirche (Staatskirchentum) noch in den Staatsmännern und in der Bürokratie verwurzelt sind.“214

Daher habe er – wie der Nuntius seinem Vorgesetzten den Verhandlungsgang beschrieb – vorgeschlagen, sich lieber konkret mit den einzelnen Konkordatsartikeln auseinanderzusetzen, als die erfolglosen Versuche fortzusetzen, unüberbrückbare Gegensätze zu überwinden. Zu diesem Zweck wurden für den 15., 17. und 22. Januar weitere Treffen anberaumt. Ebenso umstritten wie die übrigen Themen, insbesondere auch die Frage nach den Voraussetzungen zur Übernahme eines geistlichen Amtes (Artikel 13),215 blieb also die nach dem Besetzungsmodus der bischöflichen Stühle (Artikel 14). Pacelli berichtete Gasparri, dass dieser Paragraph „mit höchster Energie verteidigt wurde“216, insbesondere vom Abgeordneten Georg Wohlmuth,217 der als Domkapitular natürlich höchstes persönliches Interesse an der Sache hatte. Pacelli machte zwei tatsächliche Gründe aus, warum die Regierung und einige Geistliche so eifrig an der Wahl der Bischöfe durch die Domkapitel festhielten:

„1.) einen von innerer Ordnung, insoweit sie fürchten, dass der Heilige Stuhl zur Ernennung der Bischöfe schreitet, ohne gut informiert zu sein oder unredlichen Einflüssen von Fürsten, Religiosen etc. nachgibt oder aber jene Geistlichen bevorzugt, die ihre Studien in Rom, vor allem im Collegium Germanicum, absolviert haben; und 2.) einen von äußerer Ordnung, um leichter die Zustimmung des Konkordatsprojekts im Landtag zu erreichen. Man fügt außerdem hinzu, dass verschiedene Mitglieder der Kapitel starken Druck auf die Minister und ihre Abgeordneten ausgeübt haben, um durch sie ein so außerordentliches Privileg zu erlangen.“218

In der Diskussion über die Bischofseinsetzungen habe schließlich der Kultusminister das Wort ergriffen und eine historische Begründung für die „Wiedereinführung“ des Wahlrechts gesucht. Denn – und dieses Argument hatte Pacelli schon öfter gehört – bereits vor dem Vertrag von 1817 sei die Kapitelswahl als ius commune in Bayern Praxis gewesen. Und so sei es nur natürlich, dass man nach dem Fall des königlichen Ernennungsrechts wieder zu ihr zurückkehren wolle. Matt habe – so Pacelli – weiterhin erklärt, dass dieser Modus am ehesten garantiere, dass die geeignetste Persönlichkeit für das Amt ausgewählt werde. Den Interessen des Heiligen Stuhls werde durch das Bestätigungsrecht genügend entsprochen.

Über diese historische Argumentation hatte Pacelli schon knapp ein Jahr zuvor gesagt, sie sei ein „offenkundiger historischer und rechtlicher Irrtum, der nicht der Widerlegung bedarf “. Im Angesicht seiner Verhandlungspartner widerlegte er das Argument nun doch und dozierte, dass die Kapitelswahl zwar im 12. und 13. Jahrhundert das ius commune gebildet habe, aber seit dem 14. Jahrhundert die Päpste begonnen hätten, sich die Besetzung der bischöflichen Stühle zu reservieren.219 Deshalb sei zu der Zeit, als das Konkordat geschlossen worden sei, das Wahlrecht der Domkapitel eben nicht allgemeines Recht gewesen, sondern lediglich ein Partikularrecht, das lediglich für einige Gebiete – nämlich vor allem das Reichsgebiet – gegolten habe. Der bayerische Staat hingegen – so schilderte Pacelli dem Kardinalstaatssekretär seine Erläuterungen weiter – habe das freie Wahlrecht der Domkapitel, das ihm von der Kurie im Kontext der Konkordatsverhandlungen zu Beginn des 19. Jahrhunderts angeboten worden sei, nicht annehmen wollen.220 Damals sei also das königliche Nominationsrecht – insbesondere zur Ausschaltung des kurialen Einflusses221 – wichtiger als die Beteiligung der Domkapitel gewesen. Wenn jenes aber nun durch das Ende der Monarchie hinfällig werde, sei es doch selbstverständlich, dass das ius commune, also der Can. 329 § 2 des CIC, in Kraft trete.

Nach dieser geschichtlichen Lehrstunde versuchte Pacelli, den Staatsvertretern ihre Sorge vor der Bischofsernennung durch den Papst zu nehmen:

„Danach versicherte ich den Herren Ministern, dass der Heilige Stuhl auf die Wahl der Bischöfe die peinlichste Sorge und Unvoreingenommenheit legt, alle möglichen Informationen einholt und sich in keiner Weise von unrechtmäßigen Einflüssen leiten lässt; ich bemerkte, dass das System der Ernennung direkt von Seiten des Papstes im größten Teil der Nationen mit voller und allgemeiner Zufriedenheit gilt und sich nur in Deutschland Hindernissen ausgesetzt sieht …“222

Außerdem – so der Nuntius weiter – seien der Klerus und auch die Domkapitulare weit davon entfernt, einmütig das Bischofswahlrecht zu befürworten. Einige würden dieses sogar ausdrücklich ablehnen, wobei Pacelli sicherlich an den Episkopat und die Kanoniker Kiefl und Scheglmann dachte. Hatten die staatlichen Verhandlungspartner behauptet, dem Heiligen Stuhl würde durch das Recht der Bestätigung des vom Domkapitel gewählten Kandidaten genügend Mitsprache zugestanden, so drehte Pacelli den Spieß jetzt um und erklärte, dem Staat sei eine hinreichende Beteiligung garantiert, wenn er von römischer Seite vor der Einsetzung eines neuen Bischofs im Rahmen eines politischen Bedenkenrechts konsultiert werde: „… die Methode der Wahl desselben jedoch ist eine innerkirchliche Angelegenheit, die den Staat nichts angeht.“223

Mit seinen Ausführungen konnte Pacelli die Verhandlungspartner jedoch nicht überzeugen. Sie hielten an ihren Forderungen fest und gaben laut Pacellis Bericht zwei Gründe dafür an: Zum einen bleibe die Notwendigkeit bestehen, dem Landtag eine Kompensation für den Wegfall des königlichen Nominationsrechts zu bieten, um dessen Zustimmung zum Konkordatsprojekt zu erlangen. Zum anderen sei es „unerträglich“, wenn – wozu der Heilige Stuhl „angeblich bereit sei“224 – dem protestantischen Preußen das Wahlprivileg zugestanden, dem katholischen Bayern selbiges jedoch verwehrt würde. So endete die Diskussion letztlich mit demselben Antagonismus in der Besetzungsfrage, mit dem sie begonnen hatte.225

Eugenio Pacelli im Spiegel der Bischofseinsetzungen in Deutschland von 1919 bis 1939

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