Читать книгу Die Teufelsbibel-Trilogie - Richard Dübell - Страница 39
15.
ОглавлениеDer Spur des Kaisers war leicht zu folgen; der Königspalast war ein Ameisenhaufen, und Rudolf hatte eine Fährte hindurch gezogen wie ein Kind, das seinen Stock hinein sticht. Dienstboten, Beamte und Höflinge standen gleichermaßen beieinander, machten schockierte Gesichter und starrten den Gang hinunter oder in den Raum hinein, den Rudolf als Fluchtweg genommen hatte.
Pater Xavier schritt durch ihre Verwirrung hindurch mit all der königlichen Grazie, die der Habit seiner schlanken Gestalt verlieh. Vor einer verschlossenen Tür endete die ungleiche Verfolgungsjagd schließlich; mindestens zwei Dutzend Männer in allen Arten von teurer Kleidung standen davor und redeten ratlos durcheinander. Pater Xavier hielt sich an ihrem Rand, nickte bescheiden, wenn Blicke ihn trafen, und gab sich den Anschein eines demütigen Mönchs, der zufällig am Schauplatz eines Unfalls eintrifft, nicht weiß, worum es geht, aber voller Mitleid und fest im Glauben für alle darin Verwickelten zu beten beginnt. Immer mehr Menschen trafen ein, blockierten den Gang und steigerten die Verwirrung. Hinter der Tür drang keinerlei Laut hervor, und auch diejenigen, die ihre Ohren an das Türblatt drückten, schüttelten die Köpfe und machten besorgte Gesichter.
Zuletzt arbeitete sich ein kleiner, weißhaariger Mann durch den Auflauf. Er sah sich um. Weiter vorn begegnete ein fülliger Kerl, der nicht viel jünger sein konnte, dem suchenden Blick und winkte dem Neuankömmling zu.
„Gut, dass Sie da sind!“, sagte der Dicke. Pater Xaviers auf Dissonanzen trainierte Ohren hörten sofort das nicht laut Gesagte heraus: Wo waren Sie die ganze Zeit, zum Teufel?
„Ich bin erleichtert, dass Sie hier das Heft in die Hand genommen haben“, erwiderte der Neuankömmling und ließ es zu, dass Pater Xavier ebenfalls zwischen den Worten hören konnte: Wenn ich so wenig zu tun hätte wie Sie, wäre ich auch als Erster zur Stelle gewesen! „Was ist passiert?“
„Es heißt, seine allerchristlichste Majestät sei in höchster Erregung durch die Räume gelaufen und habe sich schließlich hier verbarrikadiert.“
„Natürlich in seiner Sammlung.“
„Wo sonst, mein lieber Lobkowicz?“
Pater Xavier fing einen Blick auf, den die beiden Männer sich zuwarfen. Mittlerweile hatte die Menge ihnen Platz gemacht, sodass beide direkt vor der versperrten Tür standen. Der kleine Mann – Lobkowicz – probierte die Klinke.
„Majestät?“, rief er. „Majestät, ich bin es, der Oberstlandrichter. Reichsbaron Rozmberka ist bei mir, und viele andere Leute, die um Majestät Wohlergehen besorgt sind. Es besteht keine Gefahr, Majestät.“
Die Tür gab keine Antwort, und was immer an Räumen sich dahinter verbarg, ließ ebenfalls nichts verlauten. Lobkowicz ließ die Klinke los und ballte die Faust. „Hat denn keiner eine Ahnung, was ihm zugestoßen ist? Die ganze letzte Zeit über war er doch so ausgeglichen … Irgendwas muss passiert sein.“ Der Blick des Oberstlandrichters streifte Pater Xavier und wanderte arglos weiter.
„Vielleicht hat er wieder eine Nuss verlegt“, brummte Reichsbaron Rozmberka.
„Wir können nicht warten, bis er von alleine herauskommt“, sagte Lobkowicz. „Der russische Gesandte wartet, der Gesandte des Patriarchen von Konstantinopel wartet, der päpstliche Nuntius wartet, die Generäle warten, die ganze Christenheit wartet, dass der Kaiser sich endlich dazu entschließt, das Massaker vom letzten Jahr in Konstantinopel zu rächen und die Türken zu vernichten. Er kann sich nicht in seiner Schatzkammer verstecken – er muss regieren!“
„Mir brauchen Sie das nicht zu sagen, mein lieber Lobkowicz.“
„Ich dachte, die Lage hätte sich beruhigt nach seinem letzten Anfall, als er Edward Kellys Betrügereien auf die Schliche gekommen ist und ihn hat einsperren lassen. Und jetzt das!“
„Es wird uns nichts anderes übrig bleiben.“
„Verdammt noch mal, Rozmberka!“
„Glauben Sie, mir macht das Spaß?“ Der dicke Reichsbaron verzog das Gesicht und äffte die Sprechweise eines anderen Mannes nach: „Sie kümmern sich doch darum, mein lieber Rozmberka? Allein dafür wünsche ich mir jeden Tag, an dem ich mich daran erinnere, wir hätten ihm doch die Därme rausgezogen!“
Lobkowicz ließ die Schultern hängen. Dann wandte er sich ab und winkte den Nächststehenden heran. „Lassen Sie ins Goldmachergässchen schicken und den fabulator principatus holen. Sagen Sie ihm, der Kaiser braucht wieder seine Geschichte.“
Der Angesprochene drängte sich durch die Menge und verschwand. Der Oberstlandrichter musterte die Gesichter um sich herum mit finsterer Miene. Sein Blick fiel erneut auf Pater Xavier. Der Dominikaner setzte das harmlose Lächeln auf, von dem er wusste, dass es ihn mit dem Hintergrund verschmelzen ließ. Hinter der verschlossenen Tür war immer noch absolute Stille. Lobkowicz’ Augen sahen durch Pater Xavier hindurch. „Ich hasse das“, murmelte der alte Mann. „Was immer er gesehen hat oder gesehen zu haben glaubt oder sich sonst irgendwie einbildet, es sei verflucht!“
„Stellen Sie sich vor, er tut sich was an“, flüsterte Reichsbaron Rozmberka. „Stellen Sie sich das mal vor – während wir hier draußen stehen und Maulaffen feilhalten.“
„Soll ich vielleicht die Tür aufbrechen lassen? Zur allerhöchst-privaten Schatzkammer des Kaisers?“, fuhr der Oberstlandrichter auf. „Auf eigene Verantwortung? Sehe ich aus, als möchte ich in einem Käfig im Hirschgraben zwischen den Ästen verfaulen? Geben Sie doch den Befehl, wenn Ihnen danach ist, mein lieber Rozmberka!“
„Wir sind alle verflucht“, sagte der Reichsbaron.
Nach einer Weile kam ein junger Mann in Begleitung mehrerer Wachen, die unsanft einen Weg für ihn bahnten. Die beiden Reichsbeamten empfingen ihn kühl.
„Sie sind dran!“, schnappte der Oberstlandrichter.
„Was ist dem Kaiser zugestoßen?“
„Keine Ahnung“, erklärte der Reichsbaron. „Aber vielleicht ist es so schlimm, dass Ihre lächerliche kleine Geschichte diesmal nicht zieht – und dann…“ Der dicke Mann machte eine Bewegung mit dem Finger vor dem Unterleib, als würde er etwas aufwickeln.
Der junge Mann verzichtete darauf, die Türklinke nochmals hinunterzudrücken, was ihm in Pater Xaviers Augen einen Pluspunkt einbrachte. Er musterte die Menge – ein schmales Gesicht unter einem Schopf schwarzen Haars, hohe Wangenknochen, dunkle Augen, vor allem aber müde Linien um die Mundwinkel: jemand, der sein Leben satt zu haben begonnen hatte.
„Sie müssen den Befehl geben, die Tür aufzubrechen“, sagte Lobkowicz. „Anders kommen Sie nicht rein. Wir haben versucht, mit Seiner Majestät Kontakt aufzunehmen. Er hört uns nicht.“
„Treten Sie alle zurück“, sagte der junge Mann. „Seine Majestät steht gleich hinter der Tür.“
Er kauerte sich nieder und begann leise in den Spalt hineinzusprechen, der sich zwischen Türblatt und Mauer befand. Die beiden Reichsbeamten und mit ihnen die Gaffer wichen zurück. Pater Xavier konnte kein Wort von dem verstehen, was der junge Mann sagte, aber plötzlich hörte er das Geräusch eines Schlüssels, der lange in einem sehr komplizierten Schloss herumgedreht wird; der Spalt in der Tür verbreiterte sich, und der junge Mann schlüpfte hindurch. Die Tür knallte wieder zu, und der Schlüssel trat erneut in Aktion. Die Wartenden starrten sich gegenseitig an und zuckten mit den Schultern.
Oberstlandrichter Lobkowicz schnaubte, dann machte er eine exakte Kehrtwendung wie ein paradierender Gardist und stakte davon, ohne noch jemanden eines Blickes zu würden. Reichsbaron Rozmberka blieb stehen, Wut und Erleichterung gleichermaßen im runden Gesicht – vor allem aber war das vergebliche Bemühen zu erkennen, sich beides nicht anmerken zu lassen. Pater Xavier glitt an seine Seite.
„Euer Gnaden“, sagte er sanft, „wie geht es Ihnen? Ich bin froh, in dieser beunruhigenden Situation auf einen Mann wie Sie zu treffen.“
Rozmberka sah ihn mit leerem Blick an.
„Ich gehöre zur päpstlichen Gesandtschaft“, sagte Pater Xavier und machte eine bewusst vage Handbewegung. „Man hat mir die Ehre erwiesen, mich Ihnen vorzustellen … Wissen Sie nicht …?“
„Ah ja, doch, doch“, machte Rozmberka. „Doch, klar, kann mich erinnern. Äh … tut mir Leid … äh … dass Sie das hier miterleben mussten … äh … natürlich …“
„… natürlich muss seine Ehrwürden der päpstliche Nuntius nichts davon erfahren“, sagte Pater Xavier. „Was andererseits schade ist, da er genauso wie ich davon beeindruckt wäre, wie Sie diese Angelegenheit gemeistert haben.“
„Na ja“, machte Rozmberka und widerstand der Versuchung, einfältig zu grinsen.
„Der junge Mann“, sagte Pater Xavier und lächelte, „sagen Sie: wer ist das eigentlich? Und was ist das für eine Geschichte, mit der er Seine Majestät beruhigen kann?“