Читать книгу Die Teufelsbibel-Trilogie - Richard Dübell - Страница 42

18.

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„DU BIST EIN Vollidiot“, sagte Cyprians Bruder.

Cyprian spähte mühsam zu ihm hoch. Er brauchte nicht lange, um sich zu erinnern, wo er war. Dass die Worte seines Bruders ihn aus der Besinnungslosigkeit geweckt hatten, tat nichts zur Sache.

„Zwanzig Jahre eher, und Onkel Melchior würde mir ein altes Brot zustecken“, brummte er. Er zuckte zusammen, als der Riss in seiner Oberlippe zu bluten anfing. „Ich nehme nicht an, dass du an ein Stück Brot gedacht hast?“

„Wovon redest du?“

„Vergiss es.“

„Schau dich an, wie du ausschaust! Grün und blau! Mutter würde dich nicht erkennen, selbst wenn du bei ihr in der Stube sitzen würdest. Was hast du dir dabei gedacht?“

„Ja, was habe ich mir bloß dabei gedacht, mich von der Kärntnertorwache bewusstlos prügeln zu lassen?“

„Du hast Sebastian Wilfing von hinten angegriffen, als er mit zwei Freunden durch die Gasse spazierte und nichts Böses ahnte.“

Cyprian tupfte mit dem Finger das Blut von seiner Lippe. Er richtete sich vom strohbedeckten Boden in sitzende Stellung auf. Seine Rippen protestierten, und der Schnitt quer über seinen Leib flammte auf. Als er sich mit der anderen Hand abtasten wollte, klirrte eine Kette und hielt sein Handgelenk fest. Er grunzte.

„Wie spät ist es?“

„Was, wie spät ist es?“

„Wie viel Zeit ist vergangen, seit ich Sebastian Wilfing hinterrücks angegriffen habe?“

„Das war gestern“, sagte Cyprians Bruder ätzend. „Es ist jetzt früher Morgen, wenn du’s genau wissen willst. Eine ganze Weile vor der Terz.“

„Verdammt!“, sagte Cyprian. Er erstarrte.

„Ich hoffe, du hattest heute nicht etwas Wichtiges vor? Zum Beispiel mir mal wieder in der Backstube zu helfen? Du sitzt hier nämlich noch eine Weile ein. Wir befinden uns im Malefizspitzbubenhaus, du verdammter Idiot!“

„Ich weiß, wo wir sind. Wie kommst du hierher? Hat Onkel Melchior dich geschickt?“

„Onkel Melchior? Nein. Vor einer Stunde hat eine Wache bei uns an der Tür geklopft und uns mitgeteilt, dass man dich gestern verhaftet hat. Kannst du dir vorstellen, wie Mutter das aufgenommen hat?“

„Ich muss hier raus. Sag Onkel Melchior Bescheid.“

„Du weißt überhaupt nicht, was du angestellt hast, oder?“

„Hör zu, ich muss hier schnellstens raus. Die sollen jemanden zu Onkel Melchior schicken. Wenn’s sein muss, bestich einen von den Wächtern, Onkel Melchior wird dir das Geld wiedergeben. Wenn er selbst kommt und sein Wort gibt, behalten die mich nicht lange hier.“ Cyprian zog an der Kette, die sein Handgelenk festhielt, und rasselte damit.

„Weißt du eigentlich, mit wem du dich angelegt hast?“

„Wenn du glaubst, dass ich den aufgeblasenen Sebastian und seine beiden Gockel wirklich überfallen habe, bist du ein noch größerer Idiot als ich.“

„Cyprian! Hör mir doch endlich mal zu.“

Cyprian stellte sein ärgerliches Bemühen, die Verankerung der Kette aus der Wand zu ziehen, ein und starrte zu seinem Bruder hoch. Dieser saß auf einem Schemel, über seinen eigenen Bauch gebeugt und die Hände zwischen den Knien pendelnd. Der heiße Geruch nach Backofen und frischem Brot ging von ihm aus und verdrängte die Kerkergerüche nach fauligem Stroh und den Pissepfützen in den Ecken. Die Ähnlichkeit seines Bruders mit ihrem Vater war überwältigend.

„Wie damals“, murmelte er. „Wie mit Vater. Damals bist du auch der Wache in die Hände gelaufen, die jemand wegen deines Gebrülls alarmiert hatte. Und danach hat du genauso ausgesehen.“ Er sah sich um. „Wahrscheinlich hast du sogar im gleichen Verlies gelegen wie jetzt.“

„Ich muss hier so schnell wie möglich raus. Hat jemand Onkel Melchior benachrichtigt oder nicht?“

„Du bist in ernsten Schwierigkeiten. Hier“, der Bruder streckte den Finger aus, „du hast die Wunde an deinem Bauch aufgerissen. Sie blutet wieder. Wie hast du dir die geholt?“

„Einer von Sebastians Kumpels hat sie mir beigebracht, während ich ihn hinterrücks …“ Cyprian winkte müde ab. „Was soll’s! Wo bleibt Onkel Melchior?“

„Die beiden Typen … Cyprian, du hast anscheinend tatsächlich keine Ahnung, wer sie sind.“

„Dann sag’s mir doch, verdammt noch mal!“, brauste Cyprian auf. „Wer sind sie? Die Oberarschkriecher am Hof von Kaiser Rudolf?“

„Nein, ihre Söhne.“

Die beiden jungen Männer starrten sich an. „Scheiße“, sagte Cyprian.

„Sebastian Wilfing hat den größten Teil des letzten Jahres in Prag verbracht, wo sein Vater und Niklas Wiegant zusammen ein Handelskontor unterhalten. Die beiden sind auf Besuch hier.“

„Du kennst dich ja ziemlich aus.“

„Was du getan hast, ist Gassengespräch.“

Cyprian ließ den Kopf hängen. „Ihre Aussage gegen meine, oder?“

Sein Bruder antwortete nicht. In die Stille klackte das Schloss an der Zellentür mehrfach. Wer immer die Tür zuletzt versperrt hatte, er hatte sichergestellt, dass Cyprian keine Chance bekam, das Schloss aufzubrechen. Cyprian blickte auf.

„Na endlich“, sagte er. „Onkel Melchior.“

Es war ein Wächter, und er war allein. Er deutete auf Cyprians Bruder. „Sprechzeit zu Ende“, knurrte er. „Raus hier.“

„Ich dachte, der halbe Pfennig hätte mir eine Stunde Zeit erkauft?“, fragte Cyprians Bruder wütend.

„Die Stunde ist rum.“

„Ist sie nicht, verdammt!“

„Du hast dafür bezahlt, um mit mir zu sprechen?“

„Die Stunde ist rum, wenn ich es sage. Und ich sage, die Stunde ist rum.“

Cyprians Bruder stand auf. Die Kiefer mahlten in seinem pausbäckigen Gesicht, aber er widersprach nicht mehr. Umständlich zerrte er an seinem Kittel herum. Kleine Mehlwolken stäubten auf.

„He, Bruder“, sagte Cyprian. „Du hast dafür bezahlt, um mit mir zu sprechen? Danke.“

„Mutter wollte es. Aus eigenem Antrieb hätte ich’s nicht getan.“

„Wird’s bald?“, bellte die Wache.

„Wo bleibt Onkel Melchior?“, sagte Cyprian hastig. „Er braucht nur ein Wort zu sagen, und ich komme zumindest auf Ehrenwort frei. Du hast ihn doch schon benachrichtigt, oder?“

Sein Bruder wich dem Blick aus. „Onkel Melchior hat heute im frühen Morgengrauen die Stadt verlassen. Es heißt, er begleitet seinen Besucher nach Rom. Es heißt, sein Besucher ist ein Kardinal.“

„Verflucht!“, stieß Cyprian hervor. „Ausgerechnet! Das dauert doch Wochen, bevor er wiederkommt! Wieso konnte der Kardinal nicht das Zipperlein kriegen und ein paar Tage ans Bett gefesselt sein? Der alte Bursche sah so baufällig aus wie das Kärntnertor nach der letzten Türkenbelagerung!“

Cyprians Bruder schüttelte den Kopf. „Du gehst mit so hohen Herren um, als wären sie deinesgleichen, und es hat dich kein bisschen geändert.“

„Ich muss hier raus. Ich habe Agnes versprochen … Hör mal, du musst mich hier rausholen. Geh zum Bischofspalast. Onkel Melchior hat auf jeden Fall seinen Verwalter dagelassen. Vielleicht kann er ein gutes Wort einlegen …“ Cyprian schwieg, als ihm bewusst wurde, dass in seiner Stimme erste Anklänge von Panik zu hören waren. Er biss erbittert die Zähne zusammen und starrte seinen Bruder an.

Der Wächter trat heran. Ohne ein weiteres Wort schlug er mit dem schweren Holzstab, den er trug, Cyprians Bruder quer über den Bauch. Es klatschte laut. Der junge Mann fuhr zusammen und keuchte überrascht. Der Wächter hob den Stock erneut.

„Mach, dass du rauskommst!“, brüllte er.

Cyprian konnte mit der freien Hand das Ende des Stocks packen, als der Wächter ausholte. Er riss daran. Der Wächter taumelte rückwärts. Cyprian griff mit der zweiten Hand zu, die Kette klirrte und spannte sich, dann lag der Stock quer über der Kehle des Wächters und der Wächter in den Armen Cyprians wie ein Liebhaber. Er starrte aus einem plötzlich fahl gewordenen Gesicht zu Cyprian empor. Cyprian verstärkte den Druck des Stocks.

„Wenn du ihn noch mal schlagen willst, stell sicher, dass du nie in meine Reichweite kommst, solange ich hier drin bin“, sagte Cyprian.

Der Wächter machte ein Geräusch.

„Lass ihn los“, stotterte Cyprians Bruder. „Um Gottes willen, du machst alles nur noch schlimmer.“

„Mein Bruder hätte gern seinen halben Pfennig wieder“, sagte Cyprian. „Häftlinge dürfen jederzeit Verwandtenbesuch erhalten, ohne die Wache bestechen zu müssen.“

„Cyprian …“

Der Wächter gurgelte und kramte eine halbierte Münze aus der Tasche. Er ließ sie fallen. Cyprians Bruder starrte darauf hinab.

„Nimm sie, sonst nehme ich sie“, sagte Cyprian.

Cyprians Bruder bückte sich und steckte die Münze ein. Cyprian stieß den Wächter von sich. Der Mann stolperte davon, dann fuhr er herum und starrte Cyprian mit gefletschten Zähnen an. Er rieb sich den Hals.

„Jetzt darfst du“, sagte Cyprian, der immer noch den Stock in den Händen hielt. Das Gesicht des Wächters verzerrte sich vor Wut.

„WAACHEEE!“, schrie er dann, fuhr herum und rannte zur Tür hinaus. „WAAACHEEE!!“

Cyprian ließ den Stock fallen.

„Du musst Agnes benachrichtigen!“, sagte er hastig zu seinem Bruder. „Sag ihr die Wahrheit. Bitte! Sag ihr, dass ich hier schon wieder rauskomme.“

„Was ist die Wahrheit?“

„Verdammt noch mal!“, sagte Cyprian.

Sein Bruder seufzte und schüttelte betrübt den Kopf.

„Sag Agnes, dass das hier nichts an unseren Plänen ändert.“ Von draußen war das Getrappel von Schritten und zornige Flüche zu hören. Cyprians Bruder schluckte und sah von Cyprian zur Tür und wieder zurück. „Bitte!!“ Cyprian streckte die Hand aus, aber die Kette war zu straff. Er konnte seinen Bruder nicht erreichen. „Bitte!“

„Was immer eure Pläne waren, du hast sie zerstört“, sagte Cyprians Bruder. Die anderen Wächter platzten zur Tür herein, die Stöcke erhoben und die Fäuste geballt. Sie stießen Cyprians Bruder beiseite und stürzten sich auf Cyprian. Er ging unter dem Anprall eines halben Dutzend aufgebrachter Männer zu Boden. Er spürte Faustschläge und die rohen Griffe, mit denen man seine bisher freie Hand in eine eiserne Schelle zwang. Noch einmal schaffte er es, sich freizustrampeln.

Sein Bruder stand mit bleichem Gesicht an der Tür. „Die Wiegants sind ebenfalls heute Morgen abgereist“, sagte er leise, doch Cyprian konnte ihn über den ganzen Lärm und das Gefluche hören. Eine Hand legte sich um seine Stirn und knallte ihn mit dem Hinterkopf gegen den Boden. Die Umgebung zerstob in einem Funkenregen.

„Wohin?“, schrie Cyprian und bäumte sich auf. Sein Schädel schien bersten zu wollen. Die Hand legte sich erneut um seine Stirn, und er riss blitzschnell den Kopf beiseite und biss in einen Handballen. Der Besitzer des Handballens, irgendwo im Gewühl der Arme, Beine und Fäuste verborgen, kreischte. „Wohin!?“, brüllte Cyprian und spuckte das Blut von der Bisswunde aus. „WOHIN!?“

Dann waren sie über ihm und drückten ihm die Luft ab und stießen und traten und droschen den letzten Widerstand aus ihm hinaus.

Die Teufelsbibel-Trilogie

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