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Kapitel 2

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Er macht sich auf den Weg zum Hausboot. Er trifft niemanden an. Unschlüssig schreitet er eine Weile am Grand Union Canal auf und ab, schaut einem Bootsbesitzer zu, der damit beschäftigt ist, sein schwimmendes Zuhause mit einem neuen Anstrich zu versehen, in den Farben Karmesinrot und Preußischblau, beobachtet zwei ältere Männer, die an einer freien Stelle von einem Holzsteg aus geduldig Angelruten in staubgraues Wasser halten. Ist es nicht viel zu kalt, um Fische zu fangen? Die Alten sehen allerdings so aus, als säßen sie immer an diesem Steg, zu jeder Jahreszeit – in einer Art Lebensstellung.

Auf einer grünen Wiese spielt eine Gruppe Jungen Fußball. Auf einer Bank schmust ein Liebespaar. Weil seit gestern mildere Temperaturen herrschen, singen die Vögel - vereinzelt, nicht scharenweise - in dem blassen Winterskelett der Bäume. Die Sonne, die hinter strichdünnen Wolken rudert, hat etwas Unfertiges, als habe sie versäumt, sich an diesem Morgen frisch zu machen. Nick fällt ein, dass er es in dem Pub versuchen könnte, wo er letztmalig mit Hänel gesessen hat. Wäre immerhin denkbar, dass der Mann dort anzutreffen ist…

Er hat Glück, wenn man es denn Glück nennen will. Der Poet sitzt allein in einer Ecke und brütet in sich hinein, vor sich ein Glas mit - wie Nick schon richtig vermutet hat - schottischem Gerstensaft. Er nähert sich dem Tisch und nimmt gegenüber Platz. Hänel blickt nicht einmal auf.

Wer sind Sie?”

Sie kennen mich. Ich bin Nick Mangold.

Was wollen Sie?”

Mit Ihnen reden.”

Worüber?

Das wüsste ich auch gern.”

Jetzt hebt Hänel den Kopf. Er sieht nicht gut aus. Seine Gesichtshaut wirkt aufgequollen, gerötet, seine Augen liegen tief, sind umringt von Schattengräben. Seine Stimme tönt unterirdisch, heiser, brüchig. Er blickt sein Gegenüber an und schweigt. Es ist ein langer, taumelnder Blick, der in Nick hinein sackt und dort ausfranst – wie eine Schusswunde.

Das wird ein längerer Aufsatz, denkt Nick und bestellt sich keinen Tee. Er könnte gut etwas Stärkeres gebrauchen. Er bestellt sich einen Weinbrand. Er zieht sich eine Zigarette. Er hat es, wie es noch vor kurzem sein Vorsatz war, aufgegeben, das Rauchen aufzugeben. Er hält Hänel höflich die Packung hin. Hänel schüttelt den Kopf und zieht ein Silberetui hervor, entnimmt diesem eine schmale Zigarre. Seine Hände zittern, wie Nick zu sehen glaubt, ein wenig. Er gibt seinem Gegenüber Feuer.

Nachdenklich bläst Nick zwei, drei Rauchringe in die gallenbittere Kneipenluft. Es macht wohl nicht viel Sinn, hier länger zu verweilen. Er hat nicht das Verlangen, die Rolle eines Krankenpflegers oder Seelsorgers zu übernehmen. Hänel schweigt weiterhin beharrlich. Er hält das massive Haupt nun wieder abgesenkt. Nick wartet ein paar Minuten, dann steht er auf, blickt sich nach der Bedienung um. Er will zahlen.

Warten Sie!”

Nick hält inne, macht eine Kehrtwende. Es überrascht ihn, den Schriftsteller plötzlich so verändert zu sehen - als sei ein anderer Geist in ihn gefahren. Seine Stimme klingt fest, fest und fordernd. Es ist dies ihr zweites Treffen. Und es ist so gänzlich verschieden von dem vorangegangenen.

Der Mann hat sich jäh aufgerichtet. Seine Hand umklammert das Glas mit dem Whisky, als wolle er es zerdrücken. Er hält es, aber er trinkt nicht daraus. Nick nimmt seinen Platz am Tisch wieder ein. Er findet die Situation etwas heikel, etwas dunkel. Er drückt seine Zigarette aus, entzündet sich eine neue. Die Bedienung kommt längsseits. Er bestellt sich ein stilles Wasser. Vielleicht ist es besser, nüchtern zu bleiben, denkt er, nüchtern wie der Alltag.

Sie sagten, Sie wollten mit mir reden?”

Ja...Über den Stella Matutina Orden zum Beispiel.”

Sie wissen also doch, worüber Sie reden wollen...Und was genau interessiert Sie an dem Thema?

Eigentlich ist es mehr Ihre Person, die mich in diesem Zusammenhang interessiert."

Ach, wirklich?”

Es gibt Menschen, die geben einem Rätsel oder, sagen wir, Fragezeichen auf. Sie sind ein solcher Mensch. Ich wüsste gern mehr über das hinaus, was ich bereits von Ihnen weiß.”

Eine launige Begründung. Könnte von mir stammen.”

Man muss nicht zwingend den Eindruck haben, Hänel befinde sich auf dem Weg zurück in eine alkoholfreie Realität - gerade hat er das Glas angesetzt, um sich einen abgrundtiefen Schluck zu genehmigen - doch der taumelnde Ausdruck ist aus seinem Blick gewichen, und die Gesichtszüge wirken nicht länger abgestorben wie noch Augenblicke zuvor.

Also schön, stellen Sie Ihre Fragen.”

Eine Frage hatte ich bereits gestellt.”

Ah ja, richtig... der Orden. Wer hat Ihnen erzählt, dass ich damit etwas zu tun habe?”

Ein Journalist.”

Ein Zeitungsmann? Es wird viel gedruckt in der Presse, wissen Sie, vor allem viel Unsinn. Ich hoffe, Sie haben da keinen falschen Eindruck mitgenommen.”

Welches wäre denn der richtige?”

Das Interessante an Gesprächen ist, dass man zu Beginn oft nicht weiß, wohin Sie am Ende führen werden, nicht wahr? Ich will Ihnen etwas sagen, Mr. Mangold: Wenn Sie mich besser kennen lernen wollen, sollten sie nicht den Schnüffler spielen.”

Hm, Sie finden also, dass ich mich so verhalte?”

Ja. Und es ist keine Rolle, die Ihnen steht, glauben Sie mir. Sie waren mir bislang sympathisch. Warum wollen Sie das aufs Spiel setzen?”

Tut mir leid, wenn bei Ihnen dieser Eindruck entstanden ist.”

Das sollte es. Immerhin könnte ich Ihnen vielleicht von Nutzen sein, eines Tages.”

Wie meinen Sie das?”

Jeder braucht hin und wieder Hilfe. Dann ist es gut, Menschen zu kennen, an die man sich wenden kann – vor allem in der Fremde.”

Nick lächelt dehydriert. Thema verfehlt. Es sieht nicht so aus, als wenn ihn die Unterredung hier sehr viel weiterbringen würde. Eher scheint eine Art Katz-und-Maus-Spiel daraus zu werden, ein Abtasten, ein sich gegenseitiges Belauern, wobei er zugeben muss, dass sein Gegenüber, trotz eines vermutlich eingeschränkten Wahrnehmungsvermögens, das bessere Blatt auszuspielen versteht.

Er bereut, erneut eine Zusammenkunft mit diesem Menschen gesucht zu haben. Das Vorhaben, dessen Umsetzung sich ohnehin wenig konkret in seinem Hirn festgesetzt hatte, nämlich den Mann für ein Treffen mit den beiden Journalisten zu erwärmen, wird er fürs Erste wohl ad acta legen müssen.

Notaph

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