Читать книгу Eugenio Pacelli im Spiegel der Bischofseinsetzungen in Deutschland von 1919 bis 1939 - Raphael Hülsbömer - Страница 31
Оглавление„Die Öffentlichkeit, welche die Verhandlungen nicht kennt, könnte – gemäß der Strenge der im Regierungsartikel enthaltenen Rahmenbedingungen und gemäß den geheimen Erklärungen, die man eventuell erzielen könnte – aus der Nichterwähnung der bischöflichen Listen leicht den Schluss ziehen, dass der Heilige Stuhl bei der Auswahl der Person des Bischofs an die Liste des Kapitels gebunden sei, und dies könnte für das Verhältnis gegenüber anderen Staaten einen gefährlichen Präzedenzfall bilden.“330
Im Gegenteil erklärte Gasparri, dass die von der Regierungsseite angeführte Begründung, die Triennallisten der Bischöfe müssten im Konkordat nicht erwähnt werden, weil es sich dabei um eine interne kirchliche Angelegenheit handle, genauso auf die Vorschlagslisten der Domkapitel zutreffe und damit überhaupt keinen Sinn ergebe. Auch könne sich die Regierung nicht auf politische Gründe oder parlamentarische Taktiken berufen, weil man doch nicht von der Hand weisen könne, dass die Kirche höhere Beweggründe habe, die es ihr nicht erlauben würden, bei der Wahl der Bischöfe die Stimme der Domkapitel im Konkordatstext zu verankern und jene der bayerischen Bischöfe zu verschweigen. Überhaupt sei es völlig unverständlich, warum die Regierung Letzteres so hartnäckig intendiere, zumal das Konkordat bei der Ernennung der Bischöfe dem Staat die weitgehendsten Garantien biete.
Hinsichtlich der Kandidatenlisten sind noch zwei Beobachtungen anzumerken, die Gasparri selbst nicht thematisierte. Zum einen kannte die aktuelle Formel anders als der vorangegangene römische Konkordatsentwurf keine Triennallisten der bayerischen Domkapitel, sondern lediglich die Sedisvakanzliste des einen Domkapitels plus die dreijährigen Listen des Episkopats. Diese Regelung lag auf einer Linie mit der eben skizzierten Absicht, die Rolle der Bischöfe gegenüber jener der Domkapitulare zu stärken. Da der staatliche Entwurf außerdem überhaupt keine Triennalliste erwähnte, war es streng genommen kein Herausstreichen der Kapitelslisten, sondern lediglich keine Ergänzung derselben. Als entscheidend muss der zweite Punkt eingestuft werden, der die Verbindlichkeit der Vorschlagslisten betrifft: Die Formulierung, der Heilige Stuhl werde sich diese „bei der Auswahl der Person gegenwärtig halten“, implizierte klar, dass die päpstliche Nomination nicht an die eingereichten Vorschläge gebunden war. Die von Gasparri diagnostizierte Absicht der Regierung, das Thema der Verbindlichkeit der „Spezialliste“ des Domkapitels bewusst offen zu lassen, um dadurch den Anschein zu erwecken, der Heilige Stuhl sei an diese eine Liste gebunden, erwies sich als Fehler. Entsprechend Pacellis vorhergehender Textanalyse hatten ihn Papst und Staatssekretär umgehend ausgenutzt, um eine generelle Unverbindlichkeit aller Vorschlagslisten festzuschreiben und die römische Freiheit dadurch entscheidend zu stärken.
Was beim neuen Entwurf des Artikels außerdem völlig fehlte, war die „Meistbegünstigungsklausel“ und zwar – wie der Kardinalstaatssekretär darlegte – aus denselben Gründen, die Pacelli bereits ausführlich analysiert hatte. Mit Gasparris Anordnung indes, wie man auf diese staatliche Forderung reagieren sollte, konnte der Nuntius nicht zufrieden sein: Zwar habe der Heilige Stuhl nach der Promulgation der WRV bisweilen die vorherige Praxis und damit die Bischofswahl durch die Domkapitel in Gebrauch gelassen, aber stets mit dem Ausschluss eines Präjudiz’ für die Neuregelung. Tatsächlich beabsichtige der Heilige Stuhl, in keinem neuen Konkordat ein Bischofswahlrecht mehr zuzulassen. Diese Versicherung sollte Pacelli den staatlichen Verhandlungsführern offiziell und schriftlich geben. Doch erlaubte Gasparri – falls Pacelli es für nötig erachte, „um besser jeden Widerstand zu entwaffnen“ –, folgende Formel zu ergänzen, die Pacellis Vorschlag aufgriff: „… dass der Heilige Stuhl in eventuellen künftigen Vereinbarungen nicht verfehlen wird, in dieser Sache die Lage, in der sich Bayern im Vergleich zu den anderen Ländern des deutschen Reiches befindet, zu berücksichtigen.“331 Gasparri glaubte nicht, dass die bayerische Regierung eine solche Erklärung als ungenügend einstufen werde, welcher der Heilige Stuhl immerhin denselben Wert wie einem vereinbarten Artikel beimesse. Der Nuntius hatte es also nicht geschafft, seinen Vorgesetzten von der Inopportunität dieses Versprechens zu überzeugen.
Der endgültige Modus der bayerischen Bischofseinsetzungen
Die Konkordatsverhandlungen gingen nun in das fünfte Jahr. Kurz vor Jahresende 1923 präsentierte Pacelli sowohl dem Kultusminister als auch dem Ministerpräsidenten die neue Fassung des 14. Artikels und fügte weisungsgetreu Gasparris Ausführungen zur Listenproblematik und zur Frage nach der Vorbehaltsklausel praktisch wörtlich bei.332 Über Letztgenannte schrieb er:
„Hat Er [sc. der Heilige Stuhl, R.H.] auch in einzelnen Fällen gestattet, dass die Besetzung der Bischofsstühle mehr oder weniger nach der bisherigen Praxis erfolge, so hat Er doch jedesmal ausdrücklich erklärt, dass diese vereinzelten Konzessionen keinen Präzedenzfall für die Zukunft bilden dürften. Er erklärt auch nochmals, dass Er in neuen Vereinbarungen keinem Staate das Privileg der Bischofswahl durch die Kapitel in irgendeiner Form zugestehen werde.333 Beim Abschluss künftiger Vereinbarungen wird der Heilige Stuhl nicht verfehlen, in diesem Punkte die Lage, in der sich Bayern im Vergleich zu anderen Ländern des deutschen Reiches befindet, zu berücksichtigen.“334
Damit gab Pacelli also nach und leistete die Zusicherung, der er inhaltlich nicht zustimmte und die er auch formal für inopportun hielt. Die angehängte Formel, die der Nuntius der Regierung ursprünglich anstatt des konkreten Versprechens selbst vorlegen wollte, war in dieser Kombination eigentlich überflüssig. Beide Sätze stehen unverbunden nebeneinander und sind damit gewissermaßen Sinnbild für das Verhältnis von Gasparri und Pacelli in dieser Sache. Allerdings erreichte die Zusicherung ihren Zweck: Die „Meistbegünstigungsklausel“ war in den letzten Verhandlungen kein Thema mehr.
Nachdem er die Schreiben an Matt und Knilling auf den Weg gebracht hatte, reiste Pacelli in die Reichshauptstadt, um seinen diplomatischen Verpflichtungen bei den politischen Neujahrsfeierlichkeiten nachzukommen. Als er am Morgen des 11. Januar 1924 nach München zurückkehrte, suchte er umgehend den Kultusminister auf, um dessen Einschätzung zum neuen römischen Modus der Bischofseinsetzung zu hören.335 Matt bekundete, dass nunmehr nur noch eine einzige Schwierigkeit in Artikel 14 § 1 verblieben sei, die es zu überwinden gelte. Er glaubte, in der neuen Textfassung einen Rückschritt auszumachen im Vergleich zur vorherigen römischen Formel vom 16. Mai 1923. Konkret ging es ihm um Folgendes: Im letztgenannten Entwurf sei – wie Pacelli nach Rom berichtete – bestimmt worden, dass
„der Heilige Stuhl, um Bayern einen besonderen Beweis seines Wohlwollens zu geben, bereit ist als höchstes Zugeständnis, den bayerischen Domkapiteln zu erlauben, dass sie alle drei Jahre dem Heiligen Stuhl direkt eine Liste von Kandidaten übersenden, die sie für das Bischofsamt geeignet halten, unter denen – wie auch unter jenen, welche die Bischöfe vorgeschlagen haben – der Heilige Stuhl sich freie Auswahl vorbehält.“336
Die hier ausgesprochene Verbindlichkeit der Vorschlagslisten für den Heiligen Stuhl sah man auf staatlicher Seite in der neuesten Textvariante vom Dezember nicht mehr gegeben, die davon spreche,
„dass ‚der Heilige Stuhl diese Liste zusammen mit den vom bayerischen Episkopat eingereichten gegenwärtig halten wird‘, in der Weise, dass die Ernennung, welche gemäß der neuen Hinzufügung zum ersten Abschnitt ‚in voller Freiheit‘ dem Heiligen Stuhl zusteht, entgegen dem oben genannten ursprünglichen Vorschlag auch auf eine Person fallen könnte, die nicht in irgendeiner Liste enthalten ist.“337
Ob Nuntius und Kultusminister auch darüber diskutierten, dass die Wurzel für diese neu reklamierte Freiheit des Heiligen Stuhls im Entwurf der Regierung begründet lag, geht aus Pacellis Berichterstattung nicht hervor. Matt verlangte jedenfalls die Rückkehr zur alten Formel. Außerdem habe der Kultusminister festgestellt, dass die Regierung nicht kontrollieren könne, ob der von Rom ernannte Bischof tatsächlich auf einer der eingereichten Vorschlagslisten stand. Deshalb sollte der Heilige Stuhl diesbezüglich eine Zusicherung geben.
Weil Matt angesichts bevorstehender Landtagswahlen möglichst schnell zur parlamentarischen Abstimmung über den Kirchenvertrag schreiten wollte,338 erbat Pacelli von Gasparri abschließend eine telegraphische Antwort, ob die monierte Textänderung wieder rückgängig gemacht werden sollte. Pius XI., dem Gasparri dieses Anliegen in einer Audienz am 17. Januar vortrug, war einverstanden.339 Die neue Fassung, die der Kardinalstaatssekretär noch am selben Tag via Telegramm nach München sandte, sah vor, dem zweiten Satz der Fassung vom Dezember 1923: „Bei Erledigung eines erzbischöflichen oder bischöflichen Sitzes wird das beteiligte Kapitel dem Heiligen Stuhl unmittelbar eine Liste von Kandidaten unterbreiten, die für das bischöfliche Amt würdig und für die Leitung der erledigten Diözese geeignet sind“, eine Wendung anzufügen, die sich deutlich der Maiversion von 1923 anlehnte: „… unter diesen, wie auch unter den von den bayerischen Bischöfen und Domkapiteln in den entsprechenden Triennallisten vorgeschlagenen, sich der Heilige Stuhl die Wahl vorbehält.“340 Dem folgte schließlich der Satz über die politische Klausel.341 Damit war zum einen die Listenbindung der päpstlichen Ernennung sichergestellt. Zum anderen wurden wie schon in der Version vom August 1923 alle drei Formen der Kandidatenlisten, die im Besetzungsprozess eine Rolle spielen sollten, genannt.
Dennoch war die Regierung mit der neuen Version, über die Pacelli sie am 19. Januar in Kenntnis setzte, nicht völlig zufrieden, weil sie laut Matt „den Absichten der Bayerischen Staatsregierung weniger entspricht als die vorher vom H[eiligen] Stuhle selbst vorgeschlagene Fassung, da deren Vertretung im Landtage für die Staatsregierung günstiger gewesen wäre“342. Hier spielte der Kultusminister offensichtlich auf die römische Textergänzung vom August 1923 an, welche die Sedisvakanzliste des Domkapitels in ihrer Relevanz deutlicher hervorgehoben hatte als die neuen Versionen. Aber wohl weil die Unterschiede der beiden Textversionen eher Kosmetik als inhaltlich bedeutsam waren, akzeptierte die Regierung die neue Fassung, was Gasparri „mit Genugtuung“343 zur Kenntnis nahm. In dem Entwurf der bis hierhin noch strittigen Konkordatsartikel, den der Kultusminister dem Nuntius am 31. Januar 1924 vorlegte, war endlich die definitive Formel gefunden, die am 29. März des Jahres von beiden Seiten unterzeichnet wurde: