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Afërdita Halimi: Gedankenfeuer

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Tief in Gedanken geht Albulena an der Elbe spazieren. Es ist ein herrlicher Tag. Die Sonne überflutet das Land mit ihrem Licht und ihrer Wärme. Fast ist es zu heiß. Der Elbstrand ist überfüllt von Menschen, die die Sonne genießen. Manche sitzen am Strand und beobachten die Schiffe. Einige wollen in den Hamburger Hafen, die anderen möchten wieder hinaus aufs Meer mit dem Ziel weit entfernter fremder Küsten.

Manche Besucher laufen barfuß über den Strand, ungeachtet des heißen Sandes. Kinder werfen kleine Steine ins Wasser und lachen dabei. Ein Vater baut mit seinem Kind eine Sandburg. Jeder genießt die Sonne, die Fröhlichkeit, das Ausruhen vom tagtäglichen Leben. Der Strand wirkt wie ein Mosaik, bestehend aus den darin befindlichen Menschen. Es ist nicht statisch, sondern setzt sich immer wieder neu zusammen. Wie eine Schlange windet sich der Elbhöhenwanderweg den Fluss entlang. Aus der Ferne hört man das Lachen der Fußgänger und das Klingeln genervter Radfahrer.

Auch Albulena geht diesem Weg an der Elbe entlang. Viele alte Bäume, aber auch zum Ruhen einladende Bänke säumen das Ufer. Sie möchte zu dem großen Findling, dem „Alten Schweden“, der letztendlich auch ein Migrant ist, der seine Heimat mit dem großen prähistorischen Gletscherstrom hat verlassen müssen. Scheu berührt sie diesen alten Stein. Er kann so viel erzählen.

Erinnerungen an ihr eigenes Leben überfluten sie. Albulena kam kurz vor dem großen Genozid im Kosovo nach Deutschland. Wenn die Sehnsucht nach ihrer Heimat und die Sorge um ihre Familie sie zu überwältigen drohten, ging sie oft zu einem großen Stein in einem kleinen Wäldchen in der Nähe einer Stadt an der Elbe. Es wird „Mückenmoor“ genannt; ein altes, ganzjährig überflutetes Moorgebiet, ein Tummelplatz für Mücken. Der Stein war natürlich viel kleiner als der „Alte Schwede“. Um zu ihm zu gelangen, musste man sich durch Dornengestrüpp und Unterholz kämpfen. Es gab keinen Weg zu ihm; nur sehr wenige Leute wissen überhaupt, dass es ihn gibt. Sie saß dort stundenlang, um ihren Gedanken, ihrem Bangen, ihren Hoffnungen freien Lauf zu lassen. Sie hatte das Gefühl, dass der Stein ihre Sorgen wegzauberte. Und er gab ihr Hoffnung. Durch ihn hatte sie etwas Neues kennengelernt, das bis heute ihr Leben verwandelt hat.

Plötzlich wird sie aus ihren Gedanken gerissen. Dietrich steht vor ihr; er ist ehrenamtlich in der Betreuung von Flüchtlingen tätig. „Hallo Albulena! Das ist aber wirklich eine Überraschung!“

„Hallo Dietrich! Mit dir habe ich hier nicht gerechnet.“

„Anscheinend haben wir die gleichen Gedanken. Ich wollte zwei Männern aus Syrien den Alten Schweden zeigen. Die müssen einfach mal raus aus ihrer Notunterkunft, mal etwas anderes sehen, sonst drehen sie durch.“

„Schön! Und wie läuft die Arbeit ansonsten? Habt ihr viel zu tun?“

„Gestern Nacht bin ich angerufen worden. Ein Minderjähriger wurde sehr krank und ist ins Krankenhaus eingeliefert worden.“

„Etwas Ernstes?“

„Ja und nein. Es ist eher psychisch bedingt. Seine Familie ist auf der Flucht. Er weiß nicht, in welchem Land sich die Familie gerade befindet und ob sie überhaupt noch lebt. Er hat keinen Kontakt zu ihnen.“

In Albulena steigen Gedanken auf. Sie sieht Bilder wie in einer Diashow. Streik der Minenarbeiter, vergiftete Schüler, Fluchtkarawanen, Massengräber, weinende Kinder, vergewaltigte Frauen, sterbende Menschen, brennende Häuser, Blut …

Fluchtpunkt Hamburg

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