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Hussam Al Zaher: Geschichte des Menschen, der ein Flüchtling sein musste oder: Wir sind keine Dämonen und die Deutschen keine Engel
ОглавлениеIch bin ein Mensch auf der Welt, aber leider bin ich auch ein Flüchtling, und auf Deutsch gibt es nur einen Flüchtling (männlich), nicht eine Flüchtlingin (weiblich), ich weiß nicht warum, aber auf Deutsch muss der Flüchtling ein Mann sein. Eine Freundin hat mir gesagt: „Seit sehr langer Zeit gibt es alle Worte mit ling am Ende nur als männliches Substantiv. Es bezeichnet damit aber kein bestimmtes Geschlecht - beim Säugling sind es ja auch männliche und weibliche Säuglinge.“
Kritik am Suffix „ling“: Es verdinglicht! Als wäre es ein „Geflüchteter“, und ich glaube, wenn das Wort einen männlichen Artikel hat, dann bedeutet das „Mann“ und nicht „man“. Männlicher Artikel, das bedeutet, die deutsche Sprache hat keine Gleichberechtigung, wie alle anderen Sprachen. Und ich bin ein Mann, und viele Deutsche haben gefragt, warum sind die meisten Geflüchteten Männer?
Ich sage, weil unsere Frauen Angst vor dem Meere haben. Zu Hause konnten sie nicht mit dem Boot auf dem Meer fahren, und sie mussten nicht zur Armee gehen, und sie blieben bei unseren Kindern, und wir fuhren mit dem Boot auf das Meer, und danach sollten unsere Familien mit dem Flugzeug kommen, weil die Geflüchteten das Recht auf die Zusammenführung hätten. Aber fast einer Million Geflüchteter wurde dieses Recht von der Regierung verwehrt.
Ich komme aus der Zivilisation. Aber das war in unserer Geschichte vor 500 Jahren. Jetzt komme ich aus dem Krieg in Syrien. Mein Land ist die Wiege der Zivilisation. Dort wurde die erste Zivilisation der Menschheit geboren, und seither hat Syrien viele Zivilisationen erlebt, von den Hyksos, den Pharaonen, dem Königreich Aram Damaskus, über das assyrische Reich, die babylonische Kultur, byzantinische Zivilisation bis zu den islamischen Zivilisationen. Und weil alle unsere Namen eine Bedeutung haben: „Der Name Syrien kommt aus dem Griechischen, das wahrscheinlich den alten Namen Assur übernommen hat. Nach Ansicht einiger Forscher ist der Name hingegen nicht von Assyria abgeleitet, sondern von Tyros (Sūr). In der Antike und im Mittelalter bezeichnete Syrien ein erheblich größeres Gebiet als den heutigen Staat, nämlich in etwa die Region zwischen Mittelmeer, Taurus, Arabien und Mesopotamien. Die syrische Sprache, das Ostaramäische, war sogar noch weiter verbreitet.“ (Wikipedia)
Oder „Syrien“ kommt aus dem Sanskrit. Das bezeichnet die verschiedenen Varietäten des Alt-Indischen. Die älteste Form ist die Sprache der Veden, einer Sammlung religiöser mündlicher Überlieferungen im Hinduismus. Ihre Entstehung wird auf 1200 v. Chr. datiert (laut Wikipeda). Und „Syrien“ bedeutet im Sanskrit „die Sommer“, das meint, ein tolles Wetter, fast immer warm, aber leider gibt es nicht so viel Regen wie in Hamburg, der Stadt des Regens.
In Syrien gibt es alles, was es hier in Deutschland gibt, also Syrien ist ein Land wie Deutschland, dort werden Autos gebaut, man hat Rundfunksender und Verlage, aber wir haben keine Freiheit. Wir haben Tritte, eine Diktatur. Eine Diktatur unserer Präsidenten und unserer Religion und unserer Traditionen. Ich weiß nicht, wer der erste Diktator war, aber immer benutzten unsere Herrscher die Religion, um für immer auf unserer Brust zu bleiben.
Auch heutzutage unterstützt unsere Religion die Regierung. Wir wurden vom Politiksystem, der Religion und den Traditionen in das Gefängnis des Dreiecks gesteckt. Weil wir die Freiheit gefordert und dafür gebetet haben, ist uns der Krieg von unserer Regierung aufgezwungen worden. Unsere Religion hat zwei unterschiedliche Meinungen dazu, ein Teil der Religionsführer, die auf Seiten der Regierung stehen, hat bestimmt: „Gott und der Prophet haben gesagt, dass wir zu unserer Regierung halten und sie unterstützten.“ Aber der andere Teil der Religionsführer hat bestimmt: „Gott und der Prophet haben gesagt, dass wir gegen unsere Regierung aufstehen und kämpfen müssen.“
Ich habe vergessen, was mein Name ist, mein Name bedeutet Schwert, und ich gehöre nur zu einer Stadt: Damaskus, arabisch دمشق Dimaschq, DMG Dimašq, französisch Damas, türkisch Şam. Die Hauptstadt von Syrien ist meine Religion und mein Glaube. Damaskus bedeutet für mich Jasmin. Und der Jasmin ist eine schwache und kleine Blüte, aber wer kennt nicht den Jasmin? Alle Welt kennt den Jasmin und das Parfüm, so wie Damaskus die Mutter aller anderen Städte auf der Welt ist. Zart, aber auch stark, hübsch, aber auch bescheiden, alt, aber Zeitgenosse, schnell, aber auch geduldig, nicht reich, aber auch nicht arm. Alle Menschen auf der Welt sind ihre Kinder, sie ist das Herz der Welt. Sie ist die Stadt der Engel und auch der Teufel. Das ist Damaskus, die Stadt der Gegensätzlichkeit.
Ich bin hier in diesem Land seit fast zwei Jahren, aber bis jetzt ist mein Deutsch nicht gut, bis jetzt muss jemand korrigieren, was ich geschrieben habe: Ich weiß nicht warum, dumm bin ich nicht, aber vielleicht kommt es daher, weil die deutsche Sprache sehr genau ist, und ich bin das nicht. Oder vielleicht gibt es auch andere Gründe, aber auf Deutsch gibt es nichts an Vielleicht, nur Sicherheit und ein Genau, aber ich bin nicht in Sicherheit und auch kein Mensch der Sicherheit, weil ich ein Flüchtling bin, weil ich zwischen Vergangenheit und Zukunft verloren ging. Und ich habe nur meine Vergangenheit und mein Land und meine Geschichte und meine Familie und meine Träume in meinem Land. Meine Gedanken gehen so: Wo bin ich? Wohin muss ich gehen? Warum ist mit mir das passiert? Was wird in Zukunft passieren?
Und auch, weil alle Angst vor mir haben, und fast alle Länder mich nicht empfangen und aufnehmen dürfen, und sie sprechen über mich und meinesgleichen, als ob wir eine Infektionskrankheit seien. Das haben die Regierungen gesagt, aber die Völker haben anders reagiert, sie haben gerufen: Willkommen, Refugee! Und sie haben uns am Hauptbahnhof empfangen, und sie haben uns ihre Gefühle und ihre Zeit gegeben und ihre Unterstützung und vieles andere. Ich kann es gar nicht beschreiben, weil es keine Worte auf der Welt gibt, die das beschreiben könnten, die Menschlichkeit. Und ich möchte mich bedanken bei ihren Gewissen für all die Gefühle und die Zeit. Sechs Millionen Deutsche haben uns geholfen, sechs Millionen geben uns alles, ein Dankeschön für ihre Menschlichkeit. Mit ihnen können wir Integration schaffen. Sie sind unsere Mütter, unsere Familie, nicht Merkel.
Und auch, weil es jeden Tag ein neues Gesetz gibt, und mit jedem neuen Gesetz hat die Regierung uns, den Flüchtlingen, unsere Rechte weiter genommen oder beschnitten. Dabei müsste ich doch wissen, was ich zu tun und zu lassen habe, aber meine Rechte darf ich nicht erfahren, weil ich die deutsche Sprache nicht verstehen kann. Und natürlich auch deshalb nicht, weil wir der Grund sind, warum die Rechtsextremen in Europa expandieren. Und was macht die Religion?
Natürlich nehmen sie uns unsere Rechte fort, egal, wir sind Flüchtlinge und dürfen nicht wählen, unsere Stimmen haben keinen Wert. Egal, wir werden morgen (in Zukunft, irgend-wann) in unsere Länder zurückkehren, wenn die Kriege in der Heimat beendet sind, aber wann ist das? In der Zukunft, wir müssen Geduld haben, und bis zu diesem Zeitpunkt müssen wir die Integration schaffen, aber was bedeutet Integration? Wer weiß das? Wer bestimmt das? Natürlich weiß es die Regierung, aber es gibt zwei Bedeutungen bei der Regierung, eine vor den Wahlen und eine nach den Wahlen, weil die Regierung nur für Wahlen arbeitet.
Hallo, was? Du darfst das nicht sagen, meine innere Stimme hat mir das gesagt, weil ich nicht die Gewohnheit habe, dass ich die Regierung kritisiere, und auch weil ich ein Flüchtling bin, und meine Meinung ist nicht richtig, und ich darf nichts sagen oder kritisieren, bis ich richtig Deutsch sprechen kann, eine Freundin hat mir das auch gesagt.
Aber jetzt, was ist Integration für die Regierung? Die Geflüchteten müssen die deutsche Kultur annehmen, und nicht nur Respekt haben. Sondern wir müssen auch die deutsche Kultur atmen, weil die deutsche Kultur nun mal die Leitkultur ist, wie der Innenminister geschrieben hat. Und natürlich sind die Geflüchteten von der Regierung unterdrückt worden, weil die Geflüchteten ohne Stress keine Integration schaffen können. Das war vor den Wahlen, aber nach den Wahlen bedeutet Integration für die Regierung, dass die Flüchtlinge einen Job finden und arbeiten, und sie können dann Steuern bezahlen. Erst dann haben sie die Integration geschafft. Alle anderen Sachen sind nicht wichtig.
Aber was bedeutet das für Geflüchtete? Oh, oh, jeder hat eine besondere Weise der Integration, eine Integration ist für mich, wenn ich die deutsche Sprache beherrsche, und mit den Deutschen in Kontakt komme. Etwas Anderes, Integration ist für mich, wenn ich zwischen schnacken und reden vergleichen kann. Ich glaube, dass es keine Unterschiede gibt, aber schnacken ist eine besondere Hamburger Sprache. Anderes, Integration ist für mich, wenn ich weiß, was ist der Unterschied zwischen nicht schlecht und gut? Warum haben die Deutschen nicht schlecht mehr als gut verwendet? Vielleicht gibt es keine Sache, die gut ist, oder vielleicht bedeutet nicht schlecht auch einfach gut, dann haben die Deutschen viel Hoffnung, weil es mehrere Gut gibt oder vielleicht … etwas Anderes?
Integration ist für mich, wenn ich Freunde finde, oder Freundschaft schließen kann, aber Freundschaft ist geöffnet, offen, nicht geschlossen. Kann man also sagen: „Wenn ich Freundschaft öffnen kann?“ Und weiter: Integration bedeutet für mich, dass ich alle Sachen langsam machen kann und nur die Sprache schnell reden muss. Ich glaube, das wird nicht einfach sein, weil wir keine Geduld haben. Und weiter: Integration bedeutet für mich, dass ich einen Ausbildungsplatz habe. Und weiter: Integration bedeutet es für mich, wenn ich die Liebe finden kann. Und weiter: Integration bedeutet für mich, wenn ich mich mit meiner Familie treffen darf. Und jetzt darf ich mich eben nicht mit meiner Familie treffen. Meine Familie lebt in Jordanien, und ich habe „Subsidiären Schutz“, ich bin von dem Gesetz verurteilt, dass ich hier alleine ohne meine Familie bis 2018 leben darf, und ich bin hier seit zwei Jahren, von 2015 an.
Und weiter: Integration bedeutet für mich, wenn ich nur Pasta und Kartoffel essen kann, und nur Apfelsaft und Bier trinke. Und weiter: Integration bedeutet für mich, wenn ich Respekt für deine Wahl habe, und ich frage: Oder? Du möchtest Kaffee, oder? Das ist für mich sehr schwierig, weil wir zu Hause nur mit einer Wahl gelebt haben, wir tranken alle Tee, oder alle Kaffee. Wenn wir zusammensaßen, dann tranken wir alle Tee oder Kaffee, wir mussten alle dieselben Gedanken trinken, wir mussten vom selben Teller essen, alle Sachen mussten wir genauso machen, wie die Gesellschaft es wollte, nicht was wir wollten. Die Gesellschaft ist wichtiger als wir, oder unsere Wünsche. Wir wurden von der Gesellschaft in die Konformität gezwungen.
Eine andere Integration bedeutet für mich, einen Hund zu haben. Und weiter: Integration bedeutet für mich, wenn ich einen Job habe und Steuern zahlen kann. Ich meine zu mir selbst: Du hast eine Ansicht wie die Regierung. Und weiter: Integration bedeutet für mich, wenn ich die deutsche Kultur begreifen kann. Ich frage aber, welche Kultur? Hanseatische Kultur oder bayrische Kultur oder welche?
Integration bedeutet für mich, wenn ich keine Zeit habe, so wie die Deutschen. Und weiter: Integration bedeutet für mich, dass es für uns nicht schwer sein wird, weil jeder Kontakt mit einem Deutschen bereits Integration ist. Und weiter: Integration bedeutet es für mich, wenn ich machen kann, was ich möchte, ohne dass ich es als Flüchtling mache, sondern als der Mensch, der ich bin.
Es gibt viele andere Meinungen, weil wir nicht gleich sind, wir sind alle Flüchtlinge, aber wir sind sehr unterschiedliche Menschen. Wir kommen mit unserer Kultur und unserer Meinung und den Gedanken hierher, und wir können nicht alles an der deutschen Kultur übernehmen. Wir schaffen Integration, wenn wir miteinander schnacken können, wenn wir Respekt für einander und für unseren Glauben und unsere Kultur haben, wenn wir über alles diskutieren können, um einander kennenzulernen. Wenn wir glauben, dass wir (Deutsche und Geflüchtete) nur Menschen sind und nicht Engel oder Dämonen, und die Menschen machen Fehler, vielleicht viele und vielleicht wenige, wir sind alle nur Menschen. Es gibt Dialoge, um zu verstehen. Wir alle sind nur Menschen.
Nach einigen Monaten in Hamburg habe ich für den Ramadan gefastet, wir fasten dreißig Tage, in denen wir 19 Stunden jeden Tag nichts essen, um unserer Seele Ruhe zu geben. Wir glauben, dass wir mit dem Essen nichts für unsere Seele fühlen, sondern nur die Wünsche für das Essen spüren. Mit dem Fasten können wir unsere Seele fühlen, weil wir nicht nur für das Essen leben, sondern um höhere Dinge zu erfahren. Mit dem Fasten können wir uns von allen unseren Wünschen befreien, um wie Engel zu sein oder zu werden.
Nach dem Ramadan-Fasten gibt es eine Feier, um eine Auszeichnung für unsere Anstrengungen zu haben. In einem Privatzimmer in einem Altbau in Hamburg habe ich eine Einladung zur Feier mit Syrern und Deutschen. Natürlich muss es immer arabische Süßigkeiten für unsere Feier geben, weil unsere Körper den Zucker brauchen. Zur Laute (Eawad) singen wir die alten arabischen Lieder von Fairu, Oum Kalthum, Ebd Alhalim, Farid Al-Atrash, sie sind arabische Sänger.
Ich habe da eine syrische Frau kennengelernt, die hier seit sechs Jahren wohnt und arbeitet. Sie heißt Samar, das bedeutet „die nächtliche Unterhalterin, Gesprächspartnerin“. Samar ist jetzt eine deutsche Frau, weil wir glauben, wenn man an einem Ort oder in einer Stadt seit 40 Tagen lebt, wird man zu dem Ort oder der Stadt zugehörig. Das ist ein arabisches Sprichwort.
Und ich bin ein Flüchtling, meinen Namen vergesse ich, und ich bin jetzt nur einer von sechs Millionen Geflüchteten, die ihre Namen mit ihren Ländern verloren haben. Wir haben jetzt nur eine Nummer statt unsere Namen.
Samar: „Hallo! Na?“
ICH: „Hallo, mir geht‘s gut.“
Samar: „Na? … na, bedeutet nicht wie geht‘s dir? Sondern nur hallo.“
ICH: „Ja, ich weiß nicht, manchmal haben mir die Deutschen auch gesagt, Na? bedeutet, wie geht‘s dir, manchmal nicht. Ich glaube, dass die Deutschen selber nicht genau wissen, was Na? bedeutet.“
Samar: „Doch, sie wissen es schon. Aber das ist eben Deutschland, eine unterschiedliche Meinung für alles.“
ICH: „Das ist richtig, das ist ein Vorteil in Deutschland, hier gibt es unterschiedliche Meinungen, nicht wie in unseren Ländern, wir müssen stets dieselben Gedanken haben, eine Partei, ein Präsident, eine Geschichte, eine Meinung, ein Sender ...“
Samar: „Wie heißt du?“
ICH: „Mein Name ist Flüchtling.“
Samar: „Was bitte?“
ICH: „Flüchtling bin ich.“
Samar: „Warum bist du Flüchtling genannt worden?“
ICH: „Weil ich aus dem Krieg komme, weil ich meinen Namen ändern musste. Weil ich jetzt nur eine Nummer bin.“
Samar: „Warum möchtest du sagen, dass du nur ein Flüchtling bist?“
ICH: „Nicht ich habe das gesagt, sondern alle haben das gesagt, alle reden über uns als Zahl nicht als Menschen, als ob wir gleich sind, sechs Millionen Geflüchtete sind nur eine Zahl.“
Samar: „Nein, wir sind nur Menschen.“
ICH: „Ja natürlich sind wir Menschen, aber manchmal haben die anderen Menschen das vergessen, sie haben sich nur erinnert, dass wir nur aus dem Krieg gekommen sind, und vielleicht sind wir gefährlich.“
Samar: „Meinst du, dass ihr Flüchtlinge nicht Menschen seid?“
ICH: „Manchmal haben das Andere gesagt, weil sie glauben, dass wir anders sind, weil wir eine andere Kultur, andere Sprache, andere Religion, andere … haben.“
Samar: „Nein, wir sind immer Menschen, und nur auf den Papier wurde geschrieben, dass wir Flüchtlinge sind.“
ICH: „Leider nicht nur auf Papier, sondern auch in unseren Köpfen.“
Samar: „Wen meinst du jetzt mit wir?“
ICH: „Alle Menschen, die Deutschen und die Flüchtlinge, was mit Einem von uns passiert ist, da haben alle gesagt, dass ein Flüchtling das gemacht hat. Wir sind alle gleich für die Deutschen, wie die Deutschen gleich für uns sind.“
Samar: „Warum möchtest du sagen, dass wir anders sind? Wir gehören zu einer Gruppe. Warum meinst du, dass die Menschen zu einer besonderen Gruppe gehören?“
ICH: „Nein, ich habe nur wiedergegeben, was ein Teil der Menschen gesagt hat, aber meine Meinung ist: Wir sind nicht anders, sondern unterschiedlich, weil wir alle Menschen sind. Denn wir haben unterschiedliche Kulturen, Meinungen, Charaktere, Körper wie alle Menschen.“
Samar: „Ja, aber warum wiederholst du, was andere gesagt haben. Warum bringst du nicht deine Meinung?“
ICH: „Das ist meine Meinung. Wir sind unterschiedlich, aber die Menschen müssen das erkennen und glauben. Das ist nicht einfach.“
Samar: „Dann kämpft ihr gegen Stereotype?“
ICH: „Ja, das ist unser Ziel, aber wir sagen, was die Menschen sagen, und danach können sie allein herausfinden, dass sie etwas Falsches gesagt haben.“
Samar: „Bei mir, wenn man eine Idee oder Meinung kritisiert, dann bringt man diese Idee doch nicht als eigene vor.“
ICH: „Ja, vielleicht, aber wie können wir Veränderungen schaffen? Wie können wir die Meinung von einem Teil der Menschen verändern?“
Samar: „Hier in Deutschland ist es sehr einfach, die Menschen sind hier offen, und es gibt keine Probleme.“
ICH: „Leider glaube ich etwas Anderes. Die Mehrheit der Deutschen ist offen, aber was ist mit den Anderen?“
Samar: „Ja, Mehrheit, das ist auch gut.“
ICH: „Das ist sehr gut, aber mein Glauben ist, dass es ein Problem mit der deutschen Kultur gibt.“
Samar: „Was bitte, was meinst du?
ICH: „Die deutsche Kultur ist nicht offen.“
Samar: „Die deutsche Gesellschaft soll verschlossen sein? Das ist falsch, ich bin seit sechs Jahren in Deutschland, und die Leute sind sehr offen, und sie interessieren sich dafür, andere Kulturen kennenzulernen.“
ICH: „Ja, du hast recht, dass die Deutschen als Menschen sehr offen sind. Aber ich habe über die deutsche Kultur gesprochen, die Gesetze, Geschichte, das politische System, die Identität, Zugehörigkeit - nicht über Personen.“
Samar: „Warum hast du keinen Respekt für meine Meinung?“
ICH: „Wie bitte?“
Samar: „Du verwendest aber sehr viel, das bedeutet, dass du nur deine Meinung richtig findest. Weil aber bedeutet, du hast alle Ansichten vor aber gelöchert.“
ICH: „Nein, aber bedeutet für mich eine Brücke zwischen zwei Meinungen, vielleicht sind beide richtig, nicht nur eine Meinung, sondern vielleicht beide.“
Samar: „Nein, auf Deutsch bedeutet es, dass die Dinge vor aber falsch sind, und nach aber richtig.“
Ich: „Nein, für mich bedeutet aber einfach Folgendes: ‚Das Davor und das Danach‘ sind vielleicht richtig, aber von welcher Seite betrachten wir es?“
Samar: „Für dich? Dann machst du dir eine besondere Sprache zurecht?“
ICH: „Nicht - nein, sondern ich habe es in anderen Sprachen, im Arabischen und Englischen so verstanden. Aber ist eine andere Seite einer Wahl.“
Samar: „Vielleicht, aber auf Deutsch bedeutet es etwas Anderes, aber bedeutet, nur eine Meinung ist richtig.“
ICH: „Die Deutschen verwenden sehr viel aber, und ich habe geglaubt, dass die Deutschen Respekt für andere Meinungen haben. Und sie suchen nur eine andere Meinung und beginnen zu diskutieren.“
Samar: „Ja, die Deutschen mögen immer diskutieren, und ihre Meinung sagen, und Deutschland ist die am meisten offene Gesellschaft in Europa. Vielleicht sind die USA ein verschlossenes Land, aber Deutschland ist sehr offen.“
ICH: „Ich glaube, das ist nicht völlig richtig. Es gibt ein Problem der Zugehörigkeit in Deutschland. Wann kann/darf man zu Deutschland gehören? Das ist meine Frage.“
Samar: „Wenn man hier lebt und wenn man hier arbeiten kann, und Steuern bezahlt, dann ist jemand ein Deutscher.“
ICH: „Nein, wenn man hier arbeiten kann und Steuern bezahlt, dann ist man ein Bürger, nicht ein Deutscher.“
Samar: „Was ist der Unterschied?“
ICH: „Der Unterschied ist, dass man nicht nur einen Reisepass haben würde, sondern dann darf ich zu Deutschland, zur deutschen Gesellschaft gehören, oder eben nicht. Nicht alle Bürger sind Deutsche, und Bürger können auch Ausländer sein, aber die Gesellschaft ist anderer Meinung. Bis jetzt ist die Zugehörigkeit zu Deutschland durch die Abstammung bestimmt, das Blut-und Boden-Prinzip. Bis jetzt haben die Jüngeren, die fremde Eltern haben und hier in Deutschland aufwachsen, in Deutschland ein Problem, bis jetzt haben die Deutschen die Jugendlichen gefragt, woher kommt ihr? Weil sie andere Kleidung, andere Augen, andere Hautfarbe, andere … haben.“
Samar: „Meinst du türkische Leute?“
ICH: „Ja, nicht nur türkische Leute, aber auch andere Ausländer oder Migranten. Was ist der Unterschied zwischen Ausländern und Migranten?“
Samar: „Das ist nicht richtig, ich habe gesagt, dass ich hier seit sechs Jahren bin und ich es nicht erlebt habe, dass die türkischen Leute diese Probleme haben, weil sie eine starke Zugehörigkeit zur Türkei und zum Islam empfinden.“
ICH: „Ja, das ist auch ein Teil des Problems, aber der Grund liegt auf beiden Seiten, bei den Deutschen und den Türken, dass die Deutschen auch das Gefühl der starken Zugehörigkeit haben. Wenn die Gesellschaft diese starke Bindung hat, dann ist sie keine offene Gesellschaft. Wir können Eva fragen, was ist ihre Meinung, weil sie aus der Türkei kommt.“
Eva: „Nein, ich komme aus Deutschland, nicht aus der Türkei, aber mein Vater kommt da her. Ich bin hier in Hamburg geboren, und ich weiß nichts über die Türkei.“
ICH: „Ja, und dein Name ist sehr deutsch.“
Samar: „Aber du sprichst Türkisch, oder?“
Eva: „Ja, ich spreche Türkisch, Englisch, Französisch, aber meine Muttersprache ist Deutsch.“
Samar: „Aber du trägst ein Kopftuch.“
Eva: „Und dann, was bedeutet das?“
Samar: „Du trägst etwas Anderes als das, was hier in Deutschland die Menschen tragen.“
Eva: „Es gibt große Missverständnisse bei diesem Thema. Erstens, nicht alle Ausländer sind Muslime. Zweitens, es gibt auch deutsche Muslime, und man kann hier in Deutschland tragen, was man möchte, weil wir in Freiheit leben. Drittens, ich gehöre zu Deutschland trotz meiner Religion. Denn ich kann eine Deutsche und eine Muslima sein. Viertens, was ist der Islam? Das ist die große Frage, es gibt fast 20 Arten von Islam, jeder Teil hat gesagt, dass nur sein Teil der richtige Islam ist, und andere Teile sind es nicht. Mein Glaube ist, dass es nicht einen Islam gibt, aber sehr viele islamische Strömungen, der Islam ist nicht Eines, es sind Unterschiede wie bei den Christen, aber das bedeutet nichts.“
Samar: „Ich weiß nicht, aber meine Meinung ist, dass der Islam nicht in Übereinstimmung mit Deutschland, seiner Kultur und Geschichte, ist.“
Eva: „Warum hast du das gesagt? Der Islam ist nur eine Religion, aber die Frage ist, können wir als Menschen miteinander auskommen, und trotzdem unsere eigene Religion und unsere Hautfarbe und unsere Kultur leben?“
Samar: „Ja, aber der Islam funktioniert nicht mit Freiheit und Demokratie, das ist anders als hier in Deutschland die Verhältnisse mit der Religion, verstehst du?“
Eva: „Erstens, der Islam ist eine Religion, so wie Christen, Juden, Hindus die ihre haben, und jede Religion hat ein Problem mit gänzlicher Freiheit, weil die Religion glaubt, dass der Mensch mit gänzlicher Freiheit wie die Tiere ist, aber der Mensch kann mit den Religionen oder den Gesetzen leben, die Gesetze und die Religion organisieren unsere Leben.“
Samar: „Meinst du, der Islam ist genauso wie das Christentum und wie das Gesetz?“
Eva: „Ja, genauso, nur der Name ist unterschiedlich, aber sie haben dieselbe Grundlage und dieselbe Geschichte, und ein Teil von jeder Religion sind Gesetze, was man machen darf und was man machen muss, und ein anderer Teil handelt von der Spiritualität.“
Samar: „Aber es gibt keinen christlichen Terror, oder?“
Eva: „Das ist nicht richtig, Samar, die ganzen Rechtsextremen sind auch ein Teil des Fanatismus, nur ein anderer, wie der islamistische Terror, sie sind gleich, und die Rechtsextremen haben gesagt, dass sie Christen sind, aber das bedeutet nicht, das Christentum wäre eine fanatische Religion wie der Islam. Ein großes Problem ist für den Islam, dass er sich nicht mit der Freiheit zusammen entwickelt hat, weil fast alle islamischen Länder leider diktatorische Regime haben.“
Samar: „Dann kann der Islam nicht mit der Freiheit leben!“
Eva: „Natürlich ist das falsch, ich habe gesagt, fast alle Länder, nicht alle, nicht Malaysia, Indonesien. Das sind islamische Länder, und sie leben mit der Freiheit, es gibt in Europa fast 14 Millionen Muslime, die mit der Freiheit leben.“
ICH: „Wir haben über die deutsche Gesellschaft geredet, ob sie eine offene Gesellschaft ist.“
Eva: „Das ist ein kompliziertes Thema, ich habe ein kleines Problem mit der deutschen Gesellschaft, aber ich glaube, sie ist wie andere auch, die Zeit und Geduld brauchen, sie verändert sich, aber leider sehr langsam.“
ICH: „Ja, aber die Gesetze und das politische System haben ihr nicht geholfen.“
Samar: „Warum sagst du das? Mein Glaube ist, dass Deutschland eine sehr offene Gesellschaft hat. Das Andere ist dein Problem, nicht das der Leute hier. Du möchtest nur die deutsche Kultur kritisieren. Lasst euch als Ausländer sagen, dass der Stress nicht von den Leuten hier, sondern von euch kommt.“
ICH: „Vielleicht möchte ich das machen, weil ich Kritik als solche mag, vielleicht hast du recht, aber die Probleme hier gibt es seit fast sechzig Jahren, das war früher ein kleines Problem, aber seit die Geflüchteten in Deutschland angekommen sind, vergrößert sich dieses Problem. Warum wächst die Zahl der Menschen, die zu den Rechtsextremen gehören, in Deutschland? Warum gibt es in Deutschland überhaupt Rechtsextreme?“
Samar: „Überall gibt es die Rechtsextremen, nicht nur in Deutschland. Und wir haben in unsern Ländern den Terror.“
ICH: „Nein, nicht überall gibt es Rechtsextreme, zum Beispiel, in Lateinamerika fehlen sie. Ich bin mit dir einig, dass der Terror dasselbe wie der Rechtsextremismus ist, beides ist das Indiz, das es sich um geschlossene Gesellschaften handelt.“
Samar: „Ich weiß nicht, was ich sagen soll, aber die deutsche Gesellschaft ist offen. Die Gründe für alle Probleme in unseren östlichen Ländern kommen aus unserer Religion, die Ursache, dass wir eine geschlossene Gesellschaft haben. Aber hier in Deutschland gibt keine Staatsreligion, außerdem ist die Gesellschaft frei. Hier gibt es Freiheit, womit es sich um keine geschlossene Gesellschaft handelt.“
ICH: „Du siehst das nicht ganz richtig, die Religion ist ein Teil des Problems, und sie ist wichtig für einen Teil der Deutschen. Aber es gibt sehr viele Gründe für Intoleranz. Geschichte, Traditionen, Gedanken der Menschen und Anderes.“
Samar: „Ich bin nicht mit dir einverstanden, die Deutschen sind nicht religiös.“
ICH: „Und warum ist eine große Partei in Deutschland religionsmäßig definiert? Die CDU, christlich-demokratische Partei?“
Samar: „Ja, nein, das politische System hier gibt nicht genug her für einen ganzheitlichen Blick auf die Gesellschaft. Nur ein Drittel der Deutschen geht wählen.“
ICH: „Das politische System gibt uns das Anfangsbild für die Gesellschaft.“
Samar: „Das stimmt so nicht, hier ist eine offene Gesellschaft, und ihr könnt so nicht leben, weil ihr diese Probleme mit der deutschen Kultur habt, weil ihr eine intolerante Kultur habt.“
ICH: „Vielleicht ist unsere Kultur deshalb so verschlossen, weil die Religion einfach sehr wichtig in unserer Kultur ist, aber auch hier in Deutschland ist die Religion wichtig, aber unterschiedlich, hier gibt es Freiheit, aber in unseren Ländern gibt es nur die Diktatur, die mit unserer Religion verwoben ist, um sich für immer an der Macht zu halten. Die Menschheit hat dieselbe Geschichte und dieselben Aufgaben, aber unterschiedliche Lösungen, und unterschiedliche Politiksysteme. Zum Beispiel die Frauen haben überall Probleme mit ihren Rechten und der Gleichberechtigung. Aber hier in Deutschland haben sie im deutschen Gesetz die Gleichberechtigung, aber sie haben real nicht ganz die Gleichberechtigung. Sie kämpfen dafür.“
Samar: „Was? Nein, hier haben die Frauen völlige Gleichberechtigung.“
In diesem Moment kam Julia hinzu, sie ist eine Deutsche und hat Kulturmanagement studiert, und sie kämpft für Gleichheit und Freiheit, und jetzt diskutierte sie mit uns.
Julia: „Nein, Entschuldigung für den Zwischenruf, aber hier haben die Frauen auch nicht ganz die Gleichberechtigung, zum Beispiel erhalten Frauen weniger Gehalt als Männer. Und wir haben unsere Gleichberechtigung erst nach dem Zweiten Weltkrieg bekommen, weil es nicht so viele Männer in Deutschland gab, ein Teil war tot, ein anderer Häftling. Wir sind die Frauen, die unser Land aufgebaut haben, um auch unsere Rechte zu bekommen. Bis jetzt gibt es Männer, die gegen unsere Rechte stehen, bis jetzt müssen wir als Frauen für unsere Rechte kämpfen. Entschuldigung noch mal, aber worüber schnackt ihr?“
ICH: „Wie bitte, was bedeutet schnacken?“
Julia: „Schnacken bedeutet diskutieren und reden, aber das ist ein besonderes Wort in Hamburg.“
ICH: „Ach so, wir reden allgemein über die deutsche Gesellschaft, ob sie tolerant und offen ist?“
Julia: „Ein interessantes Thema, was ist eure Meinung?“
ICH: „Also, ich glaube, dass es ein echtes Problem in der deutschen Gesellschaft gibt.“
Samar: „Nein, ich finde, dass die deutsche Gesellschaft offen ist, weil es hier Freiheit und Demokratie gibt.“
Julia: „Ich kann sagen, dass wir unterschiedliche Menschen und unterschiedliche Meinungen haben, ganz wie ihr. Wir sind nicht ganz offen und nicht ganz verschlossen, und natürlich sind wir keine Engel, in Deutschland gibt es Rechtsextreme, Neonazis, auch Linksextreme, und es gibt auch sehr viele Menschen, die außerordentlich tolerant sind, und sie interessieren sich dafür, eine andere Kultur kennenzulernen, überall gibt es unterschiedliche Menschen, wie unter euch, nicht alle Geflüchteten sind gut, aber auch nicht alle Geflüchteten sind schlecht, ihr seid eben auch sehr unterschiedlich in euren Ansichten, dem Charakter und auch der Kultur. Es macht ein großes Problem, wenn wir eine Gruppe als eine homogene Menge beschreiben, das ist nicht richtig, wir sind als Deutsche auch so differenziert, und wir haben dieses Problem, wir schreiben und reden über alle Geflüchteten als ob sie Eins sind und alle gleich.“
ICH: „Ja natürlich, ich habe immer gesagt, wir sind nicht Dämonen und die Deutschen keine Engel, aber wir sind alle (Deutsche und Geflüchtete und Ausländer) nur Menschen, und es gibt unterschiedliche Menschen. Wir sind nicht Eins, sondern unterschiedlich. Aber wir haben nur über die Gesellschaft gesprochen, nicht über die Menschen, ob die deutsche Gesellschaft offen ist?“
Julia: „Ich habe mich das noch nie gefragt, bei uns ist das nicht so wichtig, weil der Mensch wichtig ist in Deutschland und nicht die Gesellschaft. Du und ich und sie sind wichtig als eine Person, nicht, mit welchen Merkmalen wir zu einer Gesellschaft gehören. Individualismus und Freiheit und Demokratie als Politiksystem sind alles, woran wir glauben. Es gibt große Unterschiede zwischen dem, was die deutsche Gesellschaft für uns bedeutet, und was sie für euch bedeutet. In eurer Gesellschaft dominiert die Gemeinschaft, weil die Familie sehr viel wichtiger für euch ist als die Personen.“
ICH: „Ja, genau, unsere Gesellschaft besteht aus unterschiedlichen Familien, die alle dieselbe Tradition und Meinung haben, aber hier die deutsche Gesellschaft besteht aus vielen Personen, die unterschiedliche Meinungen und auch Kultur haben.“
Julia: „Sicherlich, die Person ist bei euch nur ein Mitglied in einer Familie oder einer Sippe oder Gruppe oder einer Sekte, und die Person hat keine Freiheit um eine individuelle Entscheidung zu treffen, nicht die Person darf eine Entscheidung treffen, sondern die Gruppe oder die Familie macht das für ihn. Vor dem Zweiten Weltkrieg war das in unserer Gesellschaft auch so, und es war sehr stark, und mit dem Nazismus haben wir einen großen Krieg gemacht. Danach haben wir erfahren, dass die Person wichtiger ist, und Freiheit funktioniert nicht, wenn das Gesellschaftssystem übermächtig ist, dann kämpft sie gegen unsere Freiheit. Die Religion, das Politiksystem, die Tradition stehen bis jetzt gegen unsere Freiheit, aber wir haben auch sehr viele Personen, Stiftungen, unsere Verfassung, mit denen wir für unsere Freiheit kämpfen können.“
ICH: „Die Frage ist, warum kann ich die Freiheit nicht in meinem Gesellschaftssystem haben? Warum muss ich eines wählen, Freiheit oder meine Gesellschaft?“
Julia: „Das ist eine große Frage, seit fast hundert Jahren haben wir uns gefragt, welches System ist besser für uns, das liberale System mit Individualismus oder Sozialismus mit Kapitulation vor der Gesellschaft. Aber es gibt jetzt eine Mischung zwischen zwei Systemen, das ist die Sozialdemokratie.
Vielleicht ist das eine Lösung. Man kann nicht ununterbrochen diskutieren. Und wir haben eine Gesprächspause gemacht, mit einem schönen arabischen Lied, es gab kein Streiten mehr. Und dann haben wir zusammen getanzt. Dabke, das ist ein besonderer östlicher Tanz. Jeder hält die Hand des Anderen, und wir tanzen zusammen. Das war schön, aber das ist auch wie ein Blick über unsere Gesellschaft, wir müssen alle zusammen etwas machen, nicht wie hier, fast alle können allein tanzen. Manchmal können wir eine Gesellschaft dadurch verstehen, in welcher Art sie tanzt. Nach einer Stunde kommt Ali, der ist aus dem Iran geflüchtet, weil er nach der Freiheit sucht, und er war im Iran unterdrückt.
Ali: „Na, was gibt es hier?“
Samar: „Wir feiern das Ramadanfest.“
Ali: „Was macht ihr?“
Samar: „Das Ramadanfest feiern wir.“
Ali: „Hey, warum feiert ihr hier in Deutschland?“
Samar: „Warum nicht?“
Ali: „Weil Deutschland kein islamisches Land ist.“
Samar: „Na und? Es gibt viele Muslime in Deutschland.“
Ali: „Ja, aber Muslime sind Terroristen, und sie sollten hier nicht feiern dürfen.“
Samar: „Na hör mal, du bist auch Muslim.“
Ali: „Nein, ich war Muslim, aber ich bin jetzt Atheist.“
Samar: „Warum hast du deine Religion gewechselt?“
Ali: „Weil der Islam nicht gut ist, alle Muslime sind Terroristen, und mit dem Islam gibt es keine Freiheit, es gibt nur Diktatur, Unterdrückung, Despotismus.“
Samar: „Wer hat dir das gesagt?“
Ali: „Niemand. aber ich habe das im Iran gesehen und gelebt, ich habe dort gesehen, was die islamische Regierung geschaffen hat. Mit der Religion gibt es nur Diktatur und Terror.“
Eva: „Ich bin auch Muslima.“
Ali: „Aber du bist anders, du bist offen, und du bist Deutsche.“
Eva: „Ja, trotzdem bin ich Muslima.“
Ali: „Ja, aber andere Muslime sind Terroristen.“
Samar: „Ahmad, Hussam, Mohammad, Rabea, unsere Freunde, sind auch Muslime.“
Ali: „Ja, aber sie sind anders. Und dann wieder andere Muslime sind Terroristen, mit dem Islam gibt es nur Terror und Diktatur.“
Samar: „Na ja, das ist nicht richtig, das ist falsch. Im Islam gibt es auch Liebe, Toleranz.“
Ali: „Wo sind die Liebe und Toleranz im Iran? Warum habe ich nichts davon gesehen? Warum muss man ein Muslim sein? Das war nicht meine Entscheidung, und alle müssen Muslime sein, weil die Regierung das so will.“
Samar: „Mit deiner Familie, deinen Freunden, deinen Nach-barn, mit deinen Kollegen könntest du das sehen.“
Ali: „Na ja, mit meiner Familie schon, aber man sieht die Liebe nur mit Anordnungen und Pflicht.“
Samar: „Was meinst du?“
Ali: „Meine Familie hat mir Liebe gegeben, wenn ich gemacht habe, was sie mochte, wenn sie eine Entscheidung statt meiner und für mich traf.“
Samar: „Na ja, das ist nicht richtig.“
Ali: „Zum Beispiel, wenn ich eine Frau heiraten möchte, muss ich natürlich die Meinung der Familie nehmen. Ich kann nicht machen, was ich will, ich darf nicht diese Frau heiraten, weil meine Mutter nicht zugestimmt hat, trotzdem liebe ich sie, aber ich durfte meine liebe Frau nicht heiraten, und ich musste sie vergessen, das war es, was meine Mutter mir gesagt hat.“
Samar: „Na ja, das ist nicht immer richtig, es gibt viele andere, die ihre Liebe heiraten dürfen. Aber das Problem ist natürlich, es gibt in unser Gesellschaft Bräuche und Traditionen, das ist nicht unbedingt der Islam.“
Ali: „Und unsere Diktatur, woher kommt sie?“
Samar: „Euer Politiksystem ist ein islamisches System, aber sie nehmen nur einen Teil vom Islam, den sie benutzen, um für immer eine Diktatur zu sein.“
Ali: „Aber das ist der Islam.“
Samar: „Nein, das ist nicht der richtige Islam. Unsere Diktatur und unsere Traditionen benutzen den Islam, und wenn sie etwas geschafft haben, dann haben sie gesagt, dass das aus dem Islam kommt.“
Ali: „Und warum gibt es nur bei den Muslimen Terror?“
Samar: „Nein, überall gibt es Terror, zum Beispiel Extremismus und Rassismus und vieles noch. Und das kommt daher, weil wir Religion für politische Zwecke benutzten, dann kommt der Terror.“
Ali: „Ich hasse alle. Ich bin im Iran geboren, und im Iran darf man nichts nach eigenem Wunsch machen, weil der Islam das gesagt hat, und immer mussten wir für unsere Imame und die Diktatur ein Bittgebet sprechen.“
Samar: „Ja, sie haben das gesagt, und der Islam hat das gesagt? Aber nicht immer.“
Ali: „Bei mir ist es dasselbe, nicht unterschiedlich.“
Samar: „Nein, es gibt viele Unterschiede, unser Problem ist, dass unsere Kultur abgeschottet ist. Wir leben im Jahr 2017, aber wir denken, als ob wir um 1500 leben würden, unsere Tradition kommt nur aus der fernen Vergangenheit, und wir leben nur mit diesen Traditionen.“
Ali: „Das ist richtig, aber die Ursache ist, weil wir Muslime sind.“
Samar: „Natürlich nicht, sondern das Problem ist, dass wir keine Freiheit haben, weil wir nur unter der Diktatur oder dem Kolonialismus leben. Wir haben nie mit der Freiheit gelebt.“
Ali: „Wie können wir Freiheit erlangen? Müssen wir gegen das Politiksystem, die Religion und die Traditionen kämpfen?“
Samar: „Das ist auch meine Frage.“
Alle überdenken still diese Frage.
Ali: „Aber wie können wir hier gegen Terror kämpfen?“
Samar: „Das ist eine komplizierte Frage.“
Ali: „Warum denn nur?“
Samar: „Weil die Muslime gefragt haben, ob der Islam ein Teil von Deutschland ist, oder nur die Muslime sind ein Teil von Deutschland, oder Deutschland hat keinen Anteil am Islam und den Muslimen.“
Ali: „Was ist der Unterschied?“
Samar: „Ich bin eine Muslima, also bin ich hier eine Fremde, das ist ein Teil des Problems. Und die andere Schwierigkeit ist, dass der Islam nicht Eins ist, nichts Monolithisches, es gibt viele Teile und viele Sekten und auch viele Meinungen. Das Schlimme ist, jede Sekte hat eine andere Meinung zur Politik als die nächste Sekte. Die Mehrheit der Entscheidungen oder der Meinungen dieser Sekten kommt aus der Politik. Dabei ist die Politik immer eine schlechte Ratgeberin bezüglich der Religion. Hier haben wir auch selber das Problem, dass fast jede islamische Organisation politische Entscheidungen wahrnimmt und dann sagt, dass die Entscheidung aus dem Islam kommt.“
Ali: „Was ist dann die Lösung?“
Samar: „Ich weiß nicht, ich glaube zwar, dass wir alle Muslime sind, aber wir sind sehr unterschiedlich, und die Deutschen haben uns angesehen, als ob wir Eins sind oder als ob wir alle dieselbe Religion haben. Dagegen glaube ich, dass wir unterschiedliche Religionen besitzen, wir sind alle Muslime, aber unser Glaube ist sehr unterschiedlich. Und wir haben immer gesagt, dass der Islam eine einzige Religion ohne Aufspaltung ist, und das ist ein Teil des Problems. Ein anderer Teil besteht darin, wir können nicht zwischen Politik, Traditionen, Religion vergleichen. Wir als Muslime glauben, dass alle dasselbe sind, alles ist unser Islam, aber natürlich ist das für mich falsch.“
Ali: „Ja, aber das Problem kommt auch von unserem Politiksystem, wir dürfen nicht denken und unsere Meinung sagen, keine Freiheit haben. Politik und Religion und die Traditionen haben ein Bündnis oder eine Wand vor unsere Gedanken aufgebaut. Wenn man diese Wand abbauen will,
dann muss dieser Zusammenhang aufgelöst werden, denn wir sind mit der Angst aufgewachsen und wir haben nichts zu sagen, keinen Anspruch darauf.“
Samar: „Wir haben im Arabischen Frühling versucht, etwas zu all dem zu sagen, aber das waren komplizierte Probleme. Die arabischen Regierungen haben sich gegen uns als das Volk zusammengetan. Sie besaßen mehr Schlauheit als wir, die Bevölkerungen. Die nächste Schwierigkeit war, dass aus Armut und Analphabetentum und Chaos und Fanatismus ein Terrorismus geschaffen wurde, und unsere Regierungen haben uns gezwungen, zwischen Diktatur und großem Gefängnis oder Terrorismus und großem Gefängnis zu wählen, und wir kämpfen gegen Diktatur und Terrorismus, um die Freiheit zu gewinnen.“
Ali: „Meinst du, dass der Terrorismus von unseren Regierungen geschaffen wurde?“
Samar: „Nicht ganz, aber sie haben den Terrorismus mit ihren Taten befördert, beide sind sich feind, aber sie haben auch einen gemeinsamen Feind, der sind wir als Völker. Beide, die Regierungen und die Terroristen, wollen uns die Freiheit nehmen.“
Ali: „Ja, aber warum hat der Terror auch in Europa zugeschlagen?“
Samar: „Oh, ich weiß nicht. Aber es gibt viele Gründe, zum Einen es gibt das Problem mit den Muslimen, die hier leben, mit ihrer Zugehörigkeit, und es gibt Probleme mit den jungen Leuten, die etwas Verrücktes machen möchten, und sie wollen Angst zwischen den Muslimen und den europäischen Leuten schaffen. Sie sind unsere Feinde.“
Ali: „Trotzdem frage ich, warum? Denn ich bin kein Muslim, und ich gehöre zu den Atheisten, aber die Deutschen haben Angst von mir, weil ich aus einem muslimischen Land komme oder vielleicht bin ich einfach Ausländer. Ich weiß nicht, aber sie haben Angst auch vor mir.“
Samar: „Ja, ich kann dich verstehen, weil ein Teil der Deutschen glaubt, dass wir Eins und alle gleich sind, das ist normal, weil wir als Menschen auch das Gleiche empfinden. Wir haben immer Stereotype für alle, die wir nicht kennen.
Ali: „Als ich das erste Mal in Deutschland war, schienen mir die Deutschen alle gleich, alle waren groß und hatten blonde Haare, und sie haben freie Gedanken und alle die gleichen. Aber nachdem ich mich mit den Deutschen bekannt gemacht und sie näher kennengelernt hatte, betrachtete ich sie anders. Die Deutschen sind sehr unterschiedlich, haben unterschiedliche Meinungen, sind von unterschiedlicher Größe, von verschiedenem Glauben, unterschiedlicher Offenheit gegenüber Anderen und, und ... Und die Deutschen können dasselbe herausfinden, wenn sie mit uns Kontakt haben und uns näher kennenlernen, nur das dauert eben seine Zeit.“
Soweit dieser Dialog, Trialog, dieses Gespräch mit vielen Stimmen. Am Schluss möchte ich sagen, dass ich mit meinem Schreiben versucht habe, nur Fragen zu stellen. Manchmal habe ich geantwortet, aber nur stellvertretend für andere Fragen. Vielleicht können wir zusammen denken, und eine Antwort finden, aber das Wichtigste für mich ist dabei, dass wir erst einmal miteinander diskutieren können. Vielleicht ist meine Meinung falsch, und deine Meinung ist richtig, aber vielleicht ist auch meine Meinung richtig, und vielleicht sind unsere (deine und meine) Meinungen beide richtig, je nachdem von welcher Seite wir die Dinge ansehen. Mit dem Respekt für unsere jeweilige Meinung, Kultur, Religion, unsern jeweiligen Glauben, für unsre Gedanken können wir miteinander leben. Das bedeutet Integration für mich.
Auf Deutsch geschrieben,
Lektorat: Reimer Boy Eilers
(Foto: Hussein Al Zaher)