Читать книгу Internationales Strafrecht - Robert Esser - Страница 111

4. Pilotverfahren

Оглавление

478

In der Regel nimmt der Gerichtshof nicht Stellung zu den Mitteln, mit denen eine Konventionsverletzung auf nationaler Ebene aufgehoben werden kann. Jedoch wurde beim Gerichtshof in der Vergangenheit häufig eine Vielzahl von Beschwerden mit demselben Beschwerdegegenstand anhängig gemacht, vor allem wenn ein bestimmtes Gesetz in allen unter die Norm fallenden Sachverhalten zu Verletzungen von Konventionsrechten führte oder bei sonstigen strukturellen Problemen (sog. repetitive cases).

479

In diesen Fällen ist der Gerichtshof nach seinem Grundsatzurteil im Fall Broniowski[38] dazu übergegangen, an die verurteilten Staaten zur Wiedergutmachung des festgestellten Konventionsverstoßes konkrete Empfehlungen auszusprechen. Im Urteil Broniowski empfahl der EGMR dem polnischen Staat die (zusätzliche) Ergreifung allgemeiner Maßnahmen (general measures) gegenüber rund 80 000 von der behandelten konventionsrechtlichen Fragestellung (Entschädigung für Grundstücksverluste nach dem 2. Weltkrieg) ebenfalls betroffenen Personen – unabhängig von der Wiedergutmachung im konkreten Einzelfall, der Gegenstand der Beschwerde war.

480

In der von der Rechtsprechung entwickelten sog. Pilot Judgment Procedure, die inzwischen in Rule 61 geregelt ist, greift der Gerichtshof eine von mehreren anhängigen vergleichbaren Beschwerden heraus und stellt in einem „pilot judgment“ fest, dass die gerügte Konventionsverletzung auf einem strukturellen Problem des Vertragsstaates beruht, etwa auf einer bestimmten konventionswidrigen Rechtsprechung oder verwaltungsrechtlichen Praxis oder auf einer mit der Konvention unvereinbaren nationalen Norm. Der verurteilte Staat soll daraufhin ein effektives Rechtsmittel vorsehen, das für alle potenziellen Bf. offen steht, die aufgrund desselben Defizits in ihren Rechten nach der Konvention verletzt sind Das Gericht beschreibt auch die Mittel, die der betroffene Staat ergreifen kann, um den konventionswidrigen Zustand zu beenden (Rule 61 Abs. 3). Die bereits anhängigen Beschwerden werden vorerst zurückgestellt, bis der Vertragsstaat entsprechende Maßnahmen ergriffen hat. Falls dies nicht innerhalb einer angemessenen Frist geschieht (Rule 61 Abs. 4), werden die Beschwerden wiedereröffnet (Rule 61 Abs. 6 lit. a, c; Abs. 8) und in einem summarischen Verfahren vor den Ausschüssen abgehandelt. Praktische Bedeutung hat die Pilot Judgment Procedure (lediglich) in Fällen schwerwiegender Konventionsverletzungen und wenn sich der innerstaatliche Missstand nicht auf andere Weise effektiv und zeitnah beheben lässt.[39]

Teil 1 Europäischer Gerichtshof für MenschenrechteD. Urteil des EGMR › V. Entscheidung über eine gerechte Entschädigung

Internationales Strafrecht

Подняться наверх