Читать книгу Handbuch des Strafrechts - Robert Esser, Manuel Ladiges - Страница 196
I. Grundgedanken
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Vorbereitet durch den Humanismus[44] von Erasmus (1466–1536)[45] und Montaigne (1533–1592),[46] tauchen fast alle zentralen Elemente aufklärerischen Denkens bereits im 17. Jahrhundert auf. Erst versteckt und dann zunehmend offen wurde die Tragfähigkeit des überkommenen, religiös fundierten Weltbildes bezweifelt. Paul Hazard spricht von der „Krise des europäischen Geistes“.[47] Am Beginn der Aufklärung steht die Kritik:
„Völlig anerkannte Begriffe, wie der des allgemeinen Consensus als Beweis für Gott, der des Wunders, wurden in Zweifel gezogen. Man verbannte das Göttliche in unbekannte und unerforschliche Himmel. Der Mensch und der Mensch allein wurde das Maß aller Dinge; er war selbst Grund und Zweck seines Daseins. Lange genug hatten die Hirten der Völker die Macht in Händen gehabt; sie hatten versprochen, auf Erden Güte, Gerechtigkeit und brüderliche Liebe zur Herrschaft zu bringen; aber sie hatten ihr Versprechen nicht gehalten. […] Man musste sie verjagen, wenn sie nicht freiwillig gehen wollten. Man glaubte, man müsse das alte Gebäude, das die Menschenfamilie so schlecht beschirmt hatte, niederreißen, und die dringendste Aufgabe schien die, zu zerstören“ (ebd., 23 f.).
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In diesem Zitat werden bereits zwei zentrale Elemente der Aufklärung sichtbar: der Einsatz kritischer Vernunft und die Orientierung am Menschen.[48] Damit wird in wenigen Worten das Programm eines erneuerten Humanismus umschrieben, eine Stoßrichtung, die für das Strafrecht erhebliche Folgen haben musste. Ein anderes zentrales Element des neuen Denkens war die Befreiung von weltfremder Metaphysik, m.a.W. die Säkularisierung des Weltbildes. Die intellektuellen Neuerer wollten
„eine Philosophie auf[…]bauen, die auf metaphysische Träume Verzicht leistete, die uns stets nur in die Irre führen, und die stattdessen die Erscheinungsformen studierte, die unsere schwachen Hände greifen können und die für unsere Zufriedenheit ausreichen müssen. Man musste eine Politik ohne göttliches Recht, eine Religion ohne Mysterien, eine Moral ohne Dogmen schaffen. … Man musste die Wissenschaft dahin bringen, dass sie aufhörte, ein reines Spiel des Geistes zu sein, und stattdessen zu einer Kraft wurde, welche die Natur zu unterwerfen vermag. Durch die Wissenschaft würde man ganz ohne Zweifel das Glück erobern. Die so zurückeroberte Welt würde der Mensch zu Nutz und Frommen seines Wohlbefindens, seines Ruhmes und seiner glückseligen Zukunft einrichten“ (ebd., 24).
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Schon die frühen Aufklärer vertrauten auf die empirisch orientierte Wissenschaft, deren Leistungsfähigkeit in der „Wissenschaftlichen Revolution“ des 17. Jahrhunderts so eindrucksvoll unter Beweis gestellt worden war.[49] Hinzu trat die mit jedem Neuanfang verbundene Hoffnung auf Fortschritt. Der häufig zu hörende Vorwurf, die Aufklärer seien geradezu „fortschrittsgläubig“ gewesen, trifft allerdings nicht zu; ein für die Aufklärung so repräsentatives Werk wie Voltaires „Candide“ ist ganz im Gegenteil von tiefem gesellschaftspolitischem Pessimismus (manche würden auch sagen: Realismus) geprägt. [50]
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Ziel jeder gesellschaftlichen Ordnung ist für die Aufklärer das menschliche Wohlergehen, das menschliche Glück, wobei grundsätzlich alle Menschen ohne Rücksicht auf Herkunft, Rasse, gesellschaftlichem Stand, Rang oder Geschlecht umfasst waren. Dies ist der Sinn der in der Aufklärung weit verbreiteten Formel vom „größten Glück der größten Zahl“.[51]
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Hinzu trat Hazard zufolge ein neues Denken in subjektiven Rechten:
„An die Stelle einer Kultur, die auf der Idee der Pflicht beruhte, der Pflicht gegen Gott, der Pflicht gegenüber dem Fürsten, versuchten die ‚neuen Philosophen‘ eine Kultur zu setzen, die sich auf die Idee des Rechtes gründete: auf das Recht des persönlichen Gewissens, das Recht auf Kritik, das Recht auf Vernunft, die Menschen- und Bürgerrechte“ (ebd., 24 f.).
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In der Aufklärungsphilosophie kam es zu einer engen Verbindung von Theorie und Praxis, die teilweise (v.a. in der französischen Aufklärungsphilosophie) so weit reichte, dass Rechtsphilosophie und Rechtspolitik kaum mehr zu unterscheiden waren. Die Kerngedanken der Aufklärung, auch und gerade in der Kriminalpolitik, waren das Bekenntnis zur kritischen Vernunft, die Ablehnung religiös begründeter Herrschaftsansprüche seitens des Klerus und der Fürsten, ein neuer Humanismus im Sinne einer Orientierung am Menschen und seinen faktischen Bedürfnissen, das Streben nach einer ‚natürlichen‘ und menschengerechten Basis für Religion und Moral, die Hochschätzung der empirischen Wissenschaft, Fortschrittshoffnung, Kosmopolitismus und die Orientierung am menschlichen Wohlergehen und Glück.[52]