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Die Wahnsinnigen
ОглавлениеZumeist werden Wahnsinnige ja weggesperrt, zu unserem aber auch zum eigenen Schutz. Doch hin und wieder entkommen sie aus dem Schutz der Anstalt und man trifft sie in der freien Wildbahn. In Städten, welche als Lebensraum den Wahnsinn begünstigen, öfter als am Land. Dann sitzt so ein Wahnsinniger plötzlich in der U-Bahn und spricht in einer Lautstärke, als wäre er allein auf der Welt. Damit meine ich nicht die penetranten Mobiltelefonbenutzer, obwohl dies durchaus auch ein Hinweis auf eine milde psychische Störung ist, ich spreche von offensichtlich Wahninnigen, ohne technisches Gerät am Ohr oder in der Hand, die mit ihrem unauförlichen Redeschwall die Aufmerksamkeit auf sich lenken und damit für Unsicherheit und teilweise auch Angst im öffentlichen Raum sorgen. Zumal die Worte deutlich auf eine massive psychische Störung hinweisen:
»Diese Hitze, ein Wahnsinn, jetzt reicht’s schon wieder. Der heißeste Juli seit Jahren. Und es bleibt auch so heiß, haben sie gesagt. Ich brauch’s nicht, diese Hitze … Scheiße, jetzt hab’ ich den Erlagschein daheim liegen lassen. Ich Trottl, ich! Das gibt’s doch nicht, bitte! Ich leg’ mir den Erlagschein noch extra aufs Vorzimmerkastl, damit ich ihn nicht vergiss … so eine Hitze, und der Gestank in der U-Bahn, waschen sich die eigentlich nicht? … Und jetzt stopfen wir wieder den Griechen die Milliarden in den Rachen, wobei, was heißt den Griechen? Die sehen das Geld ja nicht einmal, das kassieren eh nur die Banken … ich Trottel, ich, lass’ doch glatt den Erlagschein liegen von der Versicherung. Leg’ ihn mir extra noch hin und dann lass ich ihn liegen … eh schon wieder teurer geworden, die Versicherung. Indexanpassung, diese Schweine … die werden sich noch so lange spielen, bis sich die Griechen mit die Russen auf ein Packl schmeißen, na und dann gute Nacht … so eine Hitze, und im August, wenn ich Urlaub hab’, regnet’s dann sicher wieder … wie man nur so blöd sein kann, leg’ mir den Erlagschein noch extra hin, ein Hirn wie ein Nudelsieb … die sitzen ja auf Gas, die Griechen, und das wollen die Amerikaner sicher haben, das wird sich der Russ’ aber nicht gefallen lassen, so schaut’s aus … jetzt hätt’ ich fast ein bissl an Hunger, obwohl bei der Hitz’ soll man eh nicht so viel essen … ein Eis vielleicht … ich bin eh schon wieder viel zu blad … jetzt krieg’ ich sicher eine Mahnung wegen der Versicherung … eigentlich eh nur mehr Ausländer in der U-Bahn, das haben wir übersehen, das haben sie wirklich übersehen, die Politiker, und jetzt ham mas … und ich Trottl lass den Erlagschein liegen … na, ein kleines Eis, oder?«
Also offensichtlich ein vom Wahnsinn zerfressenes Gehirn, gefangen in der Schleife eines endlosen Redeschwalls. Und hier wird der Unterschied zwischen einem psychisch kranken Individuum und Ihnen selbst sehr deutlich.
Der Wahnsinnige sagt es, Sie aber denken es sich nur. Wahnsinn ist also oftmals nur ein Lautstärkeproblem. Aber wir haben ja gottlob die Möglichkeit, die lärmende Denkmaschine in unserem Kopf abzuschalten. Entweder durch Meditation oder noch einfacher mit einem Knopfdruck.
Durch einen einfachen Druck auf die TV-Fernbedienung können wir jemanden anderen für uns denken lassen, bis die Gedanken des anderen schließlich zu unseren eigenen Gedanken werden. Kabelloser Datentransfer sozusagen. Das lenkt dann nämlich vom eigenen »Leben« ab, und wir beschäftigen uns dann mit dem »Leben« anderer, das meistens toller oder beschissener als unseres ist. Was man nicht im TV sehen wollte, wäre die Verfilmung des eigenen »Lebens«. Das wäre schlicht zu langweilig.
Und indem wir einen großen Teil unserer Zeit damit verbringen, übers Leben nachzudenken, vergessen wir dabei oft zu leben. Begeben uns gedanklich in eine fiktive Welt, namens Zukunft oder Vergangenheit. Das heißt, wir sind geistig gar nicht da. Drum fragt der Kasperl ja immer: »Seid ihr alle da?« Nicht weil er schlecht sieht oder eine Anwesenheitsliste hat, sondern er fragt die Kinder, ob sie alle im »Dasein«, im Jetzt sind oder mit ihren Gedanken noch irgendwo herumfliegen. Sind Sie noch da? Oder fliegen Ihre Gedanken gerade herum, sind Sie schon knapp vorm Einschlafen, verlieren Sie die Zeilen, verschwimmen die Buchstaben, oder lesen Sie diesen Satz bereits zum zweiten oder dritten Mal? Verlieren Sie die Zeilen, verschwimmen die Buchstaben, oder lesen Sie diesen Satz bereits zum zweiten oder dritten Mal? Verlieren Sie die Zeilen, verschwimmen die Buchstaben, oder lesen Sie diesen Satz bereits zum zweiten oder dritten Mal?
Ganz schön anstrengend, ständig über »das Leben« nachzudenken. Das kostet Energie. Energie, die letztendlich dem Leben geraubt wird. Daher mein Vorschlag: Wir hören jetzt gemeinsam auf, über »das Leben« nachzudenken und werden den Rest dieses Buches ganz einfach nur miteinander leben …