Читать книгу Kuiper und die verschwundene Millionärin - Reinhold Grundguth - Страница 8
Marie
ОглавлениеKuiper traf pünktlich um fünf in der Detektei Kalos ein. Inhaber der Firma war Georgios Michopoulos. Er hatte sein Unternehmen nach dem griechischen Wort für ‚gut‘ benannt. „Wir sind halt gut, und deshalb heißen wir so“, rechtfertigte er diese Reminiszenz an das Land seiner Eltern, die in jungen Jahren als Gastarbeiter vom Peloponnes nach Düsseldorf gezogen waren und dort ihren Sohn großgezogen hatten. Der Name seiner Detektei und sein eigener Name waren so ziemlich das einzige, was ihn noch mit Griechenland verband. Georgios war so deutsch wie man nur deutsch sein kann. Kuiper behauptete, mit dem Wort Kalos seien Michopoulos‘ Kenntnisse der griechischen Sprache erschöpft; jeder Stammkunde eines griechischen Lokals habe diesbezüglich mehr drauf. Das war natürlich übertrieben.
Kuiper arbeitete offiziell vier Stunden pro Woche für Kalos. Als Dozent für die Schulung von Mitarbeitern in Wirtschaftsfragen - auch das offiziell. Nur unter diesen Bedingungen hatte er die Genehmigung seiner Bezirksregierung für den Nebenjob bekommen. Dass er zeitweise das Stundenkontingent überschritt und vor allem im Außeneinsatz tätig war, wussten außer den Leuten bei Kalos nur wenige Freunde und Bekannte. Und seine Frau Karin selbstverständlich. Kuiper hoffte inständig, dass dies so blieb. Würde der Graue davon erfahren, hätte dieser allen Grund, auf dem Tisch zu tanzen. Um den Aspekt Arbeitszeit in dieser Angelegenheit abzusichern, sorgten Kuiper und Michopoulos für einen internen Ausgleich im Falle von Überstunden: Kuiper feierte sie ab. Jeder Auftrag, der ihm intensive, über die vier Wochenstunden hinaus gehende Beschäftigung einbrachte, füllte sein Überstundenkonto. Dafür konnte er anschließend eine Weile pausieren. Das Ganze musste natürlich auch mit seinem Stundenplan am Rolf-Rumpel-Berufskolleg in Überstimmung gebracht werden. Der fiel allerdings recht mager aus, da Kuiper dort nur eine halbe Stelle inne hatte. Dennoch - eine ‚Gefährdung der dienstlichen Interessen und seiner dienstlichen Verwendbarkeit‘ und damit einen Widerruf seiner Nebentätigkeitsgenehmigung musste er unbedingt vermeiden. Der Graue lag ständig auf der Lauer. Daher wurde Kuiper jedes Mal nervös, wenn sein Schulleiter dieses Thema anschnitt.
Dass Kuiper als Beamter des Landes Nordrhein-Westfalen dieser ungewöhnlichen Nebentätigkeit nachging, lag an seiner Vita. Nach dem Abitur nahm er zum Leidwesen seiner Eltern zunächst kein Studium auf, sondern stieg in die Sicherheitsbranche ein. Durch Lehrgänge erwarb er einige Qualifikationen, die ihm zur Ausübung des Detektivberufs sowie zur Erlaubnis des Tragens einer Waffe befähigten. Gegen Ende der Siebziger Jahre steuerte er schließlich den sicheren Hafen des Beamtentums an. Maßgeblich zu dieser Entscheidung trug seine damalige Freundin und jetzige Frau Karin bei, die er im Zuge der Recherchen in einem Fall von Unterschlagung öffentlicher Gelder kennen gelernt hatte.
Kuipers Detektei war damals vom Leiter einer Kunstakademie beauftragt worden, sich einen Professor und dessen Lebenswandel näher anzusehen. Der beamtete Künstler schien auf zu großem Fuß zu leben. Die Polizei wollte man noch nicht einschalten, daher der Auftrag an das Detektivbüro. Kuiper konnte durch intensive Recherche und Beschattung des Professors lückenlos belegen, dass dieser Geld aus verschiedenen Fördertöpfen für private Zecke entnahm und es in Bars und Bordellen verjubelte. Mit der schmutzigen Angelegenheit hatte Karin natürlich nichts zu tun, sie war lediglich eine der Studentinnen des Professors. Nachdem dieser diskret entsorgt worden war, machte sie an einem anderen Lehrstuhl ihren Abschluss und heuerte als Kunstlehrerin an einem Gymnasium an. Dort war sie bis heute tätig. Ebenfalls mit halber Stelle. „Wir beide sind im Grunde genommen ein Lehrer“, pflegte Kuiper im Freundeskreis sagen, „deswegen haben wir auch Zeit für unsere Nebenbeschäftigungen und Hobbys. Die unterscheiden sich allerdings erheblich.“ Trotz aller Unterschiede in ihren Interessen verbrachten sie sehr viel gemeinsame Zeit miteinander. Kuiper dankte dem Schicksal, dass es ihm Karin über den Weg geführt hatte. Sie hatte ihn in seinen jüngeren Jahren nach einem eher lockeren Lebenswandel eingefangen und geerdet.
Als Kuiper an diesem Nachmittag die Räumlichkeiten der Detektei Kalos betrat, wurde er von Marie Kellermann mit der ihr eigenen Herzlichkeit empfangen. Marie war eine Seele von Mensch, herzlich, offen und immer bereit, an das Gute im Menschen zu glauben. Allerdings redete sie sehr schnell. Hinzu kam, dass mit jedem Wort ihre niederrheinische Herkunft mehr als deutlich aufblitzte. Das konnte zum Beispiel bei Vorstellungsrunden zu Verwirrung oder auch zu Heiterkeit führen. Sie begann dann nämlich mit den Worten: „Ich heiße Marie Kellermann“, was eigentlich eine völlig angemessene Eingangsformel darstellt, bei ihr sich jedoch wie: „Scheiße Marie Kellermann“ anhörte.
Allerdings tat man gut daran, sie nicht zu unterschätzen. Sie hatte einiges auf dem Kasten und stellte bei vielen Gelegenheiten eisernen Willen und Durchsetzungsvermögen unter Beweis.
„Hallo Marie, was liegt an?“, fragte Kuiper.
„Ah, dä Johannes. Schöndatte dabiss. Obwattanliescht? Muschkukken.“
„Wenn du gucken musst, dann guck mal“, sagte Kuiper und schmunzelte. Es war immer wieder schön, sich Maries rheinische Klänge anzuhören.
Marie kramte jetzt in diversen Unterlagen, die auf ihrem Schreibtisch lagen, und murmelte die ganze Zeit etwas vor sich hin.
„Ja da waddoch...wo habbisch dattenjetz...dat waddoch jraad noch da...dat issdoch nisch möschlisch... liescht dat fleischt hier oder hier....“
Schließlich hatte sie das Gesuchte entdeckt.
„Da isset! Wo Ordnung herrscht und Sauberkeit, da hält stets Freude sich bereit.“
Wenn sie ein Zitat von sich gab, bemühte sie ihr Hochdeutsch. Das tat sie gottlob auch im Kontakt mit Kunden, vornehmlich, wenn es sich um Neukunden handelte. Man konnte sagen: Sprechtempo und Mundartgebrauch standen im direkten Verhältnis zum Bekanntschaftsgrad. Bei Kuiper, den sie gut kannte und sehr schätze, ratterte sie meist drauf los.
„Da“, sagte Marie und überreichte ihr ein Blatt. Auf dem hatte sie einen Namen nebst Adresse und Telefonnummer sowie ein paar erklärende Worte notiert. Im Gegensatz zu ihrem gesprochenen Wort waren Maries schriftliche Aufzeichnungen sehr gut nachvollziehbar.
„Carla Woker“, las Kuiper. „Bitte um Hilfe bei der Aufklärung des Selbstmordes ihres Vaters.“
„Jorjos weiß mehr. Jehma rein.“
Kuiper ging den schmalen Gang entlang, an dessen Ende sich das Arbeitszimmer von Georgios Michopoulos befand. Er klopfte an und trat ein. Michopoulos saß an seinem Schreibtisch und blätterte gerade eine Akte durch.
„Hallo Johannes“, sagte er und wies auf die Sitzgruppe, die sich rechts neben der Tür befand. „Setz dich.“ Er stand auf und begrüßte Kuiper mit einem kräftigen Händedruck.
Michopoulos hatte vor ein paar Tagen seinen vierzigsten Geburtstag gefeiert, aber er konnte locker für dreißig durchgehen. Sein schwarzer Haarschopf, der dunkle Teint und die markante Nase wiesen ihn als Abkömmling des Volkes der Hellenen aus. Er trug ein blütenweißes Hemd, das am Bauch deutlich unter Spannung stand und von seinen beiden großen Hobbys - Kochen und Essen - Zeugnis ablegte.
„Was hat es mit dieser Carla Woker auf sich?“, wollte Kuiper wissen.
„Eine ziemlich eigenartige Geschichte. Ihr Vater ist vor knapp zwei Jahren im Rhein ertrunken. Angeblich Selbstmord. Tochter und Mutter bezweifeln das.“
„Kommt öfter vor.“
„Was? Selbstmord oder Zweifel?“
„Beides.“
„Exakt. Carla Woker, die Tochter, möchte uns engagieren.“
„Nach zwei Jahren.“
„Exakt. Natürlich haben sie und ihre Mutter damals einen Anwalt und einen Privatdetektiv eingeschaltet. Den Namen des Anwalts habe ich vergessen, der Detektiv ist Langweser. Hat sich inzwischen zurückgezogen und wohnt jetzt in Oberkassel.“
„Weiß ich.“
„Finde ich erstaunlich, dass er sich als ehemaliger Feld-Wald-und-Wiesen-Schnüffler die Gegend leisten kann.“
„Er hat geerbt.“
„Du kennst ihn also. Dann hast du wohl auch seine Adresse.“
„Jo!“
„Gut. Name und Adresse dieses Anwalts gibt dir Carla Woker.“
„Ein Fall von Angehörigen, die nicht aufgeben.“
„Du kennst das doch, Johannes. Suizid? Mein Papa doch nicht! Mein Mann doch nicht! Jedenfalls sind dieser Anwalt und Langweser nicht weitergekommen.“
„Gibt es vielleicht neue Erkenntnisse?“
„Weiß ich nicht. Sprich mit dieser Carla Woker. Gutaussehende Frau, Mitte Vierzig, schätze ich. Unverheiratet, keine Kinder. Hat wohl immer ein sehr enges Verhältnis zu ihren Eltern gehabt, vor allem zur Mutter. Die beiden machen irgendwas mit Esoterik.“
„Ein weites Feld.“
„Ich kenne mich da nicht aus. Buddhistische Lebenshilfe oder so ähnlich. Irgendein Institut, gleiche Adresse. Die haben zu dritt in dem Haus gewohnt, und da befindet sich auch dieses Institut. Muss ein ziemlich großes Haus sein. Dazu auch noch in guter Lage, wie du an der Adresse siehst.“
„Warum hast du den Fall nicht Sandmann oder Müller gegeben?“
„Weil die immer noch an dieser Industriespionagesache dran sind.“
„Das Maschinenbauunternehmen...“
„Exakt.“ Dieses Wort verwendete Michopoulos regelmäßig; er wurde daher auch im Kollegenkreis gerne mit ‚Exaktos‘ angesprochen, was ihm allerdings nicht gefiel. „Diese Chinesen sind hinter allem her, was sich für einen Nachbau verwerten lässt. Und wenn so‘n paar dämliche Angestellte sich dann noch auf Geschäftsreisen unverschlüsselt, am besten noch über das hoteleigene WLAN, gegenseitig Betriebsinterna zumailen - möglichst mit angehängten Dokumenten, die dem schlitzäugigen Hacker hilfreiche Erklärungen liefern.....
„.... sind sie selber schuld. Und nicht nur die Schlitzaugen, wie du die Chinesen so schön rassistisch bezeichnest.“
„Spar‘ dir deine Political Correctness für unsere Klienten auf“, knurrte Michopoulos.
„Ich nenn‘ dich ja auch nicht Zaziki-Fresser“
„Bin ich auch nicht. Ich bevorzuge Jägerschnitzel. Aber wir kommen vom Thema ab. Diese chinesischen Hacker. Jedenfalls helfen wir unserem Maschinenbauunternehmen, solche Lecks zu schließen. Das bringt natürlich Stress für die drei Angestellten mit sich, die wir hoffentlich bald am Wickel haben. Dann wird die Geschäftsführung uns die Füße küssen.“
„Und die beiden entlassen, obwohl das Management wahrscheinlich durch betriebsinterne Regelungen Vorsorge hätte treffen müssen.“
Michopoulos zuckte mit den Schultern.
„So läuft das nun mal. Aber ein guter, zahlungskräftiger Kunde ist zufrieden und wird uns demnächst wieder konsultieren.“
„Ja, ja“, sagte Kuiper. „Zurück zu unserem angeblichen Selbstmord. Ich rufe also die Dame an und vereinbare mit ihr einen Termin.“
„Exakt. Mach das sofort klar. Das wird für dich wahrscheinlich eine langweilige Sache, weil die Faktenlage ziemlich eindeutig ist. Möglicherweise findest du aber auch was Neues raus, und dann könnte es interessant werden,
„Gut. Auf jeden Fall besser als die Langzeitbeobachtung von irgendwelchen Bürohengsten, die im Verdacht stehen, sich aus der Firmenkasse zu bedienen.“
Kuiper stand auf und rief von Maries Telefon aus die Nummer an, die sie für ihn notiert hatte. Carla Wokers Stimme klang recht sympathisch. Kuiper versprach, sie morgen gegen zwölf Uhr in ihrem Haus aufzusuchen.