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Der Neandertaler hatte die Zeit
ОглавлениеUnd die war aus heutiger Sicht nicht lang. Der durchschnittliche Neandertaler, damit mein’ ich nicht den Herrn Neandertaler, sondern die Gattung, also Herrn und Frau Neandertaler, die NeandertalerInnen (dieses Buch enthält auch keine Allergene und ich hoffe, dass Sie so wie ich ein Mensch mit besonderen Bedürfnissen sind, auch wenn Ihre Mobilität fallweise, insbesondere im Stau, eingeschränkt ist und sie dadurch behindert werden), der Neandertaler starb im zarten Alter von 25. Und jetzt haben Sie natürlich fast ein wenig Mitleid mit dem armen Neandertaler, denn nach nur 25 Lebensjahren wieder den Löffel abgeben zu müssen ist wahrlich keine rosige Zukunftsaussicht. Wobei das ja alles relativ ist, wie wir ja in der Schule gelernt haben. Zwei Stunden sind bekanntlich nicht zwei Stunden. Zwei Stunden und zwei Stunden können etwas ganz Unterschiedliches sein. Zwei Stunden Wurzelbehandlung kommen einem subjektiv länger vor als zwei Stunden orgiastischer Sex mit seinem Traumpartner. Geben Sie mir recht? Oder müssen Sie jetzt erst einmal überlegen? Fehlen Ihnen da vielleicht die Erfahrungswerte? Na ja, es kann ja sein, dass Sie noch nie in Ihrem »Leben« eine Wurzelbehandlung erleben durften. Aber vielleicht ist dieses Beispiel auch etwas an den Haaren herbeigezogen. Eine Wurzelbehandlung dauert in der Regel keine zwei Stunden, es sei denn, der Zahnarzt führt diese zum ersten Mal in seiner Karriere durch oder er ist schwer betrunken. Und zwei Stunden orgiastischer Sex reduziert sich in der Praxis oft darauf, fünf Minuten gegen das Einschlafen zu kämpfen und dabei fernzusehen. Was nicht heißt, dass es zwei Stunden orgiastischen Sex nicht gibt. Den gibt es sehr wohl – im Internet, zum zuschauen.
Wir gehen also davon aus, dass der Neandertaler ein kurzes aber dafür ein furchtbar beschwerliches Leben geführt haben muss. Was aber möglicherweise so nicht stimmt. So hat der Neandertaler nur zwei Stunden am Tag für seinen Lebensunterhalt aufringen müssen. Fürs Jagen und Sammeln. Der Rest vom Tag war Freizeit. Die Neandertaler haben den Rest des Tages gegessen, was sie gejagt oder gesammelt haben, haben unter einem Baum geruht, sich die Sonne auf den Bauch scheinen lassen, sind schwimmen gegangen, haben die Wolken beobachtet, den Vögeln gelauscht, mit dem Nachwuchs gespielt, stundenlang ins Lagerfeuer gestarrt, sich mit legalen Drogen, wie Fliegenpilzsuppen, weggeschossen, gefickt wie die Karnickel und regelmäßig den Sexualpartner getauscht. Dabei haben sie aber niemals nach dem Sinn gefragt oder ihr Tun in Frage gestellt. Jetzt einmal ehrlich, klingt das nach einem beschwerlichen Leben? Oder kommt Ihnen das gar von irgendwo bekannt vor? Klingt das nicht ein wenig nach Ihrem letzten Cluburlaub? 25 Jahre »Magic Life, All inclusive« sollten eigentlich reichen. Das kann ein durchaus »gutes Leben« sein und dabei nicht wirklich zu kurz.
Für mich hört sich das auf jeden Fall besser an, als 13 Jahre Angst in der Schule, 45 Jahre beinhartes Berufsleben und dann 20 Jahre von einem Arzt zum anderen laufen zu müssen und zu hoffen, dass das alles bald vorbei ist. Das ist natürlich auch ein Lebenskonzept, meines wäre es nicht. Zwei Stunden täglich für seinen Lebensunterhalt aufringen zu müssen: Wer schafft denn das heute noch? Ich. Sonst fällt mir auf die schnelle keiner ein. Fällt Ihnen jemand ein, Herr Prehsler?
Konkret nicht, Herr Düringer. Und das mit nur zwei Stunden am Tag hackln glaub ich Ihnen auch nicht so ganz. Aber ich denke, dass eine Gesellschaft mit insgesamt weniger Arbeitsstunden eine gute und auch machbare wäre.