Читать книгу Kuiper und die verschwundene Millionärin - Reinhold Grundguth - Страница 13

1976 - Privatdetektiv Johannes Kuiper

Оглавление

Fröhlich vor sich hin pfeifend steuerte Johannes Kuiper das vierstöckige Wohn- und Geschäftshaus im Stadtteil Eller an. Er winkte dem alten Suleyman, der im Erdgeschoss des Hauses eine kleine Änderungsschneiderei betrieb und wie üblich hinter seinem Nähmaschinentisch am Schaufenster saß, kurz zu und schloss die neben dem Geschäft befindliche Aluminiumtüre auf. Die Klingelschilder neben der Türe wiesen auf die weiteren Mieter des Hauses hin, zwei Familien, ein junges Pärchen, das sich mit Ulrike und Horst vorstellte, und ‚Kuiper - Privatdetektiv - 2. Stock‘. Mit federnden Schritten bewältigte er die vier Treppen, die ihn zu seinen Büroräumen führten. Einen Aufzug konnte das Haus nicht bieten. Außerdem sah es innen wie außen nicht gerade einladend aus, aber dafür war die Miete erschwinglich, und darauf kam es ihm an.

Auf dem Absatz vor seinem Büroeingang blieb Kuiper kurz stehen und sog schnuppernd die Luft ein. Es roch wie üblich nach exotischen Gewürzen. Ulrike und Horst waren immer noch auf ihrem Indien-Trip; bald würden auch wieder Sitarklänge im Flur ertönen. Kuiper seufzte. Nicht gerade das richtige Ambiente für das Entrée in die Geschäftsräume eines seriösen Privatdetektivs, aber er wollte keinen Krach mit den beiden. Sie waren in seinen Augen zwar etwas spinnert, eigentlich jedoch ganz nett.

Er öffnete die Eingangstüre. Auf sein kurzes ‚Hallo‘ erhielt er keine Antwort. Annabelle war noch nicht da. Er hängte seinen Mantel an die Garderobe und stellte die Kaffeemaschine an. Während das schwarze Gebräu in die vom regelmäßigen Gebrauch schon etwas angedunkelte Glaskanne lief, hörte er, wie hinter ihm die Eingangstüre erneut aufgeschlossen wurde.

„Hi, Jo-Jo“, sagte Annabelle.

Kuiper erwiderte den Gruß und musste schmunzeln. Annabelle war die einzige, die ihn mit diesem komischen Spitznamen anredete. Sie durfte sich das erlauben, da sie momentan die Idealbesetzung für eine Hilfskraft war, wie Kuiper sie benötigte.

Annabelle war Mitte zwanzig, also ungefähr in Kuipers Alter, und studierte an der einige Jahre zuvor gegründeten Gesamthochschule Wuppertal. Für die Arbeit in Kuipers Büro opferte sie zehn Stunden pro Woche. Kuiper war mit ihren Leistungen sehr zufrieden. Bürokram und Telefondienst erledigte sie schnell und zuverlässig. Außerdem brachte sie für ihn, der weiblichen Reizen niemals abgeneigt war, einen wichtigen Vorzug mit sich: Sie war bekennende Lesbe. Von ihrer Vorgängerin Petra, einer Studentin der Universität Düsseldorf, hatte Kuiper sich nach einigen Monaten im gegenseitigen Einvernehmen nach einer kurzen und ebenso stürmischen Affäre getrennt. Nach der ersten Liebesnacht war nichts mehr gewesen, wie zuvor. Daran hatte sich auch nichts geändert, als Petra sich plötzlich Hals über Kopf in einen Universitätsdozenten verknallt und Kuiper den Laufpass gegeben hatte. Eine Partnerin oder auch Ex-Partnerin als Angestellte - das passte nicht, fand Kuiper.

„Na, heute nicht so ganz gut durchgekommen?“, fragte Kuiper und spielte damit dezent auf die etwa zehnminütige Verspätung seiner Mitarbeiterin an.

„Ging so“, gab die unbekümmert zurück. „Ich musste einen kleinen Umweg machen, weil heute Teile der Kölner Straße gesperrt sind. Es gab da wohl wieder mal Randale gestern Abend.“

„In Eller stirbste schneller“, sagte Kuiper und grinste.

„Quatsch. Außerdem gehört die Kölner Straße nicht zu Eller.“

„Weißt du eigentlich, woher dieser doofe Spruch stammt?“

„Irgendein Boulevardheini ist vor ein paar Jahren damit um die Ecke gekommen, nachdem sich ein paar Rockerclubs in Eller mehrere Straßenschlachten geliefert hatten, bei denen auch geschossen wurde. Seitdem glaubt jeder dran. So‘n Spruch muss nur eingängig sein, auf den Wahrheitsgehalt wird kaum geachtet. Außerdem zementiert er Vorurteile.“

„Wie recht du hast, Annabelle“, sagte Kuiper, schenkte sich eine Tasse Kaffee ein und ging in sein Büro.

Der Vorname seiner zweifellos tüchtigen Mitarbeiterin amüsierte ihn immer wieder aufs Neue. Jedes Mal, wenn er ihn aussprach, war er geneigt, den Song des Liedermachers Rheinhard Mey anzustimmen, der mit ‚Annabelle, ach Annabelle‘ eine Frau besungen hatte, die voll auf Nonkonformismus und Emanzipation stand. Einige Textzeilen des Liedes, das immer noch regelmäßig im Radio gespielt wurde, trafen auf Kuipers Annabelle zu, gleichwohl nicht alle.

Kuiper hatte sich gerade an seinem Schreibtisch niedergelassen, um das Tagesprogramm zu studieren, das er sich für heute vorgenommen hatte, als er im Nebenraum das Telefon läuten hörte. Kurz darauf summte sein Apparat; Annabelle hatte das Gespräch durchgestellt.

Kuiper hatte sich bei der Einrichtung seines Büros in punkto Telefonanlage nicht lumpen lassen und eine aus zwei Fernsprechapparaten bestehende Haussprechanlage durch die Deutsche Bundespost installieren lassen. Obwohl dadurch seine monatliche Fernsprechgrundgebühr unangemessen hoch ausfiel, wie er fand. Er nahm den Hörer ab.

„Kurt Schlösser möchte dich sprechen, Jo-Jo“, flötete Annabelle.

Kuiper drückte den Knopf für die Amtsverbindung und begrüßte den Mann, der sein Freund, gleichzeitig jedoch auch sein wichtigster Auftragsbeschaffer war, mit einem herzlichen: „Guten Morgen, mein geliebter Rechtsverdreher!“

„Guten Morgen, Johannes.“

Kuiper wunderte sich, dass Schlösser seine etwas flapsige Begrüßung nicht adäquat beantwortete, was sonst fast immer der Fall war. Offenbar saß ein Klient in Schlössers Arbeitszimmer.

„Kannst du dich kurzfristig frei machen und in einer halben Stunde bei mir sein?“

Kuiper, der ohnehin gerade registriert hatte, dass sein heutiges Tagesprogramm recht mager ausfiel, bejahte.

„Schön. Bei mir sitzt ein Herr, den du unbedingt kennen lernen solltest. Einzelheiten klären wir hier vor Ort.“

Kuiper versprach, sich zu beeilen. Er ging ins Vorzimmer, wo Annabelle schon fleißig bei der Arbeit war, und schnappte sich seinen Mantel.

„Ich fahre zu Kurt. Wenn jemand anruft oder vorbeikommt, notiere bitte alles Wesentliche und verspreche, dass ich mich zurückmelde.“

„Geht klar.“

Kuiper wusste, dass er sich auf sie verlassen konnte. Als er aus der Haustüre trat, werkelte Suleyman an irgendeinem Kleidungsstück herum. Der türkische Änderungsschneider blickte kurz auf und sagte mit fragendem Gesichtsausdruck etwas, das Kuiper durch die Schaufensterscheibe nicht verstehen konnte. Den Lippenbewegungen nach zu schließen, musste es sowas wie ‚Auftrag?‘ sein. Kuiper nickte und eilte auf seinen VW Käfer zu, den er nur knapp hundert Meter weiter abgestellt hatte.

Während der Fahrt überlegte er, mit welchem Klienten respektive welcher Art von Auftrag Kurt Schlösser ihm aufwartete. Kuipers Zunft hatte ohnehin keinen leichten Stand. Und die Lage würde sich im nächsten Jahr deutlich verschlechtern.

Dafür verantwortlich war die Bundesregierung mit ihrer großen Reform des Ehescheidungsrechts. Noch galt bei Scheidungen das Schuldprinzip. Wer die Schuld am Scheitern einer Ehe trug, hatte in Bezug auf Unterhaltsleistungen den schwarzen Peter. Mehr als fünfzig Prozent von Kuipers Aufträgen befassten sich mit der Beschattung von Ehegatten, denen der jeweilige Partner Untreue vorwarf. Wurde der Verdacht durch Kuipers Beschattungen und Recherchen bestätigt, war eine Schuld nachgewiesen, und der Auftraggeber oder die Auftraggeberin war fein raus. Großer Beliebtheit erfreuten sich auch die Bitten von Ehemännern, man solle doch mal genau hinschauen, ob die Gattin den gemeinsamen Haushalt vernachlässige. Was ebenfalls als Schuldgrund durchging. Der Beweis dafür war zwar aufwendig, aber möglich. Verbrachte die Ehefrau zu wenig Zeit in Haus und Küche, wo sie nach einhelliger Meinung aller konservativen Kräfte hingehörte, hatte Kuiper beziehungsweise sein Auftraggeber gewonnen, falls die Zeiten, die sie mit Freundinnen in irgendwelchen Cafés saß oder für Einkaufsbummel aufwendete, stichhaltig dokumentiert worden waren.

Kuiper war nicht konservativ. Seiner persönlichen Meinung nach war die Scheidungsreform überfällig. Aber sie würde ihm wahrscheinlich, beruflich gesehen, das Wasser abgraben.

Kuiper und die verschwundene Millionärin

Подняться наверх