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II. Prüfungsumfang

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In der Begründetheitsprüfung beschränkt sich der Gerichtshof (weitestgehend) auf die menschenrechtliche Bewertung des ihm vorgelegten konkreten Einzelfalls und den in der Sache spezifisch geltend gemachten Konventionsverstoß. Allgemeine Ausführungen zur Umsetzung der EMRK in dem betroffenen Vertragsstaat vermeidet der Gerichtshof nach Möglichkeit.

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Der Umfang der materiellen Prüfung der Beschwerde ist dabei nicht auf die vom Bf. geltend gemachten Konventionsbestimmungen beschränkt („The Court who is the master of the characterisation to be given in law to the facts“)[3], sondern lediglich an den Gegenstand der Beschwerde i.S. eines speziellen Ereignisses oder Lebenssachverhalts gebunden.[4] Liegt bereits eine Entscheidung über die Zulässigkeit der Beschwerde vor, so markiert diese die Grenzen für die sich nun anschließende materiell-rechtliche Prüfung.

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Innerhalb dieses Rahmens kann der EGMR die Beschwerde on ist own motion auch vor dem Hintergrund einer vom Bf. nicht als einschlägig eingestuften Konventionsbestimmung untersuchen[5] und dabei über alle Tatsachen- und Rechtsfragen entscheiden, die im Verfahren auftreten. Außer Betracht bleiben allerdings Äußerungen der Parteien im Rahmen einer streng vertraulichen Verhandlung über eine gütliche Einigung sowie die Gründe, aus denen eine solche Einigung nicht zustande gekommen ist (Art. 39 Abs. 2 EMRK; Rule 62 Abs. 2; vgl. Rn. 369).[6]

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Macht der Bf. eine Verletzung mehrerer Artikel der Konvention durch dasselbe staatliche Handeln oder die Verletzung eines geschützten Rechtes durch unterschiedliche Handlungsmodalitäten staatlicher Organe geltend, so nimmt der EGMR eine gesonderte Prüfung jedes einzelnen Beschwerdepunktes nur dann vor, wenn diese jeweils neue Fragestellungen aufwerfen. Zunehmend geht er dazu über, detaillierte Ausführungen lediglich zu der im Schwerpunkt gerügten Konventionsverletzung zu machen und die Beurteilung der übrigen Aspekte der Beschwerde dahinstehen zu lassen.[7]

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Die Prüfung der Menschenrechte der EMRK vollzieht sich zumeist dreistufig, ähnlich wie die Grundrechtsprüfung vor dem BVerfG: SchutzbereichBeeinträchtigung/EingriffRechtfertigung des Eingriffs (= mangelnde Rechtswidrigkeit). Dabei ist zwischen allgemeinen (Art. 15-17 EMRK) und speziellen Schrankenvorbehalten (Art. 2 Abs. 2 EMRK; Art. 8 Abs. 2 EMRK) zu unterscheiden. Die Behandlungsverbote des Art. 3 EMRK sind schrankenlos gewährleistet. Geht es um die Einhaltung einer staatlichen Schutzpflicht[8], erfolgt in der Regel eine Abwägung der durch ein staatliches Handeln bzw. Unterlassen betroffenen Rechtsgüter.

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Der EGMR hat nicht die Aufgabe eines Rechtsmittel- oder Instanzgerichtes. Er überprüft daher nicht die Auslegung und Anwendung der materiellen und prozessualen Vorschriften des nationalen Rechts sondern wacht lediglich über die Einhaltung der EMRK und prüft dabei, ob die nationale Rechtsordnung und Rechtspraxis den Anforderungen der Konvention entspricht.[9]

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Die Nichteinhaltung innerstaatlicher Rechtsnormen kann vor dem Gerichtshof nur über eine spezielle Anknüpfung in der EMRK gerügt werden, etwa im Rahmen von Schrankenvorbehalten, in denen die Konvention ausdrücklich auf das nationale Recht verweist (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 EMRK: „auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise“; Art. 8 Abs. 2 EMRK: „gesetzlich vorgesehen“). Aber selbst in diesen Fällen variiert die Kontrolldichte des EGMR von Fall zu Fall. Zum Teil beschränkt sich der Gerichtshof auf eine Evidenz- oder Willkürkontrolle[10], teilweise kann die Prüfung aber auch recht detailliert und tief ins nationale Recht hineinreichen.[11]

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Keiner Überprüfung durch den Gerichtshof zugänglich sind die Schuldfrage im engeren Sinne und die Tatsachenfeststellungen als solche.[12] Lediglich eingeschränkt überprüfbar – über den Grundsatz der Verfahrensfairness – sind die Glaubwürdigkeit von Zeugen[13] und die Relevanz erhobener bzw. nicht erhobener Beweise. Die eigentliche Beweiswürdigung und die Einstufung von Beweisen als entscheidungserheblich ist grundsätzlich Aufgabe der nationalen Gerichte.[14]

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Die Bestimmungen der EMRK legt der Gerichtshof autonom aus, ohne an Auslegungsgrundsätze und Beweisregeln des nationalen Rechts gebunden zu sein.

Teil 1 Europäischer Gerichtshof für MenschenrechteD. Urteil des EGMR › III. Inhalt des Urteils

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