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2. Bindung über Einzelfall hinaus

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Noch nicht endgültig geklärt ist, ob die Urteile des EGMR eine über den Einzelfall hinaus reichende rechtliche Verbindlichkeit für die Vertragsstaaten besitzen oder ob ihnen bezüglich anderer Personen lediglich eine (faktische) Orientierungswirkung zukommt, in dem Sinne, dass alle Staaten in einer vergleichbaren Konstellation oder Fragestellung ebenfalls mit einer Verurteilung rechnen müssen. Dabei ist zu unterscheiden zwischen Urteilen, die gegen den Vertragsstaat ergehen und thematisch auch andere Personen neben dem Beschwerdeführer betreffen sowie Urteilen, die gegen andere Vertragsstaaten ausgesprochen werden.

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Der Vertragsstaat hat jedenfalls sicherzustellen, dass sich der festgestellte Konventionsverstoß in zukünftigen, ähnlich gelagerten Fällen nicht wiederholt.[30] Dies gilt jedenfalls für die Person des konkreten Bf. Ob dieser Anspruch sich darüber hinaus auf alle der Hoheitsgewalt des Vertragsstaates unterstehenden Personen bezieht, ist dagegen ungeklärt. Dem Wesen eines Individualrechtsstreits immanent ist, dass Streitgegenstand und damit auch Umfang der sachlichen Rechtskraft eines Straßburger Urteils eng zu interpretieren sind und sich nur auf den entschiedenen Sachverhalt, den konkreten Bf. sowie den betroffenen Vertragsstaat beziehen.[31] Damit ist freilich nicht ausgeschlossen, auf Seiten des Vertragsstaats von einer über den entschiedenen Streitgegenstand hinausgehenden völkerrechtlichen Befolgungspflicht aus Art. 46 EMRK auszugehen, deren innerstaatlicher Adressat sämtliche staatlichen Organe sind.[32]

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Wer beim Wiederholungsverbot im Interesse eines wirksamen Menschenrechtsschutzes eine Erstreckung auf gleichgelagerte nationale Fälle propagiert, die andere Personen betreffen, kann auf Dauer nicht erklären, warum das nicht auch für die Behebung bereits eingetretener Konventionsverstöße bei anderen Personen gelten soll, zumal man in der Aufrechterhaltung der Folgen eines bereits eingetretenen Konventionsverstoßes durchaus auch dessen aufrechterhaltende „Wiederholung“ sehen kann.[33] Darüber hinaus kann die Verbindlichkeit eines Urteils des EGMR für „Parallelfälle“ in dem betreffenden Vertragsstaat aus Art. 1 EMRK abgeleitet werden.[34] Auch wenn das Urteil den betroffenen Staat über Art. 46 EMRK nur für den entschiedenen Fall unmittelbar bindet, folgt eine darüber hinausreichende rechtliche Bindung des Staates daraus, dass dieser nach Art. 1 EMRK (und seine Organe nach Art. 59 Abs. 2 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) zur Beachtung der Konvention verpflichtet sind, deren Inhalt durch die Urteile des EGMR konkretisiert wird.

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