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III. Die Constitutio Criminalis Carolina

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Seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhundert wird das von der italienischen Legistik und im Kirchenrecht entwickelte gemeine – systematische – Strafrecht in Deutschland rezipiert und geht in die Strafpraxis ein, wie es die verbreiteten Handbücher belegen, etwa der schwäbische Klagspiegel (Mitte des 15. Jahrhunderts) und der 1509 erscheinende pfälzisch-bayerische Laienspiegel.[72] Einflussreich als Gesetz wird die Bambergische Halsgerichtsordnung (Constitutio Criminalis Bambergensis, CCB) von 1507; entsprechend dem gemeinrechtlichen Strafrechtsverständnis ist sie eine Verfahrensordnung mit eingestreuten materiellrechtlichen Bestimmungen, die definitorisch-abstrahierende Ansätze aufweisen. Dabei wird neben dem tradierten Akkussationsprozess der Inquisitionsprozess, also die Befragung von Amts wegen normiert. Die CCB schreibt auch die Verteidigung des Angeklagten vor und beschränkt die zuvor ungeregelte Folteranwendung durch indizielle Voraussetzungen und das Verhältnismäßigkeitserfordernis. Insbesondere diese letztgenannten Regeln sind als Reaktion auf Klagen über Missstände in der Strafjustiz zu begreifen, die seit dem Ende des 15. Jahrhunderts laut geworden sind und wonach das territorial ausgeübte Strafrecht zunehmend ungebremst als Mittel zur Verfolgung sozialer Randgruppen, insbesondere nichtsesshafter Fremder eingesetzt wird, wobei Beweisschwierigkeiten durch Leumundsverfahren und exzessive Folteranwendung zwecks Geständniserzwingung umgangen werden; die Strafpraxis ist territorial überaus uneinheitlich und von richterlicher Willkür und der Verurteilung Schuldloser geprägt. Schon 1498 hatte daraufhin der (Freiburger) Reichstag beschlossen, es sei eine allgemeine Reichsordnung zu erlassen, „wie man in criminalibus procedieren solle“; von 1521 an bildet die CCB hierfür die förmliche Vorlage, und die 1532 unter der Federführung des Beamten Johann von Schwarzenberg (1465–1528) erlassene Peinliche Gerichtsordnung Kaiser Karls V. (reg. 1519–1556), lateinisch Constitutio Criminalis Carolina (CCC), folgt in allem Wesentlichen dem Vorbild der CCB. Zwar räumt sie mit ihrer sog. salvatorischen (d.h. erhaltenden) Klausel am Ende des Vorwortes dem jeweiligen Territorialrecht den Vorrang ein, ist aber gleichwohl der straftheoretisch und -praktisch wirksamste Text im Reich bis ins 18. Jahrhundert hinein.[73]

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Als Prozessordnung ist die CCC gegliedert nach dem Verfahrensgang. Die Bestimmungen zu den staatlicherseits agierenden Personen (Art. 1–5, vgl. auch Art. 81) gehen in Abkehr von der früheren Differenzierung zwischen verfahrensleitenden Richtern und Urteilern von einem einheitlichen Kollegialgericht aus. Die Regelungen zum Inquisitionsprozess, also zur Einleitung des Verfahrens von Amts wegen (Art. 6–10), verweisen – rechtstechnisch als Ausnahme – auf diejenigen zum Akkusationsprozess (Art. 11–17), dürften aber aufgrund der intendierten höheren Praktikabilität die Praxis dominieren. Sodann konzentriert sich der Text auf die Bestimmung der „redlichen anzeygung“, d.h. des begründeten Verdachts, der hinreichend massiv ist, die Folter zu rechtfertigen; hierzu werden zunächst allgemeine Regelungen (Art. 29–32) formuliert, die deutlich gegen die missbräuchliche Folterausübung zielen, indem sie die jeweiligen indiziellen Anforderungen detailliert regeln, nicht hingegen die concreta der Folteranwendung; die peinliche Bestrafung allein aufgrund der anzeygung wird explizit untersagt (Art. 22). Es folgen Regelungen zur anzeygung bestimmter Delikte (Art. 33–47), nämlich zu Mord, Totschlag, Kindstötung, zum Umgang mit Gift, zu Raub und Diebstahl und zur Beteiligung an diesen, zu Brandstiftung und Zauberei. Im nachfolgenden Abschnitt der CCC ist geregelt, wie nach dem Geständnis des Befragten – als der Königin der Beweise (regina probationum), auf das das gesamte Verfahren zielt – jeweils bezogen auf die verschiedenen Taten weiter zu verfahren ist, wobei zunächst das weitere Erforschen der Tatumstände, der Umgang mit Zeugen, die Reaktion auf späteres Leugnen u.a. geregelt sind (Art. 48–103), im Anschluss daran die Strafen für die jeweiligen Delikte festgesetzt sind (Art. 104–129). Wenn Art. 104 CCC allgemein zum Schuld- und Strafverständnis erklärt, „die straff nach gelegenheyt und ergernuß der übelthatt, auß lieb der gerechtigkeit, und umb gemeynes nutz willen zu ordnen und zu machen“, so kommt die charakteristische Verbindung repressiver und präventiver Strafanliegen zum Ausdruck. Zwei Deliktsfeldern widmet die CCC sodann besondere Abschnitte, den Tötungsdelikten (Art. 130–156), hinsichtlich derer eine differenzierte Regelung der Notwehr erfolgt (Art. 139–146), und dem Diebstahl (Art. 157–192), in dessen Kontext die Beihilfe als Beteiligungsform (Art. 177) und der Versuch als Verhinderung wider Willen (Art. 178) bestimmt werden. Die CCC schließt mit Hinweisen zur Urteilsvollstreckung (Art. 193–219). Rechtsmittel kennt sie nicht, indes normiert Art. 219 das „rath suchen“, das Einholen eines verbindlichen Votums bei höheren Gerichten oder Juristenfakultäten, ein Institut, das gelehrtes Recht auch in die Rechtsprechung der Untergerichte trägt.[74]

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