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I. Renaissance, Humanismus und gelehrtes Recht

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Als Renaissance bezeichnet man die Epoche im Übergang vom Mittelalter zur Frühen Neuzeit, die den Zeitraum von der zweiten Hälfte des 14. bis zum Ende des 16. Jahrhunderts umfasst. Renaissance (frz., wörtlich Wiedergeburt) meint die Erneuerung des antiken Bildungsideals, in dessen Zentrum die freie Persönlichkeit des Menschen steht, wie es der Begriff Humanismus (das literarisch-philosophische Konzept der Renaissance) zum Ausdruck bringt. Zu dieser von Italien ausgehenden Bewegung gehören die Dichter Francesco Petrarca (1304–1374) und Giovanni Boccaccio (1313–1375) wie das Universalgenie Leonardo da Vinci (1452–1519). Die Denker der Renaissance sind einzelne selbstbewusste Persönlichkeiten, die sich am politischen Leben teils aktiv beteiligen. Institutionell löst sich die humanistische Philosophie von der Kirche, aber auch von den Universitäten; inhaltlich will sie spekulative Tendenzen der scholastischen Denktradition überwinden[59] und stellt diesen ein welt- und praxiszugewandtes Philosophieverständnis entgegen. Michel de Montaigne (1533–1592) leitet die europäische Moralistik (Hinwendung zur Beschreibung der tatsächlichen Sitten) ein. In der Astronomie wirkt die Verbreitung des heliozentrischen Weltbildes revolutionierend (Nikolaus Kopernikus, 1473–1543; Giordano Bruno, 1548–1600; Galileo Galilei, 1564–1642).[60] In der Staatsphilosophie werden Sichtweisen jenseits des durch die Kirche dominierten bestehenden Machtgefüges entwickelt. Niccolo Machiavelli (1469–1527) lehrt, wie eine Politik unter den Voraussetzungen menschlicher Schlechtigkeit und mangelnder gesetzlicher Ordnung zu führen ist. Erasmus von Rotterdam (1469–1536), mit seinen Stellungnahmen zu den verschiedenen Fragen seiner Zeit überaus einflussreich, postuliert die Ächtung von Krieg und Nationalismus, das Ideal des Weltbürgers, einen Völkerbund und einen internationalen Gerichtshof. Der Engländer Thomas More (= Morus, 1478–1535) erschafft mit seinem Roman Utopia eine neue politisch-literarische Gattung, in der, gekleidet in einen Reisebericht, die bestehenden Verhältnisse konfrontiert werden mit einer fiktiven Idealgesellschaft, deren Bürger besitzlos und gleichberechtigt sind. Francisco de Vitoria (1492–1546), der bedeutendste Vertreter der spanischen Spätscholastik, verficht, angeregt durch die spanischen Eroberungen in Süd- und Mittelamerika, die Grundsätze eines genuinen Völkerrechts, ein Anliegen, das der Niederländer Hugo de Groot (= Grotius, 1583–1645) in seinen Drei Büchern vom Recht des Kriegs und Friedens 1625 fortführt.[61]

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Im Rechtsdenken setzen sich seit dem Hochmittelalter, ausgehend von Italien, sowohl im kirchlichen als auch weltlichen Recht allmählich Systematik und begriffliche Abstrahierung durch. Die italienische Strafrechtswissenschaft zeigt seit dem 14. Jahrhundert Ansätze zur Bildung eines Allgemeinen Teils des Strafrechts, also zur systematischen Emanzipation allgemeiner Lehren von spezifischen Delikten. Konturiert werden das Unterlassungsdelikt, der Versuch im Gegensatz zur Vollendung, differenzierte Beteiligungsformen (Täterschaft, Anstiftung, Beihilfe), Strafunmündigkeit und Schuldunfähigkeit als Schuldausschließungsgründe sowie Vorsatz und Fahrlässigkeit (als Schuldformen).[62] Die Rezeption dieses Rechts nördlich der Alpen vollzieht sich in Schüben seit dem späten Mittelalter. So entsteht auch im Reich die Profession des gelehrten Juristen, der sich entweder an einer oberitalienischen Fakultät, insbesondere Bologna, oder an einer Universität des Reiches ausbilden lässt. Im Humanismus setzt sich diese Linie fort. Die Differenzierung allgemeiner und besonderer Lehren findet sich insbesondere bei dem Italiener Tiberius Decianus (1509–1582), in Deutschland stellt Petrus Theodoricus (1580–1640) einem Besonderen Teil einen Allgemeinen voran. Er nimmt auch den humanistischen Rückgriff auf das relative Strafkonzept von Platons Nomoi auf und entwickelt ein zukunftsweisendes rationalistisches Konzept präventiver Strafen.[63] Für die (unten näher zu erläuternde) Strafpraxis des 16. und 17. Jahrhunderts kann sich diese letztere Linie indes nicht durchsetzen; hier dominiert ein gegenläufiges repressives Strafkonzept.

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