Читать книгу Eugenio Pacelli im Spiegel der Bischofseinsetzungen in Deutschland von 1919 bis 1939 - Raphael Hülsbömer - Страница 26
Der neue staatliche Konkordatsentwurf und Pacellis ‚Gegenmaßnahmen‘
ОглавлениеDamit stand die neue Verhandlungsposition des Heiligen Stuhls fest. Im Wesentlichen wortgetreu gab sie der Nuntius am 26. Mai an Matt und Knilling weiter.264 Doch einen Teil der Weisung ließ er weg, nämlich die Versicherung, dass der Heilige Stuhl keinem anderen deutschen Teilstaat das Bischofswahlrecht konzedieren werde. Offenbar war Pacelli anders als die Kurienkardinäle nach wie vor überzeugt, dass es unüberwindliche Schwierigkeiten geben würde, beispielsweise in Preußen das Bischofswahlrecht in einem neuen Konkordat abzuschaffen. Insofern musste ihm ein derartiges Versprechen letztlich unverantwortlich erscheinen und den Reichs- beziehungsweise Preußenkonkordatsverhandlungen gleichzeitig eine schwere Hypothek auferlegen.
Alle Beteiligten hielten den fraglichen Artikel 14 – zusammen mit dem 13. Artikel über die Vorbildung des Klerus – für die entscheidende Hürde, die dem erfolgreichen Vertragsabschluss noch im Wege stand. Daher legte Pacelli den bayerischen Unterhändlern zunächst nur zu diesen beiden Artikeln die römische Auffassung vor. Doch von staatlicher Seite wollte man sich zum neuen Modus der Bischofseinsetzung erst äußern, wenn die Anmerkungen zu den übrigen Konkordatsartikeln ebenfalls vorhanden waren.265 Man verlangte also eine Gesamtschau, was bedeutete, dass die Forderungen des Heiligen Stuhls gespalten aufgenommen wurden: Einerseits anerkannte man das römische Zugehen – gerade hinsichtlich der Vorbildung der Geistlichen ließ sich die Kurie nun prinzipiell darauf ein, die Prämissen Gymnasialabschluss und philosophisch-theologisches Studium im Text zu verankern266 –, andererseits war das Entgegenkommen nicht so weitgehend, wie man es sich eigentlich wünschte. Der Nuntius entsprach der Bitte und ließ Matt und Knilling am 16. Juni ebenfalls die kuriale Stellungnahme zu den übrigen Konkordatsartikeln zukommen.267
Es dauerte über einen Monat bis der Kultusminister seinerseits einen neuen staatlichen Gegenentwurf präsentierte.268 Es zeigte sich, dass die Verhandlungsführer nach wie vor die Kapitelswahl nur höchst ungern aufgeben wollten und auf die Übereinstimmung dieser Institution mit dem kirchlichen Recht – nämlich dem Can. 329 § 3 CIC – pochten.269 Dennoch wolle man – so hieß es in den Anmerkungen zu Artikel 14 § 1 – den kirchlichen Wünschen so weit als möglich entgegenkommen, auch auf die Gefahr hin, dass das Projekt im Parlament scheitern könnte. Auch dem zweiten Kritikpunkt der Kurie hinsichtlich der politischen Klausel erklärte sich die Regierungsseite bereit, Rechnung zu tragen, freilich „unter Zurückstellung erheblichster Gründe der Staatsräson“270. Konkret folgte für sie daraus, in die bisherige kuriale Fassung des Artikels 14 § 1 einen weiteren, folgenreichen Satz einzuschalten. Die neue Version lautete daher folgendermaßen:
„Die Ernennung der Erzbischöfe und Bischöfe steht dem H[eiligen] Stuhle zu. Bei Erledigung eines erzbischöflichen oder bischöflichen Stuhles überreicht das Domkapitel eine Vorschlagsliste mit den Namen von mindestens zwei in der Reihenfolge ihrer Würdigkeit, Tüchtigkeit und Geeignetheit anzuführenden Kandidaten dem H[eiligen] Stuhle, der einen der Vorgeschlagenen ernennt. Der H[eilige] Stuhl wird sich vor Veröffentlichung der Bulle in offiziöser Weise bei der bayerischen Staatsregierung versichern, ob gegen den Kandidaten etwa Bedenken politischer Art bestehen.“271
Ein Bischofswahlrecht der Domkapitel im engeren Sinne verlangte die Regierung also nicht mehr. Doch sollte nur das Kapitel des jeweils vakanten Bistums eine Liste mit womöglich lediglich zwei Kandidaten einreichen. Von einer Freiheit der päpstlichen Nomination konnte praktisch kaum die Rede sein. Im Gegenteil nahmen die Domherren – auch ohne Bischofswahl – im Besetzungsverfahren den maßgeblichen Part ein. Das staatliche Papier verlegte es in die Zuständigkeit des Heiligen Stuhls, die Kapitel unter Eid zu verpflichten, nur Kandidaten vorzuschlagen, welche die genannte Trias von Eigenschaften – „Würdigkeit, Tüchtigkeit und Geeignetheit“ – vorwiesen. Es hielt aber auch Ausnahmen für denkbar, in denen „der H[eilige] Stuhl sogar unter Zurückweisung der eingereichten Liste vom Domkapitel die Vorlage einer neuen fordern“272 könne. Mit dieser neuen Regelung war für die bayerischen Verhandlungsführer aber die äußerste Grenze des Akzeptablen erreicht, es sei ein „Mindestvorschlag“273. Wenn der Heilige Stuhl diesem nicht zustimme – so die Anmerkungen zum neuen Artikel weiter –, müsse die Regierung folgern, dass jener einen vertragslosen Zustand in Bayern einem Konkordat vorziehe. Sie wisse jedenfalls im Falle einer negativen Antwort der Kurie nicht, „mit welchen Argumenten wir auch nur einigermaßen noch vor der Öffentlichkeit und im Landtage den Abschluss eines Konkordates mit so großen Opfern des Staates zu rechtfertigen imstande wären“274.
Wie reagierte der Nuntius auf diesen Modus? Weil er mit dem „Mindestvorschlag“ der Regierung nicht im Mindesten einverstanden war, übte er bei einem Treffen am 24. Juli Druck auf den Kultusminister aus. Wie er Gasparri informierte, habe er Matt gegenüber bekundet, „dass ich gemäß den mir erteilten Instruktionen angehalten worden sei, ihm ohne Weiteres den Verhandlungsabbruch zu erklären“275. Bevor er jedoch einen solch schwerwiegenden Schritt gehen wolle – so Pacelli –, habe er sich entschlossen, die Antwort der Regierung zunächst dem Heiligen Stuhl zu referieren. In dem entsprechenden Bericht vom 4. August äußerte sich Pacelli nur knapp zur Argumentation des staatlichen Memorandums – das auch hier wieder bemühte Argument, dass die Kurie selbst das Kapitelswahlrecht während der Konkordatsverhandlungen Anfang des 19. Jahrhunderts verteidigt habe, glaubte er früher schon hinreichend entkräftet zu haben.276 Doch die zunehmende Ratlosigkeit, die ihm diese Sache bereitete, konnte er nicht mehr verbergen. Die Regierung habe doch alle Zugeständnisse, die sie sich nur wünschen könne:
„Ich bekenne, dass ich nicht begreifen kann, warum der Landtag große Schwierigkeiten haben müsste, den Vorschlag des Heiligen Stuhls anzunehmen. Die Geistlichen, die auf die bischöflichen Stühle gesetzt werden, müssen deutsche Staatsbürger sein (Art. XIII § 1, a); sie müssen eine deutsche wissenschaftliche Ausbildung absolviert haben (deutsches Gymnasium; philosophisch-theologische Studien in einem deutschen Institut oder in Rom – Art. XIII § 1, b und c); die Kandidatenlisten werden von den Domkapiteln und Bischöfen aufgestellt, beide deutsch-bayerisch; der Heilige Stuhl fragt die Regierung bevor er zur endgültigen Ernennung schreitet, ob sie Einwände politischer Natur hat. All diese Bedingungen stellen für die Regierung und den Landtag vom politischen Standpunkt oder der ‚Staatsräson‘ her eine Reihe von Garantien dar, die nichts zu wünschen übrig lassen.“277
Das Profil des neuen Bischofs war Pacellis Ansicht nach durch die genannten Prämissen bereits so umfassend reglementiert, dass es dem Staat gleichgültig sein musste, wenn der Oberhirte vom Papst mit größerer Freiheit ernannt wurde. Ebenfalls monierte er eine Tendenz auf staatlicher Seite, den Episkopat soweit als möglich von der Beteiligung am Besetzungsverfahren auszuschließen, obgleich dieser doch bayerisch war. Pacelli verstand nicht, womit die Bischöfe eine solch misstrauische Behandlung verdient hätten. Außerdem würde doch die doppelte Liste – von Domkapitel und Episkopat – eine „nützliche Kontrolle“278 bieten. Wenn ein Name auf beiden Listen stehe, zeuge dies von einer allgemeinen Achtung der betreffenden Person. Angesichts dessen konnte für Pacelli der beharrliche Widerstand der Regierung durchaus ein Hindernis sein, an dem das gesamte Konkordatsprojekt scheiterte:
„Die eventuelle Opposition des Landtags wäre daher im ganzen unvernünftig und der Heilige Stuhl könnte gut die im Memorandum gegen ihn vorgebrachte ungerechte Unterstellung umkehren und mit allem Grund behaupten, dass, wenn Regierung und Landtag sich weigern sollten, den genannten Vorschlag zu akzeptieren, dies ihren geringen Willen demonstriere, das neue Konkordat abzuschließen, insbesondere nachdem der Heilige Stuhl sich in anderen Punkten so versöhnlich gezeigt hat.“279
Der Nuntius entschloss sich, das Hauptargument der Regierung genauer unter die Lupe zu nehmen. Da sich seine Verhandlungspartner, insbesondere Kanoniker Wohlmuth, ständig auf den Widerstand des Parlaments gegen eine Regelung berufen würden, welche die Kapitelswahl nicht berücksichtigte, habe er versucht – wie Pacelli dem Kardinalstaatssekretär berichtete –, die Ansicht der BMP zu ergründen, deren Zustimmung zum Staatskirchenvertrag zusammen mit jener der BVP ausschlaggebend sei. Über die Vermittlung des Münchener Dompredigers, Konrad Graf von Preysing, habe er Freiherr Carl-Oskar von Soden zum bayerischen Justizminister, Franz Gürtner, geschickt – dieser gehörte der Mittelpartei an. Laut Pacellis Bericht wurde Soden, zu dem Preysing engen Kontakt pflegte,280 bewusst darüber im Dunkeln gelassen, woher der Auftrag eigentlich kam. Was schließlich bei dieser informellen Befragung des Justizministers herauskam, war nicht geeignet, den Standpunkt von Pacellis Verhandlungspartnern zu stärken. Der Nuntius referierte seinem Vorgesetzten:
„Er [sc. Gürtner, R.H.] hat geantwortet, dass er noch nichts von der Sache wusste; dass ihm die Kapitelswahl völlig gleichgültig war, da es sich um eine interne Angelegenheit der Kirche handelt und dass er auch glaubte, dass seine Partei keine Hindernisse in dieser Sache vorantreiben würde; im Gegenteil fügte er hinzu, dass er an Stelle des Heiligen Stuhls die Bischofswahl nicht allein den Domkapiteln überlassen würde.“281
Wenn diese Aussage wahr sei – folgerte Pacelli –, dann sei dem ständigen Argument, ein Konkordat ohne Kapitelswahlrecht werde im Landtag scheitern, nicht die Bedeutung beizumessen, welche ihm die staatlichen Verhandlungsführer stets zuschrieben.
Laut seiner Berichterstattung legte Pacelli dem Kultusminister schließlich die Frage vor, aus welchem Grund die Domkapitel nach staatlicher Auffassung befugt sein sollten, eine „Liste“ mit sogar lediglich zwei Namen zu präsentieren. Matt habe erwidert, dass es häufig schwierig sei, mehr als zwei taugliche Kandidaten zu finden. Dem habe er – so Pacelli – entgegengehalten, dass es nicht nötig sei, die episcopabili einzig unter den Domkapitularen zu suchen, geschweige denn im Klerus einer einzigen Diözese. Es sei nicht glaubhaft, dass es in ganz Bayern nur zwei geeignete Bischofsanwärter gebe. Wenn er diese Kontroverse für Gasparri auch nicht weiter kommentierte, so sah er offensichtlich auf Regierungsseite die Motivation am Werk, den Domkapiteln auf Kosten der Freiheit des Heiligen Stuhls einen Einfluss auf das Besetzungsverfahren zu beschaffen, der einem Wahlrecht praktisch ebenbürtig war.
Um eine Lösung hierfür zu finden, holte sich der Nuntius Rat vom Freisinger Kirchenrechtler, Anton Scharnagl. Dieser habe die Überzeugung geäußert, dass der staatliche Widerstand sich mit höherer Wahrscheinlichkeit brechen ließe, wenn „der Heilige Stuhl bewilligen könnte, dass die beiden Listen (der Domkapitel und der Bischöfe), anstatt alle drei Jahre, gelegentlich der Vakanz des Bistums präsentiert werden könnten“282. Vermutlich hielt Scharnagl diesen Modus für den Staat akzeptabler, weil er dem Heiligen Stuhl keinen so umfassenden Kandidatenfundus zur Verfügung stellte und darüber hinaus ermöglichte, die Personenvorschläge präziser auf die Situation der vakanten Diözese zuzuschneiden. Pacelli fand die Idee durchaus erwägenswert, überließ aber dem Kardinalstaatssekretär das Urteil, ob der Heilige Stuhl so weit entgegenkommen wolle. Ein Abbruch der Konkordatsverhandlungen, wie er dem Kultusminister angedroht hatte, kam für ihn also ernsthaft nicht infrage. Ansonsten hätte er seine Ausführungen wohl kaum mit einer Option beendet, wie noch weiter auf den Staat zugegangen werden konnte.