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Der Graue

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Der Graue hatte im Gegensatz zu Kuiper keine grauen Haare. Er war Mitte Vierzig und hätte theoretisch Kuipers Sohn sein können, wenn Kuiper bereits mit achtzehn Jahren Papa geworden wäre. Allerdings hätte er an diesem Sohn keine Freude gehabt. ‚Dann lieber kinderlos‘, dachte er. Obwohl er und seine Frau Karin gerne Nachwuchs bekommen hätten. Aber es hatte leider nie geklappt.

Der Graue verdankte seinen Namen einem Witz, den Kuiper irgendwann einmal aufgeschnappt hatte, und der wie folgt ging:

Ein Mann kommt in eine Zoohandlung. ‚Ich suche einen Papagei‘, sagt er. ‚Ein ganz besonderes Tier‘. Der Verkäufer führt ihn in einen Raum, in dem ein schöner, bunter Ara sitzt, der sehr aufgeweckt ist und gut sprechen kann. ‚Der gefällt mir‘, sagt der Kunde. ‚Was soll er kosten?‘ ‚Fünftausend Euro‘, antwortet der Verkäufer. Der Kunde überlegt. ‚Ich habe eine größere Geldsumme geerbt und könnte noch etwas drauflegen‘, sagt er, ‚wenn Sie also einen noch tolleren Papagei haben....‘ Der Verkäufer führt ihn in einen anderen Raum. Dort sitzt ein Ara, der noch viel schöner ist und noch viel besser sprechen kann. ‚Dieser hier kostet zehntausend Euro‘, sagt der Verkäufer. ‚O.k.‘, antwortet der Kunde. ‚Haben Sie denn etwas noch Edleres?‘ ‚Ja‘, sagt der Verkäufer, und führt den Kunden in einen dritten Raum. ‚Der hier kostet zwanzigtausend Euro‘, sagt er und deutet auf einen hässlichen und völlig zerrupften grauen Papagei, der stumpfsinnig auf einer Stange hockt. ‚Wie sieht der denn aus?‘, sagt der Kunde völlig entsetzt. ‚Kann er wenigstes besonders gut sprechen?‘ ‚Nein’, sagt der Verkäufer, ‚der gibt keinen Ton von sich.‘ Der Kunde ist außer sich. ‚Warum ist dieses Vieh denn so teuer? Welche besonderen Fähigkeiten hat er?‘ ‚Keine‘, antwortet der Verkäufer. ‚Aber die beiden anderen sagen ‚Chef‘ zu ihm.‘

Als Kuiper diesen Witz vor einigen Jahren im Kollegenkreis erzählte, hatte Schönau gerade die Stelle als Oberstudiendirektor am Rolf-Rumpel-Berufskolleg angetreten. Von Kollegen des benachbarten Berufskollegs, das er in der Funktion eines Stellvertretenden Schulleiters mit seinen herausragenden Qualitäten lange Jahre beglückt hatte, wusste man, was auf einen zukommen würde. Ein Kollege meinte: „Der graue Papagei ist wie Schönau.“ Seitdem war Schönau der Graue.

Jetzt saß Kuiper vor dem Schreibtisch seines Schulleiters auf einem Sessel, dessen Sitzfläche deutlich niedriger war als der Schreibtischstuhl seines Gegenübers. Ein Uralttrick, um körperliche Überlegenheit zu demonstrieren. Schönau hatte es bei seiner Körpergröße von eins zweiundsechzig auch bitter nötig, diesen Trick anzuwenden.

Der Schreibtisch war picobello aufgeräumt, kein Wunder bei Schönaus Aversion gegen solide Büroarbeit. Dem schweinsledernen Ensemble aus Schreibunterlage, Brief- und Stifthalter sah man sein Alter kaum an. Zur Rechten lag Schönaus Bibel - die BASS.

BASS steht für ‚Bereinigte Amtliche Sammlung der Schulvorschriften in Nordrhein-Westfalen‘. Das Bürokratenwerk enthält sämtliche für ein geregeltes Schulleben relevanten Gesetze, Verordnungen und Erlasse. Die Sammlung ist in etwa so dick wie das Telefonbuch einer mittleren Großstadt und inhaltlich so leicht verständlich wie eine Abhandlung zur Quantenphysik. Der Graue liebte die BASS, gab sie ihm doch jederzeit Handlungssicherheit und Entscheidungskompetenz. Das glaubte er zumindest.

„Eine unschöne Sache“, sagte Schönau, nachdem er Kuipers mündlichen Bericht vernommen hatte. „Sie fertigen bitte bis morgen einen schriftlichen Bericht auf unserem hauseigenen Formular an. Gegenzeichnung durch Herrn Thönne. Das Ganze mit dem Ziel der Einleitung von Ordnungsmaßnahmen gemäß Paragraf dreiundfünfzig Schulgesetz.“

„Dazu müssten wir den Täter zunächst einmal identifizieren.“

„Äh, natürlich. Stellen Sie Nachforschungen an.“

„Soll ich eine DNA-Untersuchung der Exkremente veranlassen?“

„Unsinn! Nein. Natürlich nicht. Aber Tatzeiteingrenzung, Umfragen beim gesamten Lehrkörper - und so weiter. Spielen Sie ein wenig Detektiv, das tun Sie doch sonst so gerne, oder irre ich mich da?“

Jetzt war der Graue bei seinem Lieblingsthema in punkto Kuipers Person angelangt. Kuipers Nebentätigkeit im Detektivbüro Kalos war für ihn ein Quell permanenten Ärgers.

„Sie irren sich nicht, Herr Schönau. Wenn Sie auf meine Nebentätigkeit anspielen, die übrigens offiziell von der Bezirksregierung genehmigt wurde...“

„...eine Genehmigung, die jederzeit zurückgenommen werden kann, wenn eine Beeinträchtigung der dienstlichen Interessen oder Ihrer zukünftigen dienstlichen Verwendbarkeit vorliegt, mein Lieber. Ich prüfe regelmäßig, ob dies bei Ihnen der Fall ist. Sollte ich dies feststellen, ist es vorbei mit Ihrem Nebenjob.“

Kuiper biss die Zähne zusammen. Er kochte innerlich vor Wut.

„Also frisch ans Werk, lieber Herr Kuiper. Und lassen Sie dieses - äh - Objekt entfernen.“

Kuiper war entlassen - mit einem Quantum unangenehmer Zusatzarbeit. Er stand auf. Als er die Türklinke schon in der Hand hielt, kam ihm ein Gedanke.

„Ich schlage vor, dass wir auch die Bezirksregierung über den Vorfall informieren. Angesichts der Schwere dieser Untat erscheint mir diese Maßnahme angemessen.“

Der Graue zuckte zusammen. Die Sache würde auf seine Schule und somit auf ihn zurückfallen. Nach dem Motto: Der hat seinen Laden nicht im Griff. Nichts fürchtete er so sehr wie den Groll der Bezirksregierung, vertreten durch die für seine Schule zuständige Dezernentin, Frau Ilse Thon, Leitende Regierungsschuldirektorin und übelste Giftspritze in der Schulaufsichtsbehörde.

„Unterstehen Sie sich!“, schnaufte er. „Das geht nur über den Dienstweg, also über meinen Schreibtisch. Sollten Sie es wagen, Frau Thon diesbezüglich anzusprechen....“

Kuiper hob beruhigend die rechte Hand. Endlich hatte er den Grauen wieder da, wo er ihn haben wollte.

„Das würde mir niemals in den Sinn kommen, Herr Schönau. Ich schlug ja lediglich vor, die Bezirksregierung zu informieren. Selbstverständlich weiß ich, dass dies nur über den Dienstweg geschehen darf. Aber Sie wissen doch, wie das ist. So etwas spricht sich in der Schülerschaft herum, man redet darüber, die Sache wird in den sozialen Netzwerken gepostet, gelikt, weitergereicht. Wahrscheinlich hat der Delinquent ein Foto von seinem analen Produkt gemacht und wahrscheinlich findet er auch eine Möglichkeit, dieses Foto so zu verbreiten, dass wir nicht herausbekommen, wer hinter dem Post steckt. Tja, und dann bekommt Frau Thon auch schnell Wind von der Sache, ganz ohne Dienstweg. Und wenn dann noch die Presse etwas erfährt, ohne vorherige Kenntnisnahme seitens der Schulaufsichtsbehörde......“

Schönau bekam vor Schreck einen Hustenanfall. Kuiper nahm diese Gefühlsregung mit großer Befriedigung zur Kenntnis.

„Ich meine, da könnten wir doch den daraus eventuell resultierenden Unannehmlichkeiten zuvorkommen und von uns aus die Sache der Bezirksregierung melden. Aber niemals durch meine Person im Alleingang, Herr Schönau. Ich schwöre!“

Mit diesen Worten drehte Kuiper sich um und ließ einen in sich zusammengesunkenen Chef zurück. Er grinste wohlgefällig. ‚So ein Quatsch’, dachte er. ‚Für diesen Kinderkram würde sich die Giftspritze aus der Bezirksregierung kaum interessieren. Aber der Graue macht sich ins Hemd, weil er keinen Arsch in der Hose hat.‘

Er war jetzt bestens gelaunt. Ein Blick auf seine Uhr zeigte ihm, dass er noch eine Viertelstunde Zeit bis zum Beginn seiner nächsten Unterrichtsstunde hatte. Nach zwei kurzen Telefonaten - eines führte er mit Tonne, das andere mit einer Reinigungskraft, bei der er noch etwas gut hatte - wurde das Corpus Delicti aus der Welt geschafft. Nachforschungen und weitere Umfragen würden telefonisch oder in Form eines lockeren Plausches mit Kollegen während der Pausenzeiten durchgeführt, und den Bericht hätte er auch schnell erledigt. Schade nur, dass er seine Klassenarbeitskorrektur noch nicht fertig stellen konnte. Dafür hatte er den Grauen nervös gemacht. Das war in seinen Augen eine angemessene Entschädigung für die Zeit, die er mit einer Tätigkeit verplempert hatte, die in den Kompetenzbereich der Schulleitung - und nicht in seinen - fiel.

Kuiper und die verschwundene Millionärin

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