Читать книгу Der Andere - Reiner W. Netthöfel - Страница 11

10.

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„Jetzt ist es aber gut.“, meinte Holly zum wiederholten Male, aber sie drang nicht durch.

Magnus, Stefania auf den Schultern, schritt munter voran durch die Bücherregale, den halb vollen Einkaufswagen vor sich her schiebend und erklärte: „Wir haben ja nun keine Comics oder Kinderbücher gekauft, Holly, sondern Sachbücher.“

Wir?“

„Ja, sicher. Stefania hat ausgesucht, ich habe sie beraten und du …“

„Du wirst auch bezahlen!“ Magnus zuckte die Schultern.

„Ja, und?“ Stefania bekam ein schlechtes Gewissen.

„Wir können ja ein paar wieder zurücklegen.“, meinte sie unglücklich.

„Kommt gar nicht in Frage.“, postulierte Magnus, um gleich noch zu erhöhen: „Du brauchst auch einen Computer. Damit kommst du an alle Informationen, die du brauchst.“

„Das geht nicht!“, protestierte Holly.

„Und ob.“, parierte Magnus, heftig unterstützt von Stefania.

Als Stefania sich einige PC-Spiele anschaute, nahm er Holly zur Seite.

„Hör zu, Stefania muss gefördert werden. Sie muss auf eine gute Schule. Es wäre eine Schande, dieses Potenzial brach liegen zu lassen.“ Holly machte ein trotziges Gesicht.

„Misch dich nicht in meine Erziehung ein; sie ist meine Tochter.“

„Natürlich, aber du musst doch auch ein Interesse daran haben …“

„Es ist zu teuer!“ Holly wandte sich ab. Okay, nicht jetzt, dachte Magnus. Aber bald.

Stolz half Stefania, ihre neuen Bücher in das Haus zu tragen. Will sah dem Treiben etwas ratlos zu. „Das wäre aber nicht nötig gewesen.“, murmelte er.

„Doch, es war überfällig.“, entgegnete Magnus knapp und schleppte den Karton mit dem Laptop die Treppe hinauf.

„Hör zu, du brauchst hier nicht den reichen Onkel zu spielen.“, schimpfte Holly, als sie mit Magnus alleine im Wohnzimmer war.

„Ich spiele nicht den reichen Onkel. Stefania ist hochbegabt und ich unterstütze sie; sie ist übrigens nicht die einzige und erste, die meine Unterstützung erfährt, wie du weißt, äh, die Unterstützung meiner Familie, meine ich.“, entgegnete Magnus und schalt sich innerlich für diesen fauxpas. Holly sah zu Boden.

„Entschuldige. Wir sind dir, beziehungsweise deiner Familie, sehr zu Dank verpflichtet.“

„Ich will keinen Dank.“, erklärte er und musste an Sarah denken, die auch geglaubt hatte, ihm ständig danken zu müssen. „Unsere Familien verbindet etwas, darüber haben wir schon gesprochen. Deine Tochter ist ein besonderes Mädchen, das weißt du selbst. Ich habe Geld genug und mir bereitet es Freude, ihr eine Freude machen zu können, klar? Und jetzt Schluss damit. Ich will, dass ihre Begabungen gefördert werden, alles andere wäre Unfug.“

„Wie soll das gehen?“ Holly sah ihn mit ihren schönen Augen an.

„Das werde ich dir schon noch sagen.“ Draußen fuhr ein Auto vor. Holly blickte hinaus und sagte: „Das ist Onkel Dick.“

Dick und Patty Bryant schraubten sich umständlich aus der Limousine, wie es alte Leute nun mal so taten. Dick war etwas älter als sein Bruder Will und Patty ungefähr in Wills Alter, doch Magnus erkannte die junge Frau von damals wieder. Sie war, wie ihr Mann, sehr schlank und hatte, wie er, volles graues Haar. Sie starrte auf die Veranda von Wills Haus, wo nun Holly und Magnus standen. Nach einer Weile des Verharrens kam sie zielstrebig auf die beiden zu; ihr Mann folgte mit Mühe langsam. Sie schritt die drei Holzstufen herauf und zögerte. Dann trat sie dicht an Magnus heran und sah ihm von unten ins Gesicht.

„Ich glaube es nicht.“, flüsterte sie. „Ich glaube es nicht.“

„Patty, was ist denn los?“, wollte Holly lachend wissen. Patty stach Magnus ihren Zeigefinger in den Bauch.

„Da.“, sagte sie nur.

„Was ist da?“, fragte Holly kopfschüttelnd.

„Da war das Blut.“

„Welches Blut?“

„Sein Hemd war blutgetränkt. Genau da.“

„Patty.“, rief Holly ihre Großtante zur Ordnung. Magnus hatte sich nicht gerührt und hatte keine Miene verzogen, er betrachtete die kleine, alte, schwarze Frau, die vor ihm stand, einen ihrer Zeigefinger in seinen Bauch gerammt hatte und ihn anstarrte, wie damals in der Menge, als er dem Rassisten die Pistole entwunden hatte und sie selbst in der Hand hielt. Plötzlich zog Patty Magnus zu sich herunter, umschlang seinen Hals und flüsterte in sein Ohr: „Danke.“ Magnus erwiderte die Umarmung und flüsterte zurück:

„Danke nicht mir, ich war es nicht.“ Patty löste die Umarmung und meinte schniefend:

„Jaja, dein Vater oder Großvater, ich weiß.“ Dann sah sie ihm tief in die Augen und wandte sich nach einer Weile in einer Weise ab, wie man an einem sonnigen, aber eiskalten Wintertag wieder in das Haus geht. Sie machte eine wegwerfende Handbewegung, die bedeuten konnte, dass sie die Geschichte mit dem Vater nicht glaubte. Mittlerweile war Dick herangehumpelt.

„Mr. Montanus.“, sagte er schwer atmend. Er war zwar dürr, schien aber gesundheitliche Probleme zu haben und sah Magnus durch seine Brillengläser an.

„Magnus.“, sagte Magnus. Stefania trat aus dem Haus und begrüßte ihre Verwandten herzlich.

„Magnus.“, sagte Dick, „Was du damals …“ Magnus schüttelte den Kopf.

„Um eins klarzustellen, Dick, nicht ich war es, sondern mein Vater oder Großvater, ich weiß es nicht.“ Stefania fasste sich an die Nase und Dick sah kurz auf den Verandaboden.

„Okay, nehmen wir deine Version.“

„Sie ist die Richtige.“ Stefania rieb ihre Nase.

Etwas später kam auch Abraham, Abe, wie er genannt wurde, mit seiner Familie, die aus seiner Frau Charlotte und seinen Söhnen Alex und Carl bestand, die allerdings schon erwachsen waren. Abe, ein mittlerweile fast vierzigjähriger Mann von großer Statur, stand lange schweigend vor Magnus. Dann schien es, als wolle er auf die Knie fallen, was Magnus aber durch einen raschen Griff unter Abes Achseln verhinderte.

„Wir wollen doch nicht kindisch werden.“, murmelte er dabei. Abe hob verzweifelt die Hände. „Sie haben mir damals das Leben gerettet ….“

„Jetzt ist es aber gut!“, fuhr Magnus dazwischen. „Es war mein Vater, nicht ich, versteht ihr das?“ Er blickte in die Runde und sah, wie Stefania ihre Nase zwischen Zeigefinger und Daumen rieb.

„Deines Großvaters Hemd war eindeutig blutig. Ich habe es gesehen. Er muss verletzt gewesen sein.“, beharrte Patty später im Haus.

„Ich weiß das alles nicht. Er hat nie darüber gesprochen.“

„Auch über mich hat dein Vater nicht gesprochen?“, fragte Abe enttäuscht.

„Er war ein Mensch, der nie über Erfolge oder besondere Ereignisse berichtet hat. Außer, jemand fragte nach. Da ich nichts wusste, konnte ich auch nicht nachfragen.“ Stefania nieste.

Während die anderen in ihren Kaffeetassen rührten, referierte Dick die Familiengeschichte für einen einzigen aufmerksamen Zuhörer aus Übersee, denn die Familie kannte die Chronik auswendig und hörte nur höflichkeitshalber zu.

„Du hast nicht herausfinden können, wer Sarahs Briefpartner waren?“, fragte Magnus einmal detektivisch beiläufig. Dick grinste verschmitzt.

„Das Papier war alt und schlecht, die Tinte fast verblasst. Der größte Teil der Blätter zerbröselte, wenn man ihn ansah, den Rest hatten die Mäuse erledigt. Aber,“ Er schaute triumphierend in die Runde, „ein kleines Fragment habe ich retten können. Ich habe es präpariert und laminiert. Es sind nur ein paar Wörter, die keinen Sinn ergeben, aber eine Schriftanalyse kann man damit machen.“ Er zog eine Art Karte aus der Innentasche seines Jacketts. Es handelte sich um ein laminiertes, nicht ganz postkartengroßes Stück Papier. Auch ohne genau hinzusehen, wusste Magnus, dass sich seine Handschrift auf dem Papier befand. Er wusste nun, dass er in diesem Hause tunlichst nichts aufschreiben sollte.

„Ich habe vor ein paar Jahren die von deinem Vater zerschossene Bullenpeitsche erhalten.“, lachte Abe. „Ein guter Schuss.“ Immerhin schien wenigstens Abe begriffen zu haben, dass nicht Magnus es gewesen sein sollte, der so vortrefflich gezielt hatte.

Nach dem gemeinsamen Abendessen fuhren die Verwandten wieder nach Hause, wobei Abe mit seiner Familie einen Zwischenstopp in einem Motel machen musste, denn ihre Heimfahrt würde länger dauern. Von Dick hatte Magnus erfahren, an welchem Ort Sarah und Tom begraben waren.

„Ich werde morgen dorthin fahren.“, erklärte Magnus am späten Abend den drei Bryants auf der Veranda.

„Warum? Ich meine, es ist lange her und du kanntest sie nicht. Wie auch?“, wollte Holly wissen.

„Die Verbindung unserer Familien fängt mit ihr an.“, erklärte Magnus.

„Darf ich mit?“, fragte Stefania.

„Nein.“, entschied Holly. „Das ist langweilig und dauert viel zu lange.“

„Ich nähme sie gerne mit; wir übernachten in einem Motel. Wenn Stefania die Familiengeschichte interessiert, sollte sie mit.“

„Dann komme ich auch mit.“, entschied Holly.

Der Andere

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