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3. Ersatz des immateriellen Schadens (non-pecuniary damage)

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Über die Festsetzung einer Geldsumme als Schmerzensgeld oder allgemein als finanziellen Ausgleich für einen infolge des Konventionsverstoßes eingetretenen immateriellen, psychischen Schaden, Angstzustände, Ungewissheiten oder Unbequemlichkeiten entscheidet der Gerichtshof stets nach billigem Ermessen (equitable basis) unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls.[51] Maßgebliche Faktoren sind die Schwere des Konventionsverstoßes, insbesondere der Eintritt psychischer Schäden, die der Bf. – bzw. sein Angehöriger (z.B. beim Tod des Bf.) – erlitten hat.[52]

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Der Bf. ist gehalten, in seinem Antrag auf Festsetzung einer angemessenen Entschädigung konkrete Vorstellungen zu der angestrebten Entschädigungssumme zu äußern, zumal der EGMR grundsätzlich keine höheren Entschädigungen gewährt als von dem Bf. gefordert.[53] Bei mehreren Konventionsverstößen, die jeweils unmittelbar zu nicht-immateriellen Einbußen geführt haben, kann der Bf. entweder eine seiner Ansicht nach angemessene Gesamtsumme (lump sum) benennen oder aber den von ihm begehrten finanziellen Ausgleich für jeden Konventionsverstoß separat beziffern (§ 15 PD-JS). Es kommt auch vor, dass der Bf. die konkrete Höhe der Entschädigung für immateriellen Schaden in das Ermessen des Gerichtshofs stellt und dieser dann eine Entschädigung in nicht unbeträchtlicher Höhe zuspricht.[54] Keine Entschädigung gewährt der Gerichtshof jedoch dann, wenn lediglich eine unbezifferte Entschädigung gefordert wird und ihre Höhe nicht explizit in das Ermessen des Gerichtshofs gestellt wird.[55]

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Die zugesprochenen Beträge bewegen sich inzwischen in einer Größenordnung von 1.000-10.000 €, in schwereren Fällen (Folter; Tötung von Familienangehörigen; willkürliche Inhaftierung oder Verurteilung) hat der Gerichtshof aber auch schon Beträge von 15.000-180.000 € zugesprochen (z.T. als billige Gesamtsumme für materielle und immaterielle Schäden).[56]

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Ausgeschlossen ist die Zusprechung einer Entschädigung, falls der eingetretene Nichtvermögensschaden bereits durch die Feststellung der Konventionsverletzung vollständig kompensiert wird (sufficient just satisfaction, § 2 PD-JS).[57] Ein finanzieller Ausgleich bleibt dem Bf. ebenfalls versagt, wenn ihm der Nachweis eines immateriellen Schadens nicht gelingt oder sich ein nachweisbarer Schaden nicht unmittelbar auf den festgestellten Konventionsverstoß zurückführen lässt. Das ist bei Verfahrensfehlern häufig der Fall; andererseits hat der Gerichtshof aber auch bei Verstößen gegen die Verfahrensfairness (Art. 6 Abs. 1 EMRK) wegen der mit der („unfairen“) Verurteilung verbundenen Freiheitsentziehung Entschädigungssummen zugesprochen (§§ 7, 8 PD-JS).[58]

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Die Höhe der Entschädigung mindern können sämtliche Maßnahmen, die der betroffene Vertragsstaat zur Wiedergutmachung des eingetretenen Schadens bereits ergriffen hat, selbst wenn diese nicht mit einer ausdrücklichen Anerkennung des Konventionsverstoßes verbunden waren (z.B. Milderung der verhängten Strafe; Anrechnung der Untersuchungshaft).[59] In engen Grenzen kann auch ein für den Eintritt des Konventionsverstoßes mitursächliches Verhalten des Bf. eine die Entschädigung reduzierende Wirkung haben.[60]

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Im speziellen Fall der überlangen Verfahrensdauer (Art. 6 Abs. 1 EMRK) spricht der EGMR eine finanzielle Entschädigung für einen immateriellen Schaden nur dann zu, wenn die Unangemessenheit der Verfahrensdauer nicht bereits im nationalen Strafurteil strafmildernd berücksichtigt worden ist[61] und die Feststellung des Konventionsverstoßes allein keine ausreichende Wiedergutmachung darstellt.

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In zivilrechtlich geprägten Fallkonstellationen berechnet der EGMR die Entschädigung mit einer Summe von 1.000-1.500 € pro Jahr Verfahrensdauer (auf den verzögerten Teil des Verfahrens kommt es insoweit nicht an); der so ermittelte Gesamtbetrag wird um 2.000 € erhöht, wenn es sich bei der Rechtssache um eine für den Einzelnen besonders bedeutende Frage handelt; die Entschädigung wird reduziert, wenn mehrere Gerichte die Rechtssache bearbeitet haben oder wenn der Betroffene durch sein Handeln Teile der Verzögerung verursacht hat.[62] Eine starre Übertragung dieser Grundsätze auf das Strafrecht ist nicht möglich.[63]

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Einen Sonderfall bei der Berechnung der Angemessenheit einer Entschädigung für Nichtvermögensschäden bilden Sammelklagen. Hierzu hat die GK im Urteil Kakamoukas[64] Leitlinien entwickelt: Wenn in einem verbundenen Verfahren eine überlange Verfahrensdauer festgestellt wird, muss berücksichtigt werden, wie die Zahl der Beteiligten das Ausmaß der Ängste, Unbequemlichkeiten und Unsicherheiten, die jeder von ihnen empfunden hat, beeinflusst. Einer Personengruppe anzugehören, die sich entschlossen hat, ein Gericht wegen derselben tatsächlichen und rechtlichen Umstände anzurufen, hat zur Folge, dass man sowohl die Vorteile als auch die Nachteile eines verbundenen Verfahrens teilen muss. Wenn gemeinsame Verfahren von demselben Bevollmächtigten betrieben und koordiniert werden, sind Kosten und Gebühren für den einzelnen Kläger außerdem normalerweise niedriger als bei einer einzelnen Klage, was den Zugang zu den Gerichten vereinfacht. Außerdem ermöglichen gemeinsam erhobene Klagen den Gerichten häufig, gleichartige Verfahren zu verbinden, was eine gute Justizverwaltung erleichtert und dazu führen kann, das Verfahren zu beschleunigen.

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Andererseits können die erwähnten Besonderheiten verbundener Verfahren bei den Betroffenen die Erwartung wecken, dass der Staat bei der Behandlung ihrer Fälle besondere Sorgfalt walten lässt. Ungerechtfertigte Verzögerungen können deswegen einen möglicherweise erlittenen Schaden vergrößern.

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