Читать книгу Kuiper und die verschwundene Millionärin - Reinhold Grundguth - Страница 14
1976 - Der Auftrag
ОглавлениеDie Kanzleiräume des Rechtsanwalts Kurt Schlösser befanden sich auf der Oststraße. Hier waren die Mieten schon deutlich höher als in Eller, konnten aber weiß Gott nicht mit den horrenden Quadratmeterpreisen für Objekte in unmittelbarer Nähe der Königsallee mithalten.
Als Kuiper die Kanzlei seines Freundes betrat, wurde er von Frau Sonntag mit einem Lächeln empfangen.
„Gehen Sie ruhig durch, Sie werden bereits erwartet“, sagte die Anwaltssekretärin.
Kurt Schlösser saß mit seinem Klienten in der Besprechungsecke seines Arbeitszimmers. Er stand auf und begrüßte Kuiper.
„Johannes! Gut, dass du so schnell kommen konntest. Ich darf dir Herrn Reese vorstellen, Leiter der Lokalredaktion bei der Düsseldorfer Allgemeinen.“
Der andere hatte sich auch erhoben und streckte Kuiper die rechte Hand hin.
„Günther Reese. Ich bin sehr erfreut, Sie kennen zu lernen.“
Reese war etwa fünfzig Jahre alt, groß gewachsen und schlank. Er trug einen etwas schlabbrig sitzenden Pullover und eine ziemlich ausgebeulte Stoffhose.
„Setz dich, Johannes. Ehe Günther dir sagt, worum es geht, möchte ich dich fragen, ob du dich noch an den Fall Marion Hansen erinnerst.“
„Die verschwundene Millionärin. Aber sicher! Die Dame war durch Erbschaft zu einigem Vermögen gekommen. Dickster Brocken war ein erstklassiges Grundstück in Kö-Nähe. Dort hat sie auch gewohnt. Oder besser: gehaust. Ein ziemlich großer alter Kasten, aber aufgrund seiner Lage ein ideales Objekt für Immobilienentwickler. Kaufen, abreißen, neu hochziehen - als Renditeobjekt mit irre hohen Mieteinnahmen.“
„Stimmt. Aber eigentlich wollte sie nicht verkaufen.“
„Zumindest hat sie eine Zeitlang alle Interessenten abgewiesen. Dann wurde sie vor etwas mehr als einem Jahr doch schwach. Weiß der Teufel, warum. Das Verrückte war: Kurz nach dem Verkauf verschwand sie. Mitsamt dem Geld aus dem Verkauf. Vier Millionen, glaube ich.“
„Sie sind gut über den Fall informiert, Herr Kuiper.“
„Die regionale Boulevardpresse hat auch intensiv darüber berichtet. So wie Ihre Zeitung, Herr Reese, die ich im Übrigen sehr schätze, weil sie kein Schmierblatt ist.“
„Danke für die Blumen“, sagte Reese trocken.
„Ja, ich habe mich für den Fall Hansen damals sehr interessiert. Er gab alles her, was das Herz eines Privatdetektivs höher schlagen lässt. Reiche, alleinstehende, eigenwillige Frau verzichtet auf Luxus, haust zunächst in einem alten Haus, verkauft es und geht dann auf große Reise, ohne dass man ein Lebenszeichen von ihr erhält. Abgesehen von ein paar Postkarten mit kurzen Grüßen, glaube ich. Die gesamte Presse hat sich natürlich wie die Geier auf den Fall gestürzt. Ich selber hatte bedauerlicherweise keinen Auftraggeber, der mich veranlasst hätte, dort nachzuforschen. Hätte ich gerne gemacht.“
„Was nicht ist, kann noch werden“, schmunzelte Reese.
„Will Ihre Zeitung mich etwa beauftragen? Nach mehr als einem Jahr?“
„Das klingt seltsam nicht wahr? Lassen Sie mich kurz die Hintergründe erläutern.“
Reese lehnte sich entspannt in seinen Sessel zurück.
„Von dem Fall ging eine ungeheure Faszination aus. Viel Geld beziehungsweise Vermögen, aber eine Lebensweise, die nicht der Vorstellung von einem Millionärsleben entspricht. Marion Hansen war auch vor dieser Sache mit dem Hausverkauf ein beliebtes Objekt für die einschlägige Presse. Sie lief herum wie eine Hippie-Tante, sie hatte kein Auto und bevorzugte Burger statt Boef Stroganoff. Es kam auch vor, dass sie einem Bettler einen Tausendmarkschein in den Hut warf oder einer wohltätigen Einrichtung eine fünfstellige Summe zukommen ließ. Aber darf ich fragen, wie Sie die Sache mit dem Hausverkauf sehen?“
Kuiper überlegte kurz.
„Da bin ich ausnahmsweise mal mit den Boulevardschreiberlingen einer Meinung. Die Sache ist verdächtig. Oder zumindest eigenartig. Jahrelang hat sie sich geweigert, den alten Kasten zu verlassen. Zum Leidwesen aller Immobilienentwickler im Umkreis von einhundert Kilometern. Die sahen das Haus zu Recht als ideales Investitionsobjekt mit unglaublichen Renditechancen an. Und plötzlich ändert sie ihre Meinung, ohne dass es irgendeine Begründung ihrerseits dafür gibt. Weil sie abtaucht. Der Boulevard hat daraus ruckzuck ein Komplott geschmiedet. Man habe die Frau ermordet und dann den Verkauf fingiert. Immobilienprojektentwickler, Notar, Finanzierungsgesellschaft - eine einzige Mörderbande. Alles natürlich mit den üblichen Fragezeichen versehen, um dem Vorwurf der üblen Nachrede zu entgehen.“
„Sie glauben demnach, dass Marion Hansen nicht mehr lebt?“
„Ich bin nicht sicher. Also - wer wann zum Mörder wurde, ob überhaupt....keine Ahnung. Über Interna des Falles weiß ich im Grunde genommen nichts. Da dürften Sie besser informiert sein.“
„Ja. Wir waren schließlich auch an dem Fall dran. Wie alle anderen, nur zurückhaltender im Grundton. Die Boulevardblätter haben ganz andere finanzielle Möglichkeiten als unsere doch recht kleine Zeitung, die sich in keiner Weise mit ihrer Frankfurter Namensvetterin messen kann.“
„Schade eigentlich“, warf Kurt Schlösser ein, der sich bei diesem Gespräch weitgehend auf die Rolle des Beobachters eingestellt hatte.
„Das finde ich auch. Nun - wir haben auch einiges herausbekommen, aber das meiste war nur ein Abklatsch dessen, was die anderen an Informationen hatten. Bei dem Notartermin hat sie angeblich etwas von einer großen Reise erzählt. Zuerst einmal Richtung Mittelmeer, dann weiter, wahrscheinlich bis Indien oder sogar noch weiter. Die Rede war auch vom guten Aussteigerleben in Kathmandu. Seitdem wurde sie von keinem Menschen mehr gesehen. Das einzige Lebenszeichen sind die von Ihnen bereits erwähnten Postkarten. Drei Stück; die hat sie auf ihrer Reise in den Süden an eine ehemalige Lehrerin geschrieben.“
„Klingt schräg.“
„Bei jedem anderen hätte man das Ganze sofort als ziemlich abwegig angesehen. Aber wenn es eine Person gibt, der man eine solche Verrücktheit zutrauen kann, ist es Marion Hansen. Trotzdem wurden die Ermittlungsbehörden schon recht bald nach ihrem Verschwinden aktiv. Das war auch notwendig und angemessen. Es wurde eine Sonderkommission unter der Leitung eines Kommissar Stedebeck gebildet.“
„Ein spezieller Freund von mir“, sagte Kuiper.
„Das ist Ironie.“
Es war mehr eine Feststellung als eine Frage.
„Ja.“
„Das kann ich nachvollziehen“, sagte Reese mit einem verständnisvollen Lächeln. Der Mann ist nicht gerade ein Sympathieträger.“
„Ein Kotzbrocken“, warf Schlösser ein.
„Das kann man auch so ausdrücken, ja. Allerdings ist er nach meiner Kenntnis recht erfolgreich. Im Fall Hansen blieb der Erfolg jedoch aus. Der Fall gilt jetzt als abgeschlossen, es besteht kein konkreter Verdacht. Stedebeck äußerte sich intern einmal dahingehend, dass - Zitat - ‚Frau Hansen sich jetzt wahrscheinlich irgendwo in Nepal den Arsch abfriert.‘
„Das klingt nach Stedebeck wie er leibt und lebt. Aber was bleibt da für mich noch zu tun?“
„Herr Kuiper, die Ermittlungen der Sonderkommission mögen abgeschlossen sein. Ich glaube hingegen, dass Marion Hansen ermordet wurde. Daher sollen Sie weiter nachforschen.“
Kuiper runzelte nachdenklich die Stirn.
„Sie glauben nicht an die offizielle Version der Ermittlungsbehörden. Dan unterstellen Sie, dass entweder schlampig gearbeitet wurde oder......“
„...dass Absicht dahinter steht. Dass irgendjemand Informationen zurückgehalten oder Beweismittel manipuliert hat. Wer und aus welchen Gründen, weiß ich nicht. Es wird Ihre Aufgabe sein, das herauszufinden.“
„Ich freue mich über diesen Auftrag, wie Sie sich denken können. Aber wie komme ich zu der Ehre? Oder anders, als Doppelfrage: Wie kommen Sie darauf, den Fall jetzt wieder anzupacken? Und wie kommen Sie ausgerechnet auf mich?“
„Die zweite Frage kann ich dir beantworten, Johannes“, sagte Schlösser. „Günther Reese und ich kennen uns seit vielen Jahren. Und als er mich fragte, ob ich einen fähigen Detektiv kenne, dachte ich sofort an dich.“
„Fühle mich geehrt.“
„Für meine Initiative gibt es zwei Gründe“, fuhr Reese fort. „Der erste hängt mit meinem Beruf zusammen. Wir sind, wie gesagt, ein kleiner Zeitungsverlag. Ein Übernahmekandidat. Die Großen liegen ständig auf der Lauer. Im Fall Hansen gab es bislang für uns keinen Blumentopf zu gewinnen. Die anderen waren näher dran, sie waren besser ausgestattet, konnten mehr Kontakte knüpfen. Inzwischen ist das Interesse der Öffentlichkeit erlahmt. Ich glaube aber, wie gesagt, immer noch an die Mordtheorie. Genau wie Sie, Herr Kuiper.“
„Und ich“, ergänzte Schlösser.
„Sollte es uns also gemeinsam gelingen, Beweise für diese Theorie zu finden, nachdem mehr als zwölf Monate ins Land gegangen sind, wäre das ein Coup, der unserer Zeitung gut tun würde.“
„Und für unser Renomée wäre es auch nicht schlecht, Johannes“, ergänzte Kuiper.
„In der Tat“, nickte Reese. „Ich habe also nach langem Hin und Her die Zustimmung unseres Chefredakteurs erhalten. Allerdings ist unser Budget kein. Mehr als vier- bis fünftausend D-Mark können wir Ihnen nicht zahlen, Herr Kuiper.“
‚Das dürfte für eine Zeit lang reichen‘, dachte Kuiper. Er war jung und brauchte das Geld.
„Einverstanden“, sagte er. „Vielen Dank für das Vertrauen. Auch an dich, Kurt. Sie haben jedoch den zweiten Grund für Ihre Initiative nicht genannt, Herr Reese.“
„Er ist privater Natur. Kennen Sie den Geschäftsführer der Gesellschaft, die das Grundstück erworben hat?“
„Nein.“
„Er heißt Wotan Rubenstein.“
„Donnerwetter! Das klingt martialisch.“
„Nicht nur das. Rubenstein ist ein Fanatiker. Skrupellos. Einer, der sich in den Vordergrund spielt, einer, dem ich jedes Verbrechen zutraue. Ich möchte ihn am Boden sehen. Das ist meine persönliche Motivation. Also, Herr Kuiper, Sie übernehmen den Auftrag definitiv?“
Kuiper nickte.
„Gut“. Reese erhob sich. „Ich denke, damit haben wir zunächst einmal alles geklärt. Hier ist meine Visitenkarte. Sie können mich auch über Kurt kontaktieren.“
Er nickte den beiden kurz zu und verschwand.
„Das dürfte eine spannende Sache werden, Johannes. Frischauf, ans Werk!“, sagte Schlösser.
„Mach‘ ich, du verhinderter Turnvater Jahn. Ich nehme an, in der Akte stehen auch alle relevanten Adressen.“
„Klar. Notariat, Immobiliengesellschaft, Kontaktpersonen von Marion Hansen. Und auch die Bank, die den Neubau finanziert hat.“
„Eine große Bank?“
„Ziemlich groß. Es ist die Rheinbank. Der Namen des Kreditmenschen, der die Sache bearbeitet hat, steht ebenfalls in der Akte. Ein gewisser Helmut Woker.“