Читать книгу Eugenio Pacelli im Spiegel der Bischofseinsetzungen in Deutschland von 1919 bis 1939 - Raphael Hülsbömer - Страница 28
Оглавление„… dass bei Erledigung eines Bischofsstuhles ausschließlich das interessierte Kapitel – auch wenn es erst vor kurzem gleich den übrigen bayerischen Kapiteln die erwähnte Triennalliste eingesandt hat – in durch eigene Satzung festzulegender Frist und Weise zusammenberufen werde, um neuerdings eine Liste von für das bischöfliche Amt würdigen und geeigneten Kandidaten aufzustellen und an den Heiligen Stuhl einzureichen …“289
Der Papst werde sich dann diese Liste zusammen mit den Triennallisten aller Domkapitel und Bischöfe „gegenwärtig halten“, aber sich für die Ernennung des neuen Bischofs die „volle Freiheit“290, das heißt die freie Auswahl, vorbehalten.
Mit dieser Modifikation, die sichtbar auf die vom Nuntius empfohlene Überlegung Scharnagls zurückgriff, sei Pius XI. aber bis zur äußersten Grenze dessen gegangen, was sein Gewissen als Zugeständnis an den bayerischen Staat zulasse. Deshalb wies Gasparri den Nuntius an, der Regierung zu verdeutlichen, dass jede weitere Beharrlichkeit in dieser Materie völlig nutzlos sei. Eine neuerliche Zurückweisung der römischen Besetzungsvariante würde die Konkordatsverhandlungen endgültig kompromittieren und das, obwohl der Heilige Stuhl in allen Bereichen entgegenkommend gewesen sei. Gasparri fuhr fort, die Verantwortung für den etwaigen Verhandlungsabbruch allein beim bayerischen Staat zu suchen, denn „keine gescheite Person der Welt“291 könne begreifen, wieso dieser seine Interessen durch den römischen Vorschlag zur Besetzung der bischöflichen Stühle nicht ausreichend gewahrt sehe. Damit stimmte der Kardinalstaatssekretär in Pacellis Klage ein, dass die Konditionen zur Vorbildung des Klerus dem Staat ebenso suffiziente Garantien gäben wie die beiden Tatsachen, dass zwei verschiedene lokalkirchliche Instanzen Kandidatenvorschläge unterbreiten durften und die Regierung politische Bedenken vorbringen konnte.
Die Variante einer Kapitelsliste von mindestens zwei Personen, an die der Heilige Stuhl bei seiner Ernennung gebunden sein sollte, kam für Rom dem Wahlrecht der Domkapitel gleich und war daher undenkbar. Auch die Domkapitulare mussten das zunehmend erkennen, wenngleich sie von ihrem Wunsch nicht abrückten.292 Nun hing alles davon ab, ob das staatliche Verhandlungsgremium um den Kultusminister einlenken würde. In seinem Schreiben an Matt vom 11. September nahm Pacelli – wie Gasparri – zunächst mit Genugtuung zur Kenntnis, dass die Regierung mit dem päpstlichen Nominationsrecht und der politischen Klausel zwei wesentliche Aspekte des römischen Textes akzeptiert habe.293 Dennoch könne von kurialer Seite der Regierungsvorschlag, wonach das Domkapitel des jeweils vakanten Bistums eine Liste von wenigstens zwei Kandidaten aufstellen und der Papst aus diesen den neuen Bischof ernennen sollte, nicht angenommen werden. Dem schloss Pacelli fast wörtlich die Begründung an, die Gasparri ihm an die Hand gegeben hatte, inklusive der Schmerzbekundung Pius’ XI., der feststellen müsse,
„dass die Regierung eines überwiegend katholischen Landes sosehr darauf besteht, bei der Bischofswahl den Heiligen Stuhl auszuschalten, als hätte derselbe nicht stets Bayern gegenüber die angelegentlichste Sorge gezeigt, und als hätten sich die von Rom ausgewählten Bischöfe nicht wohl verdient gemacht um die Religion und um ihr Vaterland“294.
Auf Grund dessen bleibe – so Pacelli – all das bestehen, was er bereits am 26. Mai als Position des Heiligen Stuhls dargelegt habe, nämlich das päpstliche Ernennungsrecht auf Basis der Triennallisten der Domkapitel und der Bischöfe.
Pflichtgemäß offerierte der Nuntius anschließend die neue Konzession des Heiligen Stuhls: Weil der Papst entgegenkommen wolle, soweit es ihm im Gewissen möglich sei, erlaube er den jeweiligen Domkapiteln, dem Heiligen Stuhl zusätzlich zu den dreijährigen Vorschlagslisten bei Erledigung ihres Bistums eine weitere Kandidatenliste zu unterbreiten. Rom werde die eingereichten Listen „im Auge behalten, aber seine volle Freiheit wahren“295. Der Wortlaut „volle Freiheit“, den Pacelli aus Gasparris Weisung übernahm, ist gemäß dem Kontext eindeutig als Auswahlfreiheit aus den Listen zu verstehen und nicht etwa als Aufhebung der Listenbindung.296 Vielmehr ging es wohl darum, zu betonen, dass sich der Heilige Stuhl nicht zwingend an diese zusätzliche Kapitelsliste zu halten brauchte, sondern gegebenenfalls auf Geistliche zurückgreifen konnte, die lediglich auf den Triennallisten standen. Jedes weitere Drängen seitens der Regierung in dieser Angelegenheit sei – wie Pacelli dem Kultusminister auseinandersetzte – zwecklos und eine erneute ablehnende Haltung würde die Konkordatsverhandlungen endgültig scheitern lassen. Gemäß Gasparris Darstellung schob Pacelli für diesen Fall dem bayerischen Staat die Verantwortung zu, da dessen Interessen durch den von Rom propagierten Besetzungsmodus sowie die zugestandenen Voraussetzungen zur Übernahme eines geistlichen Amtes ausreichend gewährleistet seien.
Um den schriftlichen Ausführungen Nachdruck zu verleihen, suchte der Nuntius den Kultusminister am 12. September persönlich auf. Wie Pacelli anschließend seinem Vorgesetzten berichtete, sei Matt von diesem Gespräch, in dem er noch einmal das umfassende Entgegenkommen Roms betont und im zentralen Punkt der Bischofseinsetzung das neue Zugeständnis als gewichtig herausgestellt habe, sehr zufrieden gewesen.297 Um konkrete Aussagen zur römischen Erwiderung machen zu können, wolle Matt allerdings erst mit den beteiligten Ministern und Abgeordneten sprechen. Mitte Oktober kamen sie zu einer Entscheidung, die einer zähneknirschenden Kapitulation gleichkam.298 Zwar erklärte Matt dem Nuntius im Namen der Regierung erneut, dass die Mitwirkung der Domkapitel in Form der Bischofswahl zum erfolgreichen Abschluss der Verhandlungen vor Landtag und Öffentlichkeit notwendig sei. Das Zugeständnis an die bayerischen Kapitel, alle drei Jahre eine Kandidatenliste nach Rom senden zu dürfen, genügte ihrer Meinung nach nicht, um den zu erwartenden Widerstand gegen den Vertrag zu zerstreuen. Daran änderte für sie auch die neueste Ergänzung der „Spezialliste“ bei Eintritt der Sedisvakanz nichts.299 Dennoch sah man angesichts der klaren Grenzziehung auf kurialer Seite keine Möglichkeit mehr, die bisherigen Forderungen aufrecht zu erhalten:
„Da im Übrigen der H[eilige] Stuhl bestimmt erklärt hat, sich seine volle Freiheit bei Besetzung der bischöflichen Stühle wahren zu müssen und die bayerische Staatsregierung das Zustandekommen eines neuen Konkordates mit dem H[eiligen] Stuhle, wie in den bisherigen Verhandlungen zum Ausdruck gekommen, sehnlichst wünscht, so glauben die beteiligten Staatsminister von einer weiteren Vertretung ihrer bisher gestellten Forderungen absehen zu müssen.“300
Für die sich daraus ergebende Gefährdung der Konkordatsverhandlungen übernehme die Staatsregierung aber keine Verantwortung. Um nun endlich zu einem erfolgreichen Abschluss zu gelangen, waren die Minister bereit, folgende Textversion des Artikels 14 § 1 vertraglich festzulegen:
„Die Ernennung der Erzbischöfe und Bischöfe steht dem H[eiligen] Stuhl zu. Bei Erledigung eines erzbischöflichen oder bischöflichen Stuhles hat das beteiligte Kapitel eine Liste von für das bischöfliche Amt würdigen und für die erledigte Stelle geeigneten Kandidaten dem H[eiligen] Stuhle direkt zu unterbreiten. Dieser wird vor der Publikation der Bulle in offiziöser Weise mit der bayerischen Regierung in Verbindung treten, um sich zu versichern, dass gegen den Kandidaten Schwierigkeiten politischer Natur nicht obwalten.“301
Aus diesem Wortlaut wurde allerdings nicht deutlich, welche Verbindlichkeit die Kapitelsliste für den Heiligen Stuhl besitzen sollte. Ebenfalls fehlte ein Hinweis auf die Triennallisten, die – wie Matt behauptete – nicht erwähnt zu werden bräuchten, da es sich bei ihnen um eine innerkirchliche Angelegenheit handle. Gleiches galt seiner Ansicht nach für die genauere Umschreibung der „Frist und Weise“, gemäß derer die Domkapitel des vakanten Bistums ihre „Spezialliste“ aufzustellen hätten.
Mit der endgültigen Aufgabe des Kapitelswahlrechts beziehungsweise des analogen Modus der verbindlichen Zweierliste waren die staatlichen Verhandlungsführer sehr unzufrieden, wie Matt klarstellte. Sie befürchteten, dass in anderen deutschen Ländern und insbesondere in Preußen, „vielleicht nicht grundsätzlich, aber doch in einzelnen Fällen, auch künftighin die Kapitelswahl zur Besetzung eines erledigten Bischofsstuhles zugestanden“302 werde, wie es kürzlich noch in Köln und Trier geschehen sei. Damit stehe Bayern schlechter da als jene Länder, die mit dem Heiligen Stuhl kein Konkordat geschlossen hätten und daher seien Anschuldigungen, die Regierung habe die bayerischen Interessen zu wenig verteidigt, leicht vorhersehbar. Deshalb bat der Kultusminister ausdrücklich darum, dass dem Freistaat Bayern, „insolange die Möglichkeit besteht, dass einem anderen deutschen Lande das Wahlrecht der Kapitel zur Besetzung eines Bischofsstuhles zugestanden würde, die gleiche Begünstigung unter den nämlichen Bedingungen wie anderen Ländern zuteil würde“303. Er verlangte also eine Klausel im Konkordatstext, die eine grundsätzliche Änderung der Vereinbarung für den Fall zusicherte, dass in etwaigen künftigen Verträgen zwischen dem Heiligen Stuhl und einem deutschen Staat die Wahlkonzession vereinbart werden sollte.304 Diese ergänzende Klausel in Artikel 14 § 1 sollte folgende Form haben: „Insoweit und insolange anderen Ländern des Deutschen Reiches für die Besetzung von erzbischöflichen und bischöflichen Stühlen Privilegien vom H[eiligen] Stuhle zugestanden werden können, wird Bayern das Recht der Meistbegünstigung gewährt.“305