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Die staatliche nota explicativa und eine neue innerkuriale Debatte

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An dieser Stelle muss noch ein Dokument der bayerischen Regierungsvertreter in den Blick genommen werden, eine nota explicativa zu mehreren Konkordatsartikeln, unter anderem auch zum 14., welche der Kultusminister Anfang März 1923 in die Hände des Nuntius gelangen ließ.240 Die Note entfaltete ausführlich die staatlichen Argumente für das Bischofswahlrecht der Domkapitel und das allgemeine Bedenkenrecht der Regierung. Im Wesentlichen hatte sie Pacelli in seiner Berichterstattung bereits referiert: Nach dem Fall der Monarchie sei es folgerichtig, zum Besetzungsmodus vor 1817 zurückzukehren; die Bischofswahl entspreche den „Wünschen und Erwartungen“ des bayerischen Klerus und des katholischen Volkes, das sich „eine andere Regelung der Besetzung der bischöflichen Stühle gar nicht vorstellen“241 könne; die Domkapitel seien bestrebt, in ihrer Kandidatenwahl neben den kirchlichen Belangen auch die der Diözese und des Landes zu berücksichtigen; in anderen deutschen Teilstaaten sei der Wahlmodus in Kraft und werde dort ebenfalls als künftige Regelung angestrebt.

Nach diesen bekannten Punkten baute die Note ein weiteres Druckmittel auf: Den staatlichen Verhandlungsführern schien klar, dass „die Staatsregierung gewisser Zugeständnisse seitens des Heiligen Stuhles schlechterdings nicht entbehren kann, wenn sie die wichtigen Ziele einer christlichen Schulpolitik im neuen Konkordate beim Landtag durchsetzen soll.“242 Im Hinterkopf waren noch die Angriffe, denen sich Matt hinsichtlich seiner christlichen Schulpolitik bei der Verhandlung des Haushaltes seines Ministeriums im Landtag ausgesetzt sah.243 Von dorther war der nun konstruierte Zusammenhang zu verstehen: eine weitreichende Übernahme der kurialen Forderungen zur katholischen Schule – genau das nämlich sah der staatliche Konkordatsentwurf vor244 – für im Gegenzug das Bischofswahlrecht der Domkapitel und das staatliche Erinnerungsrecht.245 Diese beiden Aspekte seien nur ein kleiner Preis für die kulturpolitischen Zugeständnisse Bayerns. Außerdem handle es sich bei den Domkapiteln nicht etwa um staatliche, sondern um kirchliche Organe, die für die Bischofsfindung verantwortlich wären. Bezüglich des politischen Bedenkenrechts insistierte das Papier auf einem allgemeinen, also nicht etwa genuin politischem Bedenkenrecht. Weil es um eine innerdeutsche Angelegenheit gehe, sei die Frage der Vereinbarkeit einer solchen Forderung mit Artikel 137 WRV zwischen Bayern und dem Reich zu klären. Darüber, wann diese Klärung stattfinden sollte und wie ein Rechtsgegenstand im Konkordat verankert werden konnte, der gegebenenfalls im Widerspruch zur Reichsverfassung stand, schwieg sich die Note aus.

Pacelli unterzog dieses Dokument, das er am 10. März an Gasparri übersandte, keiner eingehenden Kritik mehr.246 In seinen früheren Berichten glaubte er, das Wichtigste bereits dargelegt zu haben. Er widersprach lediglich noch einmal nachdrücklich der staatlichen Behauptung, die Bischofswahl durch die Kapitel habe einen weiten Rückhalt im bayerischen Klerus und Volk.247

Nachdem nun der neue bayerische Konkordatsentwurf plus nota explicativa und Pacellis ausführliche Darstellung der mündlichen Verhandlungen in der Kurie vorlagen, war diese am Zug, das Material zu verwerten. Zu diesem Zweck trat am 6. Mai 1923 die Congregatio particularis der AES zusammen. Wie üblich wurde vorher in der Behörde – höchstwahrscheinlich von Gasparri selbst – eine umfassende Relation auf Basis der genannten Dokumente erstellt.248 In ihr findet sich auch eine vertrauliche Mitteilung des bayerischen Vatikangesandten, die im Namen der Regierung das Bischofswahlrecht der bayerischen Domkapitel noch einmal als recht und billig einforderte.249 Sollte der Heilige Stuhl aus prinzipiellen Gründen nicht in der Lage sein, dieses Wahlrecht zu gewähren, dann müsste er zur Beruhigung des Parlaments erklären, dass es auch den anderen, insbesondere deutschen, Ländern in neuen Abkommen nicht zugestanden werde.

In der Gesamtschau aller verfügbaren Informationen zum Streitpunkt der Bischofseinsetzung kam Gasparri in der vorbereitenden Relation zu dem Schluss:

„… es ist gewiss, dass die bayerische Regierung auf die ein oder andere Weise will, dass im Konkordat diesbezüglich eine gewisse Bestimmung enthalten ist, welche den Anschein eines besonderen Zugeständnisses des Heiligen Stuhls hat und diese für die Regierung sehr nützlich wäre, um das Konkordat im Landtag zu verteidigen.“250

Damit übernahm der Kardinalstaatssekretär letztlich Pacellis Sichtweise und signalisierte den übrigen Kardinälen der Kongregation, dass nunmehr ein Abrücken von der reinen Umsetzung des Can. 329 § 2 gefordert war. Wie stellte er sich das konkret vor?

„Es scheint aber, dass die Regierung sich damit zufrieden erklären würde, wenn man 1. den Domkapiteln Bayerns das Privileg zubilligen würde, dass auch sie dem Heiligen Stuhl jährlich eine Liste von möglichen Kandidaten für das Bischofsamt präsentieren können. Diese Namen würden zu denen, die von den Bischöfen vorgeschlagen wurden, hinzugefügt und dem Heiligen Stuhl bliebe natürlich die freie Auswahl; wenn man 2. Bayern die Versicherung gäbe, dass das Privileg, Bischöfe zu ernennen, vom Heiligen Stuhl nicht den Domkapiteln der anderen Staaten (und besonders von Deutschland) gewährt werden würde.“251

Gasparri schwebte also ebenso wie Pacelli eine Kombination von päpstlicher Nomination und Präsentationsrechten für das Domkapitel beziehungsweise jetzt auch für die Bischöfe vor. Mit dem zweiten Punkt widersprach Gasparri nicht nur den bayerischen Verhandlungspartnern, die davon ausgingen, dass der Heilige Stuhl bereits entschieden habe, den preußischen Domkapiteln das Bischofswahlrecht künftig weiterhin zuzugestehen.252 Sondern auch Pacelli hatte schon im Dezember 1922 von der „Wahrscheinlichkeit“ gesprochen, dass den preußischen Domkapiteln das Bischofswahlrecht erhalten blieb. Jedenfalls glaubte Gasparri mit den genannten Konzessionen den beiden gewichtigsten Regierungsforderungen zu entsprechen: das bayerische Parlament mit einem Listenverfahren zufrieden zu stellen und das protestantische Preußen nicht zu priorisieren. Freilich musste dieser Vorschlag noch die Diskussion der Kardinäle überstehen und die päpstliche Zustimmung finden.

Wie erwähnt konferierte die Congregatio particularis am 6. Mai 1923.253 Während De Lai sofort klarstellte, die staatliche Textversion für „inakzeptabel“254 zu halten, lenkte Gasparri umgehend die Aufmerksamkeit auf seinen Vorschlag in der Relation. Auf dieser Grundlage „zeigten sich die Eminenzen nicht abgeneigt“255, den bayerischen Domkapiteln das Privileg zu gewähren, dem Heiligen Stuhl Kandidatenlisten zu übersenden. Jedoch sollte dies nicht jährlich – wie der Kardinalstaatssekretär überlegt hatte –, sondern nur alle drei Jahre erfolgen. Für Diskussionsstoff sorgte eher die Frage, auf welche Weise die Listen nach Rom übersandt werden sollten: entweder über den eigenen Diözesanbischof oder über den Apostolischen Nuntius. Argumente für und wider notierte der Protokollant, Francesco Borgongini Duca, nicht. Man einigte sich schließlich darauf, das Listenverfahren im Konkordatstext lediglich in allgemeiner Form festzuhalten und für die konkrete Umsetzung auf ein gesondert zu erlassendes Gesetz hinzuweisen. Hinsichtlich der Bitte des bayerischen Gesandten sahen die Kardinäle keine Schwierigkeit, dass Pacelli offiziell erklärte, in künftigen Konkordaten mit deutschen Staaten den Domkapiteln das Bischofswahlrecht nicht zu gewähren. Wie das Protokoll der Sitzung festhielt, wurde nicht über die politische Klausel und die Streitfrage des Umfangs des Bedenkenrechts diskutiert, vielleicht deshalb, weil es aus Sicht der Kurialen hier nichts mehr zu diskutieren gab.

Mitte Mai informierte Gasparri den Nuntius über den Entscheid der Kardinäle, der auch die päpstliche Approbation gefunden hatte: Der Heilige Stuhl sei bereit,

„den bayerischen Domkapiteln zu gewähren, dass sie alle drei Jahre direkt an den Heiligen Stuhl eine Liste von Kandidaten einreichen, die sie für das bischöfliche Amt als würdig und geeignet erachten; unter diesen – und den von den Hochwürdigsten Herren Bischöfen bezeichneten – behält sich der Heilige Stuhl freie Auswahl vor.“256

Die verbindlichen Vorschlagslisten der Domkapitel sollten also auf direktem Wege nach Rom gesandt werden, nicht über den Ortsbischof, sondern die Nuntiatur. Wahrscheinlich hatte Gasparri diese Frage nach Rücksprache mit Pius XI. entschieden. Außerdem versicherte er Pacelli, dass „der Heilige Stuhl außer den Zugeständnissen, die in den alten noch geltenden Konkordaten enthalten sind, keinem anderen Staat ein Privileg hinsichtlich der Ernennung der Bischöfe geben wird“257. Bei dem neuen Modus handle es sich jedoch um das „höchste Zugeständnis“258 an die bayerischen Domkapitel und einen besonderen Erweis des Wohlwollens gegenüber dem Freistaat. Der Heilige Stuhl sehe nämlich nicht ein, „in irgendeiner Weise seine Freiheit in der Ernennung der Bischöfe einzuengen, in keinem Land der Welt“259. Das Vertrauen, dass man mit dem Listenverfahren endlich eine Einigung mit der Regierung in dieser Streitfrage finden werde, zog Gasparri aus einem Gespräch mit Ritter, das vermutlich stattfand, als dieser die oben erwähnte vertrauliche Mitteilung vorlegte. Der Gesandte habe nämlich gestanden, dass es für eine Zustimmung von staatlicher Seite wichtig wäre, wenn „der Heilige Stuhl den Anschein erwecken würde, der Regierung etwas zuzugestehen“260. Ritter war „die Aussichtslosigkeit eines dauerhaften Kapitelwahlrechts endgültig bewusst“261 geworden, sodass er offensichtlich für die Regierung zu retten suchte, was zu retten war. Wenn man schon kein Kapitelswahlrecht erreichen konnte, dann wenigstens ein Vorschlagsrecht. Pacelli, der nun in „in streng vertraulicher Weise“262 von dieser Einschätzung des bayerischen Diplomaten erfuhr, erhielt von Gasparri schließlich noch die Anweisung, der Regierung zu vermitteln, dass für Rom ausschließlich ein Bedenkenrecht politischer und nicht allgemeiner Natur gegen die neu ernannten Oberhirten infrage komme. Daher möge er verlangen,

„dass ein derartiger Einschub [sc. Bedenken politischer Ordnung, R.H.] im endgültigen Text des Konkordats erfolgt, indem er der Regierung klar macht, dass der Heilige Stuhl bei diesem Thema von höchster Wichtigkeit, in der er die ausschließliche Kompetenz besitzt, wegen der pflichtschuldigen Sicherung seiner Freiheit, auf die von ihm selbst vorgeschlagene Fassung nicht verzichten kann.“263

Eugenio Pacelli im Spiegel der Bischofseinsetzungen in Deutschland von 1919 bis 1939

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