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I. Kritik an den Hexenprozessen: Friedrich von Spee und die Cautio Criminalis
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Die extreme Grausamkeit und offenkundige Irrationalität vieler Hexenverfolgungen führte zu Gegenreaktionen. Einer der engagiertesten und einflussreichsten Kritiker war der Jesuit Friedrich von Spee (1591–1635),[24] in dessen „Cautio Criminalis“[25] (1631) bereits die Vorstellung erkennbar wird, das Strafrecht finde an individuellen Rechten des Menschen eine Grenze. Spee knüpft darin nicht nur an die christliche Tradition, sondern auch die antike Ethik und zentrale Rechtstexte der frühen Neuzeit an und verbindet diese theoretischen Elemente mit einem leidenschaftlichen, aus christlicher Barmherzigkeit gespeisten Eintreten für die gequälten Opfer.
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Zu seinen zentralen Forderungen gehören die Rückkehr zu einem geordneten rechtlichen Verfahren, um der Willkür der Verfolger Schranken zu setzen, die Suche nach natürlichen Ursachen für die den „Hexen“ zugeschriebenen Schäden sowie Mitgefühl und Menschlichkeit auch gegenüber den des Teufelspakts verdächtigten Frauen. Selbst genuin juristische Leitgedanken, wie die Bindung an das Gesetz und der Grundsatz, dass Menschen erst dann verurteilt werden dürften, wenn ihre Schuld zweifelsfrei festgestellt wurde („in dubio pro reo“) werden bei ihm formuliert.[26] Auf diese Weise nimmt Spee in der Cautio Criminalis zentrale Grundsätze der Strafrechtsaufklärung vorweg.
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Spees Schilderungen der Praxis der Hexenverfolgung gehören zu den erschütterndsten Beschreibungen der Kriminalrechtspraxis des 16. und 17. Jahrhunderts:
„Der Inquisitor lässt die Gefangene zu sich rufen. Er sagt, es sei ihr ja nicht unbekannt, weshalb sie gefangen sei, die und die Indizien seien gegen sie vorgebracht, sie solle sich also dazu äußern und sich rechtfertigen. Antwortet sie und widerlegt sie auch – wie ich es selbst oft erlebt habe – ganz genau die einzelnen Verdachtsmomente, sodass nicht das Geringste dagegen zu sagen ist und die Haltlosigkeit der ganzen Anklage mit Händen zu greifen ist, so wird ihr gleichwohl doch nur gesagt, sie solle in ihr Gefängnis zurückgehen und es sich besser überlegen, ob sie bei ihrem Leugnen bleiben wolle, man werde sie nach ein paar Stunden wieder rufen, und das ohne ein weiteres Wort, ohne dass näher auf ihre Einlassung eingegangen würde, gerade als ob sie in den Wind geredet oder den Steinen Märchen erzählt hätte. Während sie ins Gefängnis zurückgebracht wird, schreibt man ins Protokoll, die Angeklagte sei in der Vernehmung beim Leugnen geblieben, und es wird beschlossen, sie deshalb foltern zu lassen.“[27]
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Spees Argumentation ist nicht theologisch, sondern juristisch. Die Entschiedenheit, mit der er sich von den herrschenden Autoritäten emanzipiert und eigenständig Kritik übt, ist erstaunlich und weist auf das Leitmotiv der Aufklärung „Selbst denken!“ voraus. Wo Argumente im Kampf gegen bigotte Mordlust nicht mehr fruchten, greift Spee zu Sarkasmus und Spott.[28] Für einen Theologen sehr bemerkenswert ist auch Spees beständige Forderung, nach natürlichen Ursachen für Schäden zu suchen und ihre Entstehung nicht übernatürlichen Kräften, Geistern und Hexen zuzuschreiben. Der darin angelegte Naturalismus, also die Beschränkung auf das unseren Sinnen Zugängliche, ist ein zentrales Element aufklärerischen Denkens.
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Dasselbe gilt für Spees Hinwendung zum einzelnen Verfolgungsopfer, seine Wahrnehmung der geschundenen Frauen als Menschen, und nicht als „Hexen“. Auch diese bei Spee von christlicher Barmherzigkeit gespeiste Humanorientierung weist auf die Aufklärung voraus. Man wird deshalb so weit gehen dürfen, Friedrich von Spee als christlichen Frühaufklärer zu bezeichnen.[29]